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Re: Geld- und Marktlogik, war Re(2): [ox] Fwd: [ox-en] Decentralising production



Hi!

Franz' Gedanken haben mich zum Nachdenken angeregt! ;-)
(Naja, es war nicht das erste mal...)

Zum Thema 'Deal' fiel mir eine Übung ein, der hier früher schon
(noch öfter?) nachgegangen wurde, und die sich mir diesmal wieder
quasi aufdrängte...

On Sun, Jun 05, 2005 at 02:16:49PM [PHONE NUMBER REMOVED], Franz Nahrada wrote:
(Message-id: <fc.0097250104599cd53b9aca000d4dfa50.459a1e4 reflex.at>)

...  "Ein Staat, der die (i.S. der Verfassung  zu gebenden)
Subsistenzgarantien komplett an einen Markt "outgesourced" hat
(auch wenn er sich im Gegenzug vorbehält, eine "soziale"
Marktwirtschaft rahmenzuregeln) ist strukturell gar nicht mehr
imstande, einen Solidarbeitrag des Eigenarbeiters zu
administrieren. Ein solcher Staat muß seine Bürger auf den Markt
zwingen."

Hier liegt der Hund begraben, und wir müssen uns der
anfänglichen Schwierigkeit stellen und dürfen nicht so tun als
stünden die Dinge frei zur Disposition.

Eine Kreislauflogik nicht geldförmiger Leistungen zu
organisieren ist nur möglich, wenn auf irgendeine Art und Weise
ein zumindest temporärer "Waffenstillstand" mit der Geld- und
Marktwirtschaft zuwege gebracht werden kann. Das ist ein Deal. 

Darüber sollten wir nachdenken. Was sind die Voraussetzungen für
einen solchen Deal? Und wo kann er in die Realität kommen? Ist
ein wenig anderes Denken als "geld=pfui"...!

Wie war das denn also früher mit dem Deal, mit dem sich-Einlassen
und dem sich-Entziehen im Wechselspiel alter und neuer
Verhältnisse? 

Unter der Rubrik "Original und Fälschung" bzw. "Finden Sie die X
Unterschiede" möchte ich also erstmal meine Spekulationen zu
früher ausbreiten, die sich durchaus im Zusammenhang der
Beobachtung unserer Realität ergeben haben.  Diesen Zusammenhang
walz ich erstmal nicht aus, um die Ressourcen etwaiger Leser zu
schonen ;-)

Im Feudalismus gab es im Wesentlichen (?) zwei
Reproduktionszusammenhänge: Die dominante Produktionsweise
basierte auf einem ausgefeilten System von Privilegien im
Zusammenhang mit dem Status der Person, die nicht so dominante --
auf der Vermittlung durch den Markt.  Die Reproduktion des eigenen
Lebens über den Markt zu vermitteln, entsprach allerdings auch
einem Privileg, das Recht hatte nicht jeder.  Dennoch sind wohl
diese Wirtschaftsformen der Händler und Handwerker als die
Keimformen des Kapitalismus, zu betrachten.

A. Warum gab es diese zweite Produktionsweise?

B. Wie kam es dazu, daß sie zur Dominante der gesellschaftlichen
Reproduktion wurde, bzw. wie lief das ab?

zu A.  -- keine Ahnung --

zu B.

1. Mit der Entwicklung der Produktionsmittel im Handwerk und ihrer
Verbreitung durch den Handel entwickelte sich deren Rolle sowohl
im täglichen Leben weiter Teile des "Restes" der Gesellschaft als
auch im "Leben" der herrschenden Klasse (also des ersten und
zweiten Standes) -- indirekt, indem diese Produktionsmittel die
Produktivität der Abgabepflichtigen steigerte und somit die
Ausbeute der Abgabepflicht erhöht werden konnte (wodurch vor allem
das Anwachsen des Herrschaftsapparats in quantitativer Hinsicht
ermöglicht wurde), als auch direkt, indem ein wachsender
Herrschaftsapparat nicht nur ernährt, sondern auch ausgestattet
werden konnte und mußte, sei es mit Waffen, sei es mit Rüstungen
oder einfach mit Schuhwerk, Kleidern, Wohnung etc. (-- Entwicklung
des Herrschaftsapparats in qualitativer Hinsicht). (Nicht zu
vergessen wäre aber auch die gesamte "demografische Entwicklung",
die sicher damit zusammenhängt.)

2. Aus Möglichkeiten werden BEDÜRFNISSE: größere und schönere
Höfe, Schlösser und Residenzen werden gebraucht, größere und
besser ausgerüstete Armeen auch, um nur ein paar plakative
Beispiele zu nennen.

3. Aus Bedürfnissen werden INTERESSEN: während die gesamte
Existenz des Herrschaftsapparats vom System der Privilegien
abhängt, ist dessen Erhalt und vor allem dessen weiterer Ausbau
von der Verletzung der Privilegien in den Bereichen Handel und
Handwerk abhängig -- der Handwerker Zunftsystem konnte nicht die
Bedürfnisse befriedigen, für die eine Porzellanmanufaktur nötig
geworden war und war auch schlecht geeignet, die seinerzeit modern
gewordenen Armeen einzukleiden.

4. Neben den rechtlichen Veränderungen als Ausdruck der in sich
widersprüchlichen Interessen der Herrschaften waren allerdings auch
noch RESSOURCEN nötig, die in den jenseits der alten Eingebundenheit
ins feudale Privilegiensystem operierenden Wirtschaften zur Anwendung
kommen konnten: Die Freisetzung und Neubindung dieser Ressourcen ist
einer der Hauptbestandteile der ursprünglichen Akkumulation des
Kapitals. (Aufhebung der Leibeigenschaft, Einhegungen, Kolonialismus).

Erforderlich für die Anbahnung des Umschwungs war also einerseits die
Krise der alten Verhältnisse, durch welche Ressourcen "frei wurden",
andererseits die Verlockungen bzw. Potentiale der neuen, durch welche
Ressourcen zur Not gewaltsam aus ihrer alten Gebundenheit "freigesetzt
wurden"; Und zudem das Potential der neuen Verhältnisse, sich zu einem
mehr und mehr selbsttragenden und erweiternden Kreislauf zu
entwickeln: das heißt, a) die frei gewordenen und gesetzten Ressourcen
aufzunehmen und deren Reproduktion sicherzustellen und zu erweitern
und b) sich als einziger Kandidat für die Befriedigung der sich
insgesamt entwickelnden Bedürfnisse und für die Durchsetzung der
gesamten sich entwickelnden Interessen zu profilieren -- bis zu dem
Punkt, wo die eigenen Bedürfnisse und Interessen denen des alten
Systems im Gesamtzusammenhang der Reproduktion den Rang ablaufen und
sich also gegenüber jenen langsam aber sicher endgültig durchsetzen
konnten.

Darin sehe ich reale Voraussetzungen für den von Franz gesuchten
'deal'.  Und: darum sehe ich die Integration der
FSW-Produktion in kapitalistische Zusammenhänge zwar nüchtern,
aber nicht unbedingt negativ -- und halte also "Mischformen" auch in
der materiellen Reproduktion nicht von vornherein für korrumpiert
und verwerflich... eher im Gegenteil, sie sind es die gesucht und
entwickelt werden müssen, sei es auch mit gerümpfter Nase ob des
angeblich nicht stinkenden Geldes ;-)

Grüße,
El Casi.


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Kontakt: projekt oekonux.de



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