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Re: [ox] leben ohne geld: heidemarie s. :: u.a.



Hi,

Benni Baermann schrieb:
Mit Opportunismus meine ich, dass Frau Schwermer (gemäss dem Artikel)
so ziemlich jeden Gelegenheits-Job annimmt, der gerade am Weg liegt.
                 (Gelegenheit = opportunity)
Das muss sie anscheinend, um genug zu "verdienen".  Mit Freiheit hat das
allerdings wenig zu tun -- klingt eher nach "working poor"...

Nun scheint sie ja aber sehr mit diesen "Jobs" zufrieden zu sein. Es
ist also schlicht nicht an Dir, ihr zu sagen, dass sie sich eigentlich
Scheisse dabei fühlen müsste.

Letzteres habe ich weder gesagt noch gemeint, sondern dass sich das
Schwermer'sche "Modell" (inzwischen von Uli Frank zum "Experiment"
zurückgestuft) nicht als gesellschaftliches Modell eignet.

(Uli: <<sie nennt es deshalb schon lange "Gib und Nimm!">>
 -- komisch, das ist doch auch das Motto der Geldwirtschaft...)


Ich selbst kenne es aus eigener Anschauung, dass nicht die Art der
Tätigkeit das Entscheidende ist, sondern die eigene Einstellung dazu
und die Einstellung wird wesentlich durch die sozialen Beziehungen die
damit verbunden sind, geprägt. Noch der letzte "Scheissjob" kann Spass
machen, wenn es "mein Ding" ist und noch die anspruchsvollste kreative
Tätigkeit kann furchtbar ätzend werden, wenn man sie "nur des Geldes
wegen" tut. Diese Entfremdung von der eigenen Tätigkeit ist für mich
nicht nur etwas theoretisches sondern eine direkt persönlich
erfahrbare Tatsache.

Mein Punkt war, dass der Schwermer'sche Ansatz weiterhin im wesentlichen
eine "Lohntätigkeit" ist -- ob gegen Geld oder Naturalien, ist ein Detail.


Juristisch wohl nicht, aber gesellschaftlich ist es nicht sinnvoll,
dass eine Ausbildung "vergeudet" wird, indem Leute unter ihrer
Qualifikation arbeiten.

Zunächst mal gilt festzuhalten, dass es nichts gibt, was
"gesellschaftlich sinnvoll" ist aber individuell nicht auch für
irgendjemanden sinnvoll ist. Oder allgemeiner formuliert: Es gibt
keine Bedürfnisse, die niemand hat.

Ist die Gesellschaft niemand ?  Stichwort Systemoptimierung.


Hochqualifizierte Leute sind eh schon
zu selten, und tiefqualifizierte können nicht hochqualifizierte
Arbeiten übernehmen -- also geht dieses "Modell" nicht auf.
Wohlgemerkt: _Egal_ ob mit oder ohne Geld!

Das hinkt hinten und vorne. Welche Tätigkeiten "hoch-" und welche
"niedrigqualifiziert" sind ist ja nicht irgendwie ein Naturgesetz,
sondern wird gesellschaftlich bestimmt. Und das passiert bei uns eben
genau über Geld.

Nein.  Dass ein Physiker höher qualifiziert ist als ein ungelernter
Hilfsarbeiter, ist durchaus objektivierbar.  (Dass einzelne
Hilfsarbeiter das Zeug zum Physiker gehabt hätten, und einzelne
Physiker wohl besser Hilfsarbeiter geworden wären, steht auf einem
anderen Blatt..).

Du hast insofern Recht, als es Diskrepanzen zwischen objektiver
Qualifikation und deren gesellschaftlicher "Bewertung" gibt --
klassisches Beispiel sind Juristen, deren Einkommen (als Anwälte,
Politiker, Verwaltungsräte etc.) oft sehr weit über ihrer objektiven
Qualifikation liegt (bzw. weit über dem Einkommen in objektiv
höher qualifizierten technischen Berufen).  _Aber_ das ginge
auch ohne Geld!


Vielleicht sieht sie es ja so, dass Hoffegen genauso
wichtig ist wie Psychotherapie.

Dann sieht sie es eben falsch  (sowohl von der Angebots- als auch
von der Nachfrage-Seite her).


Frag' doch mal einen der vielen Arbeitslosen in D, der keine Arbeit findet,
"nur" weil er unterqualifiziert ist.  Der findet's wahrscheinlich nicht
lustig, dass ihm eine "gelernte Psychotherapeutin" den Fensterputz-Job
wegschnappt (und das erst noch in Schwarzarbeit).

Man kann es auch anders betrachten: Das, was der Arbeitslose mehr
vermisst als Arbeit ist Geld. Und genau das nimmt ihm Frau Schwermer
nun ganz bestimmt nicht mehr weg.

Doch, mit der Arbeit nimmt sie ihm (in dieser Gesellschaft) auch das
Geld weg, denn ohne Arbeit kriegt er ja kein Geld (wenn sein ALK-Anspruch
aufgebraucht ist -- wenn nicht, nimmt sie ihm durch ihre Schwarzarbeit
auch noch AL-Gelder weg).


Frau Schwermer macht das auch nicht "gewerbsmässig". Wie auch ohne Geld?

Doch.  Mittels Tausch.


Wenn man seinen Garten bestellt um daraus zu essen ist das das
selbe Prinzip.

Eben nicht -- sie arbeitet für Andere, "lohn"abhängig.


Das Argument das Du hier vorbringst hat ungefähr den selben Gehalt wie
die Vorwürfe von Microsoft an Freie Software, dass diese Arbeitsplätze
in der Softwareindustrie kosten würde.

Nur ist das nicht verwerflich, denn erstens sind M$-Programmierer höher
qualifiziert als Fensterputzer (finden also leichter andere Jobs), und
zweitens richten die eh mehr Schaden als Nutzen an, also sollen sie ruhig
entlassen werden. ;-)


Ist es sozial, _Sozial_abgaben zu unterschlagen?

Auf den Punkt gebracht schon, ja. Sozialabgaben sind ja ein
ausgesprochen unsoziales Verteilungsinstrument. Man gucke sich nur mal
die Krankenversicherung genauer an.

Da ist zwischen Prinzip und realer Implementation zu unterscheiden.
Die Implementation mag streckenweise asozial sein, aber die Grundidee ist
durchaus sozial.  Aber die Implementation wird nicht dadurch sozialer,
indem man Beiträge hinterzieht -- im Gegenteil, dann müssen nämlich
die Anderen umso mehr löhnen.


Warum arbeitet sie dann nicht in ihrem Beruf ?  Psychotherapeutin wäre
doch ideal geeignet für den "Kontakt mit Menschen" -- jedenfalls besser
als Fensterputzen und Rasenmähen -- und mehr nützen könnte sie so den
Leuten obendrein (falls sie ihren Beruf schnallt, was anscheinend nicht
der Fall ist).

Nun, kennst Du das nicht, dass ein "Kontakt zu Menschen" eben genau
dadurch entwertet wird, dass er über Geld stattfindet?

Du meinst dieser Kontakt wird aufgewertet, indem sie dafür Naturalien
statt Geld nimmt ?

Oder therapiert sie diese Menschen gratis und verdient ihren
Lebensunterhalt stattdessen mit Fensterputzen?  Das kann sie doch
auch, wenn sie Geld für's Fensterputzen nimmt.


Ich hab mich schon immer gefragt warum
Psychotherapeuten eigentlich nicht irre daran werden vom Irrsinn
anderer zu leben.

Einige haben ja auch einen Sprung in der Schüssel, und bedienen
sich selber aus dem Pillenschrank...  Vielleicht sollten sie zum
Ausgleich fensterputzen und hoffegen ?  ;-)


Aber egal was sie arbeitet:  Wo liegt der Unterschied zur Lohnarbeit ?

Da triffst Du tatsächlich einen Knackpunkt. Das ist ja auch der Kern
der ganzen Kritik an den Tauschringen. Am Tausch als System wird nicht
gerüttelt. Nur sehe ich das schon etwas differenzierter. Sobald das
Geld aus dem Spiel ist - und auch keine Ersatzwährungen eingeführt
werden - wird der Tausch immerhin schonmal aus seiner Abstraktheit
geholt und das soziale Umfeld wird konkret erfahrbar. Das ist es wohl
wovon sie so begeistert ist.

Die praktische Umsetzung wird dadurch aber erheblich erschwert.  Wer
zum Beispiel auf eine weite Reise geht, muss dann tonnenweise Zeug
mitschleppen, das er unterwegs eintauschen kann.  Geld ist doch da
viel handlicher (und auch klausicherer).  Oder soll er auf der Reise
ständig arbeiten, um sich Kost&Logis zu "verdienen"?  Auch sehr
unpraktisch -- dann bleibt ja kaum noch Zeit für Sightseeing und
_Kontakte_ knüpfen !

Ausserdem ist es unterwegs in der Fremde doch eher schwieriger, eine
Arbeit zu finden, die einem wirklich "entspricht" (Selbstentfaltung!).
Dann doch lieber daheim auf Vorrat im geeigneten Job arbeiten und dann
mit dem Zaster auf Reisen gehen...


Sie wohnt z.B. "bei Freunden" und erarbeitet sich die "Miete", und sie
erarbeitet/erbettelt sich auch das Essen.  Wäre eine eigene Behausung
und ein eigener Garten nicht emanzipierter?  Wie "frei" ist es denn,
für alles auf Andere angewiesen zu sein?

Der letzte Satz, der ist superwichtig. Lass uns den mal ganz genau
betrachten. Darin spiegelt sich nämlich die Kernlüge der bürgerlichen
Gesellschaft, nach der es Emanzipation bedeutet "nicht mehr auf andere
angewiesen zu sein". Menschen werden jedoch immer auf andere Menschen
angewiesen sein.

Natürlich werden Menschen immer auf andere Menschen angewiesen sein --
die Frage ist nur, wie stark und bei wie wichtigen Dingen.  Unterkunft
und Essen gehören zu den elementarsten Bedürfnissen, also wär's doch
gut, wenn gerade dabei möglichst geringe Abhängigkeit besteht.  Dies
ist aber (gemäss dem Artikel) bei Frau Schwermer nicht der Fall.


"Everybody needs somebody" wie es bei den Blues-Brothers heisst.

Der Text geht weiter:  "... to love."   Dass man _dafür_ auf
somebody (else) angewiesen ist, ist ja trivial.  Aber aus guten
Gründen heisst der Text _nicht_:  "Everybody needs somebody to
live in their apartment and ask them for food" !  ;-)

(Generell orientiere ich meine Sozialstudien aber nicht an U$-Songs --
 damit könnte man bös' auf den Holzweg geraten -- nicht nur bei Eminem..)


Aber nein, dazu müsste man ja
das Boden(un)recht angreifen, und das wollen wir doch nicht!? (Tabu!)

Das mit dem Boden scheint ja ein Lieblingsthema von Dir zu sein.
Solange Du das aber immer nur in Nebensätzen anreisst und uns nicht
erklärst, werden wir kaum in der Lage sein den Zusammenhang mit dem
Thema zu verstehen, den Du scheinbar siehst.

Gut, ich beginne dazu demnächst einen neuen Thread ("Boden(un)recht").


Da lieber reitet sie auf Nebenschauplätzen wie Geld herum, während
auch noch in Russland der Boden privatisiert wird.  Die gute Frau
blickt's nicht, wo der Hase im Pfeffer liegt...

Geld ist alles andere als ein Nebenschauplatz. Es ist sicherlich nicht
der einzige, aber einer der wichtigsten, das schon.

Der Boden ist wichtiger (s. dort).


Der Vergleich ist nicht mit dem Sozialamt, sondern mit Lohnarbeit (die
Dame arbeitet ja).

Vielleicht sieht sie das ganz anders? Aber im Prinzip hast Du schon
recht. Sie tauscht ihre Arbeitskraft. Nur halt nicht gegen abstraktes
Geld sondern gegen die Erfüllung konkreter Bedürfnisse. Damit wird für
sie das soziale Netz erfahrbar und fühlbar in dem wir uns alle bewegen
aber dass das Geld uns immer vom Leibe hält.

Das ginge auch mit Geld (man kann es ja direkt in seinem Umfeld ausgeben).


Ich arbeite auch nicht soviel wie ich könnte und sollte, wenn es nach
Deinen Massstäben ginge.

Zur "Soll-Menge" habe ich keine Massstäbe genannt.


Gemäss dem Artikel arbeitet sie grösstenteils unterhalb ihrer Qualifikation.

Vielleicht ist sie ja eine begnadete Hoffegerin? Weisst Du´s?

Dann hat sie wohl die falsche Ausbildung gewählt.  Das hätte sie aber
schon deutlich früher merken können als erst mit 59 Jahren.  ;-)
(bzw. 53, als sie das Experiment begann)


Denn in einem hat sie einfach Recht: Aller
Reichtum der zählt ist in meinen sozialen Beziehungen. Alles andere
ist nur Tand.

Das ist Geschmackssache -- man muss nichtmal Autist sein, um Reichtum
(auch oder nur) in der geistigen Welt und der (nicht-menschlichen)
Umwelt zu sehen.  Und was nützen soziale Beziehungen, wenn die
physischen und gesellschaftlichen Zustände mieserabel sind?
(Ein Dorf in Afrika kann auch verhungern oder an AIDS sterben,
 wenn sie untereinander fleissig soziale Beziehungen unterhalten --
 sogar (oder gerade) völlig ohne Geld!)

Umgekehrt wird ein Schuh draus:  Wer Schwierigkeiten hat, Beziehungen
aufzubauen (und da gibt's heute viele), der hat mit Frau Schwermer's
Ansatz im wahrsten Sinne "kein Brot", kommt hingegen in der Geldwirtschaft
recht gut durch (_dank_ "Anonymität"!).  Ihr Ansatz funktioniert nur für
Leute wie sie, die schon reich an Beziehungen sind, bzw. ein "Flair"
für den Umgang mit Menschen haben -- wie's eben eine Ex-Lehrerin und
gelernte Psychotherapeutin hat...  Also: Nicht zum Gesellschaftsmodell
verallgemeinerbar.  Aber das hat sie ja schon selber zugegeben.  QED

Immerhin, von Vorträgen und Talkshows lässt sich's auch gut leben...
das Essen dort schmeckt einfach besser als die Reste vom Gemüseladen,
und frau muss nichtmal fensterputzen dafür!  ;-]

Gruss,
Christoph


Wie wär's denn mal übergangsweise mit einem Leben ohne Heidemarie?:-))


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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