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Re: [ox] geistige Arbeit



Hi Benni, Joost, alle!

Last month (47 days ago) Benni Baermann wrote:
On Thu, Nov 27, 2003 at 10:42:21AM [PHONE NUMBER REMOVED], Joost Klüßendorf wrote:
Mich würde mal interessieren, wie hoch der Anteil geistiger Arbeit an
einem Brötchen ist, wenn man mal alles miteinbezieht

Mich auch.

Das Problem an dieser Frage ist, dass mensch dafür ein gemeinsames Maß
an Aufwand - Aufwand? ja, was eigentlich genau? - bräuchte für
geistige Arbeit und für körperliche. Das ist ein hartes theoretisches
Problem, da jede Tätigkeit grundsätzlich inkomensurabel (~
unvergleichbar) mit jeder anderen ist.

Der Kapitalismus führt die Arbeitszeit als gemeinsames Maß ein. Aber
die ist bei geistiger Arbeit schon sehr viel schwieriger zu messen als
bei körperlicher - und selbst dort nicht immer genau. Aber was ist mit
geistigen Tätigkeiten, die ich in meiner Freizeit erledige? Wenn ich
im Traum eine Idee für ein Programmierproblem habe, habe ich dann
Arbeitzeit verschlafen oder im Schlaf gearbeitet ;-) ? Diese
Unzurechenbarkeit geistiger Tätigkeit scheint mir ohnehin eine
theoretische Fuge im Kapitalismus zu sein, die immer weiter klafft.

(ohne Anspruch auf
Vollständigkeit, ich bin kein Experte im industriellen Herstellen von
Brötchen):

- Die geistige Arbeit in dem Mähdrescher, der Kornmühle dem
  Transport-LKW's und dem Backautomaten
- Die geistige Arbeit in den den Industriemaschinenen, die Mähdrescher,
  Kornmühle, Transport-LKW und Backautomaten zusammengebaut haben
- Die geistige Arbeit sämtlicher Maschinen, die zum Rohstoffabbau
  verwendet wurden (Berkwerkstechnik, Bagger, Transportzüge, usw.)

Hier müsste dann so etwas wie Abnutzung etc. mit berücksichtigt
werden. Der Kapitalismus regelt das in Summe im Preis. Leider ist da
geistige und körperliche Arbeit schon verbacken - um mal beim Backen
zu bleiben ;-) .

Wenn ich dann davon ausgehe, dass geistige Arbeit sozusagen kostenlos
(also freiwillig, selbstentfaltet und kooperativ) geleistet werden kann,
oder vielleicht sogar wegfällt (Marketing), wie teuer/aufwändig wäre
dann ein Brötchen noch ?

Und das ist kein Sci-Fi, sondern Stand der Produktivkraftentwicklung.

Mich stört an diesem Bild die Unterscheidung zwischen geistiger
Arbeit - die kooperativ, freiwillig und selbstentfaltet vollzogen
werden kann und körperlicher Arbeit, die das nicht kann.

Kooperativ scheint mir hier nicht die entscheidende Größe. Manche
arbeitet lieber allein. Selbstentfaltung ist schon ein guter Begriff,
der auch Freiwilligkeit (auf komplexe Weise) umfasst.

Also ich persönlich hab sehr viel Spaß beim Kuchenbacken.

Klar, das ist nicht industriell, sondern eben hobbymässig. Wenn ich
meinen Kuchen oder Dein Brötchen in der Kuchen- oder Brötchenfabrik
backen muss, geht da mein Spass bestimmt schnell flöten. Genauso wie
er flöten geht, wenn ich tagein- tagaus in meiner Küche stehe und
Kuchen backe.

Industrie zu Ende gedacht bedeutet ja eben gerade, dass da keiner mehr
arbeiten muss. So gesehen liegt die Erfüllung der Industrie erst in
der GPL-Gesellschaft. Witzig :-) .

Um deinen Punkt mal zu ballen: Kreativität und die Möglichkeit dazu
spielen hier sicher eine Rolle. Aber auf der anderen Seite kann auch
eine gleichmäßige, repetitive Tätigkeit zur Selbstentfaltung gehören.
Schrubben nicht irgendwelche ostasiatischen Mönche gerne den Boden mit
der Zahnbürste (o.ä.)?

Mir scheint es eher so zu sein:

Faktoren, der Arbeiten ermöglicht, die kooperativ, selbstentfaltet
und freiwillig sind, ist in der Organisation der Arbeit begründet.
Hoch arbeitsteilige und hoch industrialisierte Arbeiten fallen da raus.

Warum sollte hoch arbeitsteilig da notwendig raus fallen? Manche Leute
konzentrieren sich doch ganz gerne auf einen ganz bestimmten Aspekt.
Wenn auch vielleicht nicht ihr ganzes Leben lang, so aber doch
erheblich lange.

Oder meinst du vor allem die Arbeitsteilung durch's Fließband, wo die
Menschen nur die je noch nicht entwickelten Maschinen ersetzen?

Das Beispiel Freie Software zeigt nun, dass in diesem Bereich wenig
arbeitsteilige und wenig industrialisierte Arbeit konkurrenzfähig ist
zu arbeitsteilig und industrialisierter Arbeit.

Das kommt auch auf die Perspektive an. GNU/Linux ist ja schon geradezu
*höchst* arbeitsteilig.

Was genau würdest du unter industrialisiert verstehen?

Ob die Arbeit geistig oder körperlich ist und das Produkt materiell
oder immateriell ist glaube ich nicht so wichtig für die
Konkurrenzfähigkeit kooperativer, freiwilliger und selbstenfalteter
Arbeit, wie das bisher hier oft vermutet wurde.

Ja!

nicht jedoch auf die Möglichkeit, Betriebe transparent und
demokratisch zu organisieren.

Vermutlich hole ich mir jetzt ein mächtige Tracht Prügel ab, aber man
könnte ja formulieren, dass es sinnvoller ist, sich auf einen Weg zu
konzentrieren, der von der Entwicklung der Technik unterstützt wird (der
Anteil der geistigen Arbeit in den Produkten steigt täglich) und nicht
auf einen Weg zu setzen, der schon die letzten 100 Jahre nicht geklappt
hat.

Von mir kriegst Du keine Prügel. Mir ist das aber zu
technikdeterministisch. "Die Entwicklung der Technik" ist ja kein
Naturgesetz.

Vielleicht kein Naturgesetz. Aber könnte Entwicklung der Technik nicht
ein Kulturgesetz sein? Mir scheint es jedenfalls so. Jedenfalls
scheinen mir heute höher technisierte Zivilisationen mehr und mehr
niedriger technisierte abzulösen - mal ganz jenseits einer Bewertung
dieses Vorgangs.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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