Message 09179 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT08796 Message: 102/119 L13 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Basisdemokratie



Hi Liste!

Last week (7 days ago) Till Mossakowski wrote:
Franz Nahrada wrote:
Spannende und fundamentale Frage. Hat auch was mit der Identität von
Oekonux zu tun. Ich weiß so schnell nicht eine Antwort in dem Sinn was
"besser" ist. Demokratie ist ja bekanntlich auch eine ziemlich fiese
Herrschaftsform. Wenn die Zustimmung von der Aktivität getrennt wird, wird
sie schnell  zur Basis der Akklamation und zum Material sachfremder
Machtkämpfe.

Hatte ich in meinem gestrigen Antwortsanfall übersehen, will ich aber
nochmal hervorheben. *Sach*fremde Machtkämpfe sind in der Tat etwas
ziemlich Übles und die Leute hier auf der Liste haben ja auch - m.E.
sehr "gesund" - genau darauf reagiert. M.E. übrigens teils in durchaus
subtiler Weise.

Auch in Franz' Aussage schwingt also die Orientierung auf ein
gemeinsames Interesse mit. Pure Macht in dem Sinne "Wer hat hier wem
was zu befehlen" ist sicher nur zu sich selbst nicht entfremdet, aber
zu allen Sachfragen. Gestalterische Macht in dem Sinne "Wer hat die
Möglichkeit was vorwärts zu bringen" ist dagegen bezogen auf die
gemeinsame Sache. Auch wenn die Oberflächenphänomene sehr gleich sein
können, so sind doch die Intentionen und Wirkungen sehr
unterschiedlich. Das wäre m.E. immer zu beachten.

Naja, Führung durch Maintainer kann eine noch fiesere Herrschaftsform sein
als Basisdemokratie...

Vielleicht auch mal diese Frage: Wann ist eine Herrschaftsform
eigentlich fies? Sicher können wir uns schnell darauf verständigen,
dass eine Herrschaftsform, die regelmäßig auf Unterdrückung / Gewalt
baut, fies ist. Ich denke aber sowieso, dass eine solche
Herrschaftsform desto erfolgloser sein muss, je mehr alle auf eine
allgemeine Kooperation angewiesen sind. War zu fordistischen Zeiten
der notwendige Grad an Kooperation z.B. zwischen Arbeit und Kapital
noch recht überschaubar, so ist der heute notwendige Grad an
Kooperation sehr viel höher - und m.E. auch mehr gegeben. Na, ob das
mehr gegeben ist, da haben mir Leute schon sehr widersprochen.
Vielleicht sehe ich das zu sehr aus einer Informatikerperspektive.
Fakt ist aber, dass die alte Arbeiterbewegung sich sehr schwer mit den
neuen Berufen tut, wo die Arbeitskräfte sogar freiwillig länger
bleiben - zu fordistischen Zeiten undenkbar.

M.a.W.: Die Produktivkraftentwicklung "sorgt" schon dafür, dass
regelmäßige Unterdrückung / Gewalt immer problematischer wird. Es gibt
also eine gewisse Hoffnung, dass - wie in der Freien Software
besichtigbar - solche Herrschaftsformen wegevoutioniert werden.

Wann ist eine Herrschaftsform noch fies? Mir fällt noch ein: Wenn sie
entfremdete Ziele jenseits der gemeinsamen Sache (mehr als marginal)
ermöglicht / befördert.

Wann noch?

Natürlich ist es sinnvoll, die Möglichkeit der Einflussnahme nach dem Grad der
Mitarbeit abzustufen. So habe ich z.B. auch pox verstanden. Apache macht
das explizit so.

Auch dazu wollte ich noch etwas beitragen. Bei Debian gibt es z.B.
eine ganz explizit ausgezeichnete Developer-Community.
Debian-Developer zu werden ist gar nicht so leicht und in gewisser
Weise schon eine Auszeichnung. Eine der Hürden ist wohl, dass du
zwei(?) Leute brauchst, die sich für deine Aufnahme aussprechen. Und
nur Debian-Developer sind z.B. berechtigt, sich an der Wahl der
Debian-MaintainerIn zu beteiligen. (Hab's nicht genau im Kopf -
Korrektur erwünscht.)

Mit diesem System werden also unterschiedliche Gruppen mit
unterschiedlichen Befugnissen geschaffen. Dies spiegelt von der
Struktur her in jedem Fall auch unterschiedliche Bedürfnisse wieder:
Nicht jede will überall mitentscheiden (müssen).

Durch den Modus der persönlichen Empfehlung / Einladung wird auch
erreicht, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass völlige
QuerschlägerInnen in die Community aufgenommen werden. Finde ich auch
ausgesprochen bedenkenswert.

Es ist aber insbesondere *nicht* so, dass alle Menschen auf diesem
Planeten über Debian-Fragen entscheiden dürften. D.h. es ist also kein
demokratisches Projekt in diesem Sinne:

Ich glaube, ein wichtiger Punkt dabei ist, *auch* eine Ebene zu haben, auf der
alle gleich sind. Wenn es z.B. um die Frage geht, ob AKWs gebaut werden
oder nicht, will ich die Entscheidung nicht denen überlassen, die im
Bereich Energieversorgung aktiv sind. Das sollen alle mitentscheiden können.

Ich frage mich natürlich, warum ich bei Debian das Gefühl habe, dass
das schon ok so ist, wie die das machen. Und:

Und wir sollten auch nicht den Experten die Entscheidung darüber überlassen,
welche Fragen interessant für alle sind und welche nicht,
Basisdemokratie setzt daher auch ein ziemliches Grundniveau der Beteiligten
voraus.

Ich finde die Meinung von ExpertInnen durchaus wichtig. Oft haben die
einen viel tief gehenderen Blick auf die Sachfragen - dagegen fehlt
ihnen manchmal der weitere Horizont :-( .

Vielleicht hat ja auch einfach StefanMz recht:

4 days ago Stefan Meretz wrote:
On Saturday 12 March 2005 17:45, Till Mossakowski wrote:
Als Modell für gesellschaftliche Entscheidungen (z.B: die Frage:
wie bekämpfen wir das Ozonloch? das müsste weltweit entschieden
werden) taugt der Fork überhaupt nicht, da wir keine zweite Erde
haben, auf die wir uns forken können.

Doch gerade hier wäre das Modell hervorragend geeignet. Es ist doch
überhaupt nicht denkbar, dass ein globales Problem von _einem_
Projekt "gelöst" werden können. Sondern dafür brauchen wir eine
hochgradige Vernetzung von tausenden global verteilten Projekten, die
unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen und Maßnahmen vor Ort umsetzen.
Dazu brauchen wir Logistik-, Kommunikations-, Analyse-, Planungs- und
Infrastruktur-Projekte, deren Aufgabe es ist, für andere die
Bedingungen für ihre Tätigkeit zu schaffen etc. - alles, was
tieforganisierte und arbeitsteilige Gesellschaften eben benötigen.

Du musst auf die unterschiedlichen Vorsetzungen gucken. Unter
entfremdeten Bedingungen, unter denen es nur sich ausschließende
Partialinteressen gibt, ist Demokratie erforderlich, um mehrheitlich
zu entscheiden, wer gerade mal seine Partialinteresse auf Kosten
Anderer durchgesetzt bekommt.

Unter freien (nichtentfremdeten) Bedingungen der Entfaltung aller
Menschen, werden sich durchschnittlich die Wünsche durchsetzen, die
an den direkten Lebensbedingungen der Beteiligten orientiert sind.
Natürlich gibt es auch hier Konflikte, aber die Regulationsform ist
eine grundsätzlich andere: eben nicht auf Kosten anderer, sondern
strukturell im Sinne der Entfaltung aller, weil die Anderen jeweils
für je mich die Entfaltungsbedingung sind.

Vielleicht misstrauen viele hier einfach noch zu sehr dem in Oekonux
entwickelten Konstrukt :-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

--
Please note this message is written on an offline laptop
and send out in the evening of the day it is written. It
does not take any information into account which may have
reached my mailbox since yesterday evening.

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT08796 Message: 102/119 L13 [In index]
Message 09179 [Homepage] [Navigation]