[ox] Re: Forken und Demokratie
- From: Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
- Date: Sat, 12 Mar 2005 23:24:30 +0100
Hi Till,
On Saturday 12 March 2005 17:45, Till Mossakowski wrote:
Kennst du einen Fork, den du als erfolgreich bezeichnen würdest?
Ja, KDE/Gnome, gcc-Fork/Reunification, Emacs/XEmacs...
Ich würde sie aber nicht als erfolgreich, sondern als produktiv
bezeichnen.
Und gibt es so etwas außerhalb es Code-Forkings?
Hm, fällt mir nix ein.
Meine These ist, dass ein inhaltlicher Fork ein letztes Mittel ist,
das aber schon zeigt, dass die Kooperation nicht funktioniert hat,
dass also die Prinzipien der Konkurrenzgesellschaft noch nicht
überwunden werden konnten.
Das sehe ich nicht so. Auch deswegen, weil ich die Gegenüberstellung
von Konkurrenz und Kooperation als zu simpel ansehe.
Siehe dazu die Artikel zu "Kooperenz" von Benni
http://www.opentheory.org/kooperenz/text.phtml und zu "Ko-Kurrenz"
von mir http://www.opentheory.org/ko-kurrenz/text.phtml
Früher gab es den Scherz "Drei
Trotzkisten, vier Organisationen". Krisis/Exit ist eine Komödie der
vielen Spaltungen unter den unsäglichen K-Gruppen der 1970er.
Ja, das zeigt, dass solche Organisationen mit realen Unterschieden
nicht umgehen können. Im statischen Modus des Rechthabens geht das
auch nicht anders. Die Anderen sind dann immer die Abweichler,
Verräter usw. Die Einheitlichkeit, der Zwang zur richtigen Linie usw.
ist ein Resultat der Arbeiterbewegung, die davon ausging, dass man
nur die Macht erringen könne, wenn man Geschlossenheit zeige. Die
Arbeiterbewegung wollte schon immer Demokratie verwirklichen (also
der Mehrheit zur Herrschaft verhelfen).
Eine Gemeinschaft, in der der Verweis auf Fork die einzige
Möglichkeit der Einflussnahme auf zentrale Entscheidungen ist,
fällt meiner Meinung nach hinter den Emanzipationsstand jedes
bürgerlich-demokratischen Vereins zurück,
Nein, das ist nicht so. Der Fork ist eine Möglichkeit unter sehr
vielen anderen, und dann eine mit einer sehr hohen Hürde. Der
Haupteinfluss besteht durch Tun: das machen, was je meine Sache ist.
Dazu suche ich mir die Bedingungen, also z.B. das Projekt, wo das
geht. Das ist eine "Abstimmung mit Füßen" wenn du so willst. Diese
Regulationsform ist ungleich konstruktiver und produktiver als den
Zwang zur Umsetzung einer Mehrheitsmeinung in demokratischen
Verhältnissen. Der Fork ist eine letzte Möglichkeit in einem
laufenden Projekt, das sich unsicher über die weitere Richtung ist.
Fork bedeutet: alle, die rausgehen, können alles mitnehmen. Nur die
Ressourcen teilen sich auf - das ist das Risiko und Regulativ.
Demokratie ist Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit, ja:
Herrschaft. Demokratie ist das Gegenteil von Emanzipation und
Entfaltung, es ist ein Fetisch, von Rechte wie Linke nicht lassen
wollen. Demokratie nivelliert Unterschiedlichkeit und damit die
Quelle von Kreativität und Selbstentfaltung. Und außerdem ist
Demokratie ein höchst unkreative Form der Regulation von Konflikten.
und erst recht hinter die
leuchtenden Beispiele der Räte der Pariser Commune oder der
Arbeiter- und Soldatenräte 1918/19.
Da sehe ich nix leuchten.
Oder die demokratisch
organisierten Betriebe im ehemaligen Jugoslawien, oder die
Alternativbetriebe der 1970er (die sich wegen fehlender Überwindung
des Tauschwerts leider wieder anpassen mussten und die betriebliche
Demokratie wieder aufgaben).
Die Demokratie musste aufgegeben werden, weil man über die Wirkung
eines objektiven Sachverhaltes - nämlich des Wertgesetzes - nicht
abstimmen kann. Das ist im ökonomischen Sinne "uneffektiv". Daraus
aber umgekehrt den Schluss zu ziehen, Demokratie hätte es "besser
gemacht", ist einfach nicht haltbar.
Sollen z.B. für einen Betrieb keine demokratischen Entscheidungen
gefällt werden, sondern der Maintainer (neudeutsch: Direktor) nach
Rücksprache mit der Belegschaft im Konsens entscheiden? Was
passiert, wenn kein Konsens gefunden werden kann? L'etat c'est moi?
Ja, unter den Bedingungen der Marktwirtschaft ist Demokratie fehl am
Platze. Du darfst aber nicht den Begriff des Maintainers, den wir aus
der Freien Software kennen, auf warenproduzierende Betriebe
übertragen - die Beschäftigten haben keine Möglichkeit zum Fork, sie
können nicht alle bisher geschaffenen Ergebnisse mitnehmen usw. Das
btw. war eine Idee von Christoph Spehr, ob man nicht einen Betrieb
wie eine "freie Kooperation" organisieren könne. Geht nicht, meine
ich.
Als Modell für gesellschaftliche Entscheidungen (z.B: die Frage:
wie bekämpfen wir das Ozonloch? das müsste weltweit entschieden
werden) taugt der Fork überhaupt nicht, da wir keine zweite Erde
haben, auf die wir uns forken können.
Doch gerade hier wäre das Modell hervorragend geeignet. Es ist doch
überhaupt nicht denkbar, dass ein globales Problem von _einem_
Projekt "gelöst" werden können. Sondern dafür brauchen wir eine
hochgradige Vernetzung von tausenden global verteilten Projekten, die
unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen und Maßnahmen vor Ort umsetzen.
Dazu brauchen wir Logistik-, Kommunikations-, Analyse-, Planungs- und
Infrastruktur-Projekte, deren Aufgabe es ist, für andere die
Bedingungen für ihre Tätigkeit zu schaffen etc. - alles, was
tieforganisierte und arbeitsteilige Gesellschaften eben benötigen.
Du musst auf die unterschiedlichen Vorsetzungen gucken. Unter
entfremdeten Bedingungen, unter denen es nur sich ausschließende
Partialinteressen gibt, ist Demokratie erforderlich, um mehrheitlich
zu entscheiden, wer gerade mal seine Partialinteresse auf Kosten
Anderer durchgesetzt bekommt.
Unter freien (nichtentfremdeten) Bedingungen der Entfaltung aller
Menschen, werden sich durchschnittlich die Wünsche durchsetzen, die
an den direkten Lebensbedingungen der Beteiligten orientiert sind.
Natürlich gibt es auch hier Konflikte, aber die Regulationsform ist
eine grundsätzlich andere: eben nicht auf Kosten anderer, sondern
strukturell im Sinne der Entfaltung aller, weil die Anderen jeweils
für je mich die Entfaltungsbedingung sind.
Etwas anderes sind quantitative Forks, die z.B. bei englischen
Tauschringen sehr erfolgreich funktioniert haben: wenn ein
Tauschring zu groß wird, teilt er sich auf. Ich bin nun kein
Verfechter von Tauschringen, aber quantitative Forks halte ich
für sehr sinnvoll. Es ist schade, dass z.B. Apache neue Projekte
ablehnt mit der Begründung, das Apache-Projekt würden zu groß,
statt einen quantitativen Fork zu machen.
Da stimme ich dir zu.
Ciao,
Stefan
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