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Stefan Merten * Emanzipatorische Vision, Eigentum und Freie Software (was: [ox] Conference documentation)



Emanzipatorische Vision, Eigentum und Freie Software
====================================================

Stefan Merten [smerten oekonux.de]

Diese Foliensammlung ist aus einem Teil des Textes Eigentum und
Produktion am Beispiel der Freien Software
[http://www.oekonux.de/texte/eigentum/] entnommen und ein wenig
erweitert worden.

Die nicht mit Bullets bzw. Spiegelstrichen versehenen, kursiven
Bemerkungen zu den einzelnen Punkten sind persönliche
Gedächtnisstützen zum Vortrag. Sie dienen der Illustration eines
Aspekts, die im Rahmen eines Vortrags möglich ist und erheben nicht
den Anspruch ausformuliert zu sein.

Emanzipatorische Vision und Entfremdung
=======================================

Elemente einer emanzipatorischen Vision
---------------------------------------

o    Umfassende Orientierung an individuellen Bedürfnissen aller

     o    Alle müssen genug zu Essen haben

               Andere Grundbedürfnisse müssen gedeckt sein

               Z.B. Gesundheitsversorgung, Wohnen

               Aufgrund individueller Bedürfnisse

     o    Bedürfnisbefriedigung in höchstmöglicher Qualität

               Technik ist dafür unabdingbar

o    Individuelle und kollektive Selbstentfaltung

          Basiert auf Grundbedürfnissen

          Erst seine Entfaltung macht den Menschen wirklich zum
          Menschen

     o    Umfassende Gewaltfreiheit

               Gewalteinsatz gegen Menschen widerspricht
               Selbstentfaltung

               Respekt vor allen Menschen

               Anerkennung der Grenzen anderer

     o    "Gute" Konfliktlösungsverfahren

               D.h.: Bedürfnisangemessen, nicht entfremdet

     o    Vergrößerung der Handlungsmöglichkeiten

               Vulgo: "Freiheit"

Fazit: Ziemlich klassisch

Verantwortliches Handeln und Entfremdung
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     Entfremdung ist zentraler Begriff

     Im folgenden: Arbeitsdefinition

o    Entfremdung: Wenn ein Mensch in Bezug auf eine Sache nicht
     verantwortlich handeln kann

          "Sache" weit gefasst:

          Materielle Dinge

          Immaterielle Dinge wie Ideen oder Bedürfnisse

          Auch Menschen

o    Verantwortung: Was individuell als Verantwortung erkannt wird

          Keine Zuschreibung von Verantwortung

          Verantwortung beruht auf Normensystem, das gesellschaftlich
          geprägt und dergestalt rückgebunden ist

          Individuelles Bekenntnis zu einem Normensystem ist
          Voraussetzung

          Individuelle Verantwortung ist Teil der Individualität

o    Entfremdung ist nicht an bestimmtes Normensystem gebunden

o    Verantwortliches Handeln kann prinzipiell unmöglich sein

          Verselbständigte Systeme machen verantwortliches Handeln
          unmöglich

          Domination ebenfalls

          Verantwortliches Handeln dann nur noch auf Meta-Ebene
          möglich

o    Innere Grenzen beschränken verantwortliches Handeln

          Alle möglichen (Un-)Fähigkeiten

          Z.B. Programmierkenntnisse oder eben nicht

          Auch Fähigkeiten im sozialen Umgang

          Auch Fähigkeiten im Umgang mit sich selbst

          Lernen ist eine wichtige Dimension

Fazit: Verantwortliches Handeln braucht individuelle Freiheit

          Nicht-entfremdetes Handeln braucht individuelle Freiheit

Entfremdung und Nutzung
-----------------------

o    Nutzung ist ein wesentlicher Aspekt von Eigentum

          Deswegen hier wichtig

o    Nutzung und Bedürfnisbefriedigung hängen eng zusammen

          Insofern ist der Nutzen einer Sache wichtig in Bezug auf
          eine emanzipatorische Vision

          Damit auch der Komplex Eigentum

o    Nutzen von Waren

     o    Konkreter Nutzen

               Entspringt aus den stofflichen Eigenschaften

     o    Nutzen in der Verwertung

               Entspringt der Warenform

               Nutzen für Bedürfnisbefriedigung wird dadurch in Frage
               gestellt

Fazit: Konkreter Nutzen ist entscheidend

          Für die emanzipatorische Vision

Beispiele für Entfremdung
-------------------------

o    Geld und Arbeit

          Bei Geld geht es nie direkt um konkrete Bedürfnisse -
          sondern um das abstrakte Geld

          Arbeit ist Gelderwerb und insofern nicht an der konkreten
          Tätigkeit orientiert

          Menschen sind nur noch Funktion von Interesse => Entfremdung
          von sich selbst

o    Machtkämpfe und Konfliktunfähigkeit

          Machtkämpfe drehen sich nicht mehr um das konkrete
          Bedürfnis, sondern um ein Machtbedürfnis

          Schaden dem konkreten Bedürfnis

          Machtbedürfnis braucht eigenen Raum

          Konfliktunfähigkeit führt zu Verhalten, dass dem Konflikt
          unangemessen und insofern von ihm entfremdet ist

o    Abstraktion begünstigt Entfremdung

          Abstraktion abstrahiert von konkreten Bedürfnissen

          Konkrete Bedürfnisse fallen leicht durch den Rost

o    Wichtig:

     o    Problemangemessenheit und Sachbezogenheit

               "Sach"bezogenheit kann sich durchaus auf den konkreten
               Menschen beziehen

     o    Differenzierung der Ebenen

o    Abschaffung aller Entfremdungsverhältnisse

     o    Einerseits: Ermöglicht Bedürfnisorientierung

     o    Andererseits: Ermöglicht Selbstentfaltung

Fazit: Entfremdung widerspricht emanzipatorischer Vision

Eigentum
========

Eigentum vs. Besitz
-------------------

o    Eigentum

     o    Keine selbstverständliche soziale Praxis

               Muss daher tendenziell mit Gewalt durchgesetzt werden

               Eine soziale Praxis kann zwar zu Eigentum formalisiert
               werden, umgekehrt geht das aber nicht unbedingt

     o    Braucht formale Festlegung

               In der bürgerlichen Gesellschaft i.d.R. durch Verträge

o    "Be-sitz"

     o    Wächst per Definition aus einer sozialen Praxis

               Wort deutet schon die direkte Nutzung der Sache an

     o    Kann nicht unbegrenzt sein

               So groß ist kein Hintern ;-)

     o    Legitimität ist erkennbar und nachvollziehbar

               Beispiel: Mietwohnung

Fazit: Eigentum ist entfremdet bezüglich konkreter Bedürfnisse

Vorkommen, Begrenztheit, Knappheit
----------------------------------

     Wichtige Begriffe wenn über Eigentum gesprochen wird

     Eigentum am Überfluss macht keinen Sinn

     Besitz dagegen schon

o    Vorkommen

          Für Rohstoffe!

     o    Ist durch die Natur vorgegeben

     o    Unveränderbar

o    Begrenztheit

     o    Den Menschen zur Verfügung stehender Anteil am Vorkommen

     o    Ist durch technische Mittel und politische Entscheidungen
          veränderbar

     o    Produkte sind durch Produktionskapazität begrenzt

               Im weiteren auch durch Verteilungsfragen

o    Knappheit

     o    Ist gesellschaftlich bestimmt und kann hergestellt werden

               Erdöl ist nicht immer knapp gewesen

               Bei Informationswaren muss Knappheit heute hergestellt
               werden

     o    Dient der Erzielung entfremdeten Nutzens

               Nutzungsausschluss ist Kern der Knappheit

               Tausch kann nur auf Knappheit beruhen

Fazit: Knappheit ist kein Naturgesetz

          Mit weiter bestehenden Begrenztheiten muss umgegangen werden

Eigentum wozu?
--------------

     Oder: Was ist im Interesse einer emanzipatorischen Vision
     wünschenswert an diesem Konzept?

o    Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten

          Gewährt Verfügungsmöglichkeiten über die Sache

          Muss erhalten werden

o    Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten

          Für die Nicht-EigentümerInnen

     o    Bedürfnisorientiert: Konsum, Geheimnisse

     o    Entfremdet: Nutzung oder Eigentumsübertragung nur unter
          Bedingungen

               D.h. Kauf oder Lizenz

               Nutzungsausschluss ist Kern des Eigentums

               Eignet sich hervorragend zur Erzeugung von Knappheit

               Besonders augenfällig bei Informationsgütern, wo sie
               ausschließlich formal begründet ist

o    Subtil: Kein Interesse an stofflicher Qualität

          Stoffliche Qualität ist nur ein Vehikel zur Erzeugung von
          Nachfrage und damit Knappheit

          Keine Verantwortlichkeit für die Sache jenseits
          Vehikelfunktion

Fazit: Entfremdungspotential ist das Problem

Eigentum an Informationsgütern
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Informationsgüter
-----------------

o    Materielles Substrat ist notwendig

     o    Buch, CD, Gehirn

o    Materielles Substrat ist nicht entscheidend

     o    Kopierbarkeit

               War immer gegeben

               Heute besonders einfach für digitale Information

     o    Informationsgut wird durch Verbreitung nicht weniger

o    Informationsgüter waren immer wichtig

          Wissen auch z.B. bei Handwerkern

o    Informationsgüter sind heute von entscheidender Bedeutung

          Weil auf dem aktuellen Produktivitätsniveau ohne
          Informationsgüter Produktion materieller Güter nicht mehr
          denkbar ist

          In einer Produktionsstätte - aber auch z.B. die
          Lieferbeziehungen

          Bei Marx: Verwissenschaftlichung der Produktion

Fazit: Entscheidende Frage: Eigentum an Informationsgütern

          In gewissem Sinne: Eigentum an Produktionsmitteln in
          moderner Form

          Auch erkennbar am steigenden Stellenwert der WIPO (World
          Intellectual Property Organization)

Geistiges Eigentum in der Geschichte
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     Geistiges Eigentum == Eigentum an Informationsgütern

o    Historisch relativ jung

o    Entstanden mit der Verwertbarkeit von Informationsgütern

     o    Verwertbarkeit entstand durch Bindung an materielles Produkt

               Bücher

               Schallplatten und Vorläufer

     o    Kopieren war schon immer "das Problem"

               Geistiges Eigentum ist wesentlich eine Regulation des
               Kopierens

               Kopieren stellt Knappheit in Frage

o    Verlage sind an geistigem Eigentum interessiert

          Diese stellen das materielle Substrat her und verkaufen es

o    ProduzentInnen weniger

          Stellen Informationsgut zur allgemeinen Benutzung her

          Wissenschaft lebt vom Freien Fluss

Fazit: Geistiges Eigentum entspringt der Entfremdung

          Konkreter Nutzen geistiger Leistung ist auch ohne Eigentum
          gegeben

Geistiges Eigentum heute
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o    Computer verarbeiten Informationsgütern

          Sonst nichts!

          Kopieren geht hier bis in die Hardware hinein

o    Universelle Kopiermöglichkeiten in jedem Haushalt

          Digitale Kopie ist so universell wie der Elektromotor in der
          Industrie

o    Kopieren verbieten ist aussichtslos

          Nur ein Polizeistaat könnte dies durchsetzen

o    Altes Regime vs. neue Möglichkeiten

     o    Musikindustrie vs. HörerInnen

               Napster

               Filmindustrie wird folgen

               Überleben hängt an der Verknappung (sagen sie
               zumindest)

     o    Verlage vs. WissenschaftlerInnen

     o    Pharma-Industrie vs. PatientInnen

               Bewegung für Generika

     o    Proprietäre(!) Software-Produzenten vs. RaubkopiererInnen

               Hier lässt die Freie Software auf breiter Front das
               alte Regime hinter sich

     o    VermarkterInnen vs. ProduzentInnen

          In allen Fällen von konkreten Bedürfnissen entfremdeter
          Nutzen vs. konkrete Bedürfnisse

Fazit: Kann geistige Leistung eine Ware bleiben?

          Wareneigenschaft des wichtigsten Produktionsmittels
          unterminiert

          Durch digitale Kopierbarkeit

          Digitale Kopierbarkeit ist eine neue Qualität

          Stellt das gesamte Verknappungsregime nachhaltig in Frage

Freie Software und geistiges Eigentum
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o    Copyleft wendet Eigentumsregime gegen sich selbst

o    Freie Software zeigt:

     o    Ohne Verknappung blühen Informationsgüter auf

               Auch in anderen Bereichen: Wissenschaft, Musik,
               Kochrezepte

     o    Entfremdete Anreize sind überflüssig

               Motivation wird durch entfremdete Anreize sogar gestört

     o    Nutzen für viele ist sehr hoch

               Breite Benutzbarkeit

               Breite Bildungsmöglichkeiten im Software-Bereich

     o    Nutzen für einzelne ist sehr hoch

               Produktqualität ist höher ohne Verknappung

Fazit: Nieder mit dem geistigen Eigentum!

          Besonders pikantes Konfliktfeld zwischen verschiedenen
          Kapitalgruppen

Eigentum an materiellen Gütern
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Eigentum und Automatisierung
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o    Replikator - gibt's noch nicht :-(

          Würde die Produktion materieller Güter der von
          Informationsgütern ähnlich machen

o    Aber die Automatisierung schreitet schnell voran :-)

          CNC-Maschinen, Industrieroboter, Fabber

          Materialisieren materielle Güter aus digitalen Daten

o    Materielle Güter brauchen immer weniger Arbeit

          Gut, da weniger Notwendigkeit mehr Raum für Selbstentfaltung
          lässt

          Verfügbarkeit von (billiger) Arbeitskraft ist zentrale
          Begrenzung der industriellen Ära

          Zunehmende Automatisierung hebt diese Begrenzung tendenziell
          auf

o    Automatisierung für Privatpersonen?

          Regionale Fabber-Farm einer lokalen Community?

o    Freie Baupläne + Fabber = Selbstentfaltete materielle Produkte

Fazit: Emanzipatorische Vision braucht Automatisierung

Freie Software und materielles Eigentum
---------------------------------------

o    Materielles Substrat Freier Software

     o    Früher: Computer an Universitäten

     o    Heute: Private Computer

     o    Internet

o    Freie Software hat niedrige Hardware-Anforderungen

          Mein acht Jahre alter Rechner läuft als Internet-Gateway

Fazit: Materielles Eigentum ist nicht entscheidend

          Zeigt einerseits Verschiebung auf Informationsproduktion

          Ist andererseits Grundlage für Keinform

          Hinsichtlich Machbarkeit

          Hinsichtlich Produktivkraftentwicklung, die das begünstigt

Was tun?
========

Eigenes Handeln beFreien
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o    BeFreiung selbst hergestellter Informationsgüter

     o    Software (http//www.gnu.org/copyleft/gpl.html)

     o    Texte (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)

     o    Andere Inhalte http://opencontent.org/

o    Nutzung aufgegebener Produktionsmittel

          Problem: Deren Orientierung auf Verwertung

          Kreative Lösungen sind denkbar

Fazit: Einstieg ist individuell möglich

Politische Handlungsmöglichkeiten
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o    Eigentum an Informationsgütern abschaffen

o    Öffentliche geförderte Informationsgüter beFreien

o    Grundsicherung für alle, die es wollen

          Schafft Unabhängigkeit von Eigentum

          Schafft Freiraum für nutzungsorientierte Tätigkeiten

Fazit: Einstieg ist politisch möglich


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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