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Re: [ox] Gibs Gruppen?



Hi Franz, Casimir, alle!

Last week (8 days ago) Franz J Nahrada wrote:
Ach, die Soziologiedebatte geht munter weiter! alsdann:

Ich habe jedenfalls nie eine *Soziologie*debatte geführt. Das kann ich
redlicherweise schon deswegen nicht, weil ich über Soziologie so gut
wie nichts weiß. Mir waren ein paar Begriffe wichtig, die mir nützlich
schienen und mit deren Hilfe ich viele Phänomene besser verstehe - in
der Freien Software aber auch darüber hinaus.

Es ist m.e. müßig, auf die Existenz von Gruppen zu verweisen.

So so. Weil keine existieren oder weil sie überall existieren? So
müßig scheint es mir nicht.

Die Frage
ist nur, ob die
soziologische Abstraktion der Gruppe wirklich zu mehr taugt, als der
metaphysischen
Konstruktion des gesellschaftlichen Menschen zum Schein des Realen zu
verhelfen:

Wen interessiert eigentlich diese Frage? Mich jedenfalls nicht
sonderlich.

"Man wird von vornherein und aus den alltäglichen Erfahrungen heraus
zugeben, daß eine Gruppe von einem gewissen Umfang an zu ihrer Erhaltung
und Förderung Massregeln, Formen und Organe ausbilden muß, deren sie
vorher nicht bedarf; und daß andrerseits engere Kreise Qualitäten und
Wechselwirkungen aufweisen, die bei ihrer numerischen Erweiterung
unvermeidlich verloren gehen."
(Georg Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der
Vergesellschaftung,
teil 1, quantitative Bestimmungen p.32)

Na ja, eine ziemlich doofe Definition, bei der viele wichtige
Charakteristika fehlen - zumindest bei dem Ausriss, den du zitierst.
Aber dass Doofe - auch doofe SoziologInnen - was über Gruppe sagen,
sagt ja nichts darüber, dass das Konzept nur doof sein kann. Wenn wir
alles verwerfen würden, worüber irgendwer mal was Doofes gesagt hat,
dann könnten wir wohl nur noch die Klappe halten - und den Doofen das
Feld überlassen.

Man stelle sich einen Naturwissenschafter vor, der sagt, daß er einen
Begriff des
Zusammenhalts der Materie postuliert und dann sagt, um Zusammenzuhalten,
bedarf
die Materie bestimmter Qualitäten und Wechselwirkungen, die sie sowohl in
der Nähe als in der Ferne zusammenhalten.

Diese Analogie ist vor allem deswegen falsch, weil Materie keine
Intentionalität hat. Das ist aber gerade das, auf was oben verwiesen
wird: "zu ihrer Erhaltung und Förderung" soll etwas getan werden. So
etwas kann für Materie gar nicht gelten (nicht wissend, wie die Atome
darüber denken ;-) ).

So hätte er gerade nicht
bestimmt,
was die Materie zusammenhält, aber sich den Schein tiefer Weisheit gegeben,
auch noch den Schein von Unterscheidungen eingeführt etc.

Die obige Definition ist auch deswegen doof, weil sie eben eine
Alltagsweisheit mehr oder weniger naturalisiert. M.E. ist es aber
zumindest nicht notwendig, sich so doof anzustellen. Vielmehr muss es
darum gehen, das im Alltag Vorgefundene begrifflich zu fassen um es
verstehen zu können. Die obige Definition hilft dazu allerdings nur
sehr bedingt.

Aber ganz ehrlich: Wer hat eigentlich auf der Liste so etwas
vertreten? Vielleicht können wir endlich mal mit der Gespensterdebatte
aufhören und uns den richtigen Problemen zuwenden?

    -----

[1] -- während bspw. ein Atom meist gleichzeitig nur zu einem Molekül
   gehören kann, kann ein Mensch zu mehreren Gruppen gehören -- aber
   wie sieht es da eigentlich genau aus mit der Gleichzeitigkeit?
   Kann ich beispielsweise gleichzeitig zu den Gruppen der Autofahrer
   und Radfahrer gehören? Zu den Gruppen der Freien und Proprietären
   Softwareentwickler? Zu den Gruppen der Entwickler des einen und
   des anderen Projekts? ... aber diese Fragen gehen ja erstmal nicht
   an Dich, da Du ja sowie so nicht an Gruppen "glaubst" ;-)

Während ein Naturwissenschafter sehr wohl noch zwischen verschiedenen
Molekülen
unterscheiden kann, weswegen er nicht vom Begriff des Moleküls im
allgemeinen
ausgeht, sondern von Valenzen und Bindungen,

Das ist doch ein Unfug. Natürlich macht der Begriff des Moleküls auch
abstrakt Sinn. Wenn du dir konkrete Moleküle anguckst, dann musst du
natürlich wieder mehr darüber wissen, wie genau das Molekül zum
Molekül wird. Aber das beschädigt nicht den Begriff.

tilgt der soziologische
Gesichtspunkt
sämtliche Gründe und Zwecke menschlichen Handelns

Jedenfalls ist das in dem oben Zitierten wie dargelegt nicht der
Fall...

und führt zunächst in
eine
hypothetische Welt der Ununterschiedenheit, aus dem dann die realen
Umstände
als Erscheinungsform der Verbundenheit schlechthin ("die Gruppe")
auftauchen.

Das Wesen eines abstrakten Begriffes ist es, die Unterscheidbarkeit
hinsichtlich bestimmter Aspekte eben gerade zu nivellieren. Wie
Casimir argumentiert: Durch diese Unterscheidbarkeit hinsichtlich
gewisser Aspekte treten bestimme andere Aspekte erst ans Licht. Wenn
du das kritisierst, dann musst du aufhören zu abstrahieren.

Wer sich auf diese Fragestellungen einläßt, hat wirklich endlos zu tun,
denn
die wiedereinführung aller realen Umstände und Unterschiede führt zwar
nicht zu
ihrer näheren Bestimmung, aber zu einem endlosen Programm des Hin- und Her-
vergleichens, in dem dann über die Wirksamkeit der eigenen Abstraktion
gerätselt werden darf.

Da scheinst du dich ja gut auszukennen. Interessiert mich reichlich
wenig.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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