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[ox] Fwd: Oekonux-Thesen in einem PDS-Forum



Hi Liste,

vor ein paar Wochen habe ich in einem regionalen PDS-Forum - nein, ich
bin kein PDS-Mitglied, war nie eins und werde vermutlich nie eins sein
- habe ich kürzlich eine Diskussion vom Zaun gebrochen, bei der ich
reichlich Oekonux-Thesen vertreten habe. Hier und da fand ich, dass
sich ein paar Dinge noch weiter geklärt haben, weswegen es hier
vielleicht nicht ganz langweilig ist - auch wenn es mittlerweile recht
viel Text geworden ist. Meine beiden MitdiskutantInnen habe ich
natürlich gefragt und sie hatten nichts einzuwenden.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

------- Forwarded Messages

Date:  Sat, 12 Jul 2003 01:48:30 [PHONE NUMBER REMOVED]
From:  Stefan Merten <smerten oekonux.de>
Subject:  Progressive Politik? (was: Re: Artikel Falkner)
To:  diskussion pds-rlp.de
Cc:  Stefan Merten <smerten oekonux.de>
In-Reply-To:  Your message of "Thu, 10 Jul 2003 13:54:14 [PHONE NUMBER REMOVED]"
	<19aa06-0oBhR20 fwd01.sul.t-online.com>
Message-Id:  <200307112348.h6BNmUb22667 rosalu.merten-home.de>

Liebe Andrea, lieber Hartmut, entgeisterte MitleserInnen!

Nun haben sich meine Sympathien für die PDS seit Gera und den Folgen
ja ziemlich minimiert. Na, schau'n wir mal, wie's jetzt wird, ob noch
irgendein Leben ist in der Leiche...

Obwohl ich eigentlich überhaupt keine Zeit für eine Diskussion hier
habe, hierzu doch ein paar Worte.

2 days ago Andrea Link wrote:
Zu den sozialen Sicherungssystemen gebe ich Dir vollkommen recht. Selbst wenn da
ein bisschen die Einkommensgrenzen verändert würden, selbst wenn Beamte und
Freiberufler/Selbständige endlich auch einzahlen müssten, viel ändern würde das
auch nicht. Die PDS könnte zunächst mit ihrem Konzept "Wertschöpfungsabgabe" ein
bisschen verlorenes Terrain gutmachen - ich habe gehört, dass gerade
mittelständische Unternehmen die Idee vom Prinzip her für hilfreich halten
(warum hört man eigentlich gar nichts mehr davon? Ich hätte da gern mal ein paar
Rechenbeispiele etc.) Ich bin recht pessimistisch, was eine tatsächliche Reform
der sozialen Sicherungssysteme angeht. Alle Parteien sind entweder zu feige oder
zu inkompetent oder zu ideologisch fixiert, um die Sache anzugehen. Bis zum
Kollaps, wie Du so (un)schön schreibst.

Das Problem ist - wie so oft - nicht Feigheit oder Inkompetenz. Das
Problem ist, dass die Arbeitsgesellschaft an ihrem strukturellen Ende
angelangt ist - genauer: die Gesellschaftsformation, die auf Tausch
beruht (vulgo: Kapitalismus). Und mit ihr werden deren ganze schönen
Institutionen obsolet. Aktuell können wir gerade das Anbrechen der
letzten Phase der Agonie der Gewerkschaften beobachten...

Inzwischen müssten die Paradoxie ja die Spatzen von den Dächern
pfeifen: Da leben wir inmitten einer historisch nie gekannten
Produktivität - und es vergeht schon fast kein Tag mehr, an dem nicht
überlegt wird, ob wir nicht doch alle länger arbeiten müssen. Wie eine
irgendwie geartete Arbeitszeitverlängerung bei stagnierenden Märkten
die Arbeitslosen von der Straße holen soll, müsste mir dann schon mal
jemensch detailliert erklären. Wenn überhaupt noch im alten System was
gehen soll, dann natürlich nur mit einer *radikalen*
Arbeitszeitverkürzung. Keine läppischen 35 Stunden - 20 Stunden oder
15 würden heute doch völlig ausreichen um den Lebensstandard der
Massen zu sichern. (Die KennerIn merkt: Ich bin argumentativ flugs auf
die Gebrauchswertseite gewechselt - übler demagogischer Trick um die
Massen auf seine Seite zu ziehen ;-) ). Ok, lassen wir die Scherze.

Kurzum: Das Ende der Arbeitsgesellschaft und mit ihr deren ganze
Organisationsformen - bis hin zum Krieg übrigens - entwickeln sich
zunehmend zur Lachnummer - wobei einem das Lachen beim Krieg
selbstredend im Hals stecken bleibt. Wo früher sinnvolles Handeln noch
möglich war, haben sich die Rahmenbedingungen in sagen wir 200 Jahren
Kapitalismus so verändert, dass diese ganzen Institutionen auf das
Niveau symbolischer Handlungen abgesunken sind. Dummerweise gehören
auch die Parteien zu dem Reigen, der nicht anders kann als obsolet zu
werden. Blöd für die PDS, aber vielleicht könnte die Selbstaufhebung
(ich sage nicht -auflösung!) ja auch ein schönes Ziel sein?

Es wäre nun völlig verfehlt, hier irgendwelche Schuldigen suchen zu
wollen. Historische Entwicklungen auf der Ebene der
Produktivkraftentwicklung - und darüber reden wir seit der
Computer-Revolution - haben schlicht keine Schuldigen. Ist mensch aber
immer noch an einem besseren Leben nach, vielleicht sogar schon in
dieser Gesellschaft interessiert, dann sollten wir doch mal Ausschau
nach den positiven Alternativen halten. Nun, wer mich ein bisschen
kennt, wird wissen, dass ich Freie Software und die in ihr
verkörperten Prinzipien für eine Keimform für eine neue
Gesellschaftsformation halte, die weder Geld noch Arbeit noch Tausch
braucht. Und natürlich auch nicht die ganzen Institutionen der
Arbeitsgesellschaft. Und wo es den Menschen dennoch besser geht als
heute, weil nicht mehr die Verwertung des Werts sondern die allseitige
Bedürfnisbefriedigung im Zentrum menschlicher Aktivität steht. Wo sich
der Nutzen nicht mehr durch das Nadelöhr des Werts quälen muss. Nun,
ich will das hier nicht vertiefen, weil es dafür angemessenere Foren
gibt.

Soviel aber noch: Die aktuellen Auseinandersetzungen um das so
genannte "geistige Eigentum" markieren die aktuelle Front, an der das
alte Regime mit der neuen, heraufziehenden Informationsgesellschaft
kämpft. Die Fragen um Software-Patente, Copyright, "Tausch"börsen,
Gen-Patente, Generika, Freie Software, TRIPS, etc. pp. - das sind
heute die wahrhaft reformerischen Fragen für Leute mit einer
revolutionären Ausrichtung. Nun, bei der Linken ist hier auf weiter
Flur Fehlanzeige. Wahrscheinlich gehört auch die Linke zu den Teilen
der Arbeitsgesellschaft, die mit ihr aussterben werden...

Bis dahin kann die PDS zwar sicher noch etwas Vernünftiges tun - Dämme
bauen eben. Allerdings wäre es eine überragende Leistung, eine Analyse
der Welt als Background zu haben, die nicht gezwungen ist, Monat für
Monat mehr Realität auszublenden, weil die einfach nicht mehr ins
Konzept passt. Aber offen gestanden: Das traue ich der PDS nicht zu.
Sei's drum...


						Mit Freien Grüßen

						Stefan




------- Message 2

Date:  Mon, 14 Jul 2003 12:48:05 +0200
From:  "Hartmut Ritzheimer" <kh.ritzheimer gmx.de>
Subject:  Re: Progressive Politik? (was: Re: Artikel Falkner)
To:  "Diskussion PDS RLP" <diskussion pds-rlp.de>
References:  <200307112348.h6BNmUb22667 rosalu.merten-home.de> <19bz8G-0gFCqH0 fwd01.sul.t-online.com>
Message-Id:  <001d01c349f5$96fbb7c0$7f98b8ac de>

Lieber Stefan,

in vielen Punkten (z.B. bezüglich der Arbeitslosigkeit) gebe  ich Dir Recht.

Das Problem ist, dass die Arbeitsgesellschaft an ihrem strukturellen Ende
angelangt ist - genauer: die Gesellschaftsformation, die auf Tausch
beruht (vulgo: Kapitalismus). Und mit ihr werden deren ganze schönen
Institutionen obsolet.

Hier ist eine wirklich spannende Frage angeschnitten, im Gegensatz zu Dir
denke ich, dass der Kapitalismus allerdings noch eine geraume Zeit weiter
existieren wird. Denn gerade Krisen und tiefe Umbrüche der Produktionsweise
sind konstituierende Momente seiner Überlebensfähigkeit. Insofern denke ich,
dass es zur finalen ökonomischen Krise mit dem Zusammenbruch des
Kapitalismus nicht kommen wird, sondern dass seine Überwindung auf
politischem und gesellschaftlichem Wege geschehen muss.

Aktuell können wir gerade das Anbrechen der
letzten Phase der Agonie der Gewerkschaften beobachten...

Hier denke ich, dass wir eher in einer Umbruchphase zu anderen
Gewerkschaften sind, die mehr den angelsächischen gleichen werden.

Kurzum was Krise und Zusammenbruch betrifft bin ich nicht so optimistisch
wie Du (ist 'optimistisch' in diesem Zusammenhang überhaupt eine brauchbare
Vokabel?).


haben sich die Rahmenbedingungen in sagen wir 200 Jahren
Kapitalismus so verändert, dass diese ganzen Institutionen auf das
Niveau symbolischer Handlungen abgesunken sind. Dummerweise gehören
auch die Parteien zu dem Reigen, der nicht anders kann als obsolet zu
werden. Blöd für die PDS, aber vielleicht könnte die Selbstaufhebung
(ich sage nicht -auflösung!) ja auch ein schönes Ziel sein?

Als Zielstellung klingt das natürlich schön, aber realistisch ist es nur auf
der Basis Deiner Grundannahme. Da ich da aber skeptischer bin, bleibt auch
die Frage wie mit den weiterbestehenden Institutionen etc. umgehen. So
werden unsere Parteien sicherlich noch lange bestehen.

Etwas anderes ist dabei die Frage nach der PDS, denn wenn sich hier nicht
sehr schnell etwas grundlegend ändert (wozu der Sonderparteitag nur eine
Möglichkeit geschaffen hat, die Änderung selbst war er noch nicht), wird sie
sich nicht mehr selbst aufheben können, sondern mangels politischer Relevanz
einfach unbemerkt von der Bildfläche verschwunden sein ohne dass es
trauernde Hinterbliebene geben wird.

Nun, wer mich ein bisschen
kennt, wird wissen, dass ich Freie Software und die in ihr
verkörperten Prinzipien für eine Keimform für eine neue
Gesellschaftsformation halte, die weder Geld noch Arbeit noch Tausch
braucht.

Kann man in der aktuellen Erfolgsgeschichte von Linux (Übernahme duch die
Stadt München) nicht auch ein Gegenargument sehen: der Kapitalismus verleibt
sich wieder ein 'gegnerisches' Stück ein? Und nutzt es zur Erhöhung der
eigenen Konkurrenzfähigkeit.

Wahrscheinlich gehört auch die Linke zu den Teilen
der Arbeitsgesellschaft, die mit ihr aussterben werden...

Dies ist der schönste Satz Deines Textes. Ja, sollte die Arbeitsgesellschaft
tatsächlich aussterben, so wird die altbekannte Linke das sicherlich
gleichzeitig tun. Und nachtrauern sollten wir ihr dann auch nicht.

Viele Grüße
Hartmut




------- Message 3

Date:  Mon, 14 Jul 2003 14:30:07 +0200
From:  Andrea.Link t-online.de (Andrea Link)
Subject:  Re: Progressive Politik?
To:  diskussion pds-rlp.de
References:  <200307112348.h6BNmUb22667 rosalu.merten-home.de>
	 <19bz8G-0gFCqH0 fwd01.sul.t-online.com> <001d01c349f5$96fbb7c0$7f98b8ac de>
Message-Id:  <19c2T1-0VKCQs0 fwd07.sul.t-online.com>

Hallo Stefan und Hartmut,

ihr habt da ja ein paar spannende Fragen aufgeworfen...

Wie kommt Ihr eigentlich darauf, dass die Arbeitsgesellschaft an ihrem Ende
angekommen sein könnte? Weil wir momentan eine Wirtschaftkrise moderaten
Ausmaßes haben? Weil es so viele Arbeitslose in Deutschland (und - mit
Abstrichen - in der EU) gibt?

Und warum sollte dies die seit 150 Jahren bislang vergeblich immer wieder erneut
prognostizierte Apokalypse des Kapitalismus sein?

Hartmut Ritzheimer schrieb:
im Gegensatz zu Dir
denke ich, dass der Kapitalismus allerdings noch eine geraume Zeit weiter
existieren wird. Denn gerade Krisen und tiefe Umbrüche der Produktionsweise
sind konstituierende Momente seiner Überlebensfähigkeit. Insofern denke ich,
dass es zur finalen ökonomischen Krise mit dem Zusammenbruch des
Kapitalismus nicht kommen wird, sondern dass seine Überwindung auf
politischem und gesellschaftlichem Wege geschehen muss.

Ganz platt formuliert, dass es zum Zusammenbruch von Märkten selbst auf
dramatischster Breite und Tiefenschärfe kommen kann und vielleicht wird, ist
keineswegs ausgeschlossen, was aber meines Erachtens mehr ein akzidenzielles und
weniger ein prinzipielles Phänomen sein wird. Auch sehe ich nicht so ganz den
Widerspruch zwischen einer (Weltwirtschafts-)Krise versus Überwindung auf
politischem und gesellschaftlichem Weg. Im Falle einer Weltwirtschaftskrise wird
es für Politik und Gesellschaft mächtig was zu tun geben. Und vermutlich werden
sie versagen, und vermutlich wird "das kapitalistische System" sich wie schon
zuvor durch Flexibilität und die Fähigkeit zur Innovation plus Ärmelaufkrempeln
plus Gürtel-enger-schnallen wieder aus dem Schlamassel herausarbeiten. Ich
zweifle ja bis zu einem hohen Grad an der Reformierbarkeit alter Gesellschaften
(Stichwort Verbändediktatur, Gesetzesdschungel u.a.m.). Ein Zusammenbruch
eröffnet den Weg zu etwas synthetisch Neuem, aber nicht zwangsläufig zu etwas
analytisch Neuem. Und es glaube niemand, dass dies eine Gesellschaft wäre, die
nicht auf Tausch beruht (vulgo: Kapitalismus). Politik und Gesellschaft müssen
also eigentlich ein vitales Interesse an der Reform haben.

Kurzum was Krise und Zusammenbruch betrifft bin ich nicht so optimistisch
wie Du (ist 'optimistisch' in diesem Zusammenhang überhaupt eine brauchbare
Vokabel?).

Da stimme ich Hartmut zu, "optimistisch" darf man nicht sein hinsichtlich des
Zusammenbruchs-Szenario. Homo homini lupus. Das bewies sich in allen
Zusammenbruchs-Zeiten. Die (scheinbar) gloriosesten Revolutionszeiten zeugen
davon.

 Dummerweise gehören
auch die Parteien zu dem Reigen, der nicht anders kann als obsolet zu
werden. Blöd für die PDS, aber vielleicht könnte die Selbstaufhebung
(ich sage nicht -auflösung!) ja auch ein schönes Ziel sein?

Als Zielstellung klingt das natürlich schön, aber realistisch ist es nur auf
der Basis Deiner Grundannahme. Da ich da aber skeptischer bin, bleibt auch
die Frage wie mit den weiterbestehenden Institutionen etc. umgehen. So
werden unsere Parteien sicherlich noch lange bestehen.

Parteien haben sich in der Geschichte der Demokratie ihr Existenzrecht erkämpft,
und obwohl demokratietheoretisch vieles gegen Parteien spricht, haben sie sich
demokratiepraktisch als Katalysatoren von Interessen und wichtige
Integrationsfaktoren sowie unverzichtbare Organisationseinheiten erwiesen.
Anmerkung für Leute, die sich dafür interessieren: In den späten 90er Jahren des
18. Jh. gab es zwei demokratische Republiken auf der Welt: In Frankreich und in
den Vereinigten Staaten. In Frankreich wurde aufgrund dieser
demokratietheoretischen Erwägungen 1798 endgültig die Entstehung von Parteien
verhindert. Daran zerbrach ein Jahr später die Demokratie, hingegen in den USA
im gleichen Zeitraum sich Parteien bildeten und diese Demokratie bekannter Maßen
bis heute existiert.

Was soll eigentlich an Stelle der Institutionen der repräsentativen Demokratie
treten, das so viel besser wäre?!?

Nun, wer mich ein bisschen
kennt, wird wissen, dass ich Freie Software und die in ihr
verkörperten Prinzipien für eine Keimform für eine neue
Gesellschaftsformation halte, die weder Geld noch Arbeit noch Tausch
braucht.

Kann man in der aktuellen Erfolgsgeschichte von Linux (Übernahme duch die
Stadt München) nicht auch ein Gegenargument sehen: der Kapitalismus verleibt
sich wieder ein 'gegnerisches' Stück ein? Und nutzt es zur Erhöhung der
eigenen Konkurrenzfähigkeit.

Ohne ausreichend initiiert zu sein in die Geheimnisse der freien Software, sei
mir die Frage gestattet, ob sich die Entwickler und Nutzer derselben hinreichend
aus dem "kapitalistischen" Rahmen externalisiert haben? Vielleicht erläuterst Du
bitte mal die Theorie. Nach meinem Kenntnisstand geht es dabei doch um
copyrightfreie Übernahme bzw. Weiterentwicklung analog zu den individuellen
Bedürfnissen. Dies ist ein intellektueller Vorgang. So ähnlich wie das
Kerzenlicht, das mehr wird, wenn man es teilt ;-)
Aber wie steht es mit handfesteren Erzeugnissen menschlicher Arbeit?

Viele Grüße
Andrea




------- Message 4

Date:  Wed, 16 Jul 2003 02:03:10 +0200
From:  Stefan Merten <smerten oekonux.de>
Subject:  Re: Progressive Politik?
To:  "Diskussion PDS RLP" <diskussion pds-rlp.de>
Cc:  Stefan Merten <smerten oekonux.de>
In-Reply-To:  Your message of "Mon, 14 Jul 2003 12:48:05 +0200"
	<001d01c349f5$96fbb7c0$7f98b8ac de>
Message-Id:  <200307160003.h6G03AQ16356 rosalu.merten-home.de>

Lieber Hartmut, Andrea, staunende MitleserInnen!

Danke für die Gelegenheit, ein paar Differenzierungen und
Erläuterungen geben zu können :-) . Ich antworte hier auf beide Mails.

2 days ago Hartmut Ritzheimer wrote:
Das Problem ist, dass die Arbeitsgesellschaft an ihrem strukturellen Ende
angelangt ist - genauer: die Gesellschaftsformation, die auf Tausch
beruht (vulgo: Kapitalismus). Und mit ihr werden deren ganze schönen
Institutionen obsolet.

Hier ist eine wirklich spannende Frage angeschnitten, im Gegensatz zu Dir
denke ich, dass der Kapitalismus allerdings noch eine geraume Zeit weiter
existieren wird.

Da habe ich mich vielleicht ein wenig missverständlich ausgedrückt.
Wenn ich sage: "an ihrem strukturellen Ende angelangt", so heißt das
noch lange nicht, dass sie damit von alleine verschwindet. Gelangt
eine dominante Form an ihr strukturelles Ende, so kann ihre Agonie
bzw. das Nichts nach ihr noch Jahrhunderte dauern - siehe z.B. das
Ende des römischen Imperiums. So gesehen würde ich sogar denken, dass
der sog. Realsozialismus zusammen gebrochen ist, erst lange nachdem er
an sein *strukturelles* Ende gekommen ist. Dies dürfte in den 70ern
der Fall gewesen sein. Wahrscheinlich kein Zufall, dass das die Zeit
war, in der die Computertechnik Fahrt aufgenommen hat.

Anders gesagt: Wenn das strukturelle Ende erreicht ist, dann taugt die
Formation nicht mehr als zivilisatorisches Versprechen. Bis in die
70er war der Kapitalismus bis tief in die III. Welt hinein ein
zivilisatorisches Versprechen, das die heutigen
Gürtel-enger-schnallen-Parolen nun nicht mal mehr für die Metropolen
hergeben.

Aber - auch das ist wichtig -: Dass das alte System in die Krise
gerät, ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Keimform entfalten
kann, die im Alten bereits angelegt ist. Auch das lässt sich bei
zahllosen, auch politischen Entwicklungsprozessen sehen. Besonders
gerne nehme ich hier übrigens die bürgerlichen Revolutionen als
Beispiel, bei denen das geradezu exemplarisch so war.

Quintessenz: Wenn ich sage, dass der Kapitalismus an seinem
strukturellen Ende angelangt ist, dann sage ich weder, dass wir jetzt
getrost die Hände in den Schoss legen könnten, noch dass automatisch
alles besser wird. Was ich allerdings sage, ist, dass dieses
strukturelle Ende in Betracht gezogen werden muss, will mensch auf der
Höhe der Zeit emanzipatorisch handeln.

Denn gerade Krisen und tiefe Umbrüche der Produktionsweise
sind konstituierende Momente seiner Überlebensfähigkeit. Insofern denke ich,
dass es zur finalen ökonomischen Krise mit dem Zusammenbruch des
Kapitalismus nicht kommen wird, sondern dass seine Überwindung auf
politischem und gesellschaftlichem Wege geschehen muss.

In dieser Frage bin ich Marx-Anhänger. Der Kapitalismus funktioniert
nur, wenn die Verwertung von Arbeitskraft funktioniert. Dazu hat er
sich z.B. historisch erst mal die Grundlage in der doppelt freien
LohnarbeiterIn schaffen müssen.

Genau dies ist aber durch die zunehmende Computerisierung immer
stärker in Frage gestellt: Ständig steigender Gebrauchswert kann mit
immer weniger (Tausch)wert - zumindest mit dem lebendigen Anteil davon
- - hergestellt werden. Früher wurden an solchen Stellen neue Märkte
erschlossen (Massenautomobilisierung) oder Kriege in den Metropolen
(Zweiter Weltkrieg) geführt. Weder das eine noch das andere ist heute
absehbar. Nehmen wir mal als ein aktuelles werthaltiges Produkt das
Handy. Hat das die freigesetzten Massen arbeitsmäßig aufsaugen können?
Na, bestenfalls in Finnland(?)...

Aber in der Tat: Sollte es dem Kapitalismus gelingen, die
Verwertungsmaschinerie mittels einer irgendwie gearteten massiven
Marktausweitung bei gleichzeitiger Einsaugung menschlicher
Arbeitskraft wieder in Gang zu setzen, gäbe es noch eine weitere
Stufenleiter. Das ist m.E. allerdings nicht in Sicht.

Ansonsten würde ich für diese Fragen gerne auf die Erkenntnisse der
Krisis verweisen [http://www.krisis.org/]. Speziell natürlich die
krisentheoretischen Gedanken.

Aktuell können wir gerade das Anbrechen der
letzten Phase der Agonie der Gewerkschaften beobachten...

Hier denke ich, dass wir eher in einer Umbruchphase zu anderen
Gewerkschaften sind, die mehr den angelsächischen gleichen werden.

Hmm... Wenn ich da so an die britischen denke, kann ich nicht sehen,
warum das keine Agonie sein soll...

Kurzum was Krise und Zusammenbruch betrifft bin ich nicht so optimistisch
wie Du (ist 'optimistisch' in diesem Zusammenhang überhaupt eine brauchbare
Vokabel?).

Definitiv ist optimistisch hier keine brauchbare Vokabel.
Umbruchprozesse sind *immer* riskant. In der Chaostheorie spricht
mensch von Bifurkationspunkten, nach denen der Zustand des Systems
nicht mehr vernünftig vorhergesagt werden kann. So etwas haben wir
m.E. jetzt.

Und Krise und Zusammenbruch sind ja - wie gesagt - kein Garant dafür,
dass sich eine positive Alternative entwickelt, die das Alte positiv
aufhebt. Die Länder des vergangenen Realsozialismus legen dafür ja
beredtes Zeugnis ab...

Um so mehr bin ich ja der Meinung, sich heute den *wirklich*
zukunftsweisenden Fragen zuzuwenden.

haben sich die Rahmenbedingungen in sagen wir 200 Jahren
Kapitalismus so verändert, dass diese ganzen Institutionen auf das
Niveau symbolischer Handlungen abgesunken sind. Dummerweise gehören
auch die Parteien zu dem Reigen, der nicht anders kann als obsolet zu
werden. Blöd für die PDS, aber vielleicht könnte die Selbstaufhebung
(ich sage nicht -auflösung!) ja auch ein schönes Ziel sein?

Als Zielstellung klingt das natürlich schön, aber realistisch ist es nur auf
der Basis Deiner Grundannahme.

Na ja, die Selbstaufhebung - in eine Organisationsform, die keine
Parteien mehr braucht - ist m.E. für jede sozialistische Partei
eigentlich ein wichtiges Ziel - oder? Die Frage ist dann "nur", auf
welche Art diese Selbstaufhebung erreicht werden kann. Das ist unter
wechselnden historischen Bedingungen unterschiedlich. Und m.E. sind
wir heute (endlich) an dem Punkt, wo eine neue Vergesellschaftungsform
geradezu zum Durchbruch drängt. Ich glaube nicht, dass das während des
Kapitalismus schon mal irgendwann so war. Symptomatisch übrigens, dass
die Linke in weiten Teilen das nicht sieht. Marx wäre nach meiner
festen Überzeugung begeistert gewesen.

Da ich da aber skeptischer bin, bleibt auch
die Frage wie mit den weiterbestehenden Institutionen etc. umgehen. So
werden unsere Parteien sicherlich noch lange bestehen.

Klar besteht diese Frage weiter. Würde ich das nicht glauben, würde
ich nicht ellenlange Mails in diesem Forum schreiben ;-) .

Etwas anderes ist dabei die Frage nach der PDS, denn wenn sich hier nicht
sehr schnell etwas grundlegend ändert (wozu der Sonderparteitag nur eine
Möglichkeit geschaffen hat, die Änderung selbst war er noch nicht), wird sie
sich nicht mehr selbst aufheben können, sondern mangels politischer Relevanz
einfach unbemerkt von der Bildfläche verschwunden sein ohne dass es
trauernde Hinterbliebene geben wird.

Darüber sind wir uns sicher einig.

Nun, wer mich ein bisschen
kennt, wird wissen, dass ich Freie Software und die in ihr
verkörperten Prinzipien für eine Keimform für eine neue
Gesellschaftsformation halte, die weder Geld noch Arbeit noch Tausch
braucht.

Kann man in der aktuellen Erfolgsgeschichte von Linux (Übernahme duch die
Stadt München) nicht auch ein Gegenargument sehen: der Kapitalismus verleibt
sich wieder ein 'gegnerisches' Stück ein? Und nutzt es zur Erhöhung der
eigenen Konkurrenzfähigkeit.

Eines der Standardargumente. Nun würde ich die Stadt München nicht
gerade als übel kapitalistisch bezeichnen. Ein viel schwereres Kaliber
ist da z.B. IBM, die seit einigen Jahren *voll* auf Linux setzen.

Das Oekonux'sche Argument lautet: Es ist *gerade* die
nicht-/post-kapitalistische Produktionsweise, die Freie Software so
stark und "konkurrenzfähig" macht. Wird diese Wurzel gekappt, dann
stirbt auch der Erfolg - zumindest tendenziell.

Das scheint im Übrigen auch IBM - und auch andere Firmen mit Sympathie
für Freie Software - erkannt zu haben. Die bemühen sich nach meiner
Wahrnehmung *sehr*, die Freie-Software-Bewegung nicht zu stören und zu
fördern. Aber das liegt auch aus vielerlei Gründen im Interesse von
IBM: Z.B. schlachten sie die Kuh eben nicht, die sie noch melken
wollen.

Daraus wächst aber dennoch kein starkes Gegenargument gegen die
Oekonux-Thesen. Auch zu Beginn des Kapitalismus hat es einzelne
Fürsten gegeben, die sich die neuen Keimformen zunutze gemacht haben -
z.B. um ihre stehenden Heere auszurüsten und zu bezahlen. Das hat den
Kapitalismus nicht daran gehindert, die Fürsten nachhaltig zu
entmachten.

BTW: Wer nachlesen mag: Eine ganz schnelle Einführung zum Hintergrund
Oekonux gibt es auf

	http://www.oekonux.de/einfuehrung/kladde/

Längere Texte finden sich nebenan unter

	http://www.oekonux.de/texte/

Diskussion dazu über die Mailing-Liste

	http://www.oekonux.de/liste/

Wahrscheinlich gehört auch die Linke zu den Teilen
der Arbeitsgesellschaft, die mit ihr aussterben werden...

Dies ist der schönste Satz Deines Textes. Ja, sollte die Arbeitsgesellschaft
tatsächlich aussterben, so wird die altbekannte Linke das sicherlich
gleichzeitig tun. Und nachtrauern sollten wir ihr dann auch nicht.

Ich werde dann extra ein (virtuelles ;-) ) Feuerwerk veranstalten ;-) .

2 days ago Andrea Link wrote:
ihr habt da ja ein paar spannende Fragen aufgeworfen...

:-)

Wie kommt Ihr eigentlich darauf, dass die Arbeitsgesellschaft an ihrem Ende
angekommen sein könnte? Weil wir momentan eine Wirtschaftkrise moderaten
Ausmaßes haben? Weil es so viele Arbeitslose in Deutschland (und - mit
Abstrichen - in der EU) gibt?

Ich habe oben ein paar Andeutungen zu meinen Gründen gemacht.

Und warum sollte dies die seit 150 Jahren bislang vergeblich immer wieder erneut
prognostizierte Apokalypse des Kapitalismus sein?

Was ja erst mal kein Argument ist. Wie war der schöne Spruch dessen,
der aus dem 50. Stockwerk fallend am 10. Stockwerk vorbei kommt: "Bis
hierher ging ja alles ganz gut."

In der Tat denke ich aber, dass mit der Computer-Revolution sich etwas
Entscheidendes geändert hat. Das ist historisch neu.

Hartmut Ritzheimer schrieb:
im Gegensatz zu Dir
denke ich, dass der Kapitalismus allerdings noch eine geraume Zeit weiter
existieren wird. Denn gerade Krisen und tiefe Umbrüche der Produktionsweise
sind konstituierende Momente seiner Überlebensfähigkeit. Insofern denke ich,
dass es zur finalen ökonomischen Krise mit dem Zusammenbruch des
Kapitalismus nicht kommen wird, sondern dass seine Überwindung auf
politischem und gesellschaftlichem Wege geschehen muss.

Ganz platt formuliert, dass es zum Zusammenbruch von Märkten selbst auf
dramatischster Breite und Tiefenschärfe kommen kann und vielleicht wird, ist
keineswegs ausgeschlossen, was aber meines Erachtens mehr ein akzidenzielles und
weniger ein prinzipielles Phänomen sein wird.

Nun, letztlich sind alles nur Prognosen. Aber z.B. die auch nach
kapitalistischen Maßstäben völlig aus dem Ruder gelaufene
Börsenentwicklung der letzten Jahre - incl. dem Hype - liefern weitere
Hinweise dafür, dass es irgendwo ziemlich grundsätzlich klemmt.

Auch sehe ich nicht so ganz den
Widerspruch zwischen einer (Weltwirtschafts-)Krise versus Überwindung auf
politischem und gesellschaftlichem Weg. Im Falle einer Weltwirtschaftskrise wird
es für Politik und Gesellschaft mächtig was zu tun geben.

Das ist im Grunde die attac-Position, die glaubt, dass die
PolitikerInnen doch nur "das Richtige (TM)" tun müssten. Dies ist m.E.
letztlich ein idealistisches Argument, da es unterstellt, dass sie
bisher aus Jux und Dollerei "das Falsche (TM)" getan hätten. Da bin
ich aber Materialist und glaube, dass die PolitikerInnen wie immer
Agenten eines Prozesses sind, den sie nicht steuern, der vielmehr sie
steuert. Manifest wird das z.B. im Einfluss der Arbeitgeberseite, der
seit Jahren unablässig steigt - und damit die Gewerkschaften nebenbei
ins Abseits treibt.

Und vermutlich werden
sie versagen, und vermutlich wird "das kapitalistische System" sich wie schon
zuvor durch Flexibilität und die Fähigkeit zur Innovation plus Ärmelaufkrempeln
plus Gürtel-enger-schnallen wieder aus dem Schlamassel herausarbeiten.

Was zu begründen wäre. Unbegründet spricht daraus fast schon eine
Zuschreibung göttlicher Macht an dieses kapitalistische System. Das
ist allerdings eine Denkfigur, bei der ich "die Linke (TM)" des
öfteren erwische. Öfter, als bei den eigentlichen ProtagonistInnen des
Kapitalismus...

Nochmal: Die Wertproduktion, die Verwertung von Arbeitskraft
funktioniert immer schlechter. So lange sich das nicht ändert gibt's
da keine Hoffnung (bewusst ohne Anführungszeichen - die Hoffnung kommt
nämlich nicht aus dem Zusammenbruch).

Ich
zweifle ja bis zu einem hohen Grad an der Reformierbarkeit alter Gesellschaften
(Stichwort Verbändediktatur, Gesetzesdschungel u.a.m.). Ein Zusammenbruch
eröffnet den Weg zu etwas synthetisch Neuem, aber nicht zwangsläufig zu etwas
analytisch Neuem. Und es glaube niemand, dass dies eine Gesellschaft wäre, die
nicht auf Tausch beruht (vulgo: Kapitalismus).

Was wiederum zu begründen wäre. Eine auf Tausch beruhende
Gesellschaftsformation ist kein Naturgesetz. Auch wenn es Tausch
historisch schon lange gibt, haben frühere Gesellschaftsformationen
auf anderer Grundlage funktioniert und ich bin absolut davon
überzeugt, dass - modulo Atomkrieg - der Kapitalismus nicht das letzte
Wort in der Menschheitsgeschichte ist. Die Vergesellschaftung auf der
Grundlage des Tausches wird historisch (hoffentlich) ein kurzes,
grausames Zwischenspiel bleiben.

Politik und Gesellschaft müssen
also eigentlich ein vitales Interesse an der Reform haben.

Ja. Das Problem ist, dass system-immanent keine Reform mehr zu machen
ist, die den Namen verdient. Eine wirkliche Reform *muss* heute die
Grenzen des Kapitalismus zumindest denkend überwinden. Aber das trauen
sich PolitikerInnen wohl wirklich nicht. Und in der weniger stark
durch äußere Zwänge gebundenen Gesellschaft sind es nur wenige, die
es schaffen, über die zweite Natur Kapitalismus hinauszudenken. Dies
zu fördern, fände ich im Übrigen auch ein schönes Ziel einer
sozialistischen Partei. Na ja, wenigstens versucht die
Rosa-Luxemburg-Stiftung solcherlei zuweilen.

Kurzum was Krise und Zusammenbruch betrifft bin ich nicht so optimistisch
wie Du (ist 'optimistisch' in diesem Zusammenhang überhaupt eine brauchbare
Vokabel?).

Da stimme ich Hartmut zu, "optimistisch" darf man nicht sein hinsichtlich des
Zusammenbruchs-Szenario. Homo homini lupus. Das bewies sich in allen
Zusammenbruchs-Zeiten. Die (scheinbar) gloriosesten Revolutionszeiten zeugen
davon.

Homo homini lupus ist auch so ein schönes Ideologem, ohne dass der
Kapitalismus nicht auskommt. Dass Menschen aber *wesentlich* auf Basis
von Kooperation leben, wird hier schlicht ausgeblendet. Was natürlich
praktisch ist, wenn ich gerade eine Gesellschaftsformation begründen
will, die auf Konkurrenz beruht...

Konkret denke ich in der Tat, dass das nicht stimmt. In der Tendenz:
Wenn du die Menschen nicht künstlich voneinander trennst - z.B. indem
du sie nicht mehr um Geld konkurrieren lässt -, dann werden sie
miteinander kooperieren. Schau dich mal in deinem Alltag um.

Stark begünstigt wird dies allerdings durch eine Überwindung der
Knappheit (was Oekonux'sch praktisch schon das Gleiche ist wie die
Menschen nicht künstlich voneinander zu trennen). Aber da sind wir in
den Metropolenstaaten längst angekommen.

 Dummerweise gehören
auch die Parteien zu dem Reigen, der nicht anders kann als obsolet zu
werden. Blöd für die PDS, aber vielleicht könnte die Selbstaufhebung
(ich sage nicht -auflösung!) ja auch ein schönes Ziel sein?

Als Zielstellung klingt das natürlich schön, aber realistisch ist es nur auf
der Basis Deiner Grundannahme. Da ich da aber skeptischer bin, bleibt auch
die Frage wie mit den weiterbestehenden Institutionen etc. umgehen. So
werden unsere Parteien sicherlich noch lange bestehen.

Parteien haben sich in der Geschichte der Demokratie ihr Existenzrecht erkämpft,
und obwohl demokratietheoretisch vieles gegen Parteien spricht, haben sie sich
demokratiepraktisch als Katalysatoren von Interessen und wichtige
Integrationsfaktoren sowie unverzichtbare Organisationseinheiten erwiesen.
Anmerkung für Leute, die sich dafür interessieren: In den späten 90er Jahren des
18. Jh. gab es zwei demokratische Republiken auf der Welt: In Frankreich und in
den Vereinigten Staaten. In Frankreich wurde aufgrund dieser
demokratietheoretischen Erwägungen 1798 endgültig die Entstehung von Parteien
verhindert. Daran zerbrach ein Jahr später die Demokratie, hingegen in den USA
im gleichen Zeitraum sich Parteien bildeten und diese Demokratie bekannter Maßen
bis heute existiert.

Demokratie ist auch eine der Basisideologien des Kapitalismus. Ich
will das jetzt nicht ausführen. Ein wesentlicher Aspekt ist aber, dass
Demokratie für Massen gemacht ist. Wie der Kapitalismus - oder
genauer: das industrielle Zeitalter - eines für Massen ist. Ich denke,
dass sich auch hier eine historische Änderung einstellt.

Was soll eigentlich an Stelle der Institutionen der repräsentativen Demokratie
treten, das so viel besser wäre?!?

Konsensorientierte Entscheidungsverfahren. Zufällig habe ich gerade
ein (noch unfertiges) Paper verfasst, wo es um ein (virtuelles)
Hilfsmittel geht, das diese konsensorientierten Entscheidungsverfahren
offenbar zwanglos heftig begünstigt. Kann gelesen und diskutiert
werden unter

	http://www.opentheory.org/mailinglisten/text.phtml

Nun, wer mich ein bisschen
kennt, wird wissen, dass ich Freie Software und die in ihr
verkörperten Prinzipien für eine Keimform für eine neue
Gesellschaftsformation halte, die weder Geld noch Arbeit noch Tausch
braucht.

Kann man in der aktuellen Erfolgsgeschichte von Linux (Übernahme duch die
Stadt München) nicht auch ein Gegenargument sehen: der Kapitalismus verleibt
sich wieder ein 'gegnerisches' Stück ein? Und nutzt es zur Erhöhung der
eigenen Konkurrenzfähigkeit.

Ohne ausreichend initiiert zu sein in die Geheimnisse der freien Software, sei
mir die Frage gestattet, ob sich die Entwickler und Nutzer derselben hinreichend
aus dem "kapitalistischen" Rahmen externalisiert haben?

Noch ein Standardargument. Deine Nachfrage impliziert, dass die
Rettung quasi nur von Außen kommen kann. Nur wenn sie sich hinreichend
externalisiert haben, kann es was taugen. Das ist das Prinzip
Landkommune und hat schon in den 1970ern nicht funktioniert.

Nein, ich bin heute der Meinung, dass die Keimform sich nur *in* der
alten Gesellschaft entwickeln kann. Sie kann nicht im luftleeren Raum
schweben - wie soll das gehen? Und ich denke auch, dass sie im Zentrum
*nicht* politisch sein wird. Und, dass die Keimform in der
Produktivkraftentwicklung verwurzelt ist. Letzteres ist eigentlich der
entscheidende Faktor (den BTW die Krisis-Leute zwar theoretisch
erkannt haben, dessen Praxis Freie Software sie aber nicht oder nur
sehr zögerlich zur Kenntnis nehmen).

Vielleicht erläuterst Du
bitte mal die Theorie.

Verzeih', dass ich hier nur ein paar wenige Andeutungen machen kann.
Oben sind schon ein paar Links und bei den Texten gibt es z.B. dem
sehr einfachen

	http://www.oekonux.de/texte/nehmen.html

oder

	http://www.oekonux.de/texte/neuegesellschaft/

der mal die Grundlage für die Kladde abgegeben hat. Gern genommen wird
rauch immer noch

	http://www.oekonux.de/texte/meilenstein/

Zu allen gibt's OpenTheory-Projekte, wo die Texte kommentiert werden
können.

Nach meinem Kenntnisstand geht es dabei doch um
copyrightfreie Übernahme bzw. Weiterentwicklung analog zu den individuellen
Bedürfnissen.

So in etwa. Konkret eben im Bereich der Software.

Dies ist ein intellektueller Vorgang.

Oekonux'sch sprechen wir von der Verbreitung bzw. Entwicklung eines
Informationsguts.

So ähnlich wie das
Kerzenlicht, das mehr wird, wenn man es teilt ;-)

Eine sehr schöne Metapher :-) . In der Tat sprichst du hier genau die
Qualität an, die in dieser Dimension historisch neu ist: Die
ubiquitäre Möglichkeit zur digitalen Kopie (vulgo: Internet). Damit
wird das Prinzip des Weitergebens des Feuers, dass du so schön an der
Kerze beschrieben hast, zur alltäglichen Praxis.

Bei diesem Weitergeben der Flamme / digitaler Daten ist aber kein
Tausch mehr nötig. Im Gegenteil muss mittlerweile Himmel (Staat,
Justiz) und Hölle (Kopierschutzmaßnahmen) in Bewegung gesetzt werden,
um die Knappheit, ohne die Tausch keinen Sinn macht, bei digitalen
Informationsgütern hinten rum wieder einzuführen. Dass aktuelle CDs
jetzt öfter nicht mehr im Auto abspielbar sind, ist ein Ausfluss
dessen. Dass wir gerade ein neues Urheberrechtsgesetz bekommen haben,
das die Privatkopie nachhaltig in Frage stellt, ein anderer.

Digitale Informationsgüter überwinden auf der aktuellen Stufe der
Produktivkraftentwicklung ganz praktisch und mittlerweile alltäglich
die Grenzen des Tausches. Gleichzeitig bilden sie die Basis auch der
kapitalistischen Entwicklung. Dieser tiefe Widerspruch kann aber nicht
aufgelöst werden, weil die Selbstentfaltung, die das Schaffen
qualitativ hochwertiger Informationsgüter erst ermöglicht, mit der im
Tausch immer vorhandenen Entfremdung nicht kompatibel ist. Na, das war
jetzt sehr gerafft...

Aber wie steht es mit handfesteren Erzeugnissen menschlicher Arbeit?

Ist das denn die Frage? Wenn wir über Gesellschaftsformationen
sprechen, dann müssen wir uns anschauen, wovon sie dominiert werden.
Prä-kapitalistische Gesellschaftsformationen waren durch die
Bearbeitung des Bodens dominiert - sowohl agrarisch als auch im
Bergbau. Die gesamte Gesellschaftsformation hat sich dieser Dominanz
unterworfen und sich im Feudalsystem entsprechend geformt.

Kapitalistische Gesellschaftsformationen sind durch die Produktion
materieller Güter durch industrielle Mittel gekennzeichnet. Auch hier
hat sich die gesamte Gesellschaftsformation dieser Dominanz
untergeordnet. Insbesondere hat sich auch die Bearbeitung des Bodens
dieser Dominanz untergeordnet. Landwirtschaft und noch viel mehr
Bergbau sind heute Anhängsel des Industriesystems. Sie sind im besten
Sinne im industriellen System aufgehoben.

Beim Übergang zur Informationsgesellschaft tritt - so die These - ein
ähnlicher Effekt auf. Wenn die Produktion von Informationen zur
dominanten gesellschaftlichen Größe wird, dann wird sich der gesamte
gesellschaftliche Prozess diesen veränderten Bedingungen unterordnen.
Wie das genau geht, kann heute genauso wenig jemensch sagen, wie vor
200 Jahren jemensch die Details eines Kapitalismus um das Jahr 2000
vorhersagen konnte. Wenn aber der Übergang zur
Informationsgesellschaft statt findet und wenn diese wie keimförmig in
der Freien Software demonstriert wesentlich neue Bedingungen benötigt,
dann wird deine Frage keine mehr sein. Die materielle Produktion wird
dann in der Produktion von Informationsgütern so aufgehoben sein, wie
heute die Agrarproduktion in der industriellen aufgehoben ist.

Konkret gibt es auch schon sehr spannende Maschinen, die digitale
Daten direkt in handgreifliche Modelle verwandeln. Das könnte auf der
technologischen Seite ein wichtiger Schritt sein.

Eigentlich hatte ich keine Zeit. Aber bei so spannenden Nachfragen ;-) ...


						Mit Freien Grüßen

						Stefan




------- Message 5

Date:  Fri, 8 Aug 2003 16:31:02 +0200
From:  Andrea.Link t-online.de (Andrea Link)
Subject:  Re: Zurueck in die Politik
To:  diskussion pds-rlp.de
References:  <200308072238.h77Mcim22567 rosalu.merten-home.de>
Message-Id:  <19l8Gk-1F6ZFo0 fwd01.sul.t-online.com>

Hallo Stefan & Mitlesende,

[Sorry, Andrea, für die Dopplung. Ich hatte mal wieder vergessen, dass
diese Liste ja nicht zum Diskutieren eingestellt ist...]

???

die Freiheit des Einzelnen zur Bedingung (?!) der Freiheit aller geworden
 ist,
oder so ähnlich, irgendso ein komischer verbeulter Satz wird da immer
 zitiert.

Ich habe es im Kontext noch mal nachgelesen. Alla dann.

Bei Freier Software: Die Möglichkeit sich in Freier Software
selbstzuentfalten bringt allen was, die diese Freie Software einsetzen
können

Im nächsten Leben werde ich versuchen, möglichst parallel 1. Automechanikerin,
2. Tierärztin und 3. Software-Insiderin zu werden. Vorläufig bin ich von diesen
Berufsgruppen abhängig.

Ich glaube aus Deiner Formulierung weiter unten:

Einen Schritt weiter wird's rund: Wenn die anderen nicht mehr Grenze
sondern Förderung meiner selbst sind. Das ist nicht Ent-egoisierung
aber das ist auch nicht Egoismus. Das ist was Neues, das auch nur
gesellschaftlich funktionieren kann.

verstanden zu haben, worauf Du hinaus willst.
Hinsichtlich "Wissen" respektive "geistigem Eigentum" kann ich Dir folgen. Wie
aber steht´s mit dem banalen Brot oder Autoreifen, das/der sich nicht
beliebig "teilen" lässt wie Wissen i.w.S.?

Hier ist ganz praktisch erlebbar,
was im Kapitalismus nicht funktionieren kann: Im Kapitalismus ist die
Freiheit / Selbstentfaltung der Einzelnen immer nur als die *Grenze*
meiner eigenen Freiheit / Selbstentfaltung vorstellbar (obwohl das da
schon nicht ganz stimmt). Diese Grenze in eine Chance umzuwandeln bzw.
dieses Prinzip, dass wir in der Freien Software schon sehen können, zu
verallgemeinern, wäre die Aufgabe einer revolutionären Kraft.

Meinst Du, man kann das Prinzip, nach dem honorige schöpferische Geister sich
austoben, auf alle Bereiche der Industriegesellschaft übertragen? Von wem
bekomme ich mein Benzin? (sorry, mir fallen immer so ätzend alltägliche
Beispiele ein)

Aber völlig d'accord: Die Frage, *wie* wir leben wollen gehört auf die
Tagesordnung wie sonst kaum was. Eine andere Welt mag möglich sein,
aber wie wollen wir sie haben? Dass Menschen gestaltend eingreifen
können und ihr Leben verändern, ist aber dank der jahrzehntelang
gepredigten Sachzwanglogik heute schon fast ein revolutionärer
Gedanke...

Was ist mit denen, die weniger gestaltend eingreifen als einfach nur in Frieden,
Freiheit, Sicherheit und Wohlstand leben und arbeiten wollen?

Das Verhältnis des Individuums zu einem demokratisch
verfassten Staat kann nicht nur im Fordern und Nehmen bestehen, und die
Verpflichtung kann nicht nur darin bestehen, mürrisch den Anteil an Steuern
abzudrücken, die man unter Ausschöpfung aller Tricks nicht irgendwie am
Finanzamt vorbei bekommt, ansonsten aber alles abzukassieren, was
 abzukassieren
ist (wörtlich wie bildlich gesprochen).

So sehr ich dir da für die jetzige Gesellschaft zustimme, verweist das
doch auf einen freiheitlichen Kern: Sich von den Zwängen der
Massengesellschaft befreien zu wollen. Im Kapitalismus geht das leider
nur negativ :-(

Ich gehe felsenfest davon aus, dass Du als Gegenstück zum "Kapitalismus" nicht
den real existiert habenden und real kläglich gescheiterten Sozialismus meinst.
Ich verstehe Dich mittlerweile so, dass Deine Vision eine Gesellschaft ist, in
der die Einzelnen ihr Bestes einbringen, um die anderen (mit) voranzubringen,
ohne eine Tauschwährung dafür zu verlangen. Darüber hinaus sollen die
Instrumente der Demokratie positiv überwunden werden (ich nehme an, weil es
keine widerstrebenden Interessen mehr gibt, sondern alle am gleichen Strang
ziehen).
Also eine Art anarchischer Kommunismus (hoppla, ich muss ja aufpassen: dies ist
ausdrücklich NICHT polemisch gemeint...)

Ich glaube, davon träumen die Menschen, sei es bewusst oder unbewusst, seit sie
sich zu Gesellschaften zusammengeschlossen haben.

Allerdings würde ich Staat und Gesellschaft niemals miteinander
identifizieren. Der Staat ist der Gesellschaft quasi äußerlich.

Da haben wir wohl wirklich einen Dissens: Ich meine, Gesellschaft und Staat
sollten in einer Demokratie integriert sein. Ich behaupte nicht, dass dies hic
et nunc 100%ig so ist.

Eine der Dinge, die ich erfrischend an der PDS fand, war immer, dass
sie sich lange nicht angebiedert hat. Dass sie lange als authentische
(linke) Kraft wahrnehmbar war. Vielleicht fing das Problem da an, dass
nicht frühzeitig ein Schnitt gezogen wurde zwischen Ewiggestrigen und
solchen, die auch mal einen Schritt weiter denken.

Das ist vollkommen richtig!!! Die Verfasstheit der Partei war ein irreversibler
Geburtsfehler.

Wenn ich in meine Richtung weiter
denke, dann sehe ich auch nicht, wie das der Mitgliedschaft
vermittelbar wäre, die noch so sehr im Alten steckt.

Versuche es doch bitte mal. Neue Gedanken sind rar.

Gruß
Andrea




------- Message 6

Date:  Sun, 17 Aug 2003 01:12:32 +0200
From:  Stefan Merten <smerten oekonux.de>
Subject:  Re: Zurueck in die Politik
To:  Andrea.Link t-online.de (Andrea Link)
Cc:  diskussion pds-rlp.de, Stefan Merten <smerten oekonux.de>
In-Reply-To:  Your message of "Fri, 08 Aug 2003 16:31:02 +0200"
	<19l8Gk-1F6ZFo0 fwd01.sul.t-online.com>
Message-Id:  <200308162312.h7GNCWs01339 rosalu.merten-home.de>

Hi Andrea et al!

Last week (9 days ago) Andrea Link wrote:
[Sorry, Andrea, für die Dopplung. Ich hatte mal wieder vergessen, dass
diese Liste ja nicht zum Diskutieren eingestellt ist...]

???

Wäre mir beinahe schon wieder passiert. Aber jetzt habe ich's richtig
gemacht: Die Liste ins `Cc:' genommen.

Bei Freier Software: Die Möglichkeit sich in Freier Software
selbstzuentfalten bringt allen was, die diese Freie Software einsetzen
können

Im nächsten Leben werde ich versuchen, möglichst parallel 1. Automechanikerin,
2. Tierärztin und 3. Software-Insiderin zu werden. Vorläufig bin ich von diesen
Berufsgruppen abhängig.

Das "einsetzen können" bezog sich auf die materiellen Voraussetzungen:
Einen Computer haben. Ich hatte jedenfalls keine Schwierigkeiten mit
Lovesan, obwohl ich die sicher besser hätte lösen können, als die
meisten M$-UserInnen.

Ich frage mich immer öfter, auf welcher Grundlage sich eigentlich das
Gerücht hält, GNU/Linux sei schwieriger zu benutzen als Windows. Hast
du aktuelle Erfahrungen?

Ich glaube aus Deiner Formulierung weiter unten:

Einen Schritt weiter wird's rund: Wenn die anderen nicht mehr Grenze
sondern Förderung meiner selbst sind. Das ist nicht Ent-egoisierung
aber das ist auch nicht Egoismus. Das ist was Neues, das auch nur
gesellschaftlich funktionieren kann.

verstanden zu haben, worauf Du hinaus willst.

Oh prima! Kannst du's mir dann erklären? ;-)

Im Ernst: Das ist alles Work-In-Progress. Auch wenn wir da schon seit
Jahren dran rumdenken und sicher inzwischen auch das eine oder andere
als relativ gesichert gelten kann, gibt's da noch täglich
Entwicklungspotenzial.

Hinsichtlich "Wissen" respektive "geistigem Eigentum" kann ich Dir folgen. Wie
aber steht´s mit dem banalen Brot oder Autoreifen, das/der sich nicht
beliebig "teilen" lässt wie Wissen i.w.S.?

Materielle Güter lassen sich natürlich (noch) nicht kopieren. Sie
werden vielmehr produziert.

Es gibt hier zwei Argumentationsstränge. Der eine ist, die
Automatisierung weiter und schneller voran zu treiben. Damit bleibt in
der Tendenz immer weniger menschliche Arbeitskraft übrig, die (per
Geld) erzwungen werden muss, so dass der Überfluss, der sich durch die
digitale Kopie einstellt, auch im materiellen Bereich existiert.
Faktisch bin ich der Meinung, dass wir ausgehend von einem
durchschnittlichen Konsumniveau dieses Produktivitätspotenzial
durchaus schon erreicht haben. Jetzt käme es "nur noch" darauf an, die
Arbeitsbedingungen so umzugestalten, dass es immer weniger
(strukturellen) Zwang braucht.

Der zweite Argumentationsstrang ist wieder an der
Produktivkraftentwicklung orientiert. Gehen wir davon aus, dass die
Gesellschaft wesentlich durch deren aktuellen Stand dominiert ist,
dann geht das eigentlich ganz einfach. Als die Bodenbearbeitung den
aktuellen Stand der Produktivkraftentwicklung darstellte, bildete sich
der Feudalismus aus. Als die industrielle Massenproduktion von Gütern
den aktuellen Stand der Produktivkraftentwicklung darstellte, bildete
sich der Kapitalismus aus. In diesem waren die Probleme, die es zu
feudalen Zeiten gab, gesellschaftlich aufgehoben. Die Bearbeitung des
Bodens ist immer mehr zum Anhängsel des industriellen Systems
geworden. Die nächste Gesellschaft wird durch die Produktion von
Informationen gekennzeichnet sein. So wie die Bearbeitung des Bodens
heute vergleichsweise zur Nebensache geworden ist, wird per
Analogieschluss die Herstellung materieller Güter in der
Informationsgesellschaft vergleichsweise zur Nebensache. Die
Gesamtgesellschaft wird dann von der Informationsproduktion und ihren
verglichen mit der materiellen Produktion anderen Prinzipien dominiert
sein.

Und da du dich so gut in der Umbruchsphase zur bürgerlichen
Gesellschaft auskennst: Mich würden *brennend* Beispiele
interessieren, die deinem Argument analog sind: "Na ja, dass die
Textilfabriken in England ihre Waren weltweit verkaufen kann ich mir
ja noch vorstellen, aber wie soll das denn mit dem Brot gehen?" Na ja,
es hat noch ein paar Jahrzehnte gedauert, aber heute essen wir
weitgehend industrialisiertes Brot. Sich mit einem kapitalistisch
zugerichteten Kopf Dinge nicht vorstellen zu können, macht also noch
nicht unbedingt ein Argument. Hast du Beispiele?

Hier ist ganz praktisch erlebbar,
was im Kapitalismus nicht funktionieren kann: Im Kapitalismus ist die
Freiheit / Selbstentfaltung der Einzelnen immer nur als die *Grenze*
meiner eigenen Freiheit / Selbstentfaltung vorstellbar (obwohl das da
schon nicht ganz stimmt). Diese Grenze in eine Chance umzuwandeln bzw.
dieses Prinzip, dass wir in der Freien Software schon sehen können, zu
verallgemeinern, wäre die Aufgabe einer revolutionären Kraft.

Meinst Du, man kann das Prinzip, nach dem honorige schöpferische Geister sich
austoben, auf alle Bereiche der Industriegesellschaft übertragen? Von wem
bekomme ich mein Benzin? (sorry, mir fallen immer so ätzend alltägliche
Beispiele ein)

Frage dich doch mal selbst, wie hoch der Anteil der
Informationsprodukte in deinem Alltag ist. Ich neige zu der Ansicht,
dass der heute schon relativ dominant ist - vor allem, wenn ich den
"Anteil" an Informationen betrachte, der auch in materiellen Gütern
heute steckt, nämlich in deren Produktion. Jetzt stelle dir weiter
vor, dass du für alle diese Informationsprodukte (ich meine nicht
deren Transport) nicht mehr zahlen müsstest, weil du sie ohne
Gegenleistung nutzen könntest. Um ein populäres Beispiel zu nehmen:
Die M$- oder Madonna-CD kostet so viel wie der Rohling. Ich denke, da
käme schon heute ein ganz erkleckliches Sümmchen an Einsparung
zusammen. Wäre BTW auf diesem Weg dann sogar wieder ein PDS-Thema
;-) .

Aber völlig d'accord: Die Frage, *wie* wir leben wollen gehört auf die
Tagesordnung wie sonst kaum was. Eine andere Welt mag möglich sein,
aber wie wollen wir sie haben? Dass Menschen gestaltend eingreifen
können und ihr Leben verändern, ist aber dank der jahrzehntelang
gepredigten Sachzwanglogik heute schon fast ein revolutionärer
Gedanke...

Was ist mit denen, die weniger gestaltend eingreifen als einfach nur in Frieden,
Freiheit, Sicherheit und Wohlstand leben und arbeiten wollen?

Irgendwie habe ich seit ein paar Jahren den Eindruck, dass *ohne*
gestalterischen Eingriff *genau das* immer weniger möglich ist...

Aber du meintest den Einwand sicher anders. Wie?

Das Verhältnis des Individuums zu einem demokratisch
verfassten Staat kann nicht nur im Fordern und Nehmen bestehen, und die
Verpflichtung kann nicht nur darin bestehen, mürrisch den Anteil an Steuern
abzudrücken, die man unter Ausschöpfung aller Tricks nicht irgendwie am
Finanzamt vorbei bekommt, ansonsten aber alles abzukassieren, was
 abzukassieren
ist (wörtlich wie bildlich gesprochen).

So sehr ich dir da für die jetzige Gesellschaft zustimme, verweist das
doch auf einen freiheitlichen Kern: Sich von den Zwängen der
Massengesellschaft befreien zu wollen. Im Kapitalismus geht das leider
nur negativ :-(

Ich gehe felsenfest davon aus, dass Du als Gegenstück zum "Kapitalismus" nicht
den real existiert habenden und real kläglich gescheiterten Sozialismus meinst.

Gut getippt ;-) .

Ich verstehe Dich mittlerweile so, dass Deine Vision eine Gesellschaft ist, in
der die Einzelnen ihr Bestes einbringen, um die anderen (mit) voranzubringen,
ohne eine Tauschwährung dafür zu verlangen.

Haut hin.

Darüber hinaus sollen die
Instrumente der Demokratie positiv überwunden werden

Ja.

(ich nehme an, weil es
keine widerstrebenden Interessen mehr gibt, sondern alle am gleichen Strang
ziehen).

Nein. Konflikte wird es immer geben. Wie sie gelöst werden - und ob
sie antagonistisch sind - ist aber eine gesellschaftliche Frage.
Demokratie ist eine Methode, Feudalismus eine andere. Vielleicht ist
Demokratie sogar das Beste für die Industriegesellschaft mit ihrer
(künstlich produzierten) Knappheit. Für die Informationsgesellschaft
glaube ich das bislang nicht.

Also eine Art anarchischer Kommunismus (hoppla, ich muss ja aufpassen: dies ist
ausdrücklich NICHT polemisch gemeint...)

Ich klebe da nicht so gerne klassische Bapperl drauf, weil die immer
falsch sind. Ich bezeichne es mit GPL-Gesellschaft, da mit diesem Wort
ganz klar ist, dass es sich um etwas handelt, was bisher noch nicht
gedacht wurde. Und ich denke in der Tat, dass es bisher noch niemensch
gedacht hat. Da haben wir mit Oekonux m.E. schon eine neues,
vielversprechendes Tor aufgestoßen - sagen zumindest immer wieder
ernst zu nehmende Leute :-) .

Ich glaube, davon träumen die Menschen, sei es bewusst oder unbewusst, seit sie
sich zu Gesellschaften zusammengeschlossen haben.

Wäre es dann nicht an der Zeit den Traum zu verwirklichen? Die Chancen
dazu haben wir so reichlich wie nie zuvor, ja, wahrscheinlich zum
ersten Mal in der Menschheitsgeschichte. Mensch, think big!

Allerdings würde ich Staat und Gesellschaft niemals miteinander
identifizieren. Der Staat ist der Gesellschaft quasi äußerlich.

Da haben wir wohl wirklich einen Dissens: Ich meine, Gesellschaft und Staat
sollten in einer Demokratie integriert sein. Ich behaupte nicht, dass dies hic
et nunc 100%ig so ist.

Ich sprach von Identifikation. Wäre Gesellschaft und Staat identisch,
dann gäbe es keine vorstaatliche Gesellschaft. Das ist aber
offensichtlich Quatsch, da Menschen immer nur als gesellschaftliche
Wesen gedacht werden können.

Integration ist eine andere Frage. Das ginge, wenn die beiden Dinge
ich sag mal: isomorph wären. Da habe ich so meine Zweifel.

Eine der Dinge, die ich erfrischend an der PDS fand, war immer, dass
sie sich lange nicht angebiedert hat. Dass sie lange als authentische
(linke) Kraft wahrnehmbar war. Vielleicht fing das Problem da an, dass
nicht frühzeitig ein Schnitt gezogen wurde zwischen Ewiggestrigen und
solchen, die auch mal einen Schritt weiter denken.

Das ist vollkommen richtig!!! Die Verfasstheit der Partei war ein irreversibler
Geburtsfehler.

Na, vielleicht Mitte der 90er. Das hätte m.E. gereicht.

Wenn ich in meine Richtung weiter
denke, dann sehe ich auch nicht, wie das der Mitgliedschaft
vermittelbar wäre, die noch so sehr im Alten steckt.

Versuche es doch bitte mal. Neue Gedanken sind rar.

Einen Versuch habe ich ja heute rumgeschickt. Auch wenn ich nicht
glaube, dass - vielleicht abgesehen von den üblichen Verdächtigen - da
ein Mitglied auftaucht. Aber ich lasse mich gerne überraschen.


Ach so: Der Thread ist gar nicht so uninteressant. Hättet ihr, Andrea
und Hartmut, etwas dagegen, wenn ich größere Teile dieses Threads auf
die Oekonux-Liste posten würde? Ich kann auf Wunsch zwecks
Anonymisierung gerne eure Namen / eMail-Adressen raus nehmen. Unsere
gemeinsamen Gedanken würden sich dann auch im Listen-Archiv wieder
finden - was ja gleich ein praktischer Beitrag zum Sharing von
Informationsgütern wäre :-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan




------- Message 7

Date:  Mon, 18 Aug 2003 19:39:33 +0200
From:  Andrea.Link t-online.de (Andrea Link)
Subject:  Re: Zurueck in die Politik
To:  diskussion pds-rlp.de
References:  <200308162312.h7GNCWs01339 rosalu.merten-home.de>
Message-Id:  <19onyf-0Qx4D30 fwd06.sul.t-online.com>

Hallo Stefan,

zunächst, ehe es vergessen geht: Den Termin an der Uni KL hab ich mir
vorgemerkt, ich hoffe, es kommt nichts dazwischen. Jedenfalls haben wir jetzt so
lange darüber diskutiert, dass mir ein bisschen konkreteres Wissen über
Deine/Eure Gedanken wichtig wäre, um mir letztlich ein Urteil zu bilden.

Desgleichen hab ich natürlich auch nichts dagegen, wenn Du die Mails in diesem
Zusammenhang anderen Interessierten zugänglich machst.

[Sorry, Andrea, für die Dopplung. Ich hatte mal wieder vergessen, dass
diese Liste ja nicht zum Diskutieren eingestellt ist...]

???

Wäre mir beinahe schon wieder passiert. Aber jetzt habe ich's richtig
gemacht: Die Liste ins `Cc:' genommen.

Ich könnte ja jetzt ein bisschen boshaft fragen, ob das an Deinem System liegt -
sie kam nämlich wieder doppelt. Ich selbst bin ganz naive Microsoft-Userin. In
dem Zusammenhang zu Deiner Frage nach den Vorteilen: Dabei nehme ich in Kauf,
dass Du entsetzt oder belustigt bist. Ich habe weder Zeit noch Lust noch
Know-How und vor allem keine Geduld, da allzu sehr in die Tiefe zu steigen. Wenn
ich ein Gerät erwerbe, dann sollte das im Idealfall irgendwie anzuschließen und
in Betrieb zu nehmen sein und so funktionieren, wie man es erwartet. Somit habe
ich noch nie irgendwelche Probleme mit Microsoft gehabt. Mehr noch, ich bin
damit zufrieden. Warum sollte ich also umstellen? Übrigens hatte ich auch keine
Probleme mit dem jüngsten Wurm und *toitoitoi* auch zuvor noch nie.

Im Ernst: Das ist alles Work-In-Progress. Auch wenn wir da schon seit
Jahren dran rumdenken und sicher inzwischen auch das eine oder andere
als relativ gesichert gelten kann, gibt's da noch täglich
Entwicklungspotenzial.

Ich finde das ja auch interessant, selbst wenn ich mir das Prinzip nicht in
jeglicher Beziehung vorstellen kann. Aber wie erwähnt, ich höre mir gern mal
Deinen Vortrag dazu an, wenn Du ihn gut hältst, hast Du danach ein kompetenteres
Kommunikationsgegenüber.

Es gibt hier zwei Argumentationsstränge. Der eine ist, die
Automatisierung weiter und schneller voran zu treiben. Damit bleibt in
der Tendenz immer weniger menschliche Arbeitskraft übrig, die (per
Geld) erzwungen werden muss, so dass der Überfluss, der sich durch die
digitale Kopie einstellt, auch im materiellen Bereich existiert.
Faktisch bin ich der Meinung, dass wir ausgehend von einem
durchschnittlichen Konsumniveau dieses Produktivitätspotenzial
durchaus schon erreicht haben. Jetzt käme es "nur noch" darauf an, die
Arbeitsbedingungen so umzugestalten, dass es immer weniger
(strukturellen) Zwang braucht.

Bis zu neuerer Erkenntnis verstehe ich aber immer noch nicht, wie der Mensch mit
viel Information an seine Lebensmittel, sein Benzin und seine Autoreifen kommt.

Der zweite Argumentationsstrang ist wieder an der
Produktivkraftentwicklung orientiert. Gehen wir davon aus, dass die
Gesellschaft wesentlich durch deren aktuellen Stand dominiert ist,
dann geht das eigentlich ganz einfach. Als die Bodenbearbeitung den
aktuellen Stand der Produktivkraftentwicklung darstellte, bildete sich
der Feudalismus aus.

Naja, ganz so einfach war es auch nicht...

Als die industrielle Massenproduktion von Gütern
den aktuellen Stand der Produktivkraftentwicklung darstellte, bildete
sich der Kapitalismus aus. In diesem waren die Probleme, die es zu
feudalen Zeiten gab, gesellschaftlich aufgehoben.

Bist Du Dir da so sicher? Übrigens gab es keine "historischen Schnitte", immer
und stets existierten sowohl Produktionsmuster als auch Probleme nebeneinander
her. Parallel und sich gegenseitig ergänzend, sich gegenseitig abmildernd und
akzentuierend. Der "Feudalismus" im eigentlichen Sinne ist spätestens im 16. Jh.
komplett "überwunden". Es persistierten lediglich einige (störende) Elemente.

Die Bearbeitung des
Bodens ist immer mehr zum Anhängsel des industriellen Systems
geworden.

So wird das gemeinhin gesehen, ja. - Allerdings, auch wenn die Bearbeitung des
Bodens (sagen wir im weitesten Sinne die Landwirtschaft) heutzutage den
Mechanismen des industriellen Systems folgt (Rationalisierung, Optimierung etc.)
so würde ich doch ausdrücklich davor warnen wollen, sie als bloßes Anhängsel in
gewisser Weise herabzuwürdigen, nur weil wir zum aktuellen Zeitpunkt nie durch
Mangel auf sie wirklich aufmerksam werden. Wenn die EU heutzutage sämtliche
Agrarsubventionen streichen würde, würden die meisten Landwirte innerhalb
kürzester Zeit bankrott gehen. Die Lebensmittelpreise würden sich am Weltmarkt
orientieren, und unsere Lebensgrundlage im "industriellen System" würde sehr
schnell um so viel anders werden, dass wir uns alle ganz schön umgucken würden.
Information - ja, gern, je mehr desto besser - aber von Informationen kann man
nicht runterbeißen.

Und da du dich so gut in der Umbruchsphase zur bürgerlichen
Gesellschaft auskennst:

Sie beginnt im 14. Jahrhundert. Der Feudalismus im eigentlichen Sinne ist zu
diesem Zeitpunkt nicht mehr. Das ihm zugrundliegende System "Treue, Schutz und
Dienst" ist zu dieser Zeit durch Geldwirtschaft abgelöst. Feudalismus im
eigentlichen Sinne ist ein Element der germanischen Gesellschaft, implementierte
sich im Zuge der Völkerwanderungen in Europa und findet seinen Höhepunkt um die
Zeit Karls des Großen, ist bei der Reichsverfassungsreform von Karl IV. jedoch
schon ad absurdum geführt.

Mich würden *brennend* Beispiele
interessieren, die deinem Argument analog sind: "Na ja, dass die
Textilfabriken in England ihre Waren weltweit verkaufen kann ich mir
ja noch vorstellen, aber wie soll das denn mit dem Brot gehen?" Na ja,
es hat noch ein paar Jahrzehnte gedauert, aber heute essen wir
weitgehend industrialisiertes Brot. Sich mit einem kapitalistisch
zugerichteten Kopf Dinge nicht vorstellen zu können, macht also noch
nicht unbedingt ein Argument. Hast du Beispiele?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich Deine Frage richtig verstanden habe. Vielleicht
präzisierst Du sie mir noch mal, dann kann ich Dir bestimmt Beispiele nennen.
Bis dahin verweise ich auf den Ausbruch des amerikanischen
Unabhängigkeitskriegs.

Meinst Du, man kann das Prinzip, nach dem honorige schöpferische Geister
 sich
austoben, auf alle Bereiche der Industriegesellschaft übertragen? Von wem
bekomme ich mein Benzin? (sorry, mir fallen immer so ätzend alltägliche
Beispiele ein)

Frage dich doch mal selbst, wie hoch der Anteil der
Informationsprodukte in deinem Alltag ist.

Sehr hoch - doch ihre Urheber wollen letztlich auch ihr Auto betanken und
irgendwann im Laufe des Tages was zwischen die Kiemen schieben. Daher zahlen wir
GELD für diese Informationsprodukte. Meine Frage bleibt: Wenn Information/Wissen
wie eine Flamme beliebig teilbar ist und den Raum immer weiter erhellt, je
weiter sie geteilt wird, so braucht doch jede dieser Flammen einen Docht, sonst
brennt sie nicht. Die Frage nach dem Docht oder dem brennbaren Material bleibt
leider unbeantwortet!

Ich neige zu der Ansicht,
dass der heute schon relativ dominant ist - vor allem, wenn ich den
"Anteil" an Informationen betrachte, der auch in materiellen Gütern
heute steckt, nämlich in deren Produktion. Jetzt stelle dir weiter
vor, dass du für alle diese Informationsprodukte (ich meine nicht
deren Transport) nicht mehr zahlen müsstest, weil du sie ohne
Gegenleistung nutzen könntest.

Das geht, keine Frage, doch (siehe oben) von was leben die Produzenten von
Information? Geben die Bauern ihren Weizen kostenlos ab, weil sie sich dafür aus
dem Internet kostenlos die neuste Software runterladen können? Und was machen
sie dann mit dieser Information? Sie könnten beispielsweise ihr Leben
rationalisieren. Aber ich wiederhole, irgendwann ist alles optimal
rationalisiert, und der Mensch hat immer noch Hunger und das Auto gibt mangels
Sprit keinen Mucks von sich.

Aber du meintest den Einwand sicher anders. Wie?

Mit meinem Einwand ("Menschen, die einfach nur leben wollen") meinte ich z.B.
diejenigen, die sich für Informationen aller Art nur am Rande interessieren, so
dass ihr Bedarf durchs Fernsehen, RAdio oder die Tageszeitung rundrum gedeckt
ist. Die tagtäglich ihrer Arbeit nachgehen, Konsumgüter des täglichen Bedarfs
verbrauchen (da wäre ich wieder bei Lebensmitteln und Sprit), sich für die
Bundesliga-Tabelle interessieren und ansonsten ein "ganz normales Leben" führen.
Die haben nach meiner Beobachtung kein Informationsdefizit, sondern meistens
eher ein Gelddefizit.

 Konflikte wird es immer geben. Wie sie gelöst werden - und ob
sie antagonistisch sind - ist aber eine gesellschaftliche Frage.
Demokratie ist eine Methode, Feudalismus eine andere. Vielleicht ist
Demokratie sogar das Beste für die Industriegesellschaft mit ihrer
(künstlich produzierten) Knappheit. Für die Informationsgesellschaft
glaube ich das bislang nicht.

Gut, bis ich Deinen Vortrag gehört und tiefere Erkenntnis gewonnen habe, lass
ich den letzten Satz mangels Phantasie einfach mal so stehen. Mich beunruhigt
der Satz davor: "Vielleicht ist Demokratie sogar das Beste für die
Industriegesellschaft mit ihrer (künstlich produzierten) Knappheit."

In einer Zeit, wo deflationäre Tendenzen drohen, kann man m.E. von künstlich
produzierter Knappheit nur schwerlich sprechen. Vielleicht sollten wir uns zuvor
über Deine Definition von Demokratie einigen, meine wäre, extrem verknappt, dass
die Bürger einer Gesellschaft deren GEstaltung selbst bestimmen, wo sie es
selbst können, und durch gewählte Vertreter/innen, wo sie es selbst nicht
können, und die Meinungsmehrheit im Sinne des gesellschaftlichen Friedens einen
konstruktiven Kompromiss mit der qualifizierten Minderheit (vulgo: Opposition)
sucht. Mir fällt keine bessere Staatsform ein, egal wie und was produziert wird.
Zur Zeit wird das durch Parteien organisiert. Die Geschichte zeigt, dass es auch
anders geht, doch die Geschichte lehrt bis auf weiteres, dass es so am besten
"geht".

Ich bezeichne es mit GPL-Gesellschaft

Bitte übersetz das doch mal.

Da haben wir mit Oekonux m.E. schon eine neues,
vielversprechendes Tor aufgestoßen - sagen zumindest immer wieder
ernst zu nehmende Leute :-) .

Bitte nimm meine Einwände weniger als beckmesserisches Gekrittel, sondern als
Nachhaken auf dem Weg des sachlichen Verständnisses.

Ich glaube, davon träumen die Menschen, sei es bewusst oder unbewusst, seit
 sie
sich zu Gesellschaften zusammengeschlossen haben.

Wäre es dann nicht an der Zeit den Traum zu verwirklichen? Die Chancen
dazu haben wir so reichlich wie nie zuvor, ja, wahrscheinlich zum
ersten Mal in der Menschheitsgeschichte. Mensch, think big!

Neue Denkmodelle sind immer positiv zu bewerten, da sie der Stagnation
gegensteuern. Was davon übernommen wird, ist meist das Beste und Wünschenswerte.
Dass "neue Denkmodelle" sich in der Geschichte schon selbst grausig ad absurdum
geführt und ins Abseits manövriert haben, beweist leider auch der Traum vom
Kommunismus: Jedem nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten. Das
ist eigentlich ein guter Gedanke. Schade nur, dass diese Rechnung irgendwie ohne
die Akteure und potenziellen Nutznießer gemacht wurde.

Die Verfasstheit der Partei war ein
 irreversibler
Geburtsfehler.

Na, vielleicht Mitte der 90er. Das hätte m.E. gereicht.

Tja...

Danke für den Gedankenaustausch, und die Einwände bitte so auffassen wie oben
gesagt.

Gruß
Andrea




------- Message 8

Date:  Fri, 22 Aug 2003 21:33:17 +0200
From:  Stefan Merten <smerten oekonux.de>
Subject:  Oekonux-Thesen (was: Re: Zurueck in die Politik)
To:  diskussion pds-rlp.de
Cc:  Stefan Merten <smerten oekonux.de>
In-Reply-To:  Your message of "Mon, 18 Aug 2003 19:39:33 +0200"
	<19onyf-0Qx4D30 fwd06.sul.t-online.com>
Message-Id:  <200308221933.h7MJXHT01661 rosalu.merten-home.de>

Hi Andrea und andere!

4 days ago Andrea Link wrote:
zunächst, ehe es vergessen geht: Den Termin an der Uni KL hab ich mir
vorgemerkt, ich hoffe, es kommt nichts dazwischen.

:-)

Jedenfalls haben wir jetzt so
lange darüber diskutiert, dass mir ein bisschen konkreteres Wissen über
Deine/Eure Gedanken wichtig wäre, um mir letztlich ein Urteil zu bilden.

Da muss ich mir dann nochmal überlegen, wie ich den Vortrag konkret
anlege. Ich wollte eigentlich keinen Oekonux-Einführungsvortrag
halten. Aber sollte irgendwo in RLP Interesse entstanden an so etwas
sein: Ich komme notfalls auch für die Fahrtkosten.

Desgleichen hab ich natürlich auch nichts dagegen, wenn Du die Mails in diesem
Zusammenhang anderen Interessierten zugänglich machst.

Fein. Das werde ich dann die Tage mal machen.

[Sorry, Andrea, für die Dopplung. Ich hatte mal wieder vergessen, dass
diese Liste ja nicht zum Diskutieren eingestellt ist...]

???

Wäre mir beinahe schon wieder passiert. Aber jetzt habe ich's richtig
gemacht: Die Liste ins `Cc:' genommen.

Ich könnte ja jetzt ein bisschen boshaft fragen, ob das an Deinem System liegt -
sie kam nämlich wieder doppelt.

In der Tat war sie im Fall wohl vorher dreifach gekommen. Aber du hast
Recht: Eigentlich hatte ich ja was gefunden, dass ich's auch richtig
machen kann. Dass ich es in diesem Zusammenhang einsetzen kann, ist
mir erst jetzt aufgefallen. Danke für den Schubs.

Ich selbst bin ganz naive Microsoft-Userin.

Was dein gutes Recht ist. Wie die meisten vermutlich, weil du das
genommen hast, was dir angedreht worden ist und nicht weil es auf
einer konkreten, eigenständigen Entscheidung beruht hat. Solche
subliminale Beeinflussung finde ich zumindest bedenklich.

In
dem Zusammenhang zu Deiner Frage nach den Vorteilen: Dabei nehme ich in Kauf,
dass Du entsetzt oder belustigt bist. Ich habe weder Zeit noch Lust noch
Know-How und vor allem keine Geduld, da allzu sehr in die Tiefe zu
steigen.

Vielleicht habe ich mich unklar ausgedrückt. Was ich sagen wollte:
Aktuelle Linux-Distributionen erfordern das weniger als Windows. Wenn
überhaupt, gibt es hier und da Probleme bei der Installation auf
extrem neuer oder seltener Hardware, aber die Installation musst du
auch bei Windows nicht selbst machen.

Wenn
ich ein Gerät erwerbe, dann sollte das im Idealfall irgendwie anzuschließen und
in Betrieb zu nehmen sein und so funktionieren, wie man es erwartet.

Und Linux tut das nicht?

Somit habe
ich noch nie irgendwelche Probleme mit Microsoft gehabt.

Soweit zumindest dein momentaner Horizont.

Mehr noch, ich bin
damit zufrieden. Warum sollte ich also umstellen?

Weil du zufriedener werden könntest. Aber wenn du keine Fesseln
spürst, solltest du dich auch einfach weiter nicht bewegen ;-) .

Fakt ist: Ich kenne Leute mit ähnlichem Ansatz wie du - den ich
übrigens völlig legitim finde -, die seit Jahren mit GNU/Linux
arbeiten und sich über dessen Stabilität und Problemlosigkeit freuen.
Neuinstallationen sind da z.B. unbekannt.

Übrigens hatte ich auch keine
Probleme mit dem jüngsten Wurm und *toitoitoi* auch zuvor noch nie.

Na, ein Problem nennst du gerade. Ich habe jedenfalls keine Angst vor
Viren oder Würmern. Und ich brauche mich nicht mal um
Anti-Viren-Software zu sorgen.

Es gibt hier zwei Argumentationsstränge. Der eine ist, die
Automatisierung weiter und schneller voran zu treiben. Damit bleibt in
der Tendenz immer weniger menschliche Arbeitskraft übrig, die (per
Geld) erzwungen werden muss, so dass der Überfluss, der sich durch die
digitale Kopie einstellt, auch im materiellen Bereich existiert.
Faktisch bin ich der Meinung, dass wir ausgehend von einem
durchschnittlichen Konsumniveau dieses Produktivitätspotenzial
durchaus schon erreicht haben. Jetzt käme es "nur noch" darauf an, die
Arbeitsbedingungen so umzugestalten, dass es immer weniger
(strukturellen) Zwang braucht.

Bis zu neuerer Erkenntnis verstehe ich aber immer noch nicht, wie der Mensch mit
viel Information an seine Lebensmittel, sein Benzin und seine Autoreifen kommt.

Die Frage, die dich umtreibt, wird bei uns gewöhnlich als die
Brötchenfrage bezeichnet: "Woher kommen die Brötchen?" (Die andere in
diesem Zusammenhang ist übrigens "Wer putzt das Klo?". Dazu gibt es
eine gut lesbare Antwort [http://www.oekonux.de/texte/utoklo.html].)
Nun, ich hatte schon im Großmaßstab geantwortet, hier aber noch zwei
Antworten dazu.

Zunächst geht es auch in der heutigen Gesellschaft nicht um Brötchen,
Autoreifen oder Benzin. Brötchen, Autoreifen oder Benzin sind vielmehr
zu Aggregatzuständen dessen geworden, um was es in dieser Gesellschaft
wirklich geht: Geld. Wäre das nicht so, dann könnten wir übrigens auch
aufhören, von Kapitalismus oder meinetwegen Marktwirtschaft zu reden.

Eine Oekonux-These ist übrigens, dass genau das auch ein wichtiges
Problem ist - ein Problem aus der Kategorie der Entfremdung. Freie
Software hat *genau deswegen* solchen Erfolg, weil die EntwicklerInnen
eben nicht auf den Entfremdungszusammenhang Geld starren, sondern sich
vor allem der Produktqualität widmen können. Dies ist auch nicht
hintergehbar und ich vermute, dass dieses Prinzip für alle kreativen
Tätigkeiten gilt. Da die nicht-kreativen Teile des Stoffwechsels mit
der Natur aber zunehmend automatisiert werden, bleiben die kreativen
Tätigkeiten übrig. Praktischerweise, da kreative Entfaltung sicher ein
wichtiger Aspekt von Selbstentfaltung ist. Der historische Prozess
läuft also - wer hätte das gedacht? - darauf zu, dass sich der
Widerspruch zwischen Notwendigkeit und Freiheit nicht unerheblich in
Wohlgefallen auflöst. Das ist doch was :-) .

Festzuhalten bleibt also: Auch in dieser Gesellschaft geht es - vor
allem global betrachtet - ziemlich zuletzt um die stofflichen
Bedürfnisse der Menschen. Der gesamtgesellschaftliche Prozess
organisiert sich vielmehr um etwas anderes herum - eben Geld oder
genauer gesagt: Tausch. Dennoch werden diese stofflichen Bedürfnisse
zu einem gewissen Grad befriedigt. Irgendwie schafft es also dieses
Gesellschaftsmodell, die stofflichen Bedürfnisse (begrenzt)
mitzuschleppen.

So betrachtet wäre also die Frage, wie eine GPL-Gesellschaft dieses
Mitschleppen leisten könnte. Und dazu kommt die zweite Antwort: Wenn
Brötchen, Autoreifen oder Benzin ein gesellschaftliches Bedürfnis
sind, dann werden sich Mittel und Wege finden, dieses Bedürfnis zu
befriedigen. Dafür gibt es in der Freien Software zahlreiche Beispiele
und auch vor dem strukturellen Zwangsmittel Geld haben Gesellschaften
ihre stofflichen Bedürfnisse befriedigt. So, wie die Selbstentfaltung
dazu führt, dass Freie Software im Überfluss vorhanden ist, genauso
ist doch auch vorstellbar, dass Leute es toll finden Brötchen zu
backen - sei es handwerklich oder großindustriell. Auf den dafür ggf.
notwendigen Umbau des Industriesystems zur Ermöglichung von
Selbstentfaltung hatte ich in diesem Thread schon hingewiesen.

Der zweite Argumentationsstrang ist wieder an der
Produktivkraftentwicklung orientiert. Gehen wir davon aus, dass die
Gesellschaft wesentlich durch deren aktuellen Stand dominiert ist,
dann geht das eigentlich ganz einfach. Als die Bodenbearbeitung den
aktuellen Stand der Produktivkraftentwicklung darstellte, bildete sich
der Feudalismus aus.

Naja, ganz so einfach war es auch nicht...

Geschenkt.

Als die industrielle Massenproduktion von Gütern
den aktuellen Stand der Produktivkraftentwicklung darstellte, bildete
sich der Kapitalismus aus. In diesem waren die Probleme, die es zu
feudalen Zeiten gab, gesellschaftlich aufgehoben.

Bist Du Dir da so sicher?

Das bin ich allerdings: Wer redet heute noch über die
Nachfolgeprobleme oder Heiratspolitik des Adels? Wen juckt heute noch,
wieviele Engel auf einer Nadelspitze tanzen können? Die
Nachfolgeprobleme und die Ehen des Adels sind heute in der
Yellow-Press - im doppelten Sinne - aufgehoben. Über Engel auf
Nadelspitzen diskutiert sicher auch noch wer. Aber es interessiert die
Gesellschaft eigentlich nicht mehr.

Übrigens gab es keine "historischen Schnitte", immer
und stets existierten sowohl Produktionsmuster als auch Probleme nebeneinander
her. Parallel und sich gegenseitig ergänzend, sich gegenseitig abmildernd und
akzentuierend.

D'accord. Geschichte ist immer komplizierter. Aber wenn du von
komplizierten Dingen etwas verstehen willst, hilft es m.E. die
Strukturmerkmale herauszuarbeiten. Wenn es damit gelingt,
Entwicklungen richtig zu erklären, bestenfalls vorher zu sagen, hast
du eine (gute) Theorie.

Der "Feudalismus" im eigentlichen Sinne ist spätestens im 16. Jh.
komplett "überwunden". Es persistierten lediglich einige (störende) Elemente.

Danke für die Aufklärung - hupps für *deine Aufklärung* meine ich
;-) . Wie würdest du denn die letzte Phase vor der Aufklärung - sagen
wir bis Ende 18. Jahrhundert - nennen?

Die Bearbeitung des
Bodens ist immer mehr zum Anhängsel des industriellen Systems
geworden.

So wird das gemeinhin gesehen, ja. - Allerdings, auch wenn die Bearbeitung des
Bodens (sagen wir im weitesten Sinne die Landwirtschaft) heutzutage den
Mechanismen des industriellen Systems folgt (Rationalisierung, Optimierung etc.)

Und auch deren Logik! Das ist wichtig!

Für die Subsistenz baut heute in den industrialisierten Ländern
praktisch keine LandwirtIn mehr an - höchstens nebenbei. Sie verdienen
damit vielmehr Geld wie alle anderen. Die Landwirtschaft ist also voll
in das Geldsystem integriert.

so würde ich doch ausdrücklich davor warnen wollen, sie als bloßes Anhängsel in
gewisser Weise herabzuwürdigen, nur weil wir zum aktuellen Zeitpunkt nie durch
Mangel auf sie wirklich aufmerksam werden.

Es ist sicher nicht als Herabwürdigung gemeint. Wenn wir
gesellschaftliche Prozesse betrachten, ist es aber wichtig, das
zentrale Movens - oder mehrere davon - zu betrachten. Und du wirst mir
zustimmen, dass in den hochindustrialisierten Ländern die
Landwirtschaft kein Movens mehr ist.

Wenn die EU heutzutage sämtliche
Agrarsubventionen streichen würde, würden die meisten Landwirte innerhalb
kürzester Zeit bankrott gehen.

Was in Deutschland ca. 5% der Bevölkerung betreffen würde. Zu anderen
Gelegenheiten wird so etwas ohne mit der Wimper zu zucken
verfrühstückt.

Die Lebensmittelpreise würden sich am Weltmarkt
orientieren,

Und damit wohl ziemlich sinken würden. Sonst müsste die EU wohl kaum
die Billigimporte aus den armen Ländern mit formalen Mitteln abwehren.

und unsere Lebensgrundlage im "industriellen System" würde sehr
schnell um so viel anders werden, dass wir uns alle ganz schön umgucken würden.

Um kein Iota würde sie sich ändern. Lediglich würden wir von
landwirtschaftlichen Importen abhängig. *Das* scheint mir der
wesentliche Grund, warum es Landwirtschaft in Deutschland überhaupt
noch gibt.

Information - ja, gern, je mehr desto besser - aber von Informationen kann man
nicht runterbeißen.

Aber Information steuert den Mähdrescher, die Backfabrik, (heute) die
Kasse etc. pp. Heute spielt das alles eine größere Rolle als je zuvor.

Und da du dich so gut in der Umbruchsphase zur bürgerlichen
Gesellschaft auskennst:

Sie beginnt im 14. Jahrhundert. Der Feudalismus im eigentlichen Sinne ist zu
diesem Zeitpunkt nicht mehr. Das ihm zugrundliegende System "Treue, Schutz und
Dienst" ist zu dieser Zeit durch Geldwirtschaft abgelöst. Feudalismus im
eigentlichen Sinne ist ein Element der germanischen Gesellschaft, implementierte
sich im Zuge der Völkerwanderungen in Europa und findet seinen Höhepunkt um die
Zeit Karls des Großen, ist bei der Reichsverfassungsreform von Karl IV. jedoch
schon ad absurdum geführt.

Danke für die Information. Ich schärfe gerne meinen Begriffsapparat.

Mich würden *brennend* Beispiele
interessieren, die deinem Argument analog sind: "Na ja, dass die
Textilfabriken in England ihre Waren weltweit verkaufen kann ich mir
ja noch vorstellen, aber wie soll das denn mit dem Brot gehen?" Na ja,
es hat noch ein paar Jahrzehnte gedauert, aber heute essen wir
weitgehend industrialisiertes Brot. Sich mit einem kapitalistisch
zugerichteten Kopf Dinge nicht vorstellen zu können, macht also noch
nicht unbedingt ein Argument. Hast du Beispiele?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich Deine Frage richtig verstanden habe. Vielleicht
präzisierst Du sie mir noch mal, dann kann ich Dir bestimmt Beispiele nennen.

Ich habe mal einen satirischen Beitrag geschrieben, der in die
Richtung deutet:

	http://www.oekonux.de/liste/archive/msg02507.html

Wichtig ist: Du musst dich praktisch in die Denke eines Menschen
versetzen, der in der Umbruchphase zum Kapitalismus gelebt hat und im
alten System gedacht hat.

Meinst Du, man kann das Prinzip, nach dem honorige schöpferische Geister
 sich
austoben, auf alle Bereiche der Industriegesellschaft übertragen? Von wem
bekomme ich mein Benzin? (sorry, mir fallen immer so ätzend alltägliche
Beispiele ein)

Frage dich doch mal selbst, wie hoch der Anteil der
Informationsprodukte in deinem Alltag ist.

Sehr hoch - doch ihre Urheber wollen letztlich auch ihr Auto betanken und
irgendwann im Laufe des Tages was zwischen die Kiemen schieben. Daher zahlen wir
GELD für diese Informationsprodukte.

Du sagst selbst, dass *Geld* der entscheidende Faktor ist. Gut ;-) .

Meine Frage bleibt: Wenn Information/Wissen
wie eine Flamme beliebig teilbar ist und den Raum immer weiter erhellt, je
weiter sie geteilt wird, so braucht doch jede dieser Flammen einen Docht, sonst
brennt sie nicht. Die Frage nach dem Docht oder dem brennbaren Material bleibt
leider unbeantwortet!

Als Gedankenexperiment finde ich auch immer wieder Folgendes
interessant: Nehmen wir mal an, wir schaffen das Geld einfach ab und
ansonsten macht jedeR das, was sie bisher gemacht hat. Gut,
BankerInnen und BörsenspekulantInnen hätten dann wohl gar nichts mehr
zu tun, aber sonst würde sich nichts ändern. Im nächsten Schritt
fangen wir dann mal an zu überlegen, wo die Arbeitsbedingungen der
Selbstentfaltung widersprechen und ändern diese. Ich bin sicher:
Schwuppdiwupp hätten wir die GPL-Gesellschaft.

Ich neige zu der Ansicht,
dass der heute schon relativ dominant ist - vor allem, wenn ich den
"Anteil" an Informationen betrachte, der auch in materiellen Gütern
heute steckt, nämlich in deren Produktion. Jetzt stelle dir weiter
vor, dass du für alle diese Informationsprodukte (ich meine nicht
deren Transport) nicht mehr zahlen müsstest, weil du sie ohne
Gegenleistung nutzen könntest.

Das geht, keine Frage, doch (siehe oben) von was leben die Produzenten von
Information? Geben die Bauern ihren Weizen kostenlos ab, weil sie sich dafür aus
dem Internet kostenlos die neuste Software runterladen können?

Du denkst in Tauschkategorien: "*weil* sie sich". Nein, es geht bei
Freier Software nicht um Tausch. Was du meinst, bezeichne ich
inzwischen eher als Fluss (von Informationen oder Gütern).

Und was machen
sie dann mit dieser Information? Sie könnten beispielsweise ihr Leben
rationalisieren. Aber ich wiederhole, irgendwann ist alles optimal
rationalisiert, und der Mensch hat immer noch Hunger und das Auto gibt mangels
Sprit keinen Mucks von sich.

Wenn wirklich *alles* optimal rationalisiert ist, warum sollte dann
noch wer Hunger haben? In der kassenlosen Gesellschaft gibt's
Lebensmittel auch in Supermärkten - halt ohne Kasse. So what?

Aber du meintest den Einwand sicher anders. Wie?

Mit meinem Einwand ("Menschen, die einfach nur leben wollen") meinte ich z.B.
diejenigen, die sich für Informationen aller Art nur am Rande interessieren, so
dass ihr Bedarf durchs Fernsehen, RAdio oder die Tageszeitung rundrum gedeckt
ist. Die tagtäglich ihrer Arbeit nachgehen, Konsumgüter des täglichen Bedarfs
verbrauchen (da wäre ich wieder bei Lebensmitteln und Sprit), sich für die
Bundesliga-Tabelle interessieren und ansonsten ein "ganz normales Leben" führen.
Die haben nach meiner Beobachtung kein Informationsdefizit, sondern meistens
eher ein Gelddefizit.

Können wir uns darauf einigen, dass sie nicht ausreichend Bedürfnisse
befriedigt bekommen? Dann könnte es ihnen also besser gehen, wenn Geld
keine Rolle mehr spielt. Ist doch schon mal was.

Konflikte wird es immer geben. Wie sie gelöst werden - und ob
sie antagonistisch sind - ist aber eine gesellschaftliche Frage.
Demokratie ist eine Methode, Feudalismus eine andere. Vielleicht ist
Demokratie sogar das Beste für die Industriegesellschaft mit ihrer
(künstlich produzierten) Knappheit. Für die Informationsgesellschaft
glaube ich das bislang nicht.

Gut, bis ich Deinen Vortrag gehört und tiefere Erkenntnis gewonnen habe, lass
ich den letzten Satz mangels Phantasie einfach mal so stehen. Mich beunruhigt
der Satz davor: "Vielleicht ist Demokratie sogar das Beste für die
Industriegesellschaft mit ihrer (künstlich produzierten) Knappheit."

In einer Zeit, wo deflationäre Tendenzen drohen, kann man m.E. von künstlich
produzierter Knappheit nur schwerlich sprechen.

*Gerade* in diesen Zeiten! Ok, wenn du den Kapitalismus als
Naturphänomen betrachtest, dann hast du Recht.

Wenn Kapitalismus und sein Zwang alles durch's Geldnadelöhr zu treiben
allerdings ein *gesellschaftliches* Faktum sind, dann ist die
Knappheit künstlich, nämlich durch Menschenhand produziert. An was es
mangelt ist ja eben nicht an Gütern, sondern an Geld. Der Anschluss
der DDR hat ja gerade gezeigt, was unser heutiges industrielles System
aus dem Ärmel zu schütteln in der Lage ist (Dr. Oetker: "Da fahren wir
halt die Auslastung von 72% auf 76% hoch und bedienen den neuen Markt
Ex-DDR mit" (so ungefähr - die genauen Zahlen habe ich nicht mehr im
Kopf, aber die Größenordnungen stimmen)). Ein Riesenproblem des
DDR-Anschlusses ist doch, dass die Westproduktion eben keine neuen
Produktionsmittel in den Osten stellen musste - und wenn mal
ausnahmsweise, dann als gefeierter Gnadenakt -, sondern das locker aus
dem Bestand machen konnte. Und du meinst, dass Knappheit naturgegeben
ist? Bei uns? Wohl kaum.

Vielleicht sollten wir uns zuvor
über Deine Definition von Demokratie einigen, meine wäre, extrem verknappt, dass
die Bürger einer Gesellschaft deren GEstaltung selbst bestimmen, wo sie es
selbst können, und durch gewählte Vertreter/innen, wo sie es selbst nicht
können, und die Meinungsmehrheit im Sinne des gesellschaftlichen Friedens einen
konstruktiven Kompromiss mit der qualifizierten Minderheit (vulgo: Opposition)
sucht.

Für mich sind hier zwei Dinge entscheidend: Mehrheit dominiert
Minderheit und - den Gedanken habe ich auch noch nicht so lange - der
Bezug auf die Massen. Letzterer kommt mir immer mehr überholt vor.

Mir fällt keine bessere Staatsform ein, egal wie und was produziert wird.

Na ja, wenn du unbedingt einen Staat brauchst. Zumindest in der
demokratischen Formation als Nationalstaat auch so ein Ausfluss des
Industriesystems.

Zur Zeit wird das durch Parteien organisiert. Die Geschichte zeigt, dass es auch
anders geht, doch die Geschichte lehrt bis auf weiteres, dass es so am besten
"geht".

Just mit dem Weiteren beschäftigen wir uns in Oekonux :-) .

Ich bezeichne es mit GPL-Gesellschaft

Bitte übersetz das doch mal.

Hatte ich bewusst nicht gemacht, weil das Wort so seine
Schwierigkeiten hat. Z.B. wäre in der GPL-Gesellschaft die GPL nicht
mehr notwendig.

GPL steht für "General Public License". Dies ist die rechtliche Form,
unter der die meiste Freie Software steht und die das Copyright von
einem Recht zur Verknappung zu einem Recht der Veröffentlichung
ummünzt. Ziemlich genial das Teil :-) .

Da haben wir mit Oekonux m.E. schon eine neues,
vielversprechendes Tor aufgestoßen - sagen zumindest immer wieder
ernst zu nehmende Leute :-) .

Bitte nimm meine Einwände weniger als beckmesserisches Gekrittel, sondern als
Nachhaken auf dem Weg des sachlichen Verständnisses.

Aber immer. Nur so kommen wir weiter :-) . Ich lerne jedenfalls in
solchen Diskussionen auch öfter noch dazu.

Ich glaube, davon träumen die Menschen, sei es bewusst oder unbewusst, seit
 sie
sich zu Gesellschaften zusammengeschlossen haben.

Wäre es dann nicht an der Zeit den Traum zu verwirklichen? Die Chancen
dazu haben wir so reichlich wie nie zuvor, ja, wahrscheinlich zum
ersten Mal in der Menschheitsgeschichte. Mensch, think big!

Neue Denkmodelle sind immer positiv zu bewerten, da sie der Stagnation
gegensteuern. Was davon übernommen wird, ist meist das Beste und Wünschenswerte.
Dass "neue Denkmodelle" sich in der Geschichte schon selbst grausig ad absurdum
geführt und ins Abseits manövriert haben, beweist leider auch der Traum vom
Kommunismus: Jedem nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten. Das
ist eigentlich ein guter Gedanke. Schade nur, dass diese Rechnung irgendwie ohne
die Akteure und potenziellen Nutznießer gemacht wurde.

Ich würde sagen: Schade, dass die Rechnung ohne den historischen
Prozess gemacht wurde. Damals - und zumal in Russland - war ein "Jede
nach ihren Bedürfnissen, jede nach ihren Fähigkeiten" eben einfach
noch nicht ausreichend, um eine komplexe Gesellschaft zu tragen. Nicht
umsonst hoffte mensch auf die Revolution in Deutschland. Das hat sich
m.E. seither geändert.

Danke für den Gedankenaustausch,

Ich danke dir :-) .




------- End of Forwarded Messages


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