[ox] NZZ Online: Zur Ökonomie von Gratissoftware
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- Date: Mon, 06 Oct 2003 07:23:36 +0000
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23. September 2003, 02:14, Neue Zürcher Zeitung
Zur Ökonomie von Gratissoftware
Open-Source-Software stellt für die Managementforschung
ein Rätsel dar
Open Source - noch vor einigen Jahren nur
Insidern der IT-Branche ein Begriff - ist
in der letzten Zeit in die Schlagzeilen geraten.
Open-Source-Software begleitet uns täglich
- oft unbemerkt - etwa beim Versenden eines
E-Mails oder beim Surfen im Internet. Die
Programme scheinen wie aus dem Nichts zu
entstehen, entwickelt von Tausenden von Programmierern
rund um den Globus, die zum grössten Teil
in ihrer Freizeit und unbezahlt arbeiten
und die für ihre Beiträge keine Eigentumsrechte
anmelden.
Der Erfolg von Open-Source-Software stellt
für die Managementforschung ein Rätsel dar.
Die Programme scheinen wie aus dem Nichts
zu entstehen, entwickelt von Tausenden von
Programmierern rund um den Globus, die zum
grössten Teil in ihrer Freizeit und unbezahlt
arbeiten und die für ihre Beiträge keine
patentrechtlich oder anderswie geschützten
Eigentumsrechte anmelden können. Das ist
für die traditionelle Lehre unerklärlich,
glaubt sie doch, dass Innovationen umso mehr
gefördert werden, je stärker sie durch private
intellektuelle Eigentumsrechte (Patente oder
Lizenzen) geschützt werden. Anders könnten
keine Gewinne aus den Investitionen abgeschöpft
werden.
Zurück zu den Quellen
Was ist genau Open Source? Open Source ist
ein Sammelbegriff für verschiedene Softwarelizenzen.
Gemeinsam ist ihnen, dass jeder das Recht
hat, ohne Lizenzgebühren den Quellcode zu
lesen, zu verändern und Dritten zugänglich
zu machen. Keine Person oder Gruppe darf
von der Nutzung und Weiterentwicklung des
Quellcodes ausgeschlossen werden. Die verschiedenen
Lizenzen unterscheiden sich danach, inwieweit
Weiterentwicklungen und sonstige Änderungen
an einem Programm unter die gleiche Lizenz
gestellt werden müssen wie das ursprüngliche
Programm. Die in diesem Sinne strikteste
Lizenz ist die General-Public-Licence (GPL),
bei der jegliche Weiterentwicklung ebenfalls
unter dieser Lizenz veröffentlicht werden
muss.
Im Unterschied zum herkömmlichen Copyright
werden Lizenzen wie die GPL «Copyleft» genannt.
Diese Regel stellt sicher, dass ein unter
der GPL veröffentlichter Quellcode nicht
mehr unter eine proprietäre Lizenz gestellt
werden kann. Diese besonderen Lizenzen ermöglichen,
dass bei der Open-Source-Software der Design-
und der Testprozess fast gleichzeitig ablaufen.
Im Unterschied dazu können bei proprietärer
Software Fehler von den Benutzern nicht selber
beseitigt werden, weil diese keinen Zugang
zum Source- Code haben. Fehler («bugs») können
nur dem Eigentümer angezeigt werden - was
in der Regel zu erheblichen Zeitverzögerungen
beim «debugging» führt.
Neues Innovationsmodell
Wer sind nun die Tausende, die unbezahlte
Beiträge leisten? Damit dieses neue Innovationsmodell
auf Dauer erfolgreich sein kann, ist eine
ganze Reihe von unterschiedlich motivierten
Teilnehmern an diesem virtuellen Netzwerk
nötig. Ein grosser Teil der Programmierer
(Programmiererinnen spielen leider nur eine
verschwindend kleine Rolle) ist durchaus
kommerziell motiviert. Aber der Erfolg von
Open-Source-Software kann nur aus der Zusammenarbeit
von extrinsisch und intrinsisch Motivierten
erklärt werden. Das sind einerseits solche,
die einen kommerziellen oder anderweitig
instrumentellen Vorteil sehen, und andererseits
solche, die von der Sache begeistert sind.
Auf der kommerziellen Seite überlegen sich
immer mehr Unternehmen und Einzelpersonen,
wie sie aus dem Entwicklungsmodell Open Source
Nutzen ziehen können.
-So entwickelten sich einerseits Unternehmen,
deren Geschäftsmodelle zwar auf dem von der
Open-Source-Community entwickelten Quell
code beruhen. Aber mit diesem Code alleine
lässt sich kein Geld verdienen, da jeder
und jede die Software kostenlos im Internet
herun terladen kann. Deshalb verkaufen Unterneh
men wie etwa IBM oder Hewlett-Packard zu
Open-Source-Software komplementäre Hard-
und Software. Andere Unternehmen wie Red
Hat oder SuSe bieten Dienstleistungen an,
die es auch Laien ermöglichen, die ursprünglich
von Experten für Experten hergestellte Open-
Source-Software zu benutzen. -Andererseits
haben auch Firmen, die ursprüng lich rein
proprietäre Software hergestellt haben, die
innovativen Kräfte des Open- Source-Entwicklungsmodells
entdeckt. So ent schloss sich beispielsweise
Sun Microsystems, den bisher proprietären
Quellcode von Java freizugeben. Die kommerziellen
Unternehmen sind jedoch auf die freiwillige
Kooperations bereitschaft der Open-Source-Entwickler
ange wiesen. Der Erfolg ihrer Projekte hängt
davon ab, ob es den Unternehmen gelingt,
eine gute Beziehung zur Gemeinschaft der
freiwilligen Entwickler aufzubauen. -Einen
kommerziellen Vorteil erhoffen sich aber
auch diejenigen Programmierer, die mit ihren
Beiträgen eine hohe Reputation - mithin einen
zukünftigen Karrierenutzen - erwerben wollen.
Jedoch ist der Anteil dieser Programmierer
ge mäss zahlreichen empirischen Untersuchungen
nicht sehr gross. Ausserdem kann man eine
solche Absicht nur erfolgreich umsetzen,
wenn ein Projekt schon einen gewissen Marktanteil
hat. Liest man die Biografie von Linus Torvalds,
dem mittlerweile schon fast legendä ren Begründer
von Linux, so wird deutlich: Sein Motiv bei
den ersten Schritten von Linux war Programmieren
«just for fun» - was denn auch den Titel
des Buches abgab. -«Scratching one's own
itch», heisst ihr Motto. Die Veröffentlichung
im Netz kostet fast nichts, und es entsteht
die Chance, dass ein anderer Programmierer
hilft, der dasselbe Pro blem schon gelöst
hat. Diese Motivation setzt aber voraus,
dass es in der Gemeinschaft nicht lauter
Trittbrettfahrer gibt, die nur Fragen stel
len, aber keine Unterstützung anbieten -
mit hin dass es auch intrinsisch, von der
Sache her motivierte Programmierer in dieser
virtuellen Gemeinschaft gibt.
Profitieren von Gratissoftware
Das neue Innovationsmodell kann nur funktionieren,
wenn ein erheblicher Teil der Open- Source-Gemeinde
sich nicht nur kommerziell oder instrumentell
engagiert. Zahlreiche empirische Untersuchungen
zeigen, dass das tatsächlich der Fall ist.
Der Nutzen für diese Programmierer besteht
entweder im Spass am Programmieren selbst,
in der «Ego-Gratifikation» oder in der Zugehörigkeit
zu einer Gemeinde, mit der sie sich identifizieren,
ohne dass dahinter monetäre Motive stehen.
-Den Spass am Programmieren bestätigt die
Mehrheit der Programmierer gemäss einer gross
angelegten Befragung der Boston Con sulting
Group. Etwa 70 Prozent geben an, dass sie
beim Programmieren das Gefühl für Zeit und
Raum verlieren. Mehr als die Hälfte ver gleicht
das Schreiben von Code mit Kompo nieren oder
Dichten. -Die «Ego-Gratifikation» entsteht
durch die un mittelbare Anerkennung der Mitentwickler
und Anwender. Sie ist nicht durch Geld motiviert,
sondern dadurch, dass «die Sache funktio
niert», sowie durch die Bestätigung der gleich
gesinnten Kollegen. Bei der Entwicklung von
kommerzieller Software braucht es nicht selten
Jahre, bis das Produkt auf den Markt kommt.
Bei Open Source hingegen haben die Program
mierer die Chance, dass ihr Code viel schneller
in ein Projekt aufgenommen wird. -Das Gefühl
der Zugehörigkeit zu einer Ge meinde ist
für das Überleben dieses Innova tionsmodells
deshalb so wichtig, weil ohne die ses Engagement
die Ordnung in dieser Gruppe nicht aufrechterhalten
werden könnte. Wie in jeder Gemeinschaft
gibt es bei Open Source Regeln, an die sich
alle halten sollten, und wie überall gibt
es auch hier Trittbrettfahrer. Eine der schlimmsten
Sünden ist die Verletzung des «Copylefts»,
d. h. die Verwendung von Pro grammteilen
in proprietären Codes. Die Iden tifikation
und Bestrafung der Sünder (etwa durch Blossstellung
und «flaming») muss durch die Mitglieder
selber geleistet werden, schliesslich stehen
Unternehmen mit Rechts abteilungen nur im
Ausnahmefall zur Ver fügung. Auch hier ist
also das freiwillige En gagement der Programmierer
gefragt. Etwa die Hälfte der Programmierer
bestätigt, dass das Zugehörigkeitsgefühl
für ihre Mitarbeit aus schlaggebend ist,
und rund ein Drittel enga giert sich für
die Überzeugung, dass der Quell code offen
zugänglich bleiben soll.
Labiles Gleichgewicht
Der Erfolg der Open-Source-Software-Entwicklung
lässt sich insgesamt nur daraus erklären,
dass gleichzeitig kommerzielle Anbieter und
von der Sache begeisterte Programmierer sich
ergänzen. Beide Gruppen sind offensichtlich
nötig, damit diese Software beachtliche Marktanteile
gewinnen konnte. Für beide Gruppen ist die
besondere Lizenz des «Copylefts» von zentraler
Bedeutung für die Zusammenarbeit: Sie gewährleistet,
dass sich die freiwilligen Enthusiasten von
den kommerziellen Anbietern nicht ausgebeutet
fühlen, sondern dass ihr Beitrag weiterhin
für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Allerdings
muss offen bleiben, wie lange dieses neue
Innovationsmodell bestehen bleibt. Schon
zeichnet sich ab, dass die kommerziellen
Anbieter die Überhand gewinnen. Es könnte
sein, dass dann die freiwillige Mitarbeit
zum Versiegen kommt.
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