Fragestellung, war: Re: [ox] [ot:ox_osjahrbuch_2005] Projekt 'ox_osjahrbuch_2005'
- From: "Franz Nahrada" <f.nahrada reflex.at>
- Date: Sun, 10 Oct 2004 09:35:41 +0200
liste oekonux.de (SMz) on Sonntag, 10. Oktober 2004 at 6:00 Uhr [PHONE NUMBER REMOVED]
wrote:
[Artikel] Eine der umstrittenen Thesen im Oekonux-Projekt ist die These
von der Freien Software als Keimform einer neuen Gesellschaft. Im Grunde
gruppiert sich das gesamte Projekt um diese Fragestellung - entweder, um
Argumente dagegen oder um Argumente dafür zusammenzutragen.
Hallo Stefan,
obwohl ich die Keimformüberlegungen für sehr wichtig und positiv erachte,
gefällt mir diese Charakterisierung des Oekonux-projektes nicht.
Auch die Keimform-Hypothese ist gegenüber dem reichen Verlauf der
Geschichte eine Hilfskonstruktion, die uns genauso hilft wie sie uns
zuweilen in die Irre führt, wie der historische Materialismus oder
McLuhans vier Gesetze der Medien. Letztere sind für mich ebenfalls recht
fruchtbare Grundlage von Überlegungen, insbesondere was die "Wiederkehr"
von Formen und Elementen unsrer Kultur anbetrifft, die z.B. in der
industriellen Epoche verschüttet und verdrängt wurden.
Aber im Oekonux-Projekt geht es für mich primär um die Gestalt einer neuen
Ökonomie, die auf dem beruht, was Marx die "allgemeine Arbeit" oder den
"general intellect" genannt hat, weniger um die Identität oder
Nichtidentität der Herausbildung dieser Ökonomie mit einem allgemeinen
geschichtlichen Entwicklungsgesetz, wie es die Keimformhypothese zu sein
beansprucht. Solche Überlegungen und Parallelen mögen sehr fruchtbar sein,
um sich Paradoxien zu erklären wie die, daß eine Revolution wahrscheinlich
nur erfolgreich stattfinden kann, wenn Teile der herrschenden Klasse
selbst sie mitbetreiben und dem Neuen einen Raum der Entfaltung,
Konsolidierung und Kräftigung geben. (das habe ich mit Christoph Spehr
übrigens unlängst in ootw4 diskutiert).
Aber genau die Überwindung der Dominanz von geschichtlichen
Interpretationsrastern wie des historischen Materialismus hat doch
überhaupt erst unsere Blicke geschärft für wichtige Aspekte der
Kapitalismustheorie. Sollen wir den Reichtum der Welt wieder ertränken in
einem allgemeinen Prinzip? Auch wenn es so richtig und logisch klingt wie
die KH?
Ich finde, man kann genauso oekonuxisch denken, wenn man in der Freien
Software vorsichtigerweise *eine* Erscheinungsform allgemeiner
Charakteristika einer neuen Ökonomie sieht und nicht "die" Keimform. (dann
hat man auch anderes zu tun als pro und kontra zu rittern) Ich würde diese
allgemeinen Charakteristike eher als das "Bedeutsamwerden nicht
eigentumsfähiger partizipativer Ressourcen" sehen, was zur Herausbildung
von Formen der kollektiven "Bewirtschaftung" oder besser Inanspruchnahme
und Entwicklung führt, von denen die FS *eine* frühe Form ist, genauso wie
das Handelskapital eine frühe Form von Kapital ist. Interessanterweise war
ja nicht unbedingt das Handelskapital die "Keimform" der Umwälzung.
Und wir müssen noch einen Faktor in Rechnung stellen, auf dem irgendwie
zurecht die "Krisis" und vor allem die "Exit" Leute herumreiten. Es
handelt sich um die Ahnung (mehr kann es ja auch nicht sein), daß die
"neue Gesellschaft", die wir mit Händen greifen können und die doch so
jenseits unserer Erfahrungswelt liegt, nicht in einer analogen Weise auf
einem "Prinzip" beruht, das sich keimformhaft ausbreitet und so dann den
Laden übernimmt. Der Verdacht liegt nahe, daß wir da sozusagen die
Erfahrung des Wert"prinzips" unzulässigerweise verallgemeinern .
Naja, Theorie ist schwierig ;-) Für mich hat oekonux mindestens ebensosehr
die Funktion, tatsächlich beizutragen zur Entwicklung und Konsolidierung
von Formen wie Freie Software, freies Design, Open Content, Open Culture.
Indem wir diese Formen "hochinterpretieren" zu Elementen, die einen
gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß tragen können, sind wir selbst ein
Element gesellschaftlicher Entwicklung.
OK, soweit mal
Franz
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