Message 09039 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT08796 Message: 99/119 L12 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Basisdemokratie (was Re: Maintainer-Bashing)



Thomas U. Grüttmüller wrote:

1. Die Rolle des Maintainers ist unverzichtbar

Und was macht der in deinem Modell? Wenn er nach Lust und Laune entscheiden darf, hat es nichts mit Basisdemokratie zu tun.

er/sie macht Arbeit, ohne die das Ganze nicht laufen würde, und trifft
dabei natürlich auch (de facto-)Entscheidungen, das lässt sich gar nicht verhindern.
Der Mainainer hat dabei erstmal einen Vertrauensvorschuss.
Wichtig ist nur, dass die Basis informiert wird, mitdiskutieren kann, und
dann wenn sie es wünscht auch entscheiden kann. D.h. das Votum der Basis ist die
höchste Beschlussebene. Dennoch wird es immer so sein, dass der Maintainer viele
Detailentscheidungen trifft, die schon aus Zeitmangel gar nicht alle diskutiert werden
können. Deshalb ist der Vertrauensvorschuss so wichtig, und auch die Möglichkeit
der Abwahl, falls das Vertrauen nicht mehr gegeben ist.

4. Maintainer (und pox?) stellen sich in einem bestimmten Turnus
   (z.B. alle 2 Jahre) der basisdemokratischen Wahl, und sind darüber
hinaus jederzeit abwählbar

Dazu sollte es imho mindestens zwei Kandidaten geben.

Wäre gut, lässt sich aber natürlich nicht erzwingen.

Franz Nahrada wrote:
> Ich glaub nicht daß das bei den meisten FS Projekten nach diesem Muster
> funktioniert. Bei Debian kenn ich mich zuwenig aus, aber generell scheint
> mir dieses rätedemokratische Prinzip nicht der Regelfall. Der Grund ist
> sehr simpel: Das Produktionsmodell Freier Software kennt nicht die
> abstrakte Gleichbehandlung von Menschen nach dem Prinzip der Demokratie.
> Ich laß mich gerne über das Gegenteil belehren, aber da müßt ich mich in
> meiner Wahrnehmung schwer getäuscht haben.
>
> Stattdessen sind die Mitbestimmungsmöglichkeiten in einem Projekt immer
> nach dem Grad der Mitarbeit abgestuft. Wiewohl Projekte automatisch user
> requirements in sich aufnehmen, polls veranstalten können, so
> funktionieren sie doch im Prinzip nach dem Muster daß Menschen gemeinsam
> ein Interesse organisieren. Wenn ein Mensch in seiner Funktion für ein
> Projekt zu egomanisch wird, können ihm andere die Kooperation verweigern.
>
> Spannende und fundamentale Frage. Hat auch was mit der Identität von
> Oekonux zu tun. Ich weiß so schnell nicht eine Antwort in dem Sinn was
> "besser" ist. Demokratie ist ja bekanntlich auch eine ziemlich fiese
> Herrschaftsform. Wenn die Zustimmung von der Aktivität getrennt wird, wird
> sie schnell  zur Basis der Akklamation und zum Material sachfremder
> Machtkämpfe.

Naja, Führung durch Maintainer kann eine noch fiesere Herrschaftsform sein
als Basisdemokratie...
Natürlich ist es sinnvoll, die Möglichkeit der Einflussnahme nach dem Grad der
Mitarbeit abzustufen. So habe ich z.B. auch pox verstanden. Apache macht
das explizit so. Allerdings gibt es bei Apache schon das Problem, dass
das Projekt zu groß wird, und gar nicht mehr alle Unterprojekte aufgenommen
werden können. Da fehlt der Blick, *gesellschaftliche* Strukturen zu entwickeln,
die (spätestens) beginnen, wenn es nicht mehr gemeinschaftlich überschaubar bleibt.
Ich glaube, ein wichtiger Punkt dabei ist, *auch* eine Ebene zu haben, auf der
alle gleich sind. Wenn es z.B. um die Frage geht, ob AKWs gebaut werden
oder nicht, will ich die Entscheidung nicht denen überlassen, die im
Bereich Energieversorgung aktiv sind. Das sollen alle mitentscheiden können.
Und wir sollten auch nicht den Experten die Entscheidung darüber überlassen,
welche Fragen interessant für alle sind und welche nicht,
Basisdemokratie setzt daher auch ein ziemliches Grundniveau der Beteiligten
voraus. Es muss wohl immer wieder neu austariert werden, wieviel
Basisdemokratie man wagen kann, und wieviel Führung durch Maintainer
notwendig ist.

 Benni Baermann wrote:
> Es bringt uns nix ein Herrschaftsmodell durch ein anderes abzulösen.
> Das was Du vorschlägst würde es nur noch schlimmer machen. Den Fehler,
> den alle diese Organisationsprinzipien (Maintainership, Demokratie,
> Konsens, ...) machen ist, dass sie Organisation vom Standpunkt ihres
> prinzipiellen funktionierens aus betrachten. Ich hingegen plädiere
> wenn es um Machtfragen geht immer dafür vom Standpunkt des
> Ausnahmezustands zu argumentieren. Was passiert, wenn es kracht?
>
Nimm zum Beispiel die Regeln, die ich vorgeschlagen habe. Im Idealfall
braucht man sie gar nicht anwenden: es gibt keine Abstimmungen,
weil ein Konsens gefunden werden kann, es gibt keine Abwahl, weil
die Maintainer Vetrauen genießen. Allenfalls alle 2 Jahre wird gewählt.
Man könnte auch noch hinzunehmen, dass alle Regeln ein Verfallsdatum
haben. Es geht ja nicht um eine neue Bürokratie. Aber für den Fall,
dass es einen Streit gibt, geben die Regeln eben eine klare Handhabe,
wie zu verfahren ist, und sind auch ein Mittel gegen subtile Herrschaft
und die Macht informeller Hierarchien. Wenn du das *nur* der Spontaneität
überlässt, kann es sein, dass sich einfach die mit den größten
rethorischen Fähigkeiten oder dem größten Charisma durchsetzen.

> Nur wenn das einvernehmlich geklärt ist, kann ein selbstorganisiertes
> Projekt funktionieren. Das dumme ist nur, dass schon diese
> Grundannahme von Stefan nicht akzeptiert wird. Das hat sich
> theoretisch am Streit um die Freie Kooperation gezeigt (auch vor
> Jahren).

Klar, man muss sich über Grundannahmen einigen. Debian nennt das
interessanterweise "social contract".

Basisdemokratische Grüße,
Till

--
Till Mossakowski               Phone +49-421-218-4683
Dept. of Computer Science      Fax +49-421-218-3054
University of Bremen           till tzi.de
P.O.Box 330440, D-28334 Bremen http://www.tzi.de/~till

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT08796 Message: 99/119 L12 [In index]
Message 09039 [Homepage] [Navigation]