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Re: Re: [ox] Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hallo Stefan, hi Liste!

Stefan Merten <smerten oekonux.de> schrieb:

-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----

Hi Liste!

@Casimir: Danke für den Link.

[...]

	http://www.capurro.de/infovorl-index.htm

[...]


Ich habe den Text mal zur Hälfte gelesen und ich zitiere mal ein paar
Stellen, die ich interessant für die Debatte hier finde. Ich streue
meine Gedanken dazwischen - sicher etwas roh und wahrscheinlich
widersprüchlich ;-) .

Der Text ist schon recht interessant. Man sollte jedoch berücksichtigen, dass
er vor allem einen Überblick über verschiedene Informationsbegriffe liefern
möchte. Dabei wird es leider manchmal etwas? nun sagen wir mal:
?unübersichtlich?, denn selbst für ein orlesungsskript würde ich mir
eigentlich ein wenig mehr Systematik und den berühmten roten Faden wüschen...
Das heisst: Meiner Meinung nach ist der Text ist SEHR eklektizistisch - ein
kohärentes Konzept den Informationsbegriff liefert der Text jedoch nicht
(fairer Weise muss man jedoch sagen, dass die auch gar nicht sein Anspruch ist). 

Insofern ist es auch gar nicht verwunderlich ? eher sogar zwangsläufig! ? dass
bei so verschiedenen Ansätzen, die dort vorgestellt werden, das eine oder
andere widersprüchlich ist.



[http://www.capurro.de/infovorl-einl.htm]

Im dritten Teil widmen wir uns der Analyse des Informationsbegriffs
in anderen Disziplinen wie Nachrichtentechnik, Sprachwissenschaft,
Kybernetik, Kulturwissenschaft und in den Naturwissenschaften. Das
ist ein weites Feld. Die grundlegende Kontroverse bezieht sich aber
auf einen einfachen Sachverhalt: Information ist ursprünglich, d.h.
im Alltag, ein Begriff den wir mit einer bestimmten menschlichen
Handlung verbinden, und zwar mit einer intellektuellen oder,
traditionell gesagt, geistigen. Zugleich findet in Zusammenhang mit
der Entwicklung der modernen Nachrichtentechnik sowie mit deren
Einfluß auf andere Wissenschaften eine Naturalisierung des
Informationsbegriffs statt. Das gibt Anlaß zu weitreichenden
Kontroversen, die sich zunächst auf methodologische Fragen beziehen,
bald aber das Selbstverständnis des Menschen, seinen Bezug zur Natur
sowie zu den von ihm hergestellten Artefakten betreffen. Vor diesem
Hintergrund stellt sich die Frage nach einer einheitlichen Theorie
der Information, die alle Bereiche der Realität umfaßt (Hofkirchner
1999).   

Das beschreibt nach meinem Gefühl sehr schön die Schwierigkeiten, die
wir hier bei der Definition hatten.

.. und immer noch haben. 


 Information ist
sowohl eine anthropologische als auch eine auf nicht-menschliche
Gestaltungsprozesse bezogene Kategorie. 

Dem würde ich klar zustimmen. 

Beides gehört zusammen. Über
das Wie dieser Zusammengehörigkeit, ob in Form von Analogien, von
evolutionären Prozessen oder, wie ich vorschlage, von vernetzten
Begriffsbeziehungen, wird heute weiter nachgedacht und bisweilen
auch gestritten. 

Leider sehr vage wie vieles bei Capurro. 
 
In Aussicht steht aber nicht einen wie auch immer
gearteten Konsens, der alle Bereiche und Definitionen unter einem
Hut bringt, sondern die Möglichkeit von Grenzüberschreitungen und
Perspektivenwechsel, wodurch sich der Reichtum an Resonanzen,
Assonanzen und Dissonanzen womöglich erhöht. Was aber aus einer
lokalen disziplinbezogenen Perspektive die Lösung von bestimmten
Problemen und das Entstehen neuer Ansichten bedeutet, bringt nicht
notwendigerweise dieselben Resultate in einem anderen Bereich. *So* zu
denken ist bestimmt nicht einfach, aber es ist der Mühe wert.   

Das klingt doch interessant :-) .

Dem würde ich auch zustimmen. In diesem Zusammenhang möchte ich dann noch mal
in Erinnerung rufen, dass wir uns hier nicht völlig zweckfrei mit dem
Informationsbegriff beschäftigen. Wir beschäftigen uns mit diesem Begriff vor
dem Hintergrund der Frage: "Informations- und/oder Wissensgesellschaft". Damit
wäre der Bereich, um den es uns geht doch klar umrissen: Gesellschaft.
Informationsbegriffe, die für andere Bereiche adäquat sein mögen (aus Gründen,
die ich in einer früheren Mail skizziert habe) bringen uns hier einfach nicht
weiter - weder der Informationsbegriff, der für Biologen hilfreich sein mag,
noch ein Informationsverständnis aus der Informatik.  
Es ist mir völlig klar, dass man intuitiv gerne anders denkt (z.B. weil ja
digitale IKT für die gesellschaftliche Entwicklung eine wichtige Rolle
spielen), daher müssen wir diesen Punkt vielleicht zunächst in einem eigenen
Sub-Thread klären?

Ich will aber trotzdem mal versuchen meinen Punkt mit einem Vergleich zu
verdeutlichen: Wenn wir uns fragen: Was ist Macht? Dann können wir dies
ebenfalls in zwei Richtungen tun: 
(1) wir können uns fragen, was ?Macht? - als relationales Phänomen in der
menschlichen Gelsellschaft ? eigentlich ist, und wie sie da zustande kommt
bzw. reproduziert (dabei werden wir natürlich feststellen, dass bereits Macht
viele Facetten hat?);
(2) wir könnten aber auch feststellen, dass es ?Macht? (als ein relationales
Phänomen) nicht nur in menschlichen Gesellschaften gibt, sondern auch in ganz
anderen Bereichen: Etwa im Tierreich? Vielleicht sogar in der Botanik und der
Technik?? Und wir könnten uns anschließend fragen, was dies für eine
Definition des Begriffs ?Macht? bedeutet. 

Natürlich kann man vorgehen wie unter (2) beschrieben (v.a. dann, wenn
plötzlich die Biologen und Ingenieure anfangen den Begriff macht in ihren
Bereichen einzusetzen). Aber bei bestimmten Fragestellungen (wie etwa ?Wie
veränderten sich die gesellschaftlichen Machtverhältnisse beim Übergang von
Gesellschaft X hin zu Gesellschaft Y??) ist es schlicht irrelevant, ob, warum
und auf welche Weise Biologen oder Ingenieure den Begriff ?Macht? in ihren
Disziplinen einsetzen. 
(Gut, Vergleiche hinken immer. Aber mein Standpunkt ist, dass es sich beim
Informationsbegriff letztlich genau so und nicht anders verhält?).

StefanM, leider scheinst du fest entschlossen den Weg (2) gehen zu wollen. Ich
persönlich werde dir da nicht folgen. Die Gründe dafür habe ich bereits
angedeutet, bin aber gerne bereit, sie gesondert noch mal zu diskutieren. 
Daher hab ich übrigens auch zum letzten Drittel deiner Mail nicht viel zu
sagen, weil da die verschiedensten denkmöglichen Bezugsebenen  für den
Informationsbegriff schon wild durcheinander wirbeln?


[http://www.capurro.de/infovorl-kap1.htm]

Was wir wissen ist immer schon das Ergebnis eines Informations-
oder Mitteilungsprozesses und umgekehrt, durch den
Informationsprozeß wird Wissen allgemein verfügbar gemacht. Beide
Prozesse sind medialer Natur. Das älteste Informations- und
Wissensmedium ist der menschliche Leib selbst, vor allem in Form
gesprochener Sprache (Großklaus 1996).

Ein Informationsprozess ist also hiernach medialer Natur. Es handelt
sich also immer um eine Vermittlung zwischen zwei Entitäten. Innerhalb
einer Entität gibt es keine Vermittlung also auch keinen
Informationsprozess.

Meiner Meinung nach muss man deine Schlussfolgerung nicht unbedingt aus diesem
Zitat ziehen (leider ist es eh schwer überhaupt irgendeine vernünftige
Schlussfolgerung aus diesem Zitat zu ziehen...): Fraglich wäre beispielsweise
ob Capurro im letzten Satz die Funktion eines "Mediums" nur auf Übertragung
(Medium = Vermittler) beschränkt, oder nicht doch auch die Speicherung (Medium
= Träger) meint. Im zweiten Fall wäre deine Schlussfolgerung - wie gesagt -
auf gar keinen Fall zwingend. Dieser Hinweis ist mir natürlich deshalb
wichtig, weil ich genau das Gegenteil behaupten möchte von dem behaupte,was du
schreibst? und weil es so schön ist, möchte hierzu auch Capurro
(http://www.capurro.de/infovorl-kap3.htm) zur Wort kommen lassen ;)

/Zitat/ "Das führt zu einer Revision des Kommunikationsbegriffs im Sinne eines
Austausches von Information zwischen einem Sender und einem Empfänger.
Information ist kein Ding, das zwischen A und B transportiert wird. Der
nachrichtentechnische Informationsbegriff muß in diesem Kontext revidiert
werden. Information ist nicht eine Differenz in der Außenwelt, die von einem
System aufgenommen wird, ohne sich dabei zu verändern, sondern sie ist eine
Differenz, die wiederum eine Differenz in diesem System erzeugt." /Zitatende/ 

Es meiner Meinung nach eben vom jeweiligen BEZUGSSYSTEM ab, ob etwas eine
Information ist - und eine Information ist es dann aber auch nur FÜR dieses
Bezugssystem und IN diesem Bezugssystem! Heinz von Förster bringt dies mit dem
Satz  /Zitat/"Die Umwelt enthält keine Information: die Umwelt ist wie sie
ist." /Zitatende/ hervorragend auf den Punkt (ebenfalls zitiert aus
http://www.capurro.de/infovorl-kap3.htm). 

Wollen wir nun noch eine zweite Entität ins Spiel bringen (wenn es dabei um
den Bereich des sozialen geht: ein zweites Individuum), dann wird es einfach
etwas anspruchsvoller, als man das vom Alltagsverständnis her gerne hätte: Was
hier ausgetauscht wird, sind zunächst einmal schlicht und ergreifend sinnlich
wahrnehmbare Formen akustischer oder visueller Natur. OB daraus eine
MITTEILUNG werden kann, hängt nun bei Menschen davon ab, über welches Wissen
die Beiden verfügen. 

1. Daten - Information - Wissen

Der (kurze) Abschnitt beschäftigt sich mit der Klärung und Abgrenzung
dieser drei Begriffe. Zumindest was die Begriffe Daten und Information
betrifft deckt sich das ziemlich mit dem, was z.B. ich vorgeschlagen
hatte. Was Wissen betrifft zitiere ich mal:

"Als Wissen schließlich bezeichnen wir die systematische Verknüpfung
von Informationen dergestalt, daß prognostische oder explanatorische
Erklärungen abgegeben werden können, d.h. sinnvolle Frage richtig
beantwortet werden können (Beispiel: "Wenn sich vom Atlantik her ein
Tiefausläufer nähert und zugleich kein robuster Hochdruckkern über
dem Kontinent besteht, steigt die Wahrscheinlichkeit von
Niederschlägen auf 80%.""

Wenn Wissen nur eine systematische Verknüpfung von Informationen ist,
dann kann ich den Unterschied zur Information nicht wirklich erkennen:

"Als Information bezeichnen wir ein Bündel von Daten, das in einer
propositionalen Struktur zusammengefaßt ist. Die Aussage: "In
München sind es heute, am 27.7.1996 um 13 Uhr, 25 Grad im Schatten"
ist eine Information im Sinne dieser Definition."   

Information bezeichnet hier vor allem eine besondere Struktur - hier
eine propositionale. Wissen ist aber danach ebenfalls nur eine
besondere Struktur von Informationen - eben eine systematische. Wissen
ist also so gesehen eine Metastruktur über Daten, eine Struktur über
Strukturen. Das finde ich zu dünn als Unterscheidungskriterium und es
fasst insbesondere nicht besonders gut die Relevanz von Wissen für
Akteure.

Deine Schlussfolgerung, die du hier aus den Zitaten ziehst ist sehr
interessant  und durchaus richtig. Und zwar deshalb, weil jeder Versuch, die
Begriffe "Daten", "Information" und "Wissen" sinnvoll (womöglich sogar
?irgendwie? hierarchisch) aufeinander zu beziehen, meiner Meinung nach nur
Nonsens produziert. 
Daher schenke ich mir auch Kommentare zum folgenden?

[?]

werden. Daß Wissen an Individuen gekoppelt ist, bedeutet aber nicht,
daß Informationen losgelöst vom menschlichen Interpreten aufzufassen
wären. Die Möglichkeit ihrer Verwandlung in Wissen hängt vom
stärkeren oder schwächeren Vernetzungsgrad ab.   

Hier kommt die Lesart des Wissensbegriffs vor, die ich als eine der
wesentlichen betrachte - das individuelle Wissen als Befähigung zur
Handlung.

Aber auch Kollektive bilden die Basis für Wissen in Organisationen.

richtig.

Es entsteht durch das Zusammenspiel aller Beteiligten. 

auch richtig.

Kollektives Wissen ist mehr als die Summe individuellen Wissens. 

Meiner Meinung nach absoluter Quatsch WENN man davon ausgehen möchte, dass nur
Individuen Träger von Wissen sind. Aber ich hab von Vertretern eines solchen
Wissensansatzes auch noch nie eine wirklich vernünftige und nachvollziebare
Erklärung dafür finden können, warum das so sein soll. Das hat für mich eher
etwas von einem Glaubensbekenntnis.

Da es das Produkt eines Sozialisationsprozesses ist, läßt sich 
kollektives Wissen nicht extern einkaufen.

auch richtig (kollektives Wissen hier verstanden als ein Wissen, über das
mehrere Individuen gleichzeitig verfügen). 

Schönen Gruß,
Stephan


-- 
Stephan Eissler
Institut für Politikwissenschaft
Lehrstuhl für politische Wirtschaftslehre
Melanchtonstraße 36
72074 Tübingen
Telefon 07071-309124
www.wissen-schaft.org


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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