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Re: [ox] Geistiges Eigentum. aus Streifzuege 31 - Eigentum und Recht und Freiheit



Hallo Holger,

vielen Dank für Deine fundierte Auseinandersetzung mit meinem Beitrag. 
Deine Einschätzung:

Am 18 Dec 2004 um 15:11 hat Holger Weiss geschrieben:
Das Posting spiegelt, glaube ich, den Grundtenor vieler Oekonux-Leute
wieder und stoesst hier entsprechend auf Zustimmung. Ich halte diesen
Tenor fuer falsch; naemlich dass Markt und Eigentum bis dato mehr oder
weniger rationale Einrichtungen gewesen sein moegen, welche aber jetzt,
wo der Anteil an Produkten, die nahezu kostenlos kopiert werden koennen,
ansteigt, der Natur der Sache nicht mehr angemessen sind. Wenn man das
so ohne weiteres vertritt, hat man offensichtlich eine statische Welt
vor Augen.

halte ich allerdings für eine unbegründete Unterstellung; ich räume zwar ein, 
daß die geraffte Darstellung von Eisslers Argumentation, die ich hier 
wiedergegeben habe, diese Interpretation zuläßt. Nur war es keineswegs mein
Anliegen, in irgendeiner Weise nachzuweisen, wie toll doch der 
"Markt" an sich ist. Dieses Thema ist auch bei Eissler weitgehend
ausgeblendet. Er sagt einfach nur: gehen wir doch einmal davon aus, die 
liberale Marktrethorik stimmt und sehen dann, wie sich die Institution 
"geistiges Eigentum" dazu verhält.

Außerdem unterscheidet Eissler scharf zwischen liberalen Grundwerten und 
neoliberalen Wirtschaftsauffassungen. Er bekennt sich ausdrücklich zu ersteren,
und kommt zu dem Schluß, daß diese Grundwerte durch die Institution des 
geistigen Eigentums in Frage gestellt sind. Das wiederum bedeutet, daß  
in der heutigen Zeit eine Restauration nicht nur der Verhältnisse von 
vor 1917, wie etwa Wolfgang Fritz Haug die Situation seit 1989 sieht, sondern 
sogar von vor 1789 erfolgen könnte (was im Grunde genommen auch eine Art
"Überwindung" der locke'schen "Basis" bürgerlichen Selbstverständnisses zur
Folge hätte, allerdings in überaus repressivem Sinne; es ist eine andere 
Frage, welche ich hier noch zur Diskussion stellen werde, inwiefern heutige 
Allmendemodelle dazu in progressiver Weise beitragen können).

Und schließlich habe ich in der Tat die Argumentation von Eissler polemisch 
zugespitzt. Der Preis einer Polemik ist natürlich die Aufgabe der 
wissenschaftlichen Eineindeutigkeit (mal ganz davon abgesehen, daß ich mich 
hier ohnehin nur als Dilettanten ansehe:-)

Ich gehe jetzt nicht im Einzelnen auf Deine Argumente ein; ich zeige vielmehr,
daß selbst, wenn ich folgende Punkte erst einmal ausblende - ich komme darauf
in einem späteren Beitrag zurück -, 
Man muesste lediglich
Markt und Eigentum auf "nicht-geistige" Produkte beschraenken und haette
dann ein Wachstum des "restlichen" Marktes, Software, Musik und Freude;
alles in Butter.
[...]
Zu der Kritik, dass die Annahmen des reinen neoklassischen Modells
(vollstaendige Konkurrenz, vollkommene Information etc.) in der Praxis
nicht hinhauen, fuegt die Spezifik von Informationsprodukten glaube ich
wenig neues hinzu.

aus der Herleitung der Begriffe "Besitz" und "Eigentum" aus liberaler Sicht 
a) der Begriff "geistiges Eigentum" problematisch ist

b) die Grundaussage, daß liberale "Freiheit" damit in Frage gestellt wird, erst 
   recht, möglicherweise noch schärfer herauskommt.

Bei Eissler heißt es dazu:
"Historisch gesehen ist Eigentum eine Ausnahme. ... Heinsohn/Steiger weisen 
darauf hin, daß - nach strenger Definition der Begriffe "Besitz" und 
"Eigentum" - Locke keineswegs eine naturrechtliche Legitimation von Eigentum 
entwickelt habe". 
Er präsentiere eine passable Erklärung für Besitz, die jedoch er und sehr 
viele seiner Nachfolger für eine Erklärung des Eigentums hielten.

Besitz und Eigentum unterscheiden sich laut Eissler wie folgt:
"Besitz bedeutet immer Rechte zur Verfügung über und damit die _physische 
Nutzung_ [hervorh.: S.E.] von bestimmten Gütern oder Ressourcen und ist 
unabhängig davon, ob Eigentum existiert oder nicht."
Die Freiheit des Eigentums "hat ihre wichtigsten ökonomischen Bestandteile 
in den Rechten auf Belasten, Verpfänden und Verkaufen von Eigentum. Alle 
diese Operationen sind dadurch definiert, daß aufgrund der Immaterialität 
der Eigentumsrechte bei der Operation mit ihnen keinerlei gütermäßige bzw. 
physische Aktivitäten erfolgen."

Der Ausblick von Eissler hierzu ist folgender:
"Auf Grundlage 
(a) der locke'schen Rechtfertigung von (nun muß man sagen:) Besitz 
     [wonach Besitz auf "natürlichen Rechtsanspüchen" basiert, deren 
      normative Gültigkeit sich sozialen Prozessen der Ausbildung- 
      bzw. des Wandels von Institutionen entzieht - das wäre in etwa die 
      "Abstraktion erster Ebene" bei Meretz, SMa]
    und
(b) eines erweiterten Konzepts der "Arbeit", das die neuen Anforderungen 
    angesichts sich ändernder Rahmenbedingungen der Wissensgesellschaft 
    berücksichtigt,
lassen sich aus der locke'schen Argumentation Besitzansprüche für einen 
schwer eingrenzbaren Akteurskreis herleiten [...]. Und da es sich im Falle 
von Schöpfungen und Erfindungen um nicht knappe Güter handelt, lassen sich 
_Besitzansprüche_, die ein nicht eingrenzbarer Personenkreis auf Grundlage 
der locke'schen Argumentation nun erheben kann, auch durchaus befriedigen."

"Akzeptiert man also Lockes Argumentation mit der Einschränkung, daß er
eigentlich nicht Eigentum, sondern Besitz rechtfertigt, dann kommt man
unweigerlich zu dem Ergebnis, daß die Beibehaltung oder gar Ausweitung der
aktuellen Gesetzeslage zum Schutze so genannten >geistigen Eigentums< einen 
großen Personenkreis seiner natürlichen Besitzansprüche an geistigen 
Schöpfungen bzw. Erfindungen beraubt."

">Eigentum als Bedingung für Freiheit und Folge von Freiheit<, wie es der 
ehemalige Verfassungsrichter Kirchhoff in eine wohlklingende liberale
Formel faßt, wäre aus dieser Perspektive die Freiheit weniger auf Kosten
der Freiheit einer großen Mehrheit, deren berechtigte Ansprüche und Verdienste
unberücksichtigt blieben."

(Alle Zitate aus der Schrift "Eine Kritik der Institution des so genannten 
'geistigen Eigentums' im digitalen Zeitalter aus Perspektive liberaler 
Theorien" von Stephan Eissler. Da die Schrift unveröffentlicht 
und auch online nicht verfügbar ist, zitiere ich mit ausdrücklichem 
Einverständnis des Urhebers:)


Viele Grüße

 Stefan




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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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