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[ox] Zu H. (was: Re: Zur Frage des Hutzliputzli)



Hi Stefan(Mn),

ich bin mehr verwirrt denn je. Du wirfst mir vor, ich würde nicht mit dir 
reden. Dazu müsste ich dich verstehen, das tue ich aber anscheinend 
nicht. Entweder ich bin zu blöd oder du kannst es nicht erklären. Eine 
Wortumbenennung von "Herrschaft" in "Hutzliputzli" ändert IMHO gar 
nichts. Es schafft keinen Begriff. Erst muss die Bedeutung klar sein, und 
die ist (mir) nicht klar.

Nach meinem Eindruck ruderst du an etlichen Stellen zurück. Ausgangspunkt 
war Herrschaft mit den beiden Aspekten Beherrschung und Repräsentation. 
Darauf bin ich ausführlich und mit großer Mühe eingegangen. Nun geht's 
dir nicht mehr darum, sondern um H. Was aber ist H.?

On Wednesday 15 January 2003 01:10, Stefan Merten wrote:
2. Das, was ich als Herrschaft bezeichne, dafür hast du bisher
keinen bündigen Begriff genannt. Das Wort Praxis scheint mir eine
wichtige Rolle zu spielen. Der bündige Begriff wäre aber eines
meiner Anliegen.

Ich weiss immer noch nicht, _wofür_ du einen bündigen Begriff gerne
hättest.

Für Hutzliputzli. Für die interindividuelle Regulation als Begriff.

H. ist H. Das sagt mir einfach nichts. Und interindividuelle Regulation 
ist eben diese, aber eben nicht H. - oder doch?

Ok, dann mal Butter bei die Fische. Der Einsatz von Machtmitteln wird
durch den Begriff Hutzliputzli vollständig abgedeckt. Hutzliputzli
schafft es, einen einheitlichen Begriff über *alle* Verwendungen von
Machtmitteln einzusetzen.

Nein, denn ich weiss nicht, _was_ H. denn sein kann, noch nicht mal als 
Vorbegriff. Einsatz von Machtmitteln ist viel zu allgemein.

Herrschaft hat auch was mit dem Einsatz von Machtmitteln zu tun. Damit
muss es also irgendwie auch unter Hutzliputzli fallen. Nach deiner
Beschreibung ist es der Teil von Hutzliputzli, der nach irgendwelchen
- - ich nehme mal an: emanzipativen - Kriterien nicht ok ist.
Wunderbar.

Mein Anliegen ist es jetzt - und da sind wir uns ja recht einig -
abzugrenzen, wo innerhalb von Hutzliputzli Herrschaft beginnt.
Letztlich heißt diese Frage, was innerhalb der einheitlichen
Hutzliputzli-Theorie kann eine emanzipative Grundlage für
Machtgebrauch sein - denn die Beherrschung, die in der Herrschaft
auftritt, ist ja auch Machtgebrauch und also von anderem Machtgebrauch
abzugrenzen. Anders formuliert: Was kann Machtgebrauch in einem
bestimmten gesellschaftlichen Kontext legitimieren? (Dass es sich hier
um einen höchst historisches Verhältnis handelt, schreibe ich hier nur
mal hin).

Darauf findest du auch eine Antwort in einer jüngeren Mail:

Yesterday Stefan Meretz wrote:
On Monday 13 January 2003 20:43, Stefan Merten wrote:
Eine einfache Frage dazu, die vielleicht schon auf den Kern der
ganzen Debatte zielt: Kann die Anwendung von Macht emanzipativ sein?
Wenn ja: Wann? Wenn nein: Was ist für dich Macht?

Die Unterscheidung von Holloway zwischen instrumenteller Macht
(potestas) und kreativer Macht (potencia) erscheint mir sehr
sinnvoll. Hier auf der Liste wurde schon oft zwischen "Durchsetzung
auf Kosten anderer" und "Selbstentfaltung, die die Entfaltung der
anderen voraussetzt" unterschieden. In der Kritischen Psychologie
wird zwischen restriktiver und verallgemeinerter Handlungsfähigkeit
unterschieden. Das meint alles ähnliches.

IMHO geht es darum, den Einsatz instrumenteller Macht zu unterbinden
und die Entfaltung kreativer Macht zu ermöglichen. Oder mehr oxig:
Bedingungen zu schaffen, in denen die eigene Entfaltung die
Entfaltung der anderen voraussetzt und umgekehrt.

Um das mit Herrschaft zu verknüpfen, würde ich sagen: Herrschaft
braucht die Anwendung instrumenteller Macht während die Entfaltung
der kreativen Macht die Herrschaftsfreiheit braucht.

Und schon sind wir bei dem, wo ich im Prinzip hin will: Du erfindet
munter Kriterien, die Machtgebrauch legitimieren.

Welche meinst du? Was sollte ich legitimieren wollen? Ich weiss nicht, 
wovon du sprichst...

Allerdings - und diese ist letztlich mein Widerspruch gegen Holloway
und noch krassere Konsorten - kann ich nicht erkennen, wo solche
super-abstrakten Kategorien emanzipativ sein sollen.

Kategorien sind niemals emanzipativ oder antiemanzipativ. Kategorien sind 
nichtnormativ. Es sind analytische Begriffe, sie sollen erstmal nur etwas 
sicht- und denkbar machen. Wie du das sicht- und denkbar Gemachte dann 
wertest, ist eine zweite Frage.

Wer entscheidet denn im Einzelfall, was jetzt gerade kreativer und was
gerade instrumenteller Machtgebrauch ist?

Derjenige, der gerade mit Hilfe dieser Kategorien darüber nachdenkt und 
sich was klar macht. Wer sonst?

Ich meine, dem konkreten
Machtgebrauch *an sich* ist es ja keineswegs anzusehen, sondern der
Machtgebrauch *an sich* ist immer gleich.

Eben. Das lässt sich nur auf der Praxisebene entscheiden. Um wenn es um je 
meine Praxis geht, dann entscheide je ich das. Oder, wenn wir uns über 
unsere Situation verständigen, dann entscheiden wir das gemeinsam.

Plastisch: Ob Spam oder eine
Mail von mir ausgefiltert wird, ist vom Machtgebrauch her völlig
identisch. Im Machtgebrauch selbst kann also die Legitimation nicht
erkannt werden.

Sie ist auch nicht nötig.

Es muss also irgendwelche Begründungen außerhalb des
Machtgebrauchs selbst geben.

Warum? Es muss sie für dich geben - und für alle,  die es vielleicht 
wissen wollen, warum du das machst. Für sonst aber niemanden. Wieviele 
haben dich denn gefragt?

Wer entscheidet dann über diese Frage? Die, die gerade machtvoll
handelt?

Ja, wer sonst?

Oder die, die von diesem Machtgebrauch betroffen ist.

Die können ja nicht.

Oder am Ende eine äußere Instanz?

Nein, in keinem Falle. Oder?

Diese Frage ist nicht rhetorisch, sondern
*die* Kernfrage bei allen ideologischen Konstrukten wie diesen.

Das ist gerade _kein_ ideologisches Konstrukt. Da wird niemandem was 
vorgespiegelt, nichts wird gerechtfertigt etc. Sondern ich kann mir 
selbst anhand der Kategorien meine Situation überlegen (resp. wir 
unsere).

Denn wie du richtig erkannt hast, sind ideologische Konstrukte nämlich
nicht immanent sondern bedürfen einer InterpreterIn. Dies sind dann
die HerrscherInnen.

Nein, wieso?

Wenn ich mich mit einer emanzipativen Vision befasse würde, ich mich
aber lieber an die konkreten Menschen und deren Bedürfnisse binden als
an irgendwelche super-abstrakten Kategorien,

Kategorien sind _immer_ "abstrakt". Konkret sind die Beschreibungen, sind 
deskriptive Begriffe. Kategorien sind keine Schubladen, wo ich was 
reinstecke, was da vermeintlich reingehört oder nicht. Es sind - um bei 
einem Bild zu bleiben - Brillen, die etwas sichtbar machen.

von denen vermutlich nur
ein gottähnliches Wesen im Zweifelsfall sagen kann, welche hier gerade
zutrifft.

Das scheint mir der zentrale Punkt zu sein, der uns trennt: Es geht gerade 
_nicht_ darum, dass irgendjemand Drittes irgendwas entscheidet. Gerade 
solche Kategorienpaare wie meinetwegen kreative/instrumentelle Macht 
dienen dazu, eine konkrete Situation aufschliessbar zumachen. In den 
meisten Fällen wird man dann feststellen, das beide Anteile vorkommen. 
Nun kann ich mir überlegen, ob ich bestimmte Teile davon zurückdrängen 
will etc.

Jedenfalls kann ich hieran kein Jota weniger Ideologie
erkennen, als das bei Herrschaft der Fall ist. Diese Kategorisierung
unterscheidet sich also nicht von Herrschaft - was letztlich meine
Kritik an dieser Kategorisierung ist.

Nein, das ist eine Missdeutung. Es geht nicht um Schubladen, sondern um 
Brillen.

<snip>

Was wirklich spannend an diesem Satz ist: Herrschaft *braucht* eine
Rechtfertigungsideologie. Das bedeutet: Sogar Herrschaft kommt ohne
eine irgendwie geartete Legitimierung nicht aus (ja, im Einzelfall
kommt sie auch mit reiner Gewaltanwendung aus, aber das ist nicht
nachhaltig, wie mensch heute wohl sagen würde).

Die Kritik an Herrschaft kann jetzt also auch so gelesen werden, dass
die Legitimierung kritisiert wird. Und das genau tue ich:

Ich nicht, ich kritisiere die Herrschaft.

Entfremdete Kategorien,

Sowas gibt es nicht, vermutlich meinst du Kriterien. Das ist was anderes.

die qua Definition an den Bedürfnissen der Menschen vorbei
gehen, können unter emanzipativen Gesichtspunkten keinen Machgebrauch
legitimieren. Dazu braucht es immanente Kategorien. Wie sehen die aus?

Kategorien können gar nichts legitimieren. Nehme ich mal stattdessen 
Kritieren.

Was ist Legitimation, oder übersetzt: Rechtfertigung? In deinem Schema ist 
jede Legitimation "entfremdet", denn sie beziehen sich mit dem "Recht" 
immer auf einem transzendenten Standpunkt. Ja, so ist auch. Es gibt 
demnach keine emanzipative Herrschaft. Ja, genau, denn "der Machtgebrauch 
*an sich* ist immer gleich" (s.o.).

Hutzliputzli ist für mich erstmal weder positiv noch negativ sondern
eine analytische Kategorie. Erst mit einem äußeren Bezugsrahmen - z.B.
emanzipative Vision - kann ich diese analytische Kategorie hernehmen
und betrachten was im Interesse dieses Bezugsrahmens liegt und was
nicht.

Analytische Kategorie ist IMHO ein Pleonasmus, aber das nur btw. Aber 
richtig finde ich hier die Unterscheidung von Kategorie und Kriterum 
(äußerer Bezugsrahmen). Dein H. leistet das nur nicht, jedenfalls sehe 
ich es nicht. Den Grund sehe ich darin, dass es eine Kategorie ist, die 
nur eine Drittstandpunktsicht zulässt, ja, überhaupt erzeugt. Was wir 
aber brauchen, sind Kategorien, die je mir helfen, je meinen Standpunkt 
zu verstehen. Das ist der Standpunkt erster Person.

Was für mich aber eine überhistorische Stimmigkeit hat, ist die
Tatsache, dass es in menschlichen Gesellschaften, ja sogar bei
jedwedem Leben Machtgebrauch gibt. Diesen Machtgebrauch in einem
einheitlichen Begriff zu fassen ist das Anliegen von Hutzliputzli.

Da finde ich das von mir eingebrachte (aber nicht erfundene) 
Kategorienpaar von kreativer/instrumenteller Macht (wenn du was mit 
"Macht" willst), viel geeigneter.

Die Frage ist doch, wie eine Freie Gesellschaft sich organisiert; wie
Infrastrukturen entstehen, die für Stabilität und Konstanz sorgen,
die für das Vertrauen wichtig sind; wie die Selbstentfaltung der
Einzelnen maximal zur Geltung kommen kann; wie Konflikte ausgetragen
werden können; und so weiter.

Eben. Dazu gehört die Frage des Machtgebrauchs. Ein klarer Fall für
Hutzliputzli also.

Nur was ist H.?

Die Frage mal von dieser IMHO falschen Gegenüberstellung Monade vs.
Souverän befreit, lautet doch: Brauchen wir intersubjektive
"Instanzen" in einer Freien Gesellschaft? Wenn ja, wie sehen diese
aus? Wenn nein, wie sehen die intersubjektiven Beziehungen dann aus,
wenn sie nicht "instanzenvermittelt" sind? - Diese Fragen sind für
mich durchaus offen.

Ok, jetzt hast du mit deinen Worten formuliert, was ich vor einem
halben Jahr wissen wollte. Welcome!

Na gut, dann fang mal an.

es noch eine _interindividuelle_ Position geben, die zwar keine
individuelle ist, aber dennoch auch keine überindividuelle a la
Gott, Vaterland oder Wirtschaftsstandort. Ich kann nicht erkennen,
was an so einer interindividuellen Position problematisch sein soll.

Sie ist nur transzendent denkbar. Ich setze dagegen auf die _je_
individuelle Position. Ich kopiere mal aus
http://www.opentheory.org/vergesellschaftung/text.phtml den Absatz 34
und den entsprechenden Kommentar von Benni dazu hierhin, weil der das
IMHO ganz gut darstellt:

(34) Teilhaben am gesellschaftlichen Prozess tun die Menschen auch
heute schon, jedoch, wie mehrfach festgestellt, vermittelt und
zugerichtet durch das »dritte Prinzip« der Wertabstraktion. Es geht
also darum, das »Prinzip vom Standpunkt dritter Person« (den Fetisch)
durch
gesellschaftliches Prinzip vom »Standpunkt erster Person« aufzuheben.
Dieses gesellschaftliche Prinzip verkörpert die »Assoziation, worin
die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie
Entwicklung aller ist« (Marx/Engels 1948, 482). Diese »freie
Entwicklung« oder »Selbstentfaltung«, wie es im Oekonux-Projekt
genannt wird, ist dabei nicht denkbar als Entwicklung des isolierten
Einzelnen, auch nicht als Summe unmittelbarer Interaktion und
Kooperation jenseits
gesellschaftlicher Vermittlung, sondern nur als unbeschränkte
individuelle Teilhabe am Prozess der Vermittlung der kollektiven
Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens [15].

(34.1) 12.06.2002, 13:38, Benni Bärmann: Moderne, Liberalismus und
Kapitalismus haben doch den "Standpunkt erster Person" erst erfunden.
Die gehen darin soweit, dass Ausgangspunkt jeder Erkenntnis das
ungesellschaftliche Individuum ist (Robinson, Monade). Wenn
Selbstentfaltung ein Standpunkt erster Person ist, dann nur einer der
ersten Person plural. Wir statt ich. Doch auch das trifft es ganz und
garnicht, weil wir immer Identifikation bedeutet, die jedoch bei
Selbstentfaltung nicht vorhanden sein muss - oder nicht in dem Masse.
Tatsächlich bietet zumindestens die deutsche Sprache dafür nichts an,
oder? Das deutet sich ja auch in den Texten zur kritischen
Psychologie an, wo immer von "je ich" die Rede ist, also sozusagen
eine vierte grammatikalische Person eingeführt wird!

Ja davon rede ich doch die ganze Zeit. Du gehst sogar noch einen
Schritt weiter und nimmst das Interindividuelle begrifflich gleich mit
ins Individuum hinein. Meinetwegen machen wir dann ein Individuum
iSvSMz.

Es ist nicht mit drin. Ich habe da auch noch einen Begriff für das 
Interindividuelle, nämlich: Beziehung. Diese kann man kategorial 
unterscheiden in instrumentelle und intersubjektive Beziehungen - vgl. 
dazu http://www.opentheory.org/gegenbilder_2-3/text.phtml#C

Oh, ja, ja, es ist nicht so einfach, denn IMHO bedeutet ein
Maintainermodell nicht Herrschaft. So haben wir hier bei Ox ein
Maintainermodell mit dir, Stefan, als Maintainer, aber du
herrschst nicht und repräsentierst nicht, weil das nicht geht. Es
ginge schon, aber dann würde ox nicht mehr weiterbestehen, sondern
zerfallen (was natürlich auch Optionen sein können, warum nicht).

Natürlich herrsche ich iSdsS: Ich versuche unablässig im Interesse
des Projekts zu handeln. Aber das tust z.B. du nach meiner
Wahrnehmung ganz genau so :-) .

Ich nicht: Ich handle unablässig in meinem Interesse. Zu diesem
Interesse gehört u.a. das Projekt Oekonux.

Das gelingt, wenn du keine begriffliche Trennung zwischen dir und
einer Gruppe mehr machst. Mag sein, dass das geht. Für mich hört es
sich erstmal ziemlich symbiotisch an.

Nein, das ist eine Missdeutung. Es gibt ja kein "Gruppeninteresse 
Oekonux". Das müsste es aber, wenn es "in" meinem Interesse symbiotisch 
aufgehen sollte. Gerade das ist aber nicht so. Es heisst schlicht: Ich 
interessiere mich für das Projekt Oekonux.

Mich interessieren vielmehr Gruppen, die sich *auf Grund* einer ganz
spezifischen Frage langfristig zusammentun. Z.B. ein
Freies-Software-Projekt. Hier passiert etwas ganz anderes, da die
langfristige Willensidentität in einer sehr spezifischen gerade der
*Grund* ihres Daseins ist. Ihr gemeinsames Interesse bringt sie
zusammen. Damit wäre die Spezifik und Kontinuität sogar genau der
Grund dafür, dass Repräsentation als immanent gedacht werden kann.

Nein, gerade nicht. Oder eben nur dann, wenn du die jeweiligen Interessen, 
oder vielleicht besser: Interessiertheiten, so nivellierst, dass du sie 
als etwas "Gemeinsames" konstatieren kannst. Das macht Repräsentation, 
und das braucht Herrschaft. Spezifik und Kontinuität sprechen dagegen.

IMHO nimmt die MaintainerIn wahr, was da passiert und handelt
entsprechend - im eigenen Interesse. Sie braucht da niemanden zu
repräsentieren oder beherrschen, sie muss sich einzig immer sehr gut
ihr Interesse überlegen.

Ja. Du identifizierst das Gruppeninteresse mit der MaintainerIn.

Nein, tue ich nicht. Du versuchst, das zu konstruieren, ich nicht.

Das kannst du, weil du Individuum und Gruppe nicht begrifflich trennst.

Ich habe außer "Gruppe" keinen Begriff von Gruppe. Ich gucke mir lieber 
die Beziehungen zwischen den Menschen an, denn das ist IMHO das wichtige: 
Was passiert da zwischen den Menschen - egal wie groß die Gruppe ist. Und 
zu Beziehungen s.o.

Repräsentation und Beherrschung kommen dann nicht mehr vor, weil alles
in dem Individuum-Gruppe-Amalgam aufgegangen ist. Das hat einer innere
Logik. Ob es trägt kann ich noch nicht beurteilen.

Nein, im Gegenteil, es ist nach meinem jetzigen Stand eine viel 
differenziertere Möglichkeit sich dem "Problem Gruppe" zu nähern als mit 
solchen ausgedachten, aber nicht existenten Dingen wie 
"Gruppenstandpunkt": Was zwischen den Menschen passiert macht die Gruppe 
aus.

Und da kommt dann in einer Logik, in der die eigene Entfaltung die
Entfaltung der Anderen voraussetzt eben was anderes raus, als in
einer Logik, wo man sich nur auf Kosten anderer durchsetzen kann. Da
ist nichts magisches dran.

Ja, das Amalgam zieht alles glatt.

Wenn glatt verständlich und nützlich bedeutet: dann von mir aus glatt.

Mein ganzes Bemühen dreht sich letztlich genau darum, diese Magie da
wegzukriegen und rational zu verstehen, was da passiert. Und dann
werfe ich mal einen Blick in den Kopf von so einer MaintainerIn und
stelle fest, was die Handlungsgrundlagen der MaintainerIn sind. Du
sagst jetzt - wenn ich dich richtig verstehe - reiner Zufall.

Nein, kein bisschen, sondern handeln im eigenen Interesse.

Ich sage dagegen: Diese MaintainerIn hat das Interesse am
Gesamtprojekt im Auge.

Ja klar, wenn das Gesamtprojekt genau ihr Interesse ist - was sonst?
Das spricht aber nicht dagegen, sondern *dafür*.

Ja, die begriffliche Mischung hilft auch hier.

Ich finde gerade, dass es keine begriffliche Mischung ist, sondern ein 
guter Begriff, der der Entmischung dient.

Nur ist das m.E. überhaupt kein Widerspruch zu
Hutzliputzli-Repräsentation - die MaintainerIn ist ja geradezu die
optimale Hutzliputzli-RepräsentantIn, da sie aus ihrem höchst eigenen
Interesse heraus im Interesse des Gesamtprojekts handelt.

Nein. Der Unterschied ist die Annahme eines Gesamt-Projektinteresses, dass 
- wie du ja auch zugestanden hasst, nicht wirklich, sondern - nur als 
Gedankenkonstrukt existiert. Das brauche ich nicht. Damit sind die ganzen 
Vermischungen mit Herrschaft usw. nicht mehr nötig. Es handelt sich also 
um eine Entmischung.

Deswegen kommuniziert sie mit anderen und
deswegen befragt sie ihre eigene Erfahrung. Die MaintainerIn kann
aber aufgrund ihres Interesses am Projekt *als MaintainerIn* aber
auch zu Standpunkten kommen, die nicht mit ihren *eigenen*
Standpunkten übereinstimmen. Das ist genau der Unterschied zwischen
interindividuell und individuell. Eine überindividuelle Meinung wäre
dann gegeben, wenn die MaintainerIn Meinungen vertritt, die nicht
dem Projekt entspringen - also quasi nicht in seinem Interesse
liegen.

Warum sollte sie das tun? Das wäre doch widersinnig, ich mache doch
das Projekt in meinem Interesse. Warum sollte ich genau das irgendwie
taktisch "verbergen"??

Beim überindividuellen gibt es dafür unter nicht-entfremdeten
Bedingungen keinen Grund - in der Tat.

Ja.

Aber dennoch:
Beispiel: Die MaintainerIn kann der Meinung sein, dass Person X ein
ausgesprochenes Ar...loch. Vielleicht hat Person X sie mal
irgendwann tödlich beleidigt. *Für sie* es besser wäre, wenn diese
Person X das Projekt verließe. Gleichzeitig kann sie aber in ihrer
Rolle als MaintainerIn wissen, dass diese Person X aufgrund ihres
Beitrags *für das Projekt* unentbehrlich ist. Wenn sie eine gute
MaintainerIn ist, wird sie versuchen, Person X zu ertragen und den
Umgang im Rahmen des Projekts möglichst angenehm zu gestalten.
Schmeißt sie dagegen Person X einfach raus, so ist das Projekt damit
zu Ende - sie würde also nicht im Interesse des Projekts handeln
(wozu sein Weiterbestand logisch erstmal gehört).

Sie würde vor allem gegen ihr eigenes Interesse handeln - das ist das
Entscheidende.

Sie handelt so oder so gegen ihr eigenes Interesse. Sie ist quasi in
einem Dilemma. Aber vielleicht ist das ein eigener Punkt.

Dem Dilemma entkommst du nicht, indem du den Rausschmiss im vorgeblichen 
"Interesse des Projekts" vollziehst. Aber genau dafür ist H. natürlich 
da: Es verschafft dir eine Legitimation über den Link Gruppeninteresse - 
Repräsenation. Diese Entlastung bekommst du in meinem 
"je-mein"-Interesse-Ansatz nicht. Deswegen ist er auch unbequemer.

Dein ganzes Denken über völlig spekulative transzendente
Standpunkte im fiktiven Meinungsraum, die einzufangen wären, um dann
taktisch gegen mein Interesse zu handeln usw.: das ist doch ein
völlig überflüssiger Honk! Das ist vielleicht in der bürgerlichen
Gesellschaft, in der einer den anderen (potenziell oder wirklich)
unterbuttert, notwendig, aber nicht in einer Freien Gesellschaft.

Das setzt voraus, dass da die Massen der gleichen Meinung sind, was
denn jetzt unterbuttern in einem spezifischen Fall langfristig heißt.
Du hast selbst argumentiert, dass die Willensidentität *gerade* in
solchen Situationen unwahrscheinlich ist. Also eher kein überflüssiger
Honk.

Nee, unterbuttern wird empfunden, das glaub mal, und zwar individuell. Da 
müssen sich "die Massen" nicht einigen. Ja, aber das ist die Logik des 
"Einer-auf-Kosten-des-Anderen". Diesen Honk willst du übernehmen?

Wenn ich dich richtig verstehe, dann ist ein solcher innerer
Konflikt schon nur möglich, wenn du H/N-Transzendenz / Entfremdung
annimmst. Die einzige emanzipatorische Variante besteht dann eben
mit dieser Annahme nur noch darin, dass die MaintainerIn niemals in
einen solchen Konflikt kommt - was für mich nur die Folge eines
Wunders sein kann.

Nein, Konflikte sind absolut zentral. Sie können endlich ihre
Funktion des gegenseitigen Ausbootens verlieren, zugunsten einer
(nicht-entfremdeten) direkten, interindividuellen Klärung von
Interessenunterschieden, Meinungen, Ideen usw. Unterschiede und
Konflikte werden zur zentralen Quelle der Kraft - und eben nicht
Einheitlichkeit und Mehrheitsmeinungen.

Schau, ich habe nie davon gesprochen, dass Einheitlichkeit und
Mehrheitsmeinungen eine Rolle spielen. Ich weiß nicht, wem du das
sagst - mir jedenfalls nicht.

Ist doch prima, wenn das so klar ist, dann sag ich's halt der Welt.

Ich würde dem entgegen halten, dass die MaintainerIn eben nicht die
H/N-Transzendenz / Entfremdung, sondern die *dem Projekt* immanenten
Interessen, das also, was ich als interindividuell bezeichnet hatte,
zur Leitlinie ihres MaintainerInnen-Handelns macht.

Diese Spielchen - schon drei Schritte gedanklich vorwegzunehmen, was
der andere denken könnte etc. - sind Spielchen unter unseren
entfremdeten Bedingungen. Die brauchen wir kein bisschen mehr.

Was ist ein Spielchen daran, die anderen zu fragen, was sie wollen?

Direkt fragen ist kein Spielchen. Ich schrieb von "drei Schritte 
gedanklich vorwegzunehmen, was der andere denken könnte etc." - also ein 
Szenario, dass nach dem vermeintlichen Gruppeninteresse forscht, 
rumtaktieren muss, wenn's knirscht usw. - kann sich jede selbst ausmalen, 
weil es doch jeder kennt.

Hallo, hier bin ich!!!

Ja, hallo, kennst du doch sicher auch, im Job z.B., oder?

Leitlienie meines
Handelns sind ganz einfach meine Interessen. Die gilt es zu maximal
selbstentfalterisch umzusetzen. Und dann schaun wir mal, welche
Dynamik sich ergibt: Ich kann völlig auf die anderen Menschen
vertrauen. Da diese genauso handeln, ihre Interesse auch
selbstentfalterisch umsetzen, kann ich mich nur freuen und mich da
offen reinbegeben in dem Wissen: Jeder Konflikt gibt mehr Kraft.

Ja, wenn sich alle über das Endergebnis einig sind.

Nein, eben das ist nicht nötig. Ein Konflikt besteht ja gerade dann, wenn 
man sich nicht einig ist. Und es ist auch nicht nötig, ein späteres 
"einiges Endergebnis" gedanklich vorwegzunehmen, um heute irgendwas 
klären zu können. Es wird sich zeigen. Da sind Zwangsversuche - wie 
legitimiert auch immer - kontraproduktiv. Sie machen mehr kaputt als sie 
vorgeben zu erreichen.

Doch wir haben einen Dissenz, und es geht nur zum Teil um
unterschiedliche Verwendung von Worten.

Also mir ist mittlerweile völlig klar, dass du mit irgendjemensch
einen Dissens hast. Dass ich es bin glaube ich immer weniger.

Wir sollten es nicht zudecken. Ich sehe den Dissenz so:

Mit deinem Begriff der H. willst eine von einem Drittstandpunkt her 
legitimierte Ausübung von Macht begründen. Von diesem Drittstandpunkt aus 
betrachtet, hängt dann von den Kriterien ab, ob die Machtanwendung 
emanzipativ oder anti-emanzipativ ist. Du hättest gerne ein solches "Set" 
an Kriterien, am liebsten natürlich, dass sich alle darüber einig sind. 
Ist das gegeben, kannst du eine Machtausübung damit begründen: Kriterium 
x ist gegeben, also ist nun die Anwendung der Macht legitim.

Ich sage hingegen, eine Legitimierung der Ausübung von Macht vom 
Drittstandpunkt entspricht dem Einsatz instrumenteller Macht - jedenfalls 
in den meisten Fällen. Die Idealfälle, in denen es eine volle 
Übereinstimmung zwischen den Machtausübern und den Betroffenen gibt, in 
denen sie sich also "gerne" instrumentell behandeln lassen, sind eher die 
Ausnahme. Erst durch Unterscheidung von instrumenteller und kreativer 
Macht und durch Einnahme eines verallgemeinerten Individualstandpunktes 
("je ich"), habe "je ich" überhaupt erst die Chance "verantwortlich zu 
handeln" - hier beziehe ich mich ganz auf deine Defintion von 
Entfremdung. Es gibt keine Drittinstanz (Moral, Recht, Gott, Mehrheit 
etc.), auf die je ich mich berufen und die je ich in Anspruch nehmen 
kann. Selbstentfaltung lässt sich auch nicht anders begründen.

Mein Verdacht ist: Du suchst nach etwas, was _nur_ mit der
bürgerlichen Gesellschaft zu tun hat und nicht mit einer freien.

Ich glaube du irrst dich. Aber vielleicht irre ich mich auch.

Mein Verdacht erhärtet sich. Ich will ihn nicht so verstanden wissen, dass 
ich dir unterstelle, du wolltest die bürgerliche Gesellschaft nicht 
verlassen. Ich weiss ja, dass du die freie Gesellschaft willst und auch 
eine Menge dafür tust. Ich will dich jedoch darauf hinweisen, dass dein 
H.-Begriff, dessen Inhalt ich nicht wirklich verstanden habe, aber dessen 
Legitimationslogik mir deutlich geworden ist, nicht der einer freien, 
sondern eben genau der der bürgerlichen Gesellschaft ist. Diese 
Drittstandpunktlogik ist die dieser Gesellschaft, der emanzipatorische 
Bruch setzt auch einen Bruch mit dieser Drittstandpunktlogik voraus. Doch 
nicht bloß einfach so, bloß krisianisch "negativ", sondern in Aufhebung 
durch Einnahme eines radikalen Individualstandpunkts des 
gesellschaftlichen Menschen (der gerade deswegen nix mit der Monade der 
Bürgersellschaft zu tun hat). Du versuchst also mit den Mitteln der 
bürgerlichen Gesellschaft eine freie Gesellschaft zu erreichen. Und das 
geht IMHO nicht.

5. Der Modus der gegenseitigen Selbstentfaltung schließt für dich
   Herrschaft an sich aus. Für mich schließt er lediglich bestimmte
   Herrschaftsformen aus - z.B. Diktatur, Demokratie, Theokratie,
   Chaos... Das Maintainer-Modell und das m.E. verwandte
Konsensmodell sind für mich iSdsS Herrschaftsformen, die die
gegenseitige Selbstentfaltung begünstigen. Es kann weitere geben.
Dies zu erforschen ist Teil meines Anliegens.

Das Maintainermodell ist für mich eine Keimform eines neuen
interindividuellen gesellschaftlichen Modells der Selbstorganisation
jenseits von Herrschaft und Drittstandpunkt - sondern basierend auf
dem verallgemeinerten Standpunkt erster Person ("je ich"), des sich
selbstentfaltenden individuellen Menschens.

Aber nicht jenseits von Hutzliputzli.

Doch, jenseits eines H., das sich über Drittstandpunkt-Kriterien 
legitimiert - damit jenseits jedes H.

Ciao,
Stefan

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