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[ox] Re: [ot:wak] Text Holloway



Hi Listen!

Last month (40 days ago) Stefan Meretz wrote:
hier der Text von Holloway für unseren Termin am 19.2. Online gibt's den
auch: http://www.buko.info/buko25/holloway.html

John Holloway:

Zwölf Thesen über Anti-Macht

Der Text war auch schon mal auf der Oekonux-Liste - deswegen das
Crossposting. Nach meinem Verriss damals versuche ich mich im Lichte
der H.-Debatte nochmal neu zu nähern. Ich lasse mal alles weg, was ich
dafür für uninteressant halte, was jedenfalls nicht mein Thema ist.
Dazu gehören insbesondere die Thesen, die mit der Arbeiterbewegung und
deren Staatsfixierung brechen. Für mich ist das ohnehin klar und die
187. Wiederholung ist für mich genau so überflüssig wie die 186.

4. Der Kampf um die Auflösung der Macht ist der Kampf für die Emanzipation
der kreativen Macht (potencia) von der instrumentellen Macht (potestas)

 Um die Welt zu verändern, ohne die Macht zu übernehmen, muss eine
Unterscheidung zwischen kreativer Macht (potencia) und instrumenteller
Macht (potestas) getroffen werden.
 Jeder Versuch die Gesellschaft zu verändern, beinhaltet Handeln, Machen.
Dieses Machen bedeutet, dass wir dazu in der Lage sind, etwas zu tun,
bedeutet kreative Macht. Häufig benutzen wir das Wort "Macht" in diesem
Sinne, als etwas Positives, wenn uns eine Handlung gemeinsam mit anderen
(eine Demonstration oder sogar ein gutes Seminar) das Gefühl von Macht
gibt. Macht in diesem Sinne hat seine Grundlage im Tun: kreative Macht
(Spanisch: poder-hacer; wörtlich: "tun-können").
 Kreative Macht ist immer gesellschaftlich, immer Teil des
gesellschaftlichen Flusses von Handlungen. Unsere Fähigkeit zu tun, ist
Resultat des Tuns anderer und schafft die Bedingungen für zukünftiges
Tun. Es ist unmöglich sich ein Tun vorzustellen, das nicht in der einen
oder anderen Form in das Tun anderer integriert ist, in der
Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft.

In gewisser Weise ist die These ja ein Widerspruch in sich: Ich kann
Macht nicht auflösen, wenn ich eine Variante davon stärken will. Dies
spricht aber auch schon den Kern des Problems an: Eine solche
Veränderung kann logisch nur gelingen, wenn klar abgrenzbar ist, was
die jeweilige Machtsorte denn nun ist. Ich behaupte, dass das nicht
konsistent möglich ist. Zumindest nicht, wenn mensch nicht eine
einheitliche, allen verbindliche Sicht der Welt postuliert. Das ist
m.E. schon die zentrale Crux dieses Ansatzes.

Spannend auch, wie er sich auf die üblichen Verdächtigen unter den
Beispielen bezieht. Das blendet aus, dass insbesondere eine
Demonstration nur aus seiner Sicht eine kreative Anwendung von Macht
ist. Was in aller Welt garantiert eigentlich, dass das alle Menschen
so sehen müssen? Es ist seine eigene Lebenspraxis (und die seiner
Zuhörerschaft - was es besonders anrüchig macht), die Holloway hier
zur richtigen erklärt. Schauder...

Oder nochmal anders gesagt: Wat dem eenen sin Uul is dem annern sin
Nachtigall. Zumindest auf einer grundsätzlichen Ebene lässt sich m.E.
nicht klar sagen: Dies ist kreative Macht und dies instrumentelle. Das
liegt immer im Auge des Betrachters und damit kann ein solches Projekt
der Emanzipation der kreativen Macht bestenfalls eine Richtung
angeben. Es liefert jedoch keine Grundlage zur prinzipiellen
Vermeidung von instrumenteller Macht.

Auch spannend - und das wird vielleicht langsam zum Lackmustest: Was
ist mit großer Infrastruktur? Verweist letztlich auch auf das zentrale
Problem: Kann es Macht geben, die nicht über andere Menschen ausgeübt
werden kann? Die genannte Demonstration ist z.B. gerade ein prima
Beispiel dafür, wie die kreative Macht sich in eine Macht über
Menschen - z.B. die aufgehaltenen AutofahrerInnen - transformiert.
Vielleicht können die klassischen Widerstandsformen ja sogar relativ
zwanglos als diese instrumentelle Macht verstanden werden - nämlich
gegenüber denen, gegen die sie sich richten. Die finden das nämlich
genauso wenig kreativ, wie die DemonstrantInnen das Bekämpfte kreativ
finden.

Festzuhalten bleibt also, dass zumindest seine Beispiele schlecht
sind. Ich denke aber, dass es hier ein grundsätzliches Problem gibt.
Letztlich genau die Problemklasse, bei der es (mir) in den H.-Threads
geht.

5. Kreative Macht wird transformiert, transformiert sich in instrumentelle
Macht, wenn sie mit dem Tun bricht

Zu dieser These gibt's viel zu sagen.

Die Transformation kreativer Macht in instrumentelle Macht unterbricht
diesen gesellschaftlichen Handlungsfluss.

Ok. Aber wer definiert, was jetzt "der gesellschaftliche
Handlungsfluss" ist? Wenn ich einen auch nur einigermaßen konsistenten
Begriff von instrumenteller Macht bilden will, dann müsste darüber
Einigkeit herrschen. Ansonsten ist es ein beliebiger Begriff, der von
jeder für je ihre Zwecke eingesetzt werden kann. Auch von den
KapitalistInnen für je ihre.

Jene, welche die instrumentelle
Macht ausüben, trennen das Geschaffene (hecho) vom gegenwärtigen Schaffen
und erklären das Geschaffene zu ihrem.

Hier ist wohl der klassische Aneignungsprozess gemeint. Aneignung von
Mehrwert. Verwandlung von lebendem (Arbeit) in totes Kapital (Geld).
All das. Na wenn das ein entscheidendes Kriterium von Macht ist, was
ist dann z.B. mit medialer Macht oder allgemein mit der ideologischen
Macht über die Köpfe? Oder was ist ein Krieg? Zumindest für die
Partei, die verliert - auch wenn sie ihn angezettelt hat? Die eignet
sich ja nichts an. Fällt deren Kriegsführung dann unter kreative
Macht? Zweifel...

Die Aneignung des Geschaffenen ist
gleichzeitig die Aneignung der Mittel des Schaffens und erlaubt den
Mächtigen, dass sie das Handeln der tätigen Menschen kontrollieren.

Nochmal das Thema Abpressung von Mehrwert. Ich finde das zu kurz.

Die
tätigen Menschen sind so von dem, was sie selbst geschaffen haben,
getrennt, sowie von den Mitteln des Schaffens und vom Schaffen selbst.
Damit sind sie von sich selbst getrennt.

Das, was ich als Entfremdung bezeichnen würde. Die Entfremdung ist
selbstverständlich ein Problem. Aber ich sehe nicht, wie das speziell
mit Macht zu tun hat. M.E. ist das orthogonal zur Entfremdung.

Diese Trennung ist die Basis
jeder Gesellschaft, in der einige Macht über andere ausüben.

Hier wirft er m.E. einfach die beiden Aspekte Entfremdung und Macht
durcheinander. Die Ausübung von Macht ist erstmal unabhängig davon, ob
sie in einem Entfremdungszusammenhang geschieht oder nicht. Genauso
ist Entfremdung erstmal unabhängig davon, ob da Macht im Spiel ist
oder nicht.

Ich würde also dem gegenüber stellen: Für eine emanzipatorische Vision
ist die Minimierung von Entfremdung der entscheidende Faktor - in
jeder Hinsicht. Selbstentfaltung setzt Abwesenheit von Entfremdung
voraus. Machtanwendung ist dann *ein* Aspekt einer solchen umfassenden
Ent-Entfremdung.

Im
Kapitalismus erreicht diese Trennung ihren Höhepunkt.
Der gesellschaftliche Fluss der Handlungen wird zerstört. Kreative Macht
transformiert sich in instrumentelle Macht. Jene, die das Tun anderer
kontrollieren, erscheinen nun selbst als die Macher der Gesellschaft. Und
jene, deren Tun kontrolliert wird durch die anderen, werden unsichtbar,
ohne Stimme, ohne Gesicht. Kreative Macht erscheint uns nicht mehr als
Teil des gesellschaftlichen Flusses, sondern existiert nur noch in der
Form persönlicher Macht. Für die Mehrheit der Menschen wird kreative
Macht in ihr Gegenteil verkehrt, in Ohnmächtigkeit. Oder aber sie wird
durch andere bestimmt. Die Mächtigen schaffen es, kreative Macht in
instrumentelle Macht zu transformieren, in die Macht anderen zu sagen,
was sie zu tun haben

Nun ist ja nicht das Sagen an sich das Problem, sondern die Fähigkeit
es auch durchzusetzen. Die Macht zur Brechung von individuellem
Widerstand. Wer befiehlt ohne die Durchsetzung erzwingen zu können
macht sich letztlich lächerlich.

Eine Frage wäre also jetzt, wie ein System aussehen kann, dass
individuellen Widerstand strukturell vermeidet / überflüssig macht.
Dazu zeigt uns Freie Software ja schon so einiges und auch in den
H.-Threads hat ja z.B. auch ThomasB schon ein paar Hinweise gegeben.

und damit geraten sie in Abhängigkeit vom Tun
anderer.

In diese Abhängigkeit gerät jeder kollektive Prozess. Das ist also
kein besonderes Spezifikum von instrumenteller Macht. Aber Holloway
will - wie Empire auch? - diese Abhängigkeit für eine Änderung nutzen:
"Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!" hieß wohl
der entsprechende Arbeiterbewegungsspruch.

 In der gegenwärtigen Gesellschaft existiert kreative Macht jedoch nur in
Form ihrer eigenen Negation als instrumentelle Macht. Das bedeutet nicht,
dass die kreative Macht aufhört zu existieren. Aber sie existiert in
ihrer negierten Form, in einer antagonistischen Spannung zu ihrer eigenen
Existenzform als instrumentelle Macht.

So verkürzt ist das halt die Sicht eines Widerstandsfanatikers. Freie
Software hat zwar diesen Aspekt, aber wesentlicher scheint mir hier
der kreative Machtanteil, der nicht im Widerstand stecken bleibt.

Vielleicht gibt das ja sogar einen Indikator für eine Keimform ab:
Eine Form, die ihre kreative Macht vor allem einfach lebt und sich
zumindest nicht ausschließlich auf Widerstand richtet. Wenn Jörg
Bergstedt das z.B. sich endlos wünscht, dann scheint das dort auf.
Allerdings kann das m.E. nicht funktionieren, wenn Widerstand die
Hauptausrichtung ist. So gesehen muss Jörg scheitern.

6. Die Unterbrechung des Handlungsflusses ist ein Bruch mit jedem Teil der
Gesellschaft, mit jedem Aspekt von uns

 Die Abspaltung des Geschaffenen vom Schaffensprozess und von den
Schaffenden selbst führt dazu, dass die Menschen sich zueinander nicht
als Schaffende ins Verhältnis setzen, sondern als BesitzerInnen (oder
Nicht-BesitzerInnen) des Gemachten-Geschafften (als eine Sache, die
losgelöst vom Entstehungsprozess gesehen wird). Die Beziehungen zwischen
Menschen bestehen wie Beziehungen zwischen Dingen. Die Menschen
existieren nicht als Schaffende, sondern als passive TrägerInnen der
Sachen.
 Diese Spaltung der Schaffenden vom Schaffen - und damit von sich selbst -
wird in der Literatur mit eng verwandten Begriffen diskutiert:
Entfremdung (der junge Marx), Fetischismus (der alte Marx),
Verdinglichung (Lukacs), Disziplin (Foucault) oder Identifikation
(Adorno).

Hier erwähnt er selbst Entfremdung.

Alle diese Begriffe zeigen deutlich, dass die instrumentelle
Macht nicht als etwas uns außen Stehendes verstanden werden kann, sondern
jeden Teil unseres Lebens durchdringt.

Das ist letztlich die Frage, wie total die Entfremdung (bereits oder
noch) ist.

Alle diese Begriffe beziehen sich
auf eine Verhärtung des Lebens, eine Eindämmung des gesellschaftlichen
Handlungsflusses, eine Schließung von Möglichkeiten.

Hier scheint das auf, was wir im H.-Thread ähnlich thematisiert haben.
Dort wurde es dann auch als Organisation oder interindividuelle
Regulation bezeichnet. Auch dies sind "Eindämmungen des
gesellschaftlichen Handlungsflusses", "Schließung von Möglichkeiten".
Das ist ja gerade das Ziel von Organisation, in die unendliche
Vielfalt von Möglichkeiten eine Struktur zu bringen, die diese
Vielfalt handhabbar macht.

Diese Schließung von Möglichkeiten ist sowohl auf individueller Ebene
als auch auf gesellschaftlicher Ebene der Beginn allen sinnvollen
Handelns. Ohne diese Schließung von Möglichkeiten gäbe es gar keine
Grundlage, auf der Handlung aufbauen könnte. Bei der großen
Infrastruktur sind das z.B. Standards. Erst die Schließung der
Möglichkeiten von Spurweiten bei der Eisenbahn macht ein Eisenbahnnetz
überhaupt erst denkbar. Erst TCP/IP hat das Internet ermöglicht. Eine
Schließung von Möglichkeiten gegen andere Standards, die durchaus
existiert haben.

Das Tun wird auf ein Sein reduziert.

Ich bin nicht sicher, ob ich das verstehe. Heißt das denn nicht, dass
die unendliche Dynamik (Tun) in eine Struktur (Sein) gebracht wird?
Wenn wir uns einigen können, dass Organisation / interindividuelle
Regulation / H. emanzipatorischen Gehalt haben können, dann läuft's
spätestens hier völlig krumm:

Dies ist der Kern der instrumentellen
Macht.

Wenn die Strukturierung von Leben der Kern instrumenteller Macht ist,
wenn instrumentelle Macht ferner abgeschafft werden soll, was heißt
das dann anderes als eine völlige Unstrukturiertheit zu fordern? Das
kann m.E. keine emanzipatorische Vision auf der Höhe der Zeit sein.
Allein der hohe Vergesellschaftungsgrad erfordert eine Organisation /
interindividuelle Regulation / H. um innerhalb dessen kreative Macht
überhaupt erst zu ermöglichen. Wenn das aber so ist, dann ist die
Frage nach der H.-*Form* die entscheidende.

Vielleicht meint Holloway das ja sogar? Aber dann müssten erstmal ein
paar unhinterfragte Annahmen aus der Begriffsbildung entfernt werden,
die sich daraus speisen, dass Holloway letztlich nur den Kapitalismus
betrachtet und sonst nichts. Das ist halt einfach zu kurz wenn wir
über was Neues nachdenken wollen.


Ich lasse es mal dabei. Mir fällt aber auf, dass ich in den H.-Threads
doch schon einiges gelernt habe :-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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