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Re: Re: [ox] Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hi Liste!

@Casimir: Danke für den Link.

Last month (31 days ago) Casimir Purzelbaum wrote:
Danke! Vielleicht kann ja dort auch jemand (von Euch?) den Link
zu Rafael Capurro einbauen? (Ich habs versucht, aber ich komm
nicht klar).

	http://www.capurro.de/db.htm#Informationswissenschaft
	http://www.capurro.de

Ich finde nämlich z.B. seine Vorlesung "Einführung in den
Informationsbegriff" (vor allem die Abschniitte II, III, IV) sehr
hilfreich.

	http://www.capurro.de/infovorl-index.htm

Hier werden wirklich die verschiedenen Begriffe, die mensch sich
so von `Information' gemacht hat, historisch und nach Fachgebiet
einzeln dargestellt. Die Diskussionen bzw. Fragen, die von einem
Begriff (einer Definition) zum (zur) nächsten führten, werden
angerissen und das erleichtert es ungemein, bestimmten
Mi�verständnissen z.B. in unserer Diskussion auf die Spur zu
kommen, glaub ich.  Obwohl der Text relativ lang und konzentriert
ist, ist er nicht besonders schwer verständlich ;-)

Ich habe den Text mal zur Hälfte gelesen und ich zitiere mal ein paar
Stellen, die ich interessant für die Debatte hier finde. Ich streue
meine Gedanken dazwischen - sicher etwas roh und wahrscheinlich
widersprüchlich ;-) .

[http://www.capurro.de/infovorl-einl.htm]

Im dritten Teil widmen wir uns der Analyse des Informationsbegriffs
in anderen Disziplinen wie Nachrichtentechnik, Sprachwissenschaft,
Kybernetik, Kulturwissenschaft und in den Naturwissenschaften. Das
ist ein weites Feld. Die grundlegende Kontroverse bezieht sich aber
auf einen einfachen Sachverhalt: Information ist ursprünglich, d.h.
im Alltag, ein Begriff den wir mit einer bestimmten menschlichen
Handlung verbinden, und zwar mit einer intellektuellen oder,
traditionell gesagt, geistigen. Zugleich findet in Zusammenhang mit
der Entwicklung der modernen Nachrichtentechnik sowie mit deren
Einfluß auf andere Wissenschaften eine Naturalisierung des
Informationsbegriffs statt. Das gibt Anlaß zu weitreichenden
Kontroversen, die sich zunächst auf methodologische Fragen beziehen,
bald aber das Selbstverständnis des Menschen, seinen Bezug zur Natur
sowie zu den von ihm hergestellten Artefakten betreffen. Vor diesem
Hintergrund stellt sich die Frage nach einer einheitlichen Theorie
der Information, die alle Bereiche der Realität umfaßt (Hofkirchner
1999).

Das beschreibt nach meinem Gefühl sehr schön die Schwierigkeiten, die
wir hier bei der Definition hatten.

Was für ein Fazit läßt sich aus diesen Untersuchung  ziehen? Zum
einen die Einsicht, daß Information nicht nur ein lelbensweltlicher,
sondern auch ein wissenschaftlicher Schlüsselbegriff ist. Die auf
den ersten Blick verwirrende Vielfalt von Ansichten erscheint nach
einem vertieften Nachdenken als die Geschichte einer
Anthropologisierung und Naturalisierung  zugleich. Information ist
sowohl eine anthropologische als auch eine auf nicht-menschliche
Gestaltungsprozesse bezogene Kategorie. Beides gehört zusammen. Über
das Wie dieser Zusammengehörigkeit, ob in Form von Analogien, von
evolutionären Prozessen oder, wie ich vorschlage, von vernetzten
Begriffsbeziehungen, wird heute weiter nachgedacht und bisweilen
auch gestritten. In Aussicht steht aber nicht einen wie auch immer
gearteten Konsens, der alle Bereiche und Definitionen unter einem
Hut bringt, sondern die Möglichkeit von Grenzüberschreitungen und
Perspektivenwechsel, wodurch sich der Reichtum an Resonanzen,
Assonanzen und Dissonanzen womöglich erhöht. Was aber aus einer
lokalen disziplinbezogenen Perspektive die Lösung von bestimmten
Problemen und das Entstehen neuer Ansichten bedeutet, bringt nicht
notwendigerweise dieselben Resultate in einem anderen Bereich. *So* zu
denken ist bestimmt nicht einfach, aber es ist der Mühe wert.

Das klingt doch interessant :-) .

[http://www.capurro.de/infovorl-kap1.htm]

Was wir wissen ist immer schon das Ergebnis eines Informations-
oder Mitteilungsprozesses und umgekehrt, durch den
Informationsprozeß wird Wissen allgemein verfügbar gemacht. Beide
Prozesse sind medialer Natur. Das älteste Informations- und
Wissensmedium ist der menschliche Leib selbst, vor allem in Form
gesprochener Sprache (Großklaus 1996).

Ein Informationsprozess ist also hiernach medialer Natur. Es handelt
sich also immer um eine Vermittlung zwischen zwei Entitäten. Innerhalb
einer Entität gibt es keine Vermittlung also auch keinen
Informationsprozess.

1. Daten - Information - Wissen

Der (kurze) Abschnitt beschäftigt sich mit der Klärung und Abgrenzung
dieser drei Begriffe. Zumindest was die Begriffe Daten und Information
betrifft deckt sich das ziemlich mit dem, was z.B. ich vorgeschlagen
hatte. Was Wissen betrifft zitiere ich mal:

"Als Wissen schließlich bezeichnen wir die systematische Verknüpfung
von Informationen dergestalt, daß prognostische oder explanatorische
Erklärungen abgegeben werden können, d.h. sinnvolle Frage richtig
beantwortet werden können (Beispiel: "Wenn sich vom Atlantik her ein
Tiefausläufer nähert und zugleich kein robuster Hochdruckkern über
dem Kontinent besteht, steigt die Wahrscheinlichkeit von
Niederschlägen auf 80%.""

Wenn Wissen nur eine systematische Verknüpfung von Informationen ist,
dann kann ich den Unterschied zur Information nicht wirklich erkennen:

"Als Information bezeichnen wir ein Bündel von Daten, das in einer
propositionalen Struktur zusammengefaßt ist. Die Aussage: "In
München sind es heute, am 27.7.1996 um 13 Uhr, 25 Grad im Schatten"
ist eine Information im Sinne dieser Definition."

Information bezeichnet hier vor allem eine besondere Struktur - hier
eine propositionale. Wissen ist aber danach ebenfalls nur eine
besondere Struktur von Informationen - eben eine systematische. Wissen
ist also so gesehen eine Metastruktur über Daten, eine Struktur über
Strukturen. Das finde ich zu dünn als Unterscheidungskriterium und es
fasst insbesondere nicht besonders gut die Relevanz von Wissen für
Akteure.

Wo ich gerade dabei bin: Wissen scheint mir doch auch sehr stark etwas
mit einer intentionalen Struktur zu haben, also mit einer
handlungsleitenden Zweckbestimmung. Gerade das, was Hans-Gert als
(menschliche) Aneignung von Wissen bezeichnet, ist ja sehr stark mit
der Intention verknüpft. Ich lerne / aneigne mir kein Chinesisch wenn
ich es nicht irgendwie brauchen kann.

In seinem Buch The Tacit Dimension (dt. Implizites Wissen Polanyi
1985) hatte Polanyi die Bedeutung von körperlichen Reaktionen als
eine Form von verinnerlichten Handlungen oder eben von implizitem
Wissen analysiert, das zum Beispiel auch in Form von moralischen
Annahmen oder auch von wissenschaftlichen Theorien unsere Praxis
leiten. Für Polanyi - der sich auf die Philosophen Wilhelm Dilthey
(1833-1911) und Hans Lipps (1889-1941) beruft - ist das implizite
Wissen die Grundlage des objektivierten Wissens. Polanyi meint,

    "daß jeder unserer Gedanken Komponenten umfaßt, die wir nur
    mittelbar, nebenbei, unterhalb unseres eigentlichen Denkinhalts
    registrieren -- und daß alles Denken aus dieser
    Unterlage, die > gleichsam ein Teil unseres Körpers ist,
    hervorgeht." (Polanyi 1985, > S. 10)

Das ist der Aspekt, den ich schon versucht hatte einzubringen und den
ich verborgenes Wissen genannt hatte. Mein Beispiel war das Heben
meines Arms gewesen.

Zum Verhältnis von implizitem und explizitem Wissen - hier jetzt in
der dort gewählten Bedeutung - fand ich auch diese Liste sehr
interessant:

Sie unterscheiden vier Formen der Umwandlung, nämlich:

    * Vom impliziten zum impliziten Wissen - die Sozialisation
    * Vom impliziten zum expliziten Wissen - die Externalisierung
    * Vom expliziten zum expliziten Wissen - die Kombination
    * Vom expliziten zum impliziten Wissen - die Internalisierung.

Da kann ich mit gut was drunter vorstellen :-) .

Den ganzen Abschnitt "4. Wissen managen" finde ich ganz interessant.
Einige Auszüge:

Dieser hängt eng mit den Begriffen Zeichen, Daten und Information
zusammen. Sie schreiben:

    "Die Zusammenhänge zwischen diesen Ebenen werden häufig als
    Anreicherungsprozeß dargestellt. Zeichen werden durch
    Syntaxregeln zu Daten, welche in einem gewissen Kontext
    interpretierbar sind und damit für den Empfänger Information
    darstellen. Die Vernetzung von Information ermöglicht deren
    Nutzung in einem bestimmten Handlungsfeld, welches als Wissen
    bezeichnet werden kann. Teilweise werden aufbauend auf dieser
    Trennung noch zusätzliche Ebenen wie Weisheit, Intelligenz
    oder Reflexionsfähigkeit unterschieden." (Probst u.a. 1997, S.
    34-35)

Von Information sprechen wir also dann, wenn Daten im Sinne eines
syntaktisch strukturierten Zeichenvorrates von einem Empfänger in
einem bestimmten Kontext interpretiert werden. Information ist das
Ergebnis eines Interpretationsvorganges. Das In-Beziehung-Setzen von
Informationen untereinander bezeichnen die Autoren als Wissen.

Also auch die pflegen einen ähnlichen Ansatz. Daten irgendwo,
Informationen sind irgendwie strukturierte Daten und Wissen ergibt
sich aus der Vernetzung von Information.

Mein Problem damit: Die Struktur, die Daten zu Informationen macht,
ist ja selbst wiederum nur Datum. Wenn ich also das chinesische Buch
in die Hand nehme, dann kann ich den Inhalt hervorragend auf Daten
runter brechen und diese Daten - z.B. mit Hilfe eines Kopierers -
kopieren. Wenn aber ein des chinesischen mächtiger Mensch sich diese
Datenflut ansieht, dann kann er die Strukturdaten nutzen um die
Textdaten für sich zu Information zu machen. Im Computerbereich gibt
es zahllose solche Beispiele.

Es kann also nicht so sein, dass diese Strukturdaten irgend eine
überindividuelle Bedeutung haben, sondern es muss sich ebenfalls um
ganz normale Daten handeln, die eben auf eine "geeignete"
Interpretation stoßen müssen, um Information zu werden. Und es kann
durchaus sehr verschiedenartige Interpretationen der gleichen Daten
geben.

Ich neige daher dazu, dass die Strukturdaten *grundsätzlich* in eine
Datenflut von der betrachtenden Entität hineingelesen werden müssen.
Die Strukturdaten, das also, was der Syntax folgt, unterscheidet sich
nicht grundsätzlich von anderen Daten.

Ich kann daher nicht von einem Anreicherungsprozess sprechen, da Daten
und Information eine völlig unterschiedliche Kategorie sind. Daten
werden zwar gebraucht um Informationen überhaupt erhalten zu können,
aber sie sind kategorial etwas anderes - nämlich die Interpretation
von Daten. Oder die Zuweisung von Bedeutung um auch diesen Begriff
nochmal aufzugreifen.

Der primäre Träger dieses Transformationsprozesses im Unternehmen
und somit auch der Träger der "organisationalen Wissensbasis" ist
das Individuum. Diese Bindung von Wissen an das Individuum macht den
Unterschied zwischen Wissen auf der einen und Daten und
Informationen auf der anderen Seite aus. Sie schreiben:

    "Wissen bezeichnet die Gesamtheit der Kenntnisse und
    Fähigkeiten, die Individuen zur Lösung von Problemen einsetzen"
    (Probst u.a. 1997, S. 44).

Informationen haben, demgegenüber, einen höheren Allgemeinheitsgrad
oder, genauer gesagt, einen höheren Abstraktionsgrad. Sie können
unterschiedlich vernetzt und somit situationsgebundener eingesetzt
werden. Daß Wissen an Individuen gekoppelt ist, bedeutet aber nicht,
daß Informationen losgelöst vom menschlichen Interpreten aufzufassen
wären. Die Möglichkeit ihrer Verwandlung in Wissen hängt vom
stärkeren oder schwächeren Vernetzungsgrad ab.

Hier kommt die Lesart des Wissensbegriffs vor, die ich als eine der
wesentlichen betrachte - das individuelle Wissen als Befähigung zur
Handlung.

Aber auch Kollektive bilden die Basis für Wissen in Organisationen.
Es entsteht durch das Zusammenspiel aller Beteiligten. Kollektives
Wissen ist mehr als die Summe individuellen Wissens. Da es das
Produkt eines Sozialisationsprozesses ist, läßt sich kollektives
Wissen nicht extern einkaufen.

Das geht eher in die Richtung des gesellschaftlichen Wissensbegriffs.

[http://www.capurro.de/infovorl-kap2.htm]

Interessant das hier:

Welche Dinge sind aber genau "Information-als-Ding"? Buckland
verweist auf den Charakter der Evidenz (evidence): Ein Ding ist
genau dann informativ, wenn es in irgendeiner Art und Weise etwas
unmittelbar nachweist.

Das unmittelbare Nachweisen wäre am ehesten das, was ich als
Messergebnisse bezeichnen würde. Und gleich weiter:

Er führt folgende Beispiele an:

    * Daten: d.h. alles, was "verarbeitet" und anschließend benutzt
wird. In der Regel bezeichnet man mit "Daten" alles, was im Computer
gespeichert ist.

    * Texte und Dokumente: es sind die "Informationsdinge", die in
Bibliotheken und Archiven gespeichert und benutzt werden.

    * Objekte: dazu gehören, wie erwähnt, die Exponate in Museen
aber auch Gegenstände, die wir in der Umwelt durch direkte
Beobachtung wahrnehmen, etwa ein Archäologe, der Artefakte in einer
Ausgrabung beobachtet. In diesem Zusammenhang erweitert Buckland den
Begriff des Dokuments auf nicht-linguistische Gegenstände

    * Ereignisse (events): wie z.B. Experimente in den
Wissenschaften.

Witzig, da weder Daten noch Texte irgend etwas *unmittelbar*
nachweisen. Höchstens, dass irgendwer schwarze Druckfarbe auf
unschuldig weißes Papier aufgebracht hat.

Abschnitt 2 befasst sich mit

2. Das kognitivistische Paradigma

Gefällt mir nicht, da ich die Einschränkung

* Information betrifft menschliche kognitive Kommunikationsprozesse

zu eng finde - wie schon mal bemerkt. Anders gesagt: Die Vorgänge, die
wir für Menschen bei der Informationsverarbeitung als wesentlich
identifizieren, machen auch bei Maschinen (und auch Tieren) Sinn. Auch
ein Computer interpretiert mit seinem Programm Daten und leitet daraus
Aktivitäten ab. Das "IF" in fast allen Programmiersprachen ist m.E.
das Basiskonstrukt für diese Interpretationsleistung.

Es wäre m.E. also ziemlicher Unfug für so ähnliche Prozesse
unterschiedliche Begriffssysteme zu entwerfen. Dass es natürlich
beträchtliche Unterschiede gibt will ich damit gar nicht leugnen.
Leider ist das in

3. Cybersemiotics

offenbar der Fall:

* dem Modell der Informationsverarbeitung: Mit dem Einsatz des
  Computers verschob sich das Interesse der Informationswissenschaft
  zu der Frage, inwiefern "kognitive Prozesse" auch in einer Maschine
  ablaufen können. Dieses Modell wurde sowohl durch die Shannonsche
  Informationstheorie als auch durch die Kybernetik Norbert Wieners
  (Kybernetik erster Ordnung) wesentlich beeinflußt. Einige seiner
  Annahmen waren zum Beispiel: Es besteht keine wesentliche
  Unterscheidung zwischen Kognition bei Menschen und Maschinen;
  logisches Denken hat Vorrang gegenüber Intuition und Emotion;
  Erkenntnisprozesse verlaufen linear; Lernen basiert auf Regeln und
  Prinzipien; Sprache ist ein formaler Mechanismus, der einer Maschine
  übertragen werden kann; der Leib spielt bei Erkenntnisprozessen eine
  untergeordnete Rolle; das Gehirn funktioniert wie ein Computer; es
  gibt eine im Gehirn "gespeicherte" semantische Struktur; die
  kulturelle und historische Entwicklung des Menschen spielt in bezug
  auf Erkenntnis eine untergeordnete Rolle; die Sprache gibt eine
  objektive Außenwelt wieder. Dieses Modell gab Anlaß zu den
  Kontroversen um die "Künstliche Intelligenz" in den 70er Jahren. Der
  Versuch, dieses Modell als Paradigma der Informationswissenschaft
  einzuführen, scheiterte aber aus zwei Gründen: 1) Er vernachläßigte
  die schließlich für Dokumentare und Bibliothekare wichtige Frage
  nach der semantischen Vermittlung vom in Dokumenten gespeicherten
  Wissen und 2) er berücksichtigte nicht die sozialen und kulturellen
  Aspekte der Dokumentenvermittlung. Dieses Modell basierte auf einem
  "objektiven Informationsbegriff" (objective concept of information),
  der die menschliche Kommunikationssituation außer Acht ließ.

Hier wird das Kind m.E. mit dem Bade ausgeschüttet. Es geht doch
überhaupt nicht um die Frage, ob "kognitive Prozesse auch in einer
Maschine ablaufen können"! Es ist überhaupt nicht nötig, von den
ganzen menschlichen Attributen abzusehen - weil es um die nämlich gar
nicht geht.

Wenn wir als ein entscheidendes Kriterium für Information die
Interpretation von durch Daten strukturierte Daten durch eine Entität
fest halten, dann ist doch die Frage, ob nicht-menschliche Entitäten
Leistungen vollbringen können, die wir vernünfig als Interpretation
bezeichen können. Hier bin ich ganz klar der Ansicht, dass das eine
sinnvolle Herangehensweise ist. M.E. können sowohl Tiere - letztlich
auch Pflanzen - als auch Maschinen Daten interpretieren und damit mit
Informationen arbeiten. Damit bricht dem Menschen auch noch lange kein
Zacken aus der Krone.

Weiter unten kommt eine solche Sicht auch nochmal in dem Text vor:

Für Peirce haben Zeichen eine triadische Struktur: Sie beziehen
sich auf etwas und brauchen zugleich einen Interpreten
(interpretant), der den Zusammenhang dieser Zeichen zu einer
kulturellen Zeichenganzheit herstellt. Ein Zeichen steht für ein
Objekt in einer bestimmten Sicht. Diese Sicht bestimmt, welche
Differenz eine Differenz für den Interpreten ausmacht. Diese Sicht
kann zum Beispiel das Ziel einer (wissenschaftlichen) Untersuchung
sein. Peirce faßt diese Zusammenhänge zwischen Zeichen, Gegenstand
und Interpreten im Sinne eines Prozesses auf (Brier 1996, S. 328).
So wie also das Objekt in einer triadischen Semiotik nicht das
Objekt "an sich", sondern die Sicht eines Objektes meint, so ist
auch unter dem "Interpreten" (interpretant) nicht eine Person
(interpreter), sondern die Auslegung des Zeichen in einem bestimmten
Kontext gemeint. Was Zeichen in einer Triade ist, kann wiederum
Gegenstand in einer anderen Triade werden. Diese Art von Semiotik
läßt sich nahtlos mit einer Kybernetik zweiter Ordnung verbinden,
wonach Bedeutung erst in Zusammenhang mit einem autopoietischen oder
sich selbst organisierenden System entsteht.

Damit, dass eine Triade eben wieder Gegenstand einer neuen Triade
werden kann, ist eben nicht mehr kategorial zwischen Daten und einer
Struktur über Daten zu unterscheiden. Diese Triaden lassen sich ja
auch beliebig tief schachteln. Die Anordnung von Druckfarbe auf einem
Stück Papier braucht ja viele solcher Triaden, mithin also vieler,
jeweils unterscheidbarer Interpretationsprozesse um letzlich bei einer
LeserIn zu Wissen zu führen. Zunächst mal müssen ja z.B. die
Hell-Dunkel-Unterschiede wahrgenommen werden, die die Druckfarbe auf
dem Papier erzeugt. Dann muss fest gestellt werden, dass es sich um
(bekannte) Schriftzeichen handelt, die in einer bestimmten räumlichen
Orientierung vorliegen. Aus den Detaildaten, die das Design des Fonts
müssen einerseits Buchstaben abstrahiert werden, andererseits muss das
Design - unbewusst - zum einfacheren Verfolgen der Buchstaben
verwendet werden (Stichwort: Serifenschriften und Groteske). Die
räumliche Anordnung der Buchstaben muss wiederum interpertiert werden,
so dass sich daraus Worte zusammen setzen. Die Worte - sofern einer
bekannten Sprache entstammend - müssen nun wiederum zu Sätzen zusammen
interpretiert werden usw. usf. An jeder Stelle werden bestimmte Daten
- mal die Hell-Dunkel-Unterschiede, mal die Anordnung der Buchstaben
zueinander - interpretiert werden. An jeder Stelle sind die Daten, die
mit Hilfe der einen Triade zu Informationen gedeutet werden, die Daten
der nächsten Triade, in der eine Deutung ganz anderer Art vorgenommen
wird.

Das wird auch im Text gesagt:

Für Brier ergeben sich hier unmittelbare Konsequenzen für
informationswissenschaftliche Fragen. Wenn wir zum Beispiel nach der
Bedeutung eines Schlagwortes oder eines Deskriptors (index term)
fragen, dann wird aus diesem Zeichen ein Gegenstand, worauf wir mit
unseren Fragen hinweisen. Der Nutzer, der sich in der Rolle eines
Interpreten befindet, kann wiederum Gegenstand einer Nutzeranalyse
werden usw. Mit anderen Worten, Zeichen existieren nie isoliert,
sondern sie sind immer in ein semiotisches Netz (semiotic net)
eingebettet. Brier sieht hier Parallelen zum hermeneutischen Begriff
des Interpretationshorizontes, worauf wir noch eingehen werden. Der
semiotische Interpretationsprozeß ist im Prinzip unendlich. Peirce
spricht von einer "unendlichen Semiose" (unlimited semiosis). Es ist
dieser Prozeß, so Brier, und nicht die mögliche lexikalische
Fixierung - zum Beispiel in Form von Klassifikationen oder Thesauri
-, der die Bedeutung von Zeichen möglich macht. Brier zieht in
Anschluß an D.C. Blair eine andere wichtige Konsequenz für die
Informationswissenschaft, nämlich, daß es keine notwendige und
vollständige Darstellung oder Wiedergabe eines Textes, etwa in Form
einer Kurzfassung, gibt. Auch der Volltext stellt eine Auswahl der
möglichen Inhalte oder Perspektiven dar. Das entscheidende
Beurteilungskriterium für die Qualität von Informationen ist nicht
die "Korrektheit" (correctness), sondern die "Adäquatheit"
(appropriatness) (Blair 1990).

Eben!

Und bei eben diesem Prozess würde ich eben auf heftige Analogien
zwischen Information bei Menschen und Maschinen hinweisen. Auch bei
Computern gibt es nämlich genau diese geschachtelten Triaden, bei
denen nach und nach aus dem Elektronenfluss in irgendwelchen
Leiterbahnen ein WordProcessor wird. Auch dort werden Daten in
reichlich vielen Schachtelungsebenen interpretiert. So werden die
einen Bytefolgen z.B. als Programm interpretiert, das vom Prozessor
ausgeführt wird während andere Bytefolgen bei gleicher Interpretation
zu unvorhersagbaren Folgen führen.

Das hat übrigens gar nichts mit Willen zu tun. Ich würde einem
Computer keinen Willen, keine intentionale Struktur zuschreiben.
Dennoch interpretiert ein Computer ohne Unterlass und arbeitet m.E.
deswegen auch mit Informationen. Und auch nicht mal mit dem gleichen
Typ von Informationen wie der Mensch, der vor diesem Computer sitzt.
Die Informationen, die ein Computer aus Daten interpretiert sind
natürlich völlig anderer Natur als die, die ein Mensch aus Daten
heraus deutet. Hier kommt die Körperlichkeit und die unterschiedlichen
Lebenswelten natürlich voll zum Zuge.

Leider macht aber auch - wie oben schon angedeutet - diese Theorie den
blödsinningen Fehler, mit aller Gewalt Menschen und Maschinen gleich
setzen zu wollen:

In Informationsprozeß als ein  Interpretationsprozeß, der auf der
Basis eines Dokumentes stattfindet, wird qualitativ vom mechanischen
Prozeß der Zeichen- oder Signalverarbeitung unterschieden Der von
Brier benutzte Ausdruck von "mechanical information processing" ist
hier mißverständlich oder nur metaphorisch gemeint. Denn, wie Brier
anschließend betont, einen Übergang von der maschinellen zur
menschlichen Informationsverarbeitung und somit eine Substitution
des Menschen durch eine Maschine ist in absehbarer Zeit nicht zu
erwarten. Während bei klassischen Dokumentationssystemen - zum
Beispiel bei Fachdatenbanken - die Interpretationshorizonte im
System mit denen der Nutzer weitgehend übereinstimmten, ist dies im
Falle einer universalen Vernetzung wie im Internet viel schwieriger
zu erreichen.

Nochmal: Es kann doch gar nicht um eine universelle Substitution von
Menschen durch Maschinen gehen. Das ist doch der Unsinn aus der
Frühzeit der Künstlichen Intelligenz. Computer und Menschen sind schon
auf Grund ihrer Körperlichkeit grundsätzlich verschieden - das ist ja
völlig offensichtlich. Dass es dennoch Prozesse innerhalb von
Computern und Menschen geben kann, die analog verlaufen, ist davon
völlig unberührt. Wenn das aber so ist, dann sollten m.E. eben auch
die gleichen Begriffe verwendet werden.


So, ich habe jetzt die ersten beiden Kapitel mal durch und schon einen
ziemlichen Brocken von Mail verfasst. Ich schick' das wohl besser
erstmal ab. Ich lese es auch nicht nochmal durch und bin sicher, dass
ich auf alle Widersprüche und Fragwürdigkeiten schon hingewiesen
werde ;-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

--
Please note this message is written on an offline laptop
and send out in the evening of the day it is written. It
does not take any information into account which may have
reached my mailbox since yesterday evening.

________________________________
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