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Stefan Meretz, Uli Weiss * Freie Software im Empire (was: [ox] Conference documentation)



Freie Software im Empire
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Stefan Meretz [stefan meretz.de], Uli Weiß
[uli weiss-und-freunde.de]

Im folgenden sind die Folien von Stefan Meretz und Uli Weiß
dokumentiert, die zu diesem Workshop vorbereitet wurden. Weitere
Beiträge zum Workship waren von Benni Bärmann und Willi Hajek
vorbereitet worden.

Stefan Meretz: Zum "Empire" von Michael Hardt und Toni Negri -- Eine Einführung anhand der wichtigsten Begriffe
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Empire
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o    neue Form der Souveränität

     o    = neue Logik und Struktur der Herrschaft

     o    früher: nationalstaatliche Souveränität

     o    heute: imperiale Souveränität

o    Leitfragen:

     o    Wie konstituiert sich das Empire?

     o    Welche Gegenkräfte gibt es im Empire?

o    Hardt/Negri:

     o    "Die Menge rief das Empire ins Leben"

Multitude (Menge)
-----------------

o    Begehren

     o    Seinsbestimmung des Menschen

     o    Grundlage der individuellen Produktivität

o    "Die Menge ist..."

     o    "eine Vielfalt, ein Feld von Singularitäten,"

     o    "ein offenes Beziehungsgeflecht, das nicht homogen oder mit
          sich selbst identisch ist,"

     o    "sondern ein indistinktes, einschließendes Verhältnis zu
          denen, die außerhalb stehen, besitzt."

o    Gegensatz

     o    Volk, Masse, Klasse

Biomacht - Biopolitik
---------------------

o    Begriff von Foucault

     o    Übergang Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft

o    Disziplinargesellschaft: "statische Fremdkontrolle"

     o    Etablierung disziplinärer "Vernunft" durch Institutionen

     o    wie Gefängnis, Fabrik, Heim, Klinik, Uni, Schule

o    Kontrollgesellschaft: "generative Selbstkontrolle"

     o    Herrschaftsmechanismen sind "demokratisiert" und
          internalisiert

     o    Kontrolle der Köpfe und Organisation der Körper

     o    produziert einen Zustand autonomer Entfremdung

o    "Biomacht"

     o    "ist eine Form, die das soziale Leben von innen heraus
          Regeln unterwirft, es verfolgt, interpretiert, absorbiert
          und schließlich neu artikuliert."

Formelle und reelle Subsumtion
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o    ...der Arbeit: Begriff von Marx

     o    formell: äußerliche Unterordnung der Arbeit unter das
          Kapital

     o    reell: Einschluss der Arbeit in den kapitalistischen Prozess

o    ...des sozialen Bios: Begriff von Hardt/Negri

     o    formell: Disziplinargesellschaft

     o    reell: Kontrollgesellschaft

o    Hardt/Negri nennen

     o    den Übergang von der formellen zur reellen Subsumtion auch

     o    Übergang vom vermittelten zum unmittelbaren Verhältnis
          zwischen Macht und Subjektivitäten

o    Hardt/Negri sehen

     o    neben der repressiven auch eine produktive Dimension von
          Biomacht (biopolitische Produktion)

Immanenz - Transzendenz
-----------------------

o    duales Begriffspaar

     o    immanent = diesseitig, innewohnend, unmittelbar

     o    transzendent = jenseitig, überschreitend, vermittelnd

o    Entdeckung im Spätmittelalter

     o    Sein nicht bestimmt von fremder transzendenter Macht

     o    sondern von eigener immanenter Handlungsmacht

o    Hardt/Negri:

     o    "Die europäische Moderne nahm ihren Anfang, als die
          Menschheit ihre Macht in der Welt entdeckte und diese neue
          Würde des Menschen zu einem neuen Bewusstsein von Vernunft
          und Möglichkeit führte."

Zwei Spielarten der Moderne
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o    Macht der Revolution

     o    Immanenz Paradigma für Welt und Leben

     o    das Begehren der Menschen steht im Mittelpunkt

o    Kraft der Ordnung

     o    Kontrolle der Revolution durch Etablierung von Ordnung

     o    transzendente konstituierte Macht gegen immanente
          konstituierende Macht

o    Krise der Moderne

     o    "Konflikt zwischen den immanenten, konstruktiven und
          schöpferischen Kräften..."

     o    "und der transzendenten Macht, welche die Ordnung
          wiederherstellen will"

Souveränitätsmaschine
---------------------

o    Repräsentation

     o    Übertragung der autonomen Macht auf eine souveräne Macht

     o    Entfremdung der repräsentierenden Macht von der Menge

     o    => Konstitution der Transzendenz des Souveräns (Staat)

o    Synthese von Souveränität (Staat) und Kapital

     o    produziert die Gesellschaft

     o    konstituiert die "geordnete Totalität" der Menge

     o    ist die "Geburtsstunde der Biomacht"

Informationelle Ökonomie
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o    Drei Paradigmen der Ökonomie

     o    Landwirtschaft: Gewinnung von Rohstoffen

     o    Industrie: Herstellung haltbarer Güter

     o    Postindustrie: Dienstleistungen und Informationen

o    Immaterielle Arbeit

     o    Arbeit, die Dienstleistungen, Kultur, Wissen oder
          Kommunikation produziert

     o    Kooperation ist der Arbeitstätigkeit immanent

o    Drei Typen

     o    Informatisierung der industriellen Produktion: materielle
          Realisierung ist Anhang der immateriellen Steuerung

     o    Analytische Tätigkeiten und Manipulation von Symbolen

     o    Produktion und Handhabung von Affekten

o    "Selbstverwertung" (Oekonux: Selbstentfaltung)

     o    "Heute haben Produktivität, Reichtum und das Schaffen eines
          gesellschaftlichen Surplus die Form der kooperativen
          Interaktion angenommen, die sich sprachlicher,
          kommunikativer und affektiver Netzwerke bedient. Indem sie
          ihre eigenen schöpferischen Energien ausdrückt, stellt die
          immaterielle Arbeit das Potenzial für eine Art des spontanen
          und elementaren Kommunismus bereit."

o    Privateigentum

     o    begriffliche Krise: es gibt immer weniger exklusiv zu
          besitzen

     o    rechtliche Universalisierung: Eigentum wird zu einem "immer
          stärker abstrakten und transzendentalen Begriff"

     o    "Rousseau merkte an, dass die erste Person, die ein Stück
          Natur als ihr eigenes und ausschließliches Besitztum
          beanspruchte und ihm die transzendente Form des
          Privateigentums gab, das Böse erfand. Gut hingegen ist das,
          was gemeinsam ist."

Die Pyramide
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o    Spitze der Pyramide: "Monarchie" (=>Bombe)

     o    die eine Supermacht: USA

     o    weitere führende Industriestaaten: G7 usw.

     o    Vereinigungen militärischer/monetäre Führung: IWF, NATO...

o    Zweite Stufe: "Aristokratie" (=>Geld)

     o    Netzwerke aus Kapitalströmen, Technologieströmen,
          Migrationsströmen

     o    souveräne Nationalstaaten: lokale, territorialisierte
          Organisationen

o    Fuß der Pyramide: "Demokratie" (=>Äther)

     o    Nationalstaaten, die die Menge in ein Volk verwandeln

     o    Agenturen der globalen Zivilgesellschaft: Medien,
          Religionsgemeinschaften

     o    Populäre Organisationen der Zivilgesellschaft: NGOs

Generation und Korruption
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o    Generation = Erzeugung

     o    "Von Begehren getragene Produktion ist Generation oder
          vielmehr der Exzess von Arbeit und die Akkumulation einer
          Macht, welche als deren Ursache und deren Erfüllung in die
          kollektive Bewegung singulärer Wesen einbezogen wird. (394)"

o    Korruption = Negation der Generation

     o    Eckpfeiler und Schlüsselelement von Herrschaft

     o    "die machtvolle Leere der Indifferenz"

o    Beispiele von Korruption

     o    individuelle Wahl (??)

     o    Ausbeutung und Privatisierung von Öffentlichem

     o    Pervertierung der sprachlichen Kommunikation

     o    Terrordrohungen als Regierungspraxis

Die drei Rechte
---------------

o    Das Recht auf eine Weltbürgerschaft

     o    Selbstkontrolle der Bewegungen der Menge

o    Das Recht auf einen sozialen Lohn

     o    Biopolitische Produktion der Menge ist allgemein

     o    =>garantiertes Einkommen für alle (Bürgereinkommen)

o    Das Recht auf Wiederaneignung

     o    Freier Zugang zu und Kontrolle über Wissen, Information,
          Kommunikation und Affekte: Wiederaneignung der
          Produktionsmittel

Uli Weiß: Neue Gesellschaft denken
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Gedanken aus Empire
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o    Empire konfrontiert Individuen "nicht mehr mit lokalen
     Vermittlungen eines Universellen ..., sondern mit einem konkreten
     Universellen" 35   

o    alle sozialen Kämpfe, "in lokalen Verhältnissen fest verankert
     [springen] ... sofort auf die globale Ebene und greifen die
     Konstitution des Empire ganz allgemein an" 69

o    Unterscheidungen zwischen ökonomischem und politischem Kampf
     aufgehoben

o    "Einsatz ist die Lebensform" 69, die direkte Konstitution neuer
     Formen von Gemeinschaften 

UW: Absorption des (wertrelevanten) Lebens durch individuelle
(Selbst-)Kontrolle drängt jede unmittelbare Lebensregung zur
Begründung einer solchen Praxis, die eine Keimform der Aufhebung von
Wertvergesellschaftung ist = Revolution

neue Gesellschaft durch Klassenkämpfe?
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o    Klassenkämpfe: Individuen nehmen als Klassenindividuen an
     Konstitution/Entwicklung von Gesellschaften teil

o    kapitalistischer Werkalltag bestimmt Interessen, Möglichkeiten
     und Kampfformen ihrer Durchsetzung ebenso deren Begrenztheit auf
     innerkapitalistische Entwicklungen

o    geschichtsmächtige Kampfstrukturen der Arbeiterbewegung =
     Spiegelbilder kapitalistischer Produktionsweise, kein darüber
     hinausgehendes Moment

o    Klassenkämpfen können zu partieller Emanzipation führen, nicht in
     klassenlose Gesellschaften

o    Real-"Sozialismus": Gesellschaften als durchorganisierte Konzerne
     entworfen (Lenin, Dt. Post, dt. Kriegswirtschaft) = Herrschaft
     der (Politischen) Ökonomie über die Gesellschaft nicht umgekehrt

die Praxis freier Software
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o    nichtwarenförmige Herstellung nützlicher Produkte zur freien
     Verfügung

o    weiter Begriff: eine Lebensform (Benni Bärmann)

o    UW: als Lebensform eine Keimform einer neuen Gesellschaft - für
     den alten ML unbegreifbar (Marx vs. Marx)

o    Revolutionstheorie ist "unwiderruflich überholt; [stattdessen]
     ... Strategie einer konstituierenden Gegenmacht, die aus dem
     Innern des Empire kommt" 72

Charakteristika einer Ökonomie des Schenkens und Nehmens
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o    das für die das entscheidende menschliche Bedürfnis des
     Produzenten ist auf die Tätigkeit selbst gerichtet, nicht auf
     einen Lohn bzw. fremden Zweck

o    das Produkt steht anderen Menschen frei zur Verfügung, dessen
     Aneignung durch den Nutzer zwingt diesen nicht zur Lohnarbeit

o    Produzenten und Konsumenten sind durch keine äußeren Zwecke
     getrennt

o    Produzenten und Konsumenten treten sich als Menschen gegenüber

o    nur eine solche Ökonomie kann die materielle Grundlage
     allgemeinmenschlicher Emanzipation sein

Ökonomie des Schenkens und Nehmens als untergeordnete menschliche Basis der Gesellschaft
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o    durch alle Formationen hindurch: relativ autonome
     Familienstrukturen sichern Reproduktion menschlichen Lebens

o    eingebunden in die jeweiligen Gesellschaften sind diese immer
     deren Charakter unterworfen

o    zugleich: Akteure treten sich als Menschen und nicht als
     ökonomische Charaktermasken (Unternehmer - Lohnarbeiter)
     gegenüber = ihre Binnenstruktur ist durch eine Ökonomie des
     Schenkens und Nehmens bestimmt

o    diese Strukturen und Ökonomien waren immer gesellschaftliche
     Existenzvoraussetzungen, konnten aber in ihrer menschlichen
     Substanz nie gesellschaftsbestimmend werden (Wiedertäufer,
     Hutterer usw. scheiterten oder existieren in antimoderner bzw.
     antibürgerlicher Abgeschlossenheit und Askese weiter;
     Klassenspaltungen und -kämpfe blieben Triebkräfte
     zivilisatorischer Entwicklung)

o    die Bedürfnisse der unmittelbaren menschlichen Reproduktion und
     die gesamtgesellschaftlichen Voraussetzungen und Formen ihrer
     Befriedigung lagen bisher in einem unaufhebbaren Konflikt, der
     nur auf barbarische Weise vermittelbar war

Ökonomie des Schenkens und Nehmens als potentiell geschichtsmächtige Kraft
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o    Produktion und Lebensform freier Software erfüllt o.g. Kriterien
     einer Ökonomie des Schenkens und Nehmens

o    eine solche Ökonomie kann nur geschichtsmächtig werden, wenn sie
     (ohne Preisgabe zivilisatorischer Errungenschaften) die
     materiellen Voraussetzungen menschlichen Lebens zu sichern vermag

o    einige Voraussetzungen für eine Verallgemeinerbarkeit dieser
     Lebens- und Tätigkeitsform:

1.   tayloristisch-fordistische Strukturen ist aufgelöst oder
     auflösbar

2.   dramatische Änderungen im Charakter der Arbeit (allgemeine,
     schöpferische, virtuelle Arbeit wird bestimmend)

3.   gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit reduziert sich drastisch
     = gesellschaftlicher Reichtum ist nicht mehr Funktion der
     verausgabten Arbeitszeit, sondern der Entfaltung von
     Individualität der unmittelbaren Produzenten und deren Fähigkeit
     zu selbständiger sozialer Kooperation

4.   Wertproduktion verliert ihre zivilisatorische Potenz; ein
     Menschheitstraum wird realisierbar: reiche Bedürfnisbefriedigung
     bedarf nicht mehr der knechtenden Formen einer das ganze Leben
     ausfüllenden (Lohn-)Arbeit

5.   die alte bürgerlich-proletarische Arbeitsmoral zerfällt

noch marginal aber doch verbreitet drängen Menschen nach neuen
Lebensformen

o    Problem: diese Voraussetzungen einer neuen Gesellschaftlichkeit
     werden immer wieder der Verwertung unterworfen

o    Resultat: statt Befreiung findet eine weitere Absorption des
     (wertrelevanten) Lebens durch individuelle (Selbst-)Kontrolle
     statt

o    Individuen durchbrechen massenhaft ihre der (Selbst-)Unterwerfung
     unter die Wertvergesellschaftung erst dann zugunsten
     selbstbestimmten Lebens, wenn sie in letzterem ihre materielle
     Existenz gesichert sehen

Der "Einsatz ist die Lebensform"
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o    Akteure der freien Software und Nutzer ihrer Produkte stehen im
     Konflikt zwischen möglicher allgemeinmenschlicher Emanzipation
     und tatsächlicher kapitalistischer Vergesellschaftung

o    den partiell von knechtender Lohnarbeit befreiten Nutzern
     erwachsen zusätzliche Möglichkeiten zu eigenen freien produktiven
     Selbstbestätigung, zur Teilhabe an einer Kultur des Nehmens und
     Schenkens

o    bürgerliche Rechtsprinzip des äquivalenten Austauschs wird
     tendenziell ausgehebelt, jedoch nicht als schlichte Verweigerung
     wertförmiger gesellschaftlicher Beziehungen (Warenbesitzer,
     -produzenten und -konsumenten), sondern als unmittelbares
     Schaffen von Lebens- und Arbeitsformen, durch die sich reich
     entwickelte Individuen materielle und geistige
     Existenzvoraussetzungen schaffen können

o    der Verwertungslogik des Empire - Absorption des gesamten Lebens
     durch individuelle (Selbst-)Kontrolle - steht mit der freien
     Software-Produktion und -Lebensform eine positive Aufhebung der
     G-W/W-G' Logik entgegen: eine Logik des Lebens

o    Konfliktlinien verlaufen hier nicht entlang von
     Klassen(-Interessen), sondern sind in die Individuen hinein
     verlagert, die (vorerst) unvermeidbar an beiden Lebensformen
     teilhaben

o    neue Qualität des alten Konflikts (unmittelbar menschliche
     Bedürfnisse vs. gesellschaftliche Bedingungen ihrer
     Befriedigung): den Zumutungen kapitalistischer Vergesellschaftung
     wird kein nostalgischer Protest entgegengesetzt, sondern positive
     Alternativen zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft auf der
     Höhe ihrer zivilisatorischen Errungenschaften

Systemsprengende Parallelität von prä- und postkapitalistischen Lebenspraxen
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o    Freie Software-Produktion hebt die Unterordnung von Nutzern unter
     fremde Zwecke partiell auf und setzt neue Lebensformen. Damit
     eröffnet sie auch bisher o.g. geschichtslosen Formen
     unmittelbarer menschlicher Reproduktion einen geschichtlichen
     Raum: Mit ihren menschlichen Potenzen können diese zur
     Konstitution allgemeinmenschlicher Emanzipation beitragen

o    ein altes Problem: Marx zur Mir (vorkapitalistische russische
     Dorfgemeinde)

1.   russische Bauern seien geborene Sozialisten, können aber selbst
     keine sozialistische Gesellschaft begründen; der fortschreitende
     Kapitalismus zersetzt diese, die Verteidigung der Mir erscheint
     reaktionär

2.   die eine aus dem Kapitalismus hervorgehende und siegreiche
     westeuropäische Arbeiterbewegung kann jedoch den schlummernden
     sozialistischen Potenzen der Mir Geschichtsmächtigkeit verleihen;
     Kraft der historische Parallelität kann die Mir zur Konstitution
     einer neuen Gesellschaft befähigt werden

o    Marx' Irrtum: westliche Arbeiterbewegung sei diese Praxis, durch
     die auch vormoderne Formen unmittelbarer menschlicher
     Reproduktion zu Keimformen und Triebkräften allgemeinmenschlicher
     Emanzipation werden

o    Marx' Aktualität: Potenzen der heutigen Parallelitäten von vor-
     und nachkapitalistischen Ökonomien des Schenkens und Nehmens

Empire hilft neue Gesellschaft zu denken, wenn...
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o    Lohnabhängige sind in Arbeit, Konsumtion und in
     Gewerkschaftskämpfen Hauptträger und Triebkraft des globale
     herrschenden automatischen Subjekts

o    die posttayloristisch-postfordistische Produktionsweise drängt
     Produzenten schöpferische und kooperative Fähigkeiten vollständig
     zu nutzen = damit entstehen geistige und materielle
     Voraussetzungen menschlicher Formen der Vergesellschaftung
     allerdings in barbarischen Formen: Ich-AGs entwerfen sich nicht
     als Menschen, sondern als Verwertungsmaschinen

o    insofern sie zugleich in Strukturen unmittelbarer menschlicher
     Bedürfnisbefriedigung (Familien, freie Software) engagiert sind,
     ermöglichen solche Voraussetzungen den Akteuren eine Ökonomie des
     Schenkens und Nehmens auf hohem Niveau

o    eingebunden in verschiedene Praxen, sind die Individuen die
     Träger des entscheidenden Widerspruchs: In der einen treiben sie
     das Empire in seiner zivilisationsvernichtenden Dynamik an und
     die agierenden Individuen in die Situation vereinzelter
     Einzelner. In der anderen Praxis konstituieren bzw. erneuern sie
     gemeinschaftliche Lebensformen, greifen damit unmittelbar und
     direkt "die Konstitution des Empire ganz allgemein an" 69.

o    Wertförmigkeit von Produktion und sozialen Beziehungen vs.
     unmittelbare menschliche Bedürfnisbefriedigung durch eine Kultur
     des Schenkens und Nehmens - der Unterschied ums Ganze.

o    Negri/Hardt problematisieren dies Kriterium nicht, das beide
     Praxisformen unterscheidet und entgegensetzt; wird der in Empire
     fehlende Wertbegriff mitgedacht und auf konkrete Praxisformen
     (freie Software u.a.) bezogen, dann sind Empire-Aussagen sehr
     hilfreich, die emanzipatorischen Potenzen freier Software und
     damit Keimformen einer neuen Gesellschaft zu erkennen. Dann
     bekommt auch die Aussage einen Sinn, dass "das Empire die
     grausamen Regime moderner Macht wegwischt und sich dabei das
     Potenzial der Befreiung verstärkt" 57 Ansonsten erscheint Empire
     als Beschreibung eines automatisch ablaufender Prozess in
     Richtung Befreiung, auf die mit verschränkten Armen zu warten
     ist.

Handlungsoptionen
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1.   Lebensperspektive nicht mehr an die Verteidigung alter
     Kapitalismus- und Staatsformen binden, sondern an Schritte zu
     deren Aufhebung

2.   an jedem Punkt Lebensinteressen gegenüber dem "Es muss sich
     rechnen" zur Geltung bringen

3.   zugleich alle dem Kapitalismus (noch) möglichen und einst
     erkämpften Möglichkeiten (alle Alimentierungsformen, auch
     Einkommen durch Lohnarbeit) nutzen, um so weit wie individuell
     oder kollektiv möglich, aus der kapitalistischen (Wert-)Form aus-
     und in die Bedürfnisbefriedigung in der Form freier Assoziationen
     einzusteigen

4.   neu entstehende Möglichkeiten, Produkte und Fähigkeiten, die noch
     in kapitalistischer Form entwickelt, direkt zur
     Bedürfnisbefriedigung einzusetzen

5.   innerhalb freier Assoziationen und in ihren Vernetzungen alle
     bürgerliche Verrechtlichung und sonstige Entfremdungsformen
     zugunsten von Lebensformen des Schenkens und Nehmens aushebeln

6.   die damit verbundene Zerrissenheit der Individuen voll annehmen;
     einen offenen Diskurs über Lebensformen, über menschliche
     Bedürfnisse, über Maßstäbe des materiellen und kulturellen
     Reichtums führen

Einwände
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o    Wertproduktion subsumiert solche auf die unmittelbare
     Bedürfnisbefriedigung gerichteten Lebensformen, gewinnt daraus
     neue Kraft, Freie-Software-Freaks leben letztlich von Verwertung
     (Stipendium, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Erbschaft, familiärer
     Unterhalt, partielle Lohnarbeit); sie sind begehrte
     Verwertungsobjekte, bemerkenswerte Leistungen in der freien
     Software-Produktion heben den Wert ihrer Arbeitskraft, was von
     den Akteuren z.T. auch ausgenutzt wird

o    historische Erfahrungen: gescheitert sind alle alternativen
     Projekte (kommunistische Ketzergemeinden usw.), alle Versuche,
     unmittelbar menschliche Lebensformen zu leben und diese
     gesellschaftsmächtig werden zu lassen

o    Verweise auf politische und militärische Macht, die dem
     unmittelbaren Ringen für allgemeinmenschliche Emanzipation
     entgegenstünde.

o    ernste Einwände, begründen historischen Pessimismus oder die
     traditionelle marxistischer Argumentation: Aufhebung der
     kapitalistischen Gesellschaft kann nur über die Eroberung der
     politischen Macht erfolgen

Antworten
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o    historisch und logisches Dilemma des Hoffens auf die historische
     Mission der Arbeiterklasse und die Diktatur des Proletariats;
     Sinn des einst geschichtsmächtigen Optimismus, der mit diesen
     Vorstellungen verbunden: (nachholende) Entwicklungsrevolutionen
     innerhalb der bürgerlichen Epoche. Das hat sich mit den
     zivilisatorischen Potenzen dieser Epoche erledigt. Festhalten
     daran: der wirkliche Pessimismus

o    zur Machtfrage Darstellung Inneres - Äußeres in Empire nutzen:
     Verständnis dafür fördern, was das Wesentliche an der
     Geschichtsmächtigkeit des Kapitalismus war: bei aller Barbarei
     war die kapitalistische Formierung ehemals nichtkapitalistischer
     Verhältnisse mit der Chance eines zivilisatorischen Fortschritts
     für einen Großteil der Menschen verbunden. Begreifen, dass genau
     diese Kraft zur Konstitution von Gesellschaft erschöpft ist.
     Verstehen, dass sich beides (Einbindung in Kapitalverhältnisse
     und Sprengung dieser) heute in der inneren Widersprüchlichkeit
     solcher frei assoziierter Individuen darstellt, die aus
     unmittelbaren menschlichen Bedürfnissen heraus gemeinschaftlich
     ihre Möglichkeiten für ein nichtwertförmiges Leben und Arbeiten
     aktiv nutzen und so für sich und andere Menschen materielle und
     kulturelle Elemente einer neuen Gesellschaft konstituieren.

o    Trotz der Tendenz zu scheitern oder zu ganz normalen
     kapitalistischen Unternehmen zu werden, entstehen auch in den
     Metropolen immer wieder alternative Versuche, häufig
     (Land-)Kommunen am Rande der ökonomischen Reproduktionsprozesse.
     Trotz häufig entgegengesetzter Rhetorik und Rückgriffen auf
     vormoderne Ideologien, gehen diese Versuche hier nicht aus der
     Verteidigung vorkapitalistischer Verhältnisse hervor. Sie bringen
     vielmehr menschliche Lebensbedürfnisse gegenüber
     spätkapitalistischen Widersprüchen zur Geltung. Auch solchen
     Suchbewegungen vermögen Lebensformen der freien Software und
     deren Produkte einen starken geistigen Impuls zu verleihen und
     zugleich partielle materielle Bedingungen ihrer Existenz sichern
     zu helfen.


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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