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[ox] Argentinien: Tauschhandel in der Krise



Liebe Leute,

in der Contraste vom Mai - ja, anderswo bin ich noch viel weiter
hinten dran ;-( - habe ich folgendes Artikelchen gefunden:

  Argentinien: Tauschhandel in der Krise

  <aufmacher>
  Nach über siebenjährigem Bestehen befindet sich das Netz für
  solidarischen Tausch, das es Tausenden von Arbeitslosen ermöglichte,
  durch Tauschhandel ihren Lebensunterhalt zu sichern, in einer tiefen
  Krise und funktioniert nur noch auf minimalem Niveau.
  </aufmacher>

  Buenos Aires, 11. März 2003, adital-na-poonal

  Das Globale Netz für Tauschhandel gründet sich auf den Tausch von
  Produkten und Dienstleistungen, deren Wert in Gutscheinen, den
  so genannten "creditos" gerechnet wird. Nach Schätzungen des
  Globalen Netzes gab es Mitte vergangenen Jahres 5800 Tauschkonten
  mit mehr als einer Million von "Prosumenten" - Produzenten, die
  gleichzeitig Konsumenten sind -, die sich in dieser informellen
  Wirtschaft versorgten.

  Derzeit arbeitet das Netz mit weniger als einem Drittel dieser
  Teilnehmerzahl. In den letzten Monaten des Jahres 2002 war das Netz
  Angriffen verschiedenster Art ausgesetzt: Diebstahl von Waren,
  Zerstörung seiner Archive, Druck von externen Gruppen, die die
  Benutzung der offiziellen Währung durchsetzen wollten, und eine
  Medienkampagne, die das System und die Personen, die es vertreten,
  verunglimpfte.

  ...[Details zur Verunglimpfung]...

  Der große Schlag allerdings wurde dem Netz durch die Fälschung von
  Gutscheinen in großem Maßstab versetzt. Nach Angaben von Desanzo
  waren zu einem gewissen Zeitpunkt 90% der umlaufenden Papiere
  falsch. Dieser Zufluss von Guthabenpapieren ohne realen Gegenwert
  ließ die Preise auf bis das Vierzigfache steigen. Zu der Fälschung
  hinzu kamen andere Probleme. Das Modell, das inmitten der Krise den
  Mittellosen viel nützte und das vom System so sehr verleumdet wurde,
  wird jetzt von großen Multis beansprucht und kopiert. Transnationale
  Unternehmen wie beispielsweise Monsanto, Petrobras, Bayer und Nissan
  organisieren Argramessen für etwa 11000 Produzenten und bieten ihnen
  im Tausch gegen ihr Getreide ein verführerisches Paket an, das
  Saatgut, Düngemittel und sogar Fahrzeuge und Kraftstoff enthält.

  "Ein tödlicher Schlag ist das nicht," sagte Desanzo. In einer Zeit
  der Veränderung erleben wir eine Wachstumskrise."

Warum zitiere ich das hier auf der Liste? Nun, ich finde, was hier
sehr schön am lebenden Beispiel sichtbar wird, ist der fundamentale
Zusammenhang abstrakter Tauschökonomien und Gewalt bzw. Staat. Die
Sicherung des Geldwerts muss nötigenfalls mit Gewalt durchgesetzt
werden bei Strafe des Untergangs des ganzen Systems. Dazu brauchen die
Liberalen den Staat. Dazu war das Tauschnetz nicht in der Lage und
deswegen bin ich da bei weitem nicht so optimistisch wie der
Schlusskommentar.

Nach meinem Dafürhalten hat das in Argentinien in dieser Dimension
überhaupt nur so lange funktioniert, weil es in mehrer Hinsicht eine
Ausnahmesituation gab. Einerseits hatte die offizielle
Tauschwirtschaft schlicht nichts mehr zu bieten, andererseits schien
es eine ungewöhnliche große Solidarität in der geamten Bevölkerung zu
geben. Neben der Not scheint mir also vor allem ein moralischer Grund
für das Funktionieren dieses doch recht großmaßstäblichen Tauschnetzes
wesentlich gewesen zu sein. Dieses moralische Kapital scheint jetzt
aufgebraucht. Was sich jetzt durchsetzt ist die Standardlogik des
abstrakten Tausches: Bereichere dich, so lange niemensch Stärkeres
dich daran hindert.

Was hat das mit Freier Software zu tun? Na ja, Freie Software bildet
hier halt einen schönen Kontrast. Da Freie Software eben nicht auf
abstraktem Tausch beruht, kann es kein abstraktes Geld geben, dass
irgendwie korrumpierbar wäre. Auch auf Grund der digitalen
Kopierbarkeit gibt es gar keinen Grund, jemensch am bereichern zu
hindern. Die finale Grenze bildet nur Plattenplatz und Hirnkapazität.

Da im Kern Freie Software eben auch kein moralisches Projekt ist,
sondern eines, dass sich an ganz klaren Bedürfnissen und
Selbstenfaltung orientiert, gibt es auch kein moralisches Kapital, das
irgendwann aufgebraucht sein könnte. Dennoch ist Freie Software ein
globales Massenphänomen.

Der jahrelange und noch steigende Erfolg Freier Software zeigt ja auch
ganz praktisch, dass zumindest diese Probleme bei Freier Software
offenbar keine Rolle spielen - sonst hätten sie die
Freie-Software-Bewegung längst eingeholt.

Wieder mal bin ich mehr der Meinung, dass das Modell, das wir in
Freier Software sehen können, sehr viel tragfähiger ist, als alles,
was auf Tauschbasis (noch) möglich ist.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Organisation: projekt oekonux.de



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