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Zur Frage des Hutzliputzli (was: Re: [ox] Re: Repraesentation)



Hi Stefan und Liste!

Beim Gegenlesen: Da diese Mail wieder monsterlang geworden ist, und
ich nicht mehr die Power für Schnitte habe, markiere ich die wirklich
wichtigen Teile mal mit `*****'.

*****

Zunächst mal zur Sprachregelung. Da es mir offenbar nicht möglich ist,
dir mit der Bezeichnung Herrschaft einen bestimmten Begriff nahe zu
bringen, den ich im Kopf habe, werde ich ab sofort Hutzliputzli als
Bezeichnung für diesen Begriff verwenden. Ich hatte schon versucht,
die Bezeichnung Herrschaft iSdsS zur Abgrenzung zu verwenden - ohne
Erfolg.

Um eine Analogie zu bringen, wie mir dieser Wortstreit vorkommt: Du
redest dauernd von Geld während ich versuche dir (und anderen) den
Begriff des Werts nahezubringen. Dass das zwei völlig verschiedene
Kategorien sind ist dir bewusst. Bei Hutzliputzli und Herrschaft ist
es genauso und ich möchte dich erleben, wenn dir jemensch andauernd
sagt, dass Geld und Wert doch dasselbe seien.

Wie weit entfernt du von dem bist, worum es mir geht, dokumentierst du
mit dieser Mail nochmal deutlich. Du redest mit dir oder
irgendjemenschem außerhalb dieser Liste - aber nicht mit mir :-( . Ich
werde es nochmal hier herausarbeiten, ansonsten aber auch auf das
eingehen, was uns verbindet. Je mehr du auf das eingehst, was ich
*wirklich* sage, ist das nämlich immer mehr.

Ok, auf geht's.

Last week (13 days ago) Stefan Meretz wrote:
für alle QuereinsteigerInnen - was bisher geschah: long time ago hat
StefanMn anhand eines Textes aus der sogenannten "Systematischen
Soziologie" einen positiven Herrschaftsbegriff entwickelt.

Hier zeigt sich schon deine grundlegende Blockadehaltung und den Bezug
auf Kategorien außerhalb dieser Debatte. Ich würde es schätzen, wenn
du mit *mir* reden würdest.

Demgemäß ist
das, was gemeinhin als "Herrschaft" bezeichnet werde, in Wirklichkeit ein
Herrschaftsmißbrauch, während Herrschaft eigentlich nur eine
interindividuelle Regulationsform ist.

Nein, Hutzliputzli ist nicht *eine* interindividuelle Regulationsform,
sondern die Bezeichnung für alle interindividuellen Regulationsformen.
Herrschaft kommt darin vor, Hutzliputzli beschränkt sich aber nicht
darauf.

Herrschaft hat zwei Seiten, die
Repräsentation (=gut) und die Beherrschung (=böse).

Die moralische Zuschreibung stammt von dir. Hutzliputzli ist weder gut
noch böse, sondern ein Phänomen, bei dem diese Aspekte dazu gehören.
Herrschaft ist böse - wenn das die Debatte erleichtert, dann kann ich
mich darauf problemlos einlassen.

Damit gibt es gute
und böse Herrscher, die einen, die nur den Kollektivwillen
repräsentieren, und anderen, die dabei auch das Kollektiv mit
Macht/Gewaltmitteln beherrschen (inkl. des Machtkampfes gegen andere
Kollektive).

Das ist Herrschaft - nicht Hutzliputzli. Du redest an mir vorbei.

Dem hat (neben anderen) StefanMz, that's me, entgegengehalten, dass
Repräsentation ein genuines Beherrschungsinstrument ist, dass dazu dient
andere in ihrer Handlungsmacht einzuschränken.

Repräsentation kann an sich kein Beherrschungsinstrument (aka
Machtmittel) sein. Das geht schon logisch nicht.

Die Ideologie von Repräsentation kann aber sehr wohl Herrschaftsmittel
sein. Das habe ich nie bestritten. Ok, du sagst, dass Repräsentation
notwendig mit Ideologie gleichzusetzen ist - habe ich verstanden, aber
leuchtet mir im allgemeinen Fall nicht ein. Dazu unten mehr.

Es gibt demnach keinen
"Missbrauch" von Herrschaft, dem ein "Gebrauch" gegenübersteht, sondern
Gebrauch und Missbrauch sind identisch.

*****

Ok, dann mal Butter bei die Fische. Der Einsatz von Machtmitteln wird
durch den Begriff Hutzliputzli vollständig abgedeckt. Hutzliputzli
schafft es, einen einheitlichen Begriff über *alle* Verwendungen von
Machtmitteln einzusetzen. So wie Wert einen einheitlichen Begriff über
alle Wertformen hinkriegt, sowohl gute Arbeit als auch böses Geld.
Dieser Teil des Begriffs ist ein wesentlicher Teil von Hutzliputzli.
Daneben gibt es noch andere.

Herrschaft hat auch was mit dem Einsatz von Machtmitteln zu tun. Damit
muss es also irgendwie auch unter Hutzliputzli fallen. Nach deiner
Beschreibung ist es der Teil von Hutzliputzli, der nach irgendwelchen
- ich nehme mal an: emanzipativen - Kriterien nicht ok ist. Wunderbar.

Mein Anliegen ist es jetzt - und da sind wir uns ja recht einig -
abzugrenzen, wo innerhalb von Hutzliputzli Herrschaft beginnt.
Letztlich heißt diese Frage, was innerhalb der einheitlichen
Hutzliputzli-Theorie kann eine emanzipative Grundlage für
Machtgebrauch sein - denn die Beherrschung, die in der Herrschaft
auftritt, ist ja auch Machtgebrauch und also von anderem Machtgebrauch
abzugrenzen. Anders formuliert: Was kann Machtgebrauch in einem
bestimmten gesellschaftlichen Kontext legitimieren? (Dass es sich hier
um einen höchst historisches Verhältnis handelt, schreibe ich hier nur
mal hin).

Darauf findest du auch eine Antwort in einer jüngeren Mail:

Yesterday Stefan Meretz wrote:
On Monday 13 January 2003 20:43, Stefan Merten wrote:
Eine einfache Frage dazu, die vielleicht schon auf den Kern der ganzen
Debatte zielt: Kann die Anwendung von Macht emanzipativ sein? Wenn ja:
Wann? Wenn nein: Was ist für dich Macht?

Die Unterscheidung von Holloway zwischen instrumenteller Macht (potestas)
und kreativer Macht (potencia) erscheint mir sehr sinnvoll. Hier auf der
Liste wurde schon oft zwischen "Durchsetzung auf Kosten anderer" und
"Selbstentfaltung, die die Entfaltung der anderen voraussetzt"
unterschieden. In der Kritischen Psychologie wird zwischen restriktiver
und verallgemeinerter Handlungsfähigkeit unterschieden. Das meint alles
ähnliches.

IMHO geht es darum, den Einsatz instrumenteller Macht zu unterbinden und
die Entfaltung kreativer Macht zu ermöglichen. Oder mehr oxig:
Bedingungen zu schaffen, in denen die eigene Entfaltung die Entfaltung
der anderen voraussetzt und umgekehrt.

Um das mit Herrschaft zu verknüpfen, würde ich sagen: Herrschaft braucht
die Anwendung instrumenteller Macht während die Entfaltung der kreativen
Macht die Herrschaftsfreiheit braucht.

*****

Und schon sind wir bei dem, wo ich im Prinzip hin will: Du erfindet
munter Kriterien, die Machtgebrauch legitimieren. Merke: Wir befinden
uns in der Hutzliputzli-Theorie und damit gehört das alles dazu.

Allerdings - und diese ist letztlich mein Widerspruch gegen Holloway
und noch krassere Konsorten - kann ich nicht erkennen, wo solche
super-abstrakten Kategorien emanzipativ sein sollen. Wer entscheidet
denn im Einzelfall, was jetzt gerade kreativer und was gerade
instrumenteller Machtgebrauch ist? Ich meine, dem konkreten
Machtgebrauch *an sich* ist es ja keineswegs anzusehen, sondern der
Machtgebrauch *an sich* ist immer gleich. Plastisch: Ob Spam oder eine
Mail von mir ausgefiltert wird, ist vom Machtgebrauch her völlig
identisch. Im Machtgebrauch selbst kann also die Legitimation nicht
erkannt werden. Es muss also irgendwelche Begründungen außerhalb des
Machtgebrauchs selbst geben.

Wer entscheidet dann über diese Frage? Die, die gerade machtvoll
handelt? Oder die, die von diesem Machtgebrauch betroffen ist. Oder am
Ende eine äußere Instanz? Diese Frage ist nicht rhetorisch, sondern
*die* Kernfrage bei allen ideologischen Konstrukten wie diesen. Denn
wie du richtig erkannt hast, sind ideologische Konstrukte nämlich
nicht immanent sondern bedürfen einer InterpreterIn. Dies sind dann
die HerrscherInnen.

Wenn ich mich mit einer emanzipativen Vision befasse würde, ich mich
aber lieber an die konkreten Menschen und deren Bedürfnisse binden als
an irgendwelche super-abstrakten Kategorien, von denen vermutlich nur
ein gottähnliches Wesen im Zweifelsfall sagen kann, welche hier gerade
zutrifft. Jedenfalls kann ich hieran kein Jota weniger Ideologie
erkennen, als das bei Herrschaft der Fall ist. Diese Kategorisierung
unterscheidet sich also nicht von Herrschaft - was letztlich meine
Kritik an dieser Kategorisierung ist.

Aber zurück zu deiner eigentlichen Mail.

So etwas wie "Kollektivwillen"
(Gruppenstandpunkt etc.) gibt es in Wahrheit nicht, sondern ist ein
ideologisches Konstrukt, um die Beherrschung zu rechtfertigen.

Hier müssen wir jetzt schon ein bisschen auseinanderhalten. Dass es
den nicht gibt, sondern dass es sich um eine gedachte Sache handelt,
habe ich oft bestätigt. Dass es zur Ideologie missbraucht werden kann
ist ebenfalls völlig unstrittig.

Dass es aber genau zwischen dieser Ideologisierung und der
Nicht-Existenz noch etwas gibt, ein Denkkonstrukt, dass Menschen
individuell und kollektiv ihrer Selbstentfaltung näher bringen kann,
das ist strittig. Ok.

Die
Beherrschung

Aka Machtgebrauch, der nach emanzipativen Gesichtspunkten böse ist.

lässt sich nicht aus dem Kollektiv heraus (immanent)
begründen,

In der Tat nicht. Wiederum die Frage: Wie lässt sich Machgebrauch
immanent (also ohne transzendente Kategorien) begründen?

sondern braucht diese vorgebliche, das Kollektiv
überschreitende (transzendente) Instanz eines "Kollektivwillens" etc.

*****

Was wirklich spannend an diesem Satz ist: Herrschaft *braucht* eine
Rechtfertigungsideologie. Das bedeutet: Sogar Herrschaft kommt ohne
eine irgendwie geartete Legitimierung nicht aus (ja, im Einzelfall
kommt sie auch mit reiner Gewaltanwendung aus, aber das ist nicht
nachhaltig, wie mensch heute wohl sagen würde).

Die Kritik an Herrschaft kann jetzt also auch so gelesen werden, dass
die Legitimierung kritisiert wird. Und das genau tue ich: Entfremdete
Kategorien, die qua Definition an den Bedürfnissen der Menschen vorbei
gehen, können unter emanzipativen Gesichtspunkten keinen Machgebrauch
legitimieren. Dazu braucht es immanente Kategorien. Wie sehen die aus?
Weder Demokratie noch kreativer Machtgebrauch sind hier Antworten.

So weit die Pole, wie ich sie verstanden habe. Korrekturen oder
Präzisierungen erwünscht.

Je länger ich schreibe, desto mehr gewöhne ich mich an Hutzliputzli.
Vielleicht geht es ja mit einem neuen Wort, die Scheuklappen
abzunehmen und mal einen Blick auf das zu werfen, worum es mir seit
über einem halben Jahr geht.

Nun zu:

Ja, nun zu:

On Sunday 08 December 2002 21:09, Stefan Merten wrote:
Die wichtigen Hinweise gibt hier nicht die Empirie, sondern das
Empire von Hardt/Negri.

Mal eine Frage: Wie hättest du eigentlich vor dem Genuss dieses
offenbar epochalen Werkes argumentiert? Das ist keine rhetorische
Frage sondern das interessiert mich wirklich.

Ich hätte versucht, es mit den Mitteln der Kritischen Psychologie zu
denken, sozusagen als Annäherung von der Seite des Individuums. Auf der
crit-psych-Liste gab es vor ewigen Zeiten eine von einem (so weit ich
erinnere) Organisationspsychologen, der nun eine Consultingfirma hat, die
Frage, ob es neben der kritischen Gesellschaftstheorie (Marxismus) und
der kritischen Individualtheorie (Kritische Psychologie) nicht auch so
etwas wie eine kritische Gruppentheorie geben müsse. Ich habe damals
verneint und das mit Argumenten aus der KritPsych-Theorie begründet
(müsste ich ausbuddeln.

Wenn ich dich unten richtig verstehe, dann liegt das vor allem an dem
Begriff des Individuums.

Wichtig: Mir geht es *nicht* um die Auseinandersetzung mit irgendeiner
überkommenen Denktradition. Mir geht es *gerade nicht* darum, mich auf
den Gegenstand zu fixieren, den diese überkommene Denktradition hat -
Denn das muss ich letztlich, wenn ich mich damit auseinandersetzen
will...

Das habe ich schon verstanden. Ich habe hingegen versucht zu zeigen, dass
du dich in dieser Denktradition bewegst, ob du es willst oder nicht. Nur
du wertest die Elemente um, du wertest sie positiv. Ich sage: Das geht
nicht.

Also es bleibt festzuhalten, dass *du* die moralischen Kategorien
einbringst.

*****

Hutzliputzli ist für mich erstmal weder positiv noch negativ sondern
eine analytische Kategorie. Erst mit einem äußeren Bezugsrahmen - z.B.
emanzipative Vision - kann ich diese analytische Kategorie hernehmen
und betrachten was im Interesse dieses Bezugsrahmens liegt und was
nicht.

Mein Verdacht, den ich die ganze Zeit schon hatte bestätigt sich hier:
H/N's Feld ist überhaupt nicht mein Feld. Ich rede die ganze Zeit
nicht vom Staat und ich werde auch sicher nicht die Demokratie
verteidigen - zumindest nicht gegenüber m.E. besseren Varianten wie
Konsensorientierung.

Habe ich auch verstanden. Klar, es geht nicht um den Staat. Aber da kommt
diese Denkform her. Auch wenn du das nicht gut findest und umwidmen
möchtest, musst du das zur Kenntnis nehmen.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Staat ist ein Teil von Hutzliputzli.
Hutzliputzli umfasst aber als analytische Kategorie mehr. Und nein,
ich denke nicht, dass die Staatstheorie Hutzliputzli aufspannt.
Vielmehr ist es umgekehrt.

Das kann mensch
natürlich machen - letztlich nur eine Sprachregelung. Dennoch wäre
dann ein Wort für den (großen) Rest des Begriffs Herrschaft iSdsS zu
finden. Nochmal: Was könnte das sein? Bisher habe ich das Gefühl, dass
die Antwort heißt: "Gibt es nicht" oder "Ist unwichtig".

Die Frage nach dem "Rest" gibt es überhaupt nur, weil die SysSoz die
bürgerliche Form der interindividuellen Regulation (ich hab kein besseres
Wort) naturalisiert. Sie sagt: Das ist immer so. Seht her, da gibt's zwei
Seiten, eine gute, eine schlechte usw.

Ok, vergessen wir die bürgerliche SysSoz oder was du dafür hältst.
Gebetsmühle: Die Wertung kommt nicht von mir.

*****

Was für mich aber eine überhistorische Stimmigkeit hat, ist die
Tatsache, dass es in menschlichen Gesellschaften, ja sogar bei
jedwedem Leben Machtgebrauch gibt. Diesen Machtgebrauch in einem
einheitlichen Begriff zu fassen ist das Anliegen von Hutzliputzli.

Und es gibt hier auch einen wertenden Aspekt: Das so beschnittene Wort
Herrschaft ist ziemlich klar negativ besetzt. Wahrscheinlich kann es
mit Unterdrückung (der Multitude) identifiziert werden. Ob staatliche
Herrschaft darauf reduziert werden kann, fragt sich m.E. zwar, aber
darauf kann ich mich meinetwegen einlassen. D.h. (staatliche)
Unterdrückung ist eigentlich worum es H/N geht - leite ich mal so ab.
Passt auch ganz gut zum ganzen Duktus und vor allem: Teile ich ja auch
völlig.

Gut. Die Verallgemeinerung von H/N ist aber auch: Das ist immer so (auch
wenn es nicht um die Ebene des Staates) geht, und das muss auch so sein.
Das teile ich.

*****

Nun ist der Staat die höchste Abstraktionsstufe, die die Menschen
bisher sich selbst gegenüber gefunden haben. Gleichzeitig ist es die
höchste Entfremdungsstufe. Dass es zwischen dieser Form der
interindividuellen Regulation und anderen Formen interindividueller
Regulation keine Brüche geben *kann* finde ich doch ausgesprochen
unwahrscheinlich. Wie schon früher würde ich argumentieren, dass es
auf dieser Entfremdungsstecke eben qualitative Brüche gibt. Die genaue
Lage dieser Brüche beantwortet die Frage, wann Machtgebrauch im Sinne
einer emanzipativen Vision legitim ist.

Weil das wichtig ist, diesen Satz nochmal:
Beide Male
konvergieren die einzelnen Willensäußerungen der Individuen im Willen
des transzendenten Souveräns,

Das war erstmal nur die Beschreibung des historischen Prozesses. Ich will
das nicht als ontologische Äußerung verstanden wissen im Sinne von: das
ist halt immer irgendwie so...

Volle Unterstützung. In Hutzliputzli brauche ich keinen Souverän.

Das ist sehr spannend. Nachdem wir festgestellt haben, dass
H/N-Transzendenz antiemanzipatorisch ist - ich übersetze es für mich
ja mit Entfremdung -, stellt sich jetzt die Frage, was denn in einer
emanzipierten Gesellschaft an die Stelle des transzendenten Souveräns
treten soll:

Oder mit deinen Worten gefragt: Wie die interindividuelle
Regulationsform dann aussieht. Eine Frage, die ohne den
Hutzliputzli-Begriff nicht beantwortbar ist.

Sollen die einzelnen Willensäußerungen der Individuen
entweder

* gar nicht mehr konvergieren - d.h. es gibt keinen Ersatz -, oder

* gibt es eine immanente Weise, wie sie konvergieren könnten.

Das ist für mich eine falsche Alternative, es setzt voraus, dass es einen
"immanenten" Alternativ-Souverän geben muss, der den transzendenten
Staats-Souverän ersetzt. Warum denn?

Das setzt es überhaupt nicht voraus. Hutzliputzli kommt auch ohne
Souverän aus. Herrschaft vielleicht nicht - bist du der Experte für.

Vielmehr sind es zwei Pole der Antwort auf deine Frage:

Die Frage ist doch, wie eine Freie Gesellschaft sich organisiert; wie
Infrastrukturen entstehen, die für Stabilität und Konstanz sorgen, die
für das Vertrauen wichtig sind; wie die Selbstentfaltung der Einzelnen
maximal zur Geltung kommen kann; wie Konflikte ausgetragen werden können;
und so weiter.

Eben. Dazu gehört die Frage des Machtgebrauchs. Ein klarer Fall für
Hutzliputzli also.

Warum muss es da einen Souverän (=Herrscher) geben? Oder
mehrere?

Ja woher soll ich das denn wissen? Ich will doch keinen Souverän!

Ausserdem wäre sicher wichtig, in welchem Rahmen eine Antwort auf
diese Frage gemeint ist - Staat/Gesellschaft/Multitude vs. einfache
Gruppe.

Das eben war die Ebene der gesamten Gesellschaft, zumindest hast du es so
genannt. Ich sehe aber keine anderen Argumente auf der Ebene von Gruppen
oder Individuen.

Nun, dir geht's ja um einen Souverän. Dazu kann ich nichts sagen -
dein Thema.

Ansonsten: Wie oben schon dargestellt halte ich die Entfremdungsstecke
zwischen Individuum und Staat/Gesellschaft/Multitude für nicht
vernachlässigbar. Aber deine Definition von Individuum hängt da
irgendwie mit zusammen schätze ich.

Ich vermute, dass die H/N-Antwort lautet: Gar nicht mehr konvergieren.

Nein. Sie weisen auf, wie Beherrschung funktioniert: Konvergenz von
Einzelwillen zum Allgemeinwillen ("volonte general" etc.),

*****

Volonte General ist nach meiner Kenntnis ein Begriff, der Staat
begründet. Er ist genau auf dem Entfremdungs-Level, dass du zu einer
Staatsbegründung brauchst. Bei unseren FußballspielerInnen ist aber
völlig offensichtlich, dass eine solche Ideologie durch nichts zu
rechtfertigen ist. Deswegen redet da auch keiner von volonte general.

Repräsentation
durch einen transzendenten Souverän (Gesellschaftsvertrag).

Ja, wieder Staatsbegründung. Brauchen die FußballspielerInnen einen
Gesellschaftsvertrag? Wohl kaum. Die können das direkt
interindividuell regulieren.

Das sind die
ideologischen Bausteine.

Ja. Ideologie ist per Definition entfremdet. Damit sind es ganz klar
Herrschaftsmittel.

Dem steht die Multitude mit ihrer autonomen
Handlungsmacht insgesamt gegenüber.

Oh, eine autonome Handlungsmacht kommt jetzt noch. Na, die abstrakten
Kategorien fallen ja nur so vom Himmel. Ich sag nur eins: Übelste
Ideologie und damit übelste Herrschaft.

H/N würden sagen: Sie kommt zu sich,
wenn sie den ganzen Beherrschungszirkus abwirft.

Na, mit diesen Kategorien geht das jedenfalls nicht. Da reproduziert
sie Herrschaft immer nur weiter, weil es kein Jota weniger ideologisch
wird.

Es geht also nicht um
"Nicht mehr konvergieren", sondern um "keinen Souverän", um Entfaltung
der Handlungsmacht (Posse).

Entfaltung der Handlungsmacht ist Machtgebrauch - also ein Thema im
Hutzliputzli-Begriff. Kein Souverän? Geschenkt. Ich habe nie einen
Souverän gewollt. Aber vielleicht ist das ja jetzt endlich angekommen
und du fängst an mit mir zu reden.

Das halte ich für verheerend, da das die perfekte bürgerliche Monade
konstruiert. Die einzelnen Willensäußerungen der Individuen stehen
dann völlig unvermittelt nebeneinander und es gibt außerhalb der
persönlichen Willkür keinerlei intersubjektive Instanz mehr, die
Machtgebrauch legitimieren könnte - oder eben auch nicht. Das ist
letztlich Faustrecht - oder das, was die Libertarians vom Schlage
eines ESR sich wünschen.

Nein, kein bisschen. Dein Argumentationsschema ist: entweder die gute
Herrschaft,

Es gibt keine gute Herrschaft. Bei dir (und anderen) gab es nur böse
und ich hatte sie nicht gewertet.

oder Dasein der Einzelnen als bürgerliche Monaden.

Nein, mein Argumentationsschema ist, dass es eine interindividuelle
Regulationsform geben muss, zu der auch Machtgebrauch gehört. Das ist
das Thema von Hutzliputzli.

Die Frage mal von dieser IMHO falschen Gegenüberstellung Monade vs.
Souverän befreit, lautet doch: Brauchen wir intersubjektive "Instanzen"
in einer Freien Gesellschaft? Wenn ja, wie sehen diese aus? Wenn nein,
wie sehen die intersubjektiven Beziehungen dann aus, wenn sie nicht
"instanzenvermittelt" sind? - Diese Fragen sind für mich durchaus offen.

Ok, jetzt hast du mit deinen Worten formuliert, was ich vor einem
halben Jahr wissen wollte. Welcome!

es noch eine _interindividuelle_ Position geben, die zwar keine
individuelle ist, aber dennoch auch keine überindividuelle a la Gott,
Vaterland oder Wirtschaftsstandort. Ich kann nicht erkennen, was an so
einer interindividuellen Position problematisch sein soll.

Sie ist nur transzendent denkbar. Ich setze dagegen auf die _je_
individuelle Position. Ich kopiere mal aus
http://www.opentheory.org/vergesellschaftung/text.phtml den Absatz 34 und
den entsprechenden Kommentar von Benni dazu hierhin, weil der das IMHO
ganz gut darstellt:

(34) Teilhaben am gesellschaftlichen Prozess tun die Menschen auch heute
schon, jedoch, wie mehrfach festgestellt, vermittelt und zugerichtet
durch das »dritte Prinzip« der Wertabstraktion. Es geht also darum, das
»Prinzip vom Standpunkt dritter Person« (den Fetisch) durch
gesellschaftliches Prinzip vom »Standpunkt erster Person« aufzuheben.
Dieses gesellschaftliche Prinzip verkörpert die »Assoziation, worin die
freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung
aller ist« (Marx/Engels 1948, 482). Diese »freie Entwicklung« oder
»Selbstentfaltung«, wie es im Oekonux-Projekt genannt wird, ist dabei
nicht denkbar als Entwicklung des isolierten Einzelnen, auch nicht als
Summe unmittelbarer Interaktion und Kooperation jenseits
gesellschaftlicher Vermittlung, sondern nur als unbeschränkte
individuelle Teilhabe am Prozess der Vermittlung der kollektiven
Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens [15].

(34.1) 12.06.2002, 13:38, Benni Bärmann: Moderne, Liberalismus und
Kapitalismus haben doch den "Standpunkt erster Person" erst erfunden. Die
gehen darin soweit, dass Ausgangspunkt jeder Erkenntnis das
ungesellschaftliche Individuum ist (Robinson, Monade). Wenn
Selbstentfaltung ein Standpunkt erster Person ist, dann nur einer der
ersten Person plural. Wir statt ich. Doch auch das trifft es ganz und
garnicht, weil wir immer Identifikation bedeutet, die jedoch bei
Selbstentfaltung nicht vorhanden sein muss - oder nicht in dem Masse.
Tatsächlich bietet zumindestens die deutsche Sprache dafür nichts an,
oder? Das deutet sich ja auch in den Texten zur kritischen Psychologie
an, wo immer von "je ich" die Rede ist, also sozusagen eine vierte
grammatikalische Person eingeführt wird!

*****

Ja davon rede ich doch die ganze Zeit. Du gehst sogar noch einen
Schritt weiter und nimmst das Interindividuelle begrifflich gleich mit
ins Individuum hinein. Meinetwegen machen wir dann ein Individuum
iSvSMz.

Ja, und in dieser allgemeinen Verwurschtung geht dann auch noch die
Gruppe mit auf und wir kommen dabei heraus, dass es eigentlich keinen
begrifflichen Unterschied zwischen Gesellschaft und Individuum mehr
gibt. Na, vielleicht ein bisschen viel Symbiose - oder?

Ok, das kannst du nicht meinen. Wahrscheinlich habe ich es einfach
nicht in seiner ganzen Bedeutung verstanden. Was daran?

Vielleicht hier auch nochmal eine kategoriale Anmerkung. Während du
vorwiegend von der Totalität Staat und bestimmten Herrschaftsformen
(z.B. Demokratie) sprichst, geht es mir um ein kategoriales
Verständnis der bei Menschen auftretenden Dimension Gruppe. Will ich
über eine emanzipierte Gesellschaft etwas sagen, dann muss ich diese
Kategorie klar haben. Nur dann ist es insbesondere auch möglich, sich
über Formen klar zu werden, die einer emanzipierten Gesellschaft
möglichst angemessen sind.

Ok, das ist ein Ansatz. Habe ich oben ja auch versucht zu formulieren.

Ja, wir nähern uns irgendwie an. Wohltuend :-) .

Oh, ja, ja, es ist nicht so einfach, denn IMHO bedeutet ein
Maintainermodell nicht Herrschaft. So haben wir hier bei Ox ein
Maintainermodell mit dir, Stefan, als Maintainer, aber du herrschst
nicht und repräsentierst nicht, weil das nicht geht. Es ginge schon,
aber dann würde ox nicht mehr weiterbestehen, sondern zerfallen (was
natürlich auch Optionen sein können, warum nicht).

Natürlich herrsche ich iSdsS: Ich versuche unablässig im Interesse des
Projekts zu handeln. Aber das tust z.B. du nach meiner Wahrnehmung
ganz genau so :-) .

Ich nicht: Ich handle unablässig in meinem Interesse. Zu diesem Interesse
gehört u.a. das Projekt Oekonux.

Das gelingt, wenn du keine begriffliche Trennung zwischen dir und
einer Gruppe mehr machst. Mag sein, dass das geht. Für mich hört es
sich erstmal ziemlich symbiotisch an.

Integrativer Bestandteil der Repräsentation ist die Zusammenfassung
und Vergegenwärtigung der Bestrebungen der Mitglieder der
Sozialeinheit.

Missbrauch liegt also nach diesem Satz vor, wenn Repräsentation "die
Zusammenfassung und Vergegenwärtigung der Bestrebungen der
Mitglieder der Sozialeinheit" nicht mehr leistet.

Das ist notwendig immer der Fall, sobald ein bestimmter Grad an
Spezifik und/oder Kontinuität erreicht wird.

Das wäre ein Argument. Kannst du das beweisen?

Mathematisch, oder was stellst du dir vor? Geht mit bestimmten Annahmen
sicher. Ich kann es jetzt hier nur plausibilisieren.

Das meinte ich.

Spezifik: Je
allgemeiner das Thema, desto eher konvergieren die Einzelwillen; je
besonderer das Thema, desto mehr divergieren die Einzelwillen.
Kontinuität: Je kürzer das Zeitfenster, desto eher ist Konvergenz
feststellbar; je länger das Zeitfenster, desto häufiger tritt Divergenz
auf. Beide Dimensionen übereinandergelegt, ergibt eine minimale
Wahrscheinlichkeit der Willensidentität. Im Normalfall geht es also um so
etwas wie "Mehrheitswillen", angenommen ("vergegenwärtigt") oder gemessen
("Zusammenfassung"). Damit sind wir beim Demokratiemodell - das moderne
transzendente Souveränitätsmodell.

*****

Wenn ich deine Ausführungen mal momentan unhinterfragt annehme, dann
würde ich sagen, dass bei spezifischen kontinuierlichen Themen eine
gesamtgesellschaftliche Konvergenz nicht mehr herzustellen ist. Damit
ist aber auch keine Repräsentation dieser Konvergenz mehr herstellbar
und jede behauptete Repräsentation kann nur noch entfremdet /
ideologisch sein. Damit sind wir beim Staat - wo ich nicht hin wollte.
Aber da sind wir uns einig. Auch wenn ich das nochmal problematisieren
würde.

In deiner Betrachtung ist aber noch eine wichtige Größe verborgen: Die
Masse. So, wie du es darstellst, redest du von einem Staatsvolk, das
wohl nur hochheterogen gedacht werden kann. Das interessiert mich aber
gar nicht.

Mich interessieren vielmehr Gruppen, die sich *auf Grund* einer ganz
spezifischen Frage langfristig zusammentun. Z.B. ein
Freies-Software-Projekt. Hier passiert etwas ganz anderes, da die
langfristige Willensidentität in einer sehr spezifischen gerade der
*Grund* ihres Daseins ist. Ihr gemeinsames Interesse bringt sie
zusammen. Damit wäre die Spezifik und Kontinuität sogar genau der
Grund dafür, dass Repräsentation als immanent gedacht werden kann.

Auch die traditionelle Arbeiterbewegung war (und ist) genau in dieser
transzendenten Logik befangen: durch Einheitlichkeit und Mehrheitsbildung
zur Handlungsmacht.

Ja, die haben sich auch immer sehr für den Staat interessiert.

Die immanente Logik bricht damit: Handlungsmacht
durch Vielfalt, Unterschiedlichkeit, viele Wege, Entfaltung usw.

Ja klar. Ich will ja keinen Staat. Warum wir hier nicht Gruppen
betrachten können und wie in diesen Machtgebrauch funktioniert bzw.
legitimiert wird, verstehe ich immer noch nicht.

Ich würde dagegen halten, dass es darum gehen muss, Formen zu finden,
in denen dieser Entfremdungsschritt möglichst verhindert wird. Der
Schritt von der Monarchie zur Demokratie ist hier historisch ein
Formwandel in dieser Richtung gewesen. Wie sieht der nächste Schritt
aus? Was wir in der Freien Software sehen können, liefert m.E.
Hinweise.

Ok, deinen Ansatz habe ich verstanden.

Vielleicht jetzt.

Bei deinem Versuch, einen Schritt
weiterzugehen, bewegst du dich nur genau _in_ der Form der Souveränität.

Nein.

Und in dieser Form gibt es keinen weiteren Schritt.

Ja. Deswegen will ich das ja auch gerade nicht. Die ganze Staatskritik
incl. die an ihrer Begründungsideologie teile ich ja voll.

Das reicht aber überhaupt nicht, um Hutzliputzli zu verstehen.

Alle Versuche wie
Basisdemokratie usw. sind gescheitert.

Ja, weil sie die Entfremdung nicht aufheben konnten.

*****

Konsens scheitert dagegen nicht, braucht keinen Souverän, ist voll
immanent und wenn der Konsens nicht geht, wird nicht entfremdet und
ideologisch weiter gemacht sondern sich getrennt. Ganz einfach
eigentlich.

Deswegen gilt es, diese
Bewegungsform (und Denkform), die eine bürgerliche ist, und die der
SysSoz wunderbar aufgeschrieben hat, grundsätzlich zu verlassen.

Du hast es wohl wirklich nur durch deine voreingenommene Brille
gelesen. In den zitierten Abschnitteb stand davon gar nichts. Egal.

Und IMHO
tut dies die FS auch partiell - ohne dass sie davon einen Begriff hätte.
Den Begriff davon haben wir ja auch nicht, aber wenigstens die Idee, dass
da was grundsätzlich anderes passiert. Unsere Anstrengungen verstehe ich
als solche, das eben irgendwann man "auf den Begriff" zu bringen.

Ja. Hutzliputzli halt.

Ein IMHO völlig anderer Fall liegt eben beim Maintainer vor: Der/die
repräsentiert niemanden (außer "sich") und handelt. Dazu können sich
die anderen dann verhalten. Es gibt überhaupt nicht den Anspruch,
jemanden anderes Wille zu repräsentieren.

Und hier fängt das hinter dem Rücken durchsetzen an. Dein Punkt ist,
dass es diesen repräsentativen *Anspruch* nicht gibt (was ich in der
Freien Software auch anders wahrnehme aber das nur BTW). Das hat aber
nur etwas mit einer Ideologiebildung - oder eben nicht - zu tun, aber
nichts mit dem, was da tatsächlich passiert.

Ich sehe es genau umgekehrt: Ich nehme durchaus solche *Ansprüche" in der
FS noch wahr, doch was tatsächlich passiert, ist etwas anderes, weil sich
in der Dynamik der Projekte Repräsentation nicht wirklich praktizieren
lässt: die Leute lassen sich einfach auch nicht gerne "repräsentieren".

Und hier wird's dann auch tatsächlich magisch: So, wie du es
darstellst, handelt die MaintainerIn so, wie es ihr gerade eben mal so
einfällt. Und wie durch ein Wunder laufen ihr nicht alle davon. Das
ist so etwas wie der "volunte general", der sich aufgrund einer
persönlichen Eigenschaft eben zufällig in ganz bestimmten Personen
manifestiert - nämlich den erfolgreichen MaintainerInnen.

IMHO nimmt die MaintainerIn wahr, was da passiert und handelt entsprechend
- im eigenen Interesse. Sie braucht da niemanden zu repräsentieren oder
beherrschen, sie muss sich einzig immer sehr gut ihr Interesse überlegen.

*****

Ja. Du identifizierst das Gruppeninteresse mit der MaintainerIn. Das
kannst du, weil du Individuum und Gruppe nicht begrifflich trennst.
Repräsentation und Beherrschung kommen dann nicht mehr vor, weil alles
in dem Individuum-Gruppe-Amalgam aufgegangen ist. Das hat einer innere
Logik. Ob es trägt kann ich noch nicht beurteilen.

Und da kommt dann in einer Logik, in der die eigene Entfaltung die
Entfaltung der Anderen voraussetzt eben was anderes raus, als in einer
Logik, wo man sich nur auf Kosten anderer durchsetzen kann. Da ist nichts
magisches dran.

Ja, das Amalgam zieht alles glatt.

Mein ganzes Bemühen dreht sich letztlich genau darum, diese Magie da
wegzukriegen und rational zu verstehen, was da passiert. Und dann
werfe ich mal einen Blick in den Kopf von so einer MaintainerIn und
stelle fest, was die Handlungsgrundlagen der MaintainerIn sind. Du
sagst jetzt - wenn ich dich richtig verstehe - reiner Zufall.

Nein, kein bisschen, sondern handeln im eigenen Interesse.

Ich sage dagegen: Diese MaintainerIn hat das Interesse am
Gesamtprojekt im Auge.

Ja klar, wenn das Gesamtprojekt genau ihr Interesse ist - was sonst? Das
spricht aber nicht dagegen, sondern *dafür*.

Ja, die begriffliche Mischung hilft auch hier.

Nur ist das m.E. überhaupt kein Widerspruch zu
Hutzliputzli-Repräsentation - die MaintainerIn ist ja geradezu die
optimale Hutzliputzli-RepräsentantIn, da sie aus ihrem höchst eigenen
Interesse heraus im Interesse des Gesamtprojekts handelt.

Deswegen kommuniziert sie mit anderen und
deswegen befragt sie ihre eigene Erfahrung. Die MaintainerIn kann aber
aufgrund ihres Interesses am Projekt *als MaintainerIn* aber auch zu
Standpunkten kommen, die nicht mit ihren *eigenen* Standpunkten
übereinstimmen. Das ist genau der Unterschied zwischen
interindividuell und individuell. Eine überindividuelle Meinung wäre
dann gegeben, wenn die MaintainerIn Meinungen vertritt, die nicht dem
Projekt entspringen - also quasi nicht in seinem Interesse liegen.

Warum sollte sie das tun? Das wäre doch widersinnig, ich mache doch das
Projekt in meinem Interesse. Warum sollte ich genau das irgendwie
taktisch "verbergen"??

Beim überindividuellen gibt es dafür unter nicht-entfremdeten
Bedingungen keinen Grund - in der Tat. Aber dennoch:

Beispiel: Die MaintainerIn kann der Meinung sein, dass Person X ein
ausgesprochenes Ar...loch. Vielleicht hat Person X sie mal irgendwann
tödlich beleidigt. *Für sie* es besser wäre, wenn diese Person X das
Projekt verließe. Gleichzeitig kann sie aber in ihrer Rolle als
MaintainerIn wissen, dass diese Person X aufgrund ihres Beitrags *für
das Projekt* unentbehrlich ist. Wenn sie eine gute MaintainerIn ist,
wird sie versuchen, Person X zu ertragen und den Umgang im Rahmen des
Projekts möglichst angenehm zu gestalten. Schmeißt sie dagegen Person
X einfach raus, so ist das Projekt damit zu Ende - sie würde also
nicht im Interesse des Projekts handeln (wozu sein Weiterbestand
logisch erstmal gehört).

Sie würde vor allem gegen ihr eigenes Interesse handeln - das ist das
Entscheidende.

Sie handelt so oder so gegen ihr eigenes Interesse. Sie ist quasi in
einem Dilemma. Aber vielleicht ist das ein eigener Punkt.

Dein ganzes Denken über völlig spekulative transzendente
Standpunkte im fiktiven Meinungsraum, die einzufangen wären, um dann
taktisch gegen mein Interesse zu handeln usw.: das ist doch ein völlig
überflüssiger Honk! Das ist vielleicht in der bürgerlichen Gesellschaft,
in der einer den anderen (potenziell oder wirklich) unterbuttert,
notwendig, aber nicht in einer Freien Gesellschaft.

*****

Das setzt voraus, dass da die Massen der gleichen Meinung sind, was
denn jetzt unterbuttern in einem spezifischen Fall langfristig heißt.
Du hast selbst argumentiert, dass die Willensidentität *gerade* in
solchen Situationen unwahrscheinlich ist. Also eher kein überflüssiger
Honk.

Wenn ich dich richtig verstehe, dann ist ein solcher innerer Konflikt
schon nur möglich, wenn du H/N-Transzendenz / Entfremdung annimmst.
Die einzige emanzipatorische Variante besteht dann eben mit dieser
Annahme nur noch darin, dass die MaintainerIn niemals in einen solchen
Konflikt kommt - was für mich nur die Folge eines Wunders sein kann.

Nein, Konflikte sind absolut zentral. Sie können endlich ihre Funktion des
gegenseitigen Ausbootens verlieren, zugunsten einer (nicht-entfremdeten)
direkten, interindividuellen Klärung von Interessenunterschieden,
Meinungen, Ideen usw. Unterschiede und Konflikte werden zur zentralen
Quelle der Kraft - und eben nicht Einheitlichkeit und Mehrheitsmeinungen.

*****

Schau, ich habe nie davon gesprochen, dass Einheitlichkeit und
Mehrheitsmeinungen eine Rolle spielen. Ich weiß nicht, wem du das
sagst - mir jedenfalls nicht.

Ich habe Konsens als emanzipatorisches Hutzliputzli-Modell
vorgeschlagen - was du mit deinen Worten sehr treffend beschreibst.
Irgendwie habe ich immer stärker den Eindruck, dass du nur mit *mir*
reden müsstest und der Dissens ist weg - und wir könnten uns anstelle
transzendenter, jedenfalls nicht immanenter Kategorien endlich mal
über das unterhalten, was uns wichtig ist.

Ich würde dem entgegen halten, dass die MaintainerIn eben nicht die
H/N-Transzendenz / Entfremdung, sondern die *dem Projekt* immanenten
Interessen, das also, was ich als interindividuell bezeichnet hatte,
zur Leitlinie ihres MaintainerInnen-Handelns macht.

Diese Spielchen - schon drei Schritte gedanklich vorwegzunehmen, was der
andere denken könnte etc. - sind Spielchen unter unseren entfremdeten
Bedingungen. Die brauchen wir kein bisschen mehr.

Was ist ein Spielchen daran, die anderen zu fragen, was sie wollen?
Hallo, hier bin ich!!!

Leitlienie meines
Handelns sind ganz einfach meine Interessen. Die gilt es zu maximal
selbstentfalterisch umzusetzen. Und dann schaun wir mal, welche Dynamik
sich ergibt: Ich kann völlig auf die anderen Menschen vertrauen. Da diese
genauso handeln, ihre Interesse auch selbstentfalterisch umsetzen, kann
ich mich nur freuen und mich da offen reinbegeben in dem Wissen: Jeder
Konflikt gibt mehr Kraft.

Ja, wenn sich alle über das Endergebnis einig sind.

Puh. Noch eine ziemlich lange Mail. Vielleicht noch ein bisschen
Zusammenfassuzng, was jetzt aus meiner Sicht Stand der Dinge ist.

1. Zum Teil geht es hier um die Bedeutung bestimmter Worte. Vorneweg
   "Herrschaft" und "Repräsentation". Was du für Herrschaft hältst ist
   für mich Machtmissbrauch und was du als Repräsentation bezeichnest
   ist für mich das schiere Gegenteil. Diesen Streit können wir lassen
   - mir geht es nicht darum, bestimmte Labels auf irgendwelche
   Phänomene zu pappen, sondern darum, die Phänomene zu begreifen.
   Folge ich deinen Wortbedeutungen habe ich auch gar keinen Dissens.

Doch wir haben einen Dissenz, und es geht nur zum Teil um unterschiedliche
Verwendung von Worten.

Also mir ist mittlerweile völlig klar, dass du mit irgendjemensch
einen Dissens hast. Dass ich es bin glaube ich immer weniger.

2. Das, was ich als Herrschaft bezeichne, dafür hast du bisher keinen
   bündigen Begriff genannt. Das Wort Praxis scheint mir eine wichtige
   Rolle zu spielen. Der bündige Begriff wäre aber eines meiner
   Anliegen.

Ich weiss immer noch nicht, _wofür_ du einen bündigen Begriff gerne
hättest.

Für Hutzliputzli. Für die interindividuelle Regulation als Begriff.

Mein Verdacht ist: Du suchst nach etwas, was _nur_ mit der
bürgerlichen Gesellschaft zu tun hat und nicht mit einer freien.

Ich glaube du irrst dich. Aber vielleicht irre ich mich auch.

Um das
aufzulösen, müssten wir allgemeiner werden. Auf deiner Konkretionsebene
habe ich für dein Gedankenkonstrukt einfach kein Äquivalent, was einen
Begriff bräuchte - einfach was es das IMHO nicht mehr gibt.

Ist in den 40KB was klarer geworden? Jedenfalls ist mir klarer
geworden, dass du an vielen Stellen nicht mit mir redest.
Wahrscheinlich reicht es sich auf das zu beschränken, wo du es tust.

3. Wo wir wirklich einen inhaltlichen Dissens haben ist die Frage mit
   den verschiedenen Interessen. Es gibt individuelle und
   transzendente Interessen - da sind wir uns einig. Während für dich
   aber transzendente Interessen alles sind, was nicht individuelle
   sind, würde ich hier noch eine weitere Kategorie von Interessen
   einführen: gruppenimmanente Interessen. Diese sind weder
   individuell noch überindividuell sondern interindividuell. Das
   "inter" transportiert auch schon den Bezug auf eine gruppeninterne
   Kommunikation - was ich explizit für einen wichtigen Aspekt halte,
   der die Entfremdung vermeidet.

Deine interindividuellen Interessen mögen existieren, sie sind jedoch
keine Instanz, auf die sich Bezug nehmen ließe, denn es sind vor allen
sehr unterschiedliche Interessen.

Dazu siehe oben bei Spezifik, Kontinuität und Masse.

Was du als (notwendig: transzendente)
Instanz fixieren willst, ist für mich eine Frage der Praxis, in der
Repräsentation keine Rolle spielen muss.

Kommt sehr darauf an, wie du Repräsentation definierst. Wenn es nur
ein ideologischer Trick ist, dann ist es zweifellos nicht nur
verzichtbar sondern sollte möglichst schnell abgeschafft werden. Aber
das ist für mich nicht Repräsentation.

4. Nach meiner Wahrnehmung kannst du das Handeln einer MaintainerIn
   nur als Wunder auffassen, da du keine rationale Erklärung dafür
   hast, die über die bloße Phänomenologie (aka Praxis) hinausgeht.

Mit dem "rational" wäre ich sehr vorsichtig.

Lass es weg. Ich meinte begriffslogisch.

Es ist selbst schon ein
transzendentaler Begriff: es ist ein erkenntnistheoretischer
"Drittstandpunkt"-Begriff. "Rational" ist etwas immer nur gemessen an
äußeren Kriterien. Deswegen ist die Warengesellschaft eine sehr rationale
Angelegenheit. Von Standpunkt des Individuums, also von Standpunkt erster
Person, sieht das ganz anders aus. Und in einer Freien Gesellschaft
müssen diese Standpunkte erster Person, diese je-ich-Standpunkte, zur
Geltung kommen - und nicht irgendwelche "rational" konstruierten,
transzendenten Drittstandpunkte.

   Die Phänomenologie erklärt dieses Verhältnis aber nicht - das kann
   nur eine Theorie. Bestandteil dieser Theorie könnte m.E. dieses
   gruppenimmanente Interesse sein - jedenfalls erklärt das Vieles
   ziemlich schlüssig.

Theorie ist nicht bloß Theorie, wenn sie vom Standpunkt dritter Person
geschieht. Hier ist IMHO eine Theorie vom verallgemeinerten Standpunkt
erster Person erforderlich, der solche Transzendenzen ausschliesst: Je
ich habe zur Geltung zu kommen.

Ja. Ich hätte es gerne in der begriffslogischen Variante.

5. Der Modus der gegenseitigen Selbstentfaltung schließt für dich
   Herrschaft an sich aus. Für mich schließt er lediglich bestimmte
   Herrschaftsformen aus - z.B. Diktatur, Demokratie, Theokratie,
   Chaos... Das Maintainer-Modell und das m.E. verwandte Konsensmodell
   sind für mich iSdsS Herrschaftsformen, die die gegenseitige
   Selbstentfaltung begünstigen. Es kann weitere geben. Dies zu
   erforschen ist Teil meines Anliegens.

Das Maintainermodell ist für mich eine Keimform eines neuen
interindividuellen gesellschaftlichen Modells der Selbstorganisation
jenseits von Herrschaft und Drittstandpunkt - sondern basierend auf dem
verallgemeinerten Standpunkt erster Person ("je ich"), des sich
selbstentfaltenden individuellen Menschens.

Aber nicht jenseits von Hutzliputzli.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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