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Re: [ox] Re: Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hallo allerseits,

mit der Webseite http://de.wiki.oekonux.org/Oekonux/Debatten/WissenInformation steht nun ein weiteres Diskurselement zur Verfügung, von dem ich auch durch Querverweise Gebrauch mache. Insbesondere (ein_Kuerzel) ist ein Literaturverweis, der dort aufgelöst werden kann. So jedenfalls verstehe ich den Sinn des Wiki.

NB: Das mit der Mailbenachrichtigung funktioniert auch. Fein. Habe gerade
> [OekonuxWiki] Update of "Oekonux/Debatten/WissenInformation" by StephanEissler
erhalten. Dazu aber später.

Stephan Eissler wrote:
SE: In beiden Fällen (in einem Fall mehr, im anderen weniger) hätte der Diskurs
(also die Kommunikation) dann dazu geführt, dass sich das Wissen der
Listenteilnehmer in bestimmten Bereichen einander angleicht.

HGG: Nein, aus der Tatsache, dass "alle auf der Liste weitgehend dieselben Denkinhalte mit dem Wort 'INFORMATION' verbinden", folgt einzig, dass der Kontext der weiteren Diskussion geschärft wurde. Wie weit eine Annäherung oder gar Angleichung von individuellem Wissen erfolgt, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Hier kommen wir des Pudels Kern vielleicht ein wenig näher. Könntest du mir
etwas genauer erklären, warum das für dich auf einem ganz anderen Blatt steht?
Aus meiner Perspektive stellt sich das jedenfalls so dar:
Mal etwas flapsig gesagt ist für mich das "denken von DenkINHALTEN" im Grunde
schon Wissen. Und wenn die Listenteilnehmer zu einem früheren Zeitpunkt
UNTERSCHIEDLICHE Denkinhalte bei dem Wort 'INFORMATION' gedacht haben, nun
aber weitgehend die GLEICHEN Denkinhalte bei diesem Wort denken, dann bedeutet
dies für mich, dass sich das individuelle Wissen der Listenteilnehmer in einem
bestimmten Bereich jetzt einander ähnlicher ist, als es dies früher war.

Die scheinbare Kohärenz auch der Inhalte hier hat schlicht den Grund, dass wir uns überhaupt erst einmal des "state of the art" versichern. Das ginge natürlich auch einfacher, wenn meinem Rat gefolgt und ein-zwei einschlägige Paper (gelesen und) als Grundlage der Diskussion anerkannt worden wären. Aus irgendwelchen psychologischen Gründen (das ans Licht der "Bewusstheit" zu zerren hätte auch mit dem Informationsthema zu tun) wurde dieser naheliegende Weg aber auf der Liste abgewählt. Dass auch der mühsamere Weg beim wohlfeilen selben Skelett der semantischen Untersetzung von Begrifflichkeit (also letztendlich bei (Klemm)) rauskommt wie der erste wundert dich hoffentlich nicht wirklich (du würdest sonst nicht nur den heutigen Philosophen ein Armutszeugnis ausstellen). Insofern ein wenig aussagekräftiges, also schlechtes Beispiel. Offensichtlich gibt es "lernende" und "explorative" Diskurse. Oder in Bildern des "Zauberlehrlings": Es gibt Diskurse der Meister untereinander, Meister-Lehrlings-Diskurse und auch die der Zauberlehrlinge untereinander. Deren jeweilige Spezifik (welcher "Unterschied hier einen Unterschied macht") wäre zu ergründen. Ich schreibe dies unbeschadet der Lanze, die ich anderenorts fürs Dilettieren gebrochen habe.

Gänzlich unbescheiden möchte ich aber mal behaupten, dass ich die von dir
eingeforderten Begrifflichkeiten einschließlich des Aspekts der
Prozesshaftigkeit ("Kontext ermöglicht Kommunikation, (gelingende)
Kommunikation modifiziert Kontext"...) wesentlich systematischer ausarbeite
und dabei ein wesentlich leistungsfähigeres (weil für die verschiedenen
Anwendungsbereiche der Sozialwissenschaften besser skalierbares) Konzept
entwerfe, als ich dies bei Janich sehe.

Hast du Janich im Original gelesen? Ich gebe freimütig zu - ich nicht. Geht das, was du da "gänzlich unbescheiden" anmerkst, über Standardaufrisse wie (Capurro-95) oder (Fuchs-Kittowski) hinaus oder setzt sich mit deren Argumentation wenigstens auseinander? Alte Fragen meinerseits an dich.

<cite>Unsere Zeit bietet wie keine andere eine gewaltige Sammlung von Wissen in Textform dar. Die gesamte Geistesgeschichte der Menschheit wird auf CD-Roms, auf Internetseiten, in Antiquariaten und im Buchhandel dargeboten, alles ist gut vernetzt und so leicht zugänglich, daß es eine Schande wäre, dieses Material nicht wach und offenen Sinnes zu gebrauchen.</cite>

Aber so lange dieses Material nur in Textform auf der CD oder in den
Antiquariaten existiert ist es nach meinem Verständnis kein Wissen, auch kein
"Wissen in Textform" sondern nichts weiter als Text.

Stefan Merten hat einen solchen Begriff inzwischen wenigstens zu "individuellem Wissen" relativiert und ich ihm geantwortet, dass für mich
	Wissen = Erfahrungsschatz der Menschheit
ist. Insbesondere auch derjenigen Menschen, die längst tot sind, füge ich hier sicherheitshalber ergänzend hinzu.

Auch wenn du das nicht als Wissen bezeichnen möchtest, so brauchen wir für diese Semantik doch einen Begriff. Eine Maschine würde leicht einen generieren, vielleicht "B485etROvyFho", und dann alles, was wir dieser ID zuornden, fein säuberlich unter dieser abspeichern können. Aber vielleicht sollten wir uns doch eher auf "humane" Formen einigen, in denen der Bezeichner selbst auch immer was vom Bezeichneten enthält (siehe z.B. Java Coding Standards). Das bedeutet aber Streit, denn dann müssen wir uns einigen, ob wir den Bezeichner "Wissen" in meinem oder im Sinne von SMn und SE gebrauchen wollen. Du wirst verstehen, dass einer "demokratischen" Entscheidung dieser Frage nicht nur mein Ego im Wege steht.

Es wäre nur eine Frage der Zeit (vermutlich höchstens 3 Generationen), bis sich das verfügbare Wissen auf einen Bruchteil des
heute verfügbaren Wissens verringert hätte. Und zwar auch dann, wenn
es all die tollen Bibliotheken, Antiquariate, CDs usw. mit all ihren wunderbaren Ansammlungen von Texten noch immer gäbe. Einfach deshalb,
weil sie nichts anderes sind als Text.

Ja, deshalb heißt diese Form des Wissens bei mit "totes W." im Gegensatz zum "lebendigen W." (bei dir: "verfügbares W."). Aber trotzdem sind *beides* Wissensformen. Es ist ja nicht der Verlust des Wissens eingetreten, sondern der des _Kontexts_. Und der lässt sich - mit einiger Mühe durchaus auch nach 30 Generationen rekonstruieren.

Gerade weil dies so ist, lege ich auf den gerade gebrachten Hinweis ja so
großen Wert. Denn diese exponentielle Dynamik schafft doch auch enorme
Probleme: Gerade aufgrund der exponentiell wachsenden Menge an Texten, auf die
Mensch heute grundsätzlich zugreifen kann, verringert sich doch auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Text von einer kritschen Masse von
Lesern überhaupt wahrgenommen wird  ...

Nein, das heißt nur, dass nicht jeder alles "wissen" kann (und will). Aber das ist nicht neu, sondern die Quelle von Arbeitsteilung und Spezialisierung. Neu ist allein die Geschwindigkeit, in der "the broom of the sorcerer's apprentice keeps sweeping, and the water continues to rise" (Moglen).

SMn: Insofern würde ich stark dahin tendieren von "Wissens- UND
Informationsgesellschaft" zu reden, anstatt von "Wissens- ODER
Informationsgesellschaft".

HGG: und Kompetenz- und Vorsorge- und Kommunikations- und nachhaltige und ökologische und freie Gesellschaft. Jedes dieser xy beschreibt eine Dimension der Änderungen, die heute anstehen. Einige dieser Dimensionen habe ich auf der 1. Oekonux-Konferenz angesprochen, siehe http://www.opentheory.org/mtb-d-thesen

Von einer solchen inflationären Kreation von "Bindestrichgesellschaften" halte ich recht wenig. Meine Meinung dazu habe ich ja in einer meiner ersten längeren Mails zum Thema "Wissens- und/oder Informationsgesellschaft" grob umrissen.

Insofern SMn mit dem UND der eigentlichen Fragestellung ausgewichen ist stimme ich dir vollkommen zu. Dass mein Favorit "Wissensgesellschaft" lautet hatte ich begründet:

Kurz, es geht um Wissensgesellschaft, wenn der Wissensbegriff
entsprechend gefasst ist. Wissenssozialisation wird zur Leitsozialisation und die Gesellschaft strukturiert sich
entsprechend um. Die alte, um die Geldform aufgestellte
Leitsozialisierung setzt dem natürlich Widerstand entgegen.

"Wissenssozialisation" halte ich für eine sehr problematische Wortschöpfung,

Dein Problem verschwindet hoffentlich beim Wissensbegriff in meiner Semantik.

Allerdings glaube ich zu verstehen, was du mit "Wissenssozialisation als
Leitsozialisatin" meinst. Ich vermute, dass das gar nicht sooo weit weg von
dem ist, was ich mit "strukturdominanter Ressource" sagen möchte.

was nur davon zeugt, dass die Begriffsbildungskette im "Ontogenese-Modus" den Weg Pragmatik -> Semantik -> Syntax (also Phänomen -> Bedeutung -> Bezeichnung) läuft, während es im "Phylogenese-Modus" (aka "Lernen") meist andersherum ist.

Viele Grüße, Hans-Gert

--

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : [PHONE NUMBER REMOVED]
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
  Home Page: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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