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Re: [ox] Re: Forken und Demokratie



Hallo Stefan,

Kennst du einen Fork, den du als erfolgreich bezeichnen würdest?

Ja, KDE/Gnome, gcc-Fork/Reunification, Emacs/XEmacs...

Ich würde sie aber nicht als erfolgreich, sondern als produktiv bezeichnen.

Und gibt es so etwas außerhalb es Code-Forkings?

Hm, fällt mir nix ein.

Könnte darauf hindeuten, dass Code-Forks sich nicht einfach auf
Projekte-Forks übertragen lassen.

Meine These ist, dass ein inhaltlicher Fork ein letztes Mittel ist,
das aber schon zeigt, dass die Kooperation nicht funktioniert hat,
dass also die Prinzipien der Konkurrenzgesellschaft noch nicht
überwunden werden konnten.


Das sehe ich nicht so. Auch deswegen, weil ich die Gegenüberstellung von Konkurrenz und Kooperation als zu simpel ansehe. Siehe dazu die Artikel zu "Kooperenz" von Benni http://www.opentheory.org/kooperenz/text.phtml und zu "Ko-Kurrenz" von mir http://www.opentheory.org/ko-kurrenz/text.phtml

Sehe ich anders. Werde ich bei Gelegenheit mal in den Artikeln kommentieren.

Eine Gemeinschaft, in der der Verweis auf Fork die einzige
Möglichkeit der Einflussnahme auf zentrale Entscheidungen ist,
fällt meiner Meinung nach hinter den Emanzipationsstand jedes
bürgerlich-demokratischen Vereins zurück,


Nein, das ist nicht so. Der Fork ist eine Möglichkeit unter sehr vielen anderen, und dann eine mit einer sehr hohen Hürde. Der Haupteinfluss besteht durch Tun: das machen, was je meine Sache ist. Dazu suche ich mir die Bedingungen, also z.B. das Projekt, wo das geht. Das ist eine "Abstimmung mit Füßen" wenn du so willst. Diese Regulationsform ist ungleich konstruktiver und produktiver als den Zwang zur Umsetzung einer Mehrheitsmeinung in demokratischen Verhältnissen. Der Fork ist eine letzte Möglichkeit in einem laufenden Projekt, das sich unsicher über die weitere Richtung ist. Fork bedeutet: alle, die rausgehen, können alles mitnehmen. Nur die Ressourcen teilen sich auf - das ist das Risiko und Regulativ.

Demokratie ist Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit, ja: Herrschaft. Demokratie ist das Gegenteil von Emanzipation und Entfaltung, es ist ein Fetisch, von Rechte wie Linke nicht lassen wollen. Demokratie nivelliert Unterschiedlichkeit und damit die Quelle von Kreativität und Selbstentfaltung. Und außerdem ist Demokratie ein höchst unkreative Form der Regulation von Konflikten.

Die Frage ist, was die Alternative ist. Ein Maintainer kann auch
Herrschaft ausüben. Im Extremfall ist er ein Monarch. Die Abstimmung
mit den Füßen kann bereits eine zu hohe Hürde sein (s.u.).

Oder die demokratisch organisierten Betriebe im ehemaligen Jugoslawien, oder die
Alternativbetriebe der 1970er (die sich wegen fehlender Überwindung
des Tauschwerts leider wieder anpassen mussten und die betriebliche
Demokratie wieder aufgaben).


Die Demokratie musste aufgegeben werden, weil man über die Wirkung eines objektiven Sachverhaltes - nämlich des Wertgesetzes - nicht abstimmen kann. Das ist im ökonomischen Sinne "uneffektiv". Daraus aber umgekehrt den Schluss zu ziehen, Demokratie hätte es "besser gemacht", ist einfach nicht haltbar.


Sollen z.B. für einen Betrieb keine demokratischen Entscheidungen
gefällt werden, sondern der Maintainer (neudeutsch: Direktor) nach
Rücksprache mit der Belegschaft im Konsens entscheiden? Was
passiert, wenn kein Konsens gefunden werden kann? L'etat c'est moi?


Ja, unter den Bedingungen der Marktwirtschaft ist Demokratie fehl am Platze. Du darfst aber nicht den Begriff des Maintainers, den wir aus der Freien Software kennen, auf warenproduzierende Betriebe übertragen - die Beschäftigten haben keine Möglichkeit zum Fork, sie können nicht alle bisher geschaffenen Ergebnisse mitnehmen usw. Das btw. war eine Idee von Christoph Spehr, ob man nicht einen Betrieb wie eine "freie Kooperation" organisieren könne. Geht nicht, meine ich.

OK, also hier mal ein Beispiel unter nicht-makrtwirtschaftlichen
Bedingungen, aus der Bremer Commune. Es geht dabei nicht um
einen Versuch, autark zu wirtschaften, sondern darum, Erfahrungen
mit einer tauschwert-freien, gebrauchswert-orientierten Ökonomie
innerhalb eines inneren ökonomischen Zirkels zu sammeln.
Es ging um den Umgang mit Krautfäule auf einem Kartoffelacker.
Es war strittig, ob wir Kupfer spritzen sollten. Einereits stellt
dies eine Belastung des Ökosystems dar, andererseits erhöht es
die zu erntende Kartoffelmenge (wir hätten zwar im Rahmen
Tauschwert-Ökonomie zukaufen können, aber auf gesellschatliche
Ebene verallgemeinert, wird das schwierig, zumal das Krautfäule-
Problem viele Äcker betraf). Hochtechnologie ist zwar weiterhelfend,
aber nicht für dieses konkrete Problem (müsste noch erforscht werden).
Forken war auch schwierig, weil zwei halbe Äcker sich gegenseitig
so beeinflussen, dass es dann doch nur einer ist.
Wir haben die Sache dann demokratisch entschieden, und nicht allein
dem Maintainer des Ackers überlassen.
Ich halte es für eine Verabsolutierung davon auszugehen, dass alle
Streitigkeiten unter den Menschen vom Wertgesetz verursacht werden.


Als Modell für gesellschaftliche Entscheidungen (z.B: die Frage:
wie bekämpfen wir das Ozonloch? das müsste weltweit entschieden
werden) taugt der Fork überhaupt nicht, da wir keine zweite Erde
haben, auf die wir uns forken können.


Doch gerade hier wäre das Modell hervorragend geeignet. Es ist doch überhaupt nicht denkbar, dass ein globales Problem von _einem_ Projekt "gelöst" werden können. Sondern dafür brauchen wir eine hochgradige Vernetzung von tausenden global verteilten Projekten, die unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen und Maßnahmen vor Ort umsetzen. Dazu brauchen wir Logistik-, Kommunikations-, Analyse-, Planungs- und Infrastruktur-Projekte, deren Aufgabe es ist, für andere die Bedingungen für ihre Tätigkeit zu schaffen etc. - alles, was tieforganisierte und arbeitsteilige Gesellschaften eben benötigen.

Du musst auf die unterschiedlichen Vorsetzungen gucken. Unter entfremdeten Bedingungen, unter denen es nur sich ausschließende Partialinteressen gibt, ist Demokratie erforderlich, um mehrheitlich zu entscheiden, wer gerade mal seine Partialinteresse auf Kosten Anderer durchgesetzt bekommt.

Unter freien (nichtentfremdeten) Bedingungen der Entfaltung aller Menschen, werden sich durchschnittlich die Wünsche durchsetzen, die an den direkten Lebensbedingungen der Beteiligten orientiert sind. Natürlich gibt es auch hier Konflikte, aber die Regulationsform ist eine grundsätzlich andere: eben nicht auf Kosten anderer, sondern strukturell im Sinne der Entfaltung aller, weil die Anderen jeweils für je mich die Entfaltungsbedingung sind.

Genau.
Auch ohne Wertgesetz kann es Streitigkeiten geben, mit denen
ein Umgang gefunden werden muss. Und wenn sich nun doch, trotz
großer Freiräume, kein Konsens finden lässt? Vielleicht weil eine
kleine Midnerheit einfach andere Vorstellungen hat, z.B. Gentechnik
ausprobieren will, die Mehrheit dies aber für zu gefährlich hält?
Was passiert dann?

Gruß Till

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Till Mossakowski               Phone [PHONE NUMBER REMOVED]
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