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Re: [ox] Re: Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hi Hans-Gert!

Nochmal hierzu, obwohl ich das Gefühl habe, dass wir massiv aneinander
vorbei reden.

Last week (8 days ago) Hans-Gert Gräbe wrote:
Vorab allgemein und sicher meinerseits überspitzt: Du argumentierst
wieder sehr dinglich. So, als ob (in deinem Sinne gesellschaftliches)
Wissen in einer Pulle abgefüllt wäre und nur die Frage ist, ob man
ansetzt und trinkt (aka, es sich aneignet oder nicht).

Zum Verhältnis zwischen indivudellem und gesellschaftlichem Wissen
habe ich bisher noch nichts gesagt - IIRC.

So einfach ist es
aber sicher nicht. Eine elementare Quintessenz von (Capurro-95) und
(Fuchs-Kittowski) ist, dass ein solcher Ansatz die Sicht auf wesentliche
Aspekte des Informations- und auch des Wissensbegriffs versperrt (ganz
deutlich etwa in Fuchs-Kittowskis 10-Punkte-Liste über Essentials eines
Informationsbegriffs).

Na, wenn es nur 10 Punkte sind, wäre es doch mal gut, die hier
hinzuschreiben - oder?

Ich lasse hier mal große Teile weg, weil ich nicht verstehe, wie sich
deine Aussagen auf meine beziehen. Insbesondere sehe ich oft überhaupt
keine Widersprüche. Du redest einfach von etwas anderem wenn ich's
richtig überschaue.

Aber das Ding mit den Ligaturen will ich doch nochmal aufgreifen, weil
es für mich zentral ist.

Es ist eben keine "'unwissende' Anwendung der als Programm-Code
vorliegenden Information", sondern eine *bewusste* Entscheidung, sich an
der Stelle auf andere zu verlassen. Übrigens auch eine weitgehend
verantwortungsbeladene, denn der Schaden, den ich mit den Tools
anrichte, die ich verwende, wird (meist) mir zugerechnet.

Du vermischst hier die Ebenen. Es ist sicher eine bewusste
Entscheidung mich auf ein bestimmtes Programm zu verlassen. Es ist
aber keine bewusste Entscheidung eine "fl"-Kombination in einer
bestimmten Situation als Ligatur zu setzen - um mal mein beschränktes
individuelles Wissen im Bereich des Drucksatzes zu bemühen. Und auch
die Schusterjungen und Hurenkinder sind bestenfalls konfigurierbar,
ihre konkrete Behandlung ist aber codiert und wird automatisch
operationalisiert.

So? Ist es nicht eine bewusste Entscheidung, sich _nicht_ mit den
Feinheiten von Ligaturen zu beschäftigen und damit vielleicht auch die
Fehlentscheidungen der Software - etwa beim Wort "Auflauf" - zu
tolerieren?

Ich hatte geschrieben:

  >> Es ist sicher eine bewusste
  >> Entscheidung mich auf ein bestimmtes Programm zu verlassen.

Gerade wenn du LaTeX bringst, ist es in der Tat eine bewusste
Entscheidung, sich das zu geben. Allerdings dachte ich bei
Wordprocessor nicht an LaTeX...

Aber schon weit davor: Wenn du einen Menschen, der einen Text mit Word
tippen soll, vor selbiges setzt, dann *weiß* der in aller Regel nicht
mal von der Existenz von Ligaturen. Sie kann sich also gar nicht dafür
oder dagegen entscheiden. Um's in der richtigen Terminologie zu sagen:
Ihr fehlt das Wissen, um an dieser Stelle Handlungsfreiheit zu haben.

Also: Nein, es ist für die allermeisten Menschen keine bewusste
Entscheidung für oder gegen die Befassung mit Ligaturen. Die
allermeisten Menschen würden den Unterschied von sich aus
wahrscheinlich nicht mal wahrnehmen.

Aber der Wordprocessor hat dieses gesellschaftliche Wissen über
Satzregeln und damit Ligaturen intus. Und er operationalisiert es. Er
ist in diesem Sinne nichts anderes als eine Stanzform, die ebenfalls
gesellschaftliches Wissen über die zu stanzende Form enthält. Der
Unterschied - und das ist m.E. eben *der* Unterschied zwischen
Industrie- und Informationsgesellschaft - ist dieser: Während bei der
Stanze das gesellschaftliche Wissen noch in Materie vergegenständlicht
werden muss um operationalisiert werden zu können, ist diese
Vergegenständlichung bei Computern reine Nebensache. Das ist der
Unterschied um den es mir geht und das ist m.E. der Unterschied um's
Ganze!

Und - falls du dich etwa für LaTeX entschieden haben
solltest - ist es nicht auch eine _bewusste_ Entscheidung, sich für die
_Nutzung_ von Ligaturen zu entscheiden und _zugleich_ gegen die
(einigermaßen intensive) Beschäftigung mit dem Thema (indem du dich
nicht dafür interessierst, dass man am besten gleich Auf\/lauf schreiben
sollte)?

Damit verwendest du lediglich das gesellschaftliche Wissen in
ähnlicher Form wie vorher der Sezzer. An dieser Stelle ändert sich
qualitativ also gar nichts.

Alles andere dazu lasse ich mal unkommentiert, weil ich nicht das
Gefühl habe, darin vorzukommen. Ansonsten viele Fragen, auf die ich
keine Antworten weiß und die mich auch für unser momentanes Thema
erstmal nicht interessieren.

Wie kann man Problem und Lösung auseianderdividieren?

Mir ist schleierhaft, wie mensch sie miteinander identifizieren kann.

Werden Probleme
nicht erst zu Problemen, indem eine Lösung gesucht wird? Und hat man
eine gefunden, ist dann das Problem nicht gleich viel "kleiner"
geworden?

Nein. Mensch hat eben nur eine Lösung gefunden.

Nein, Sozialisation *ist* das Aufsaugen der individuellen Arbeiten durch
den Gesellschaftskörper.

Ok, ich registriere mal, dass ich deinen Begriff von Sozialisation
nicht verstehe... Oder meinst du Sozialisierung? Das verwendest du
unten öfter. *Das* verstehe ich dann.

Vielleicht doch besser Sozialisierung, um den Tuns-Aspekt zu
unterstreichen. Aber ansonsten sind das nur die unvollendete und die
vollendete Form desselben substantivierten Verbs, der Unterschied also
marginal.

Da hat's mich dann doch aus den Socken gehauen. Also schnell bei
Wikipedia "Sozialisation" nachgeschlagen:

  Die Sozialisation (aus dem Latein) ist ein sozialwissenschaftlicher
  Begriff und bezeichnet die Entwicklung der Persönlichkeit aufgrund
  ihrer Interaktion mit einer spezifischen materiellen und sozialen
  Umwelt. Durch sie wird ein Individuum zu einem vollwertigen Teil der
  Gesellschaft.

  [...]

Ja, so ungefähr hatte ich mir das auch vorgestellt. Dann also
"Sozialisierung" nachgeschlagen - und mich trifft der Schlag:

  Sozialisation
  aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
  (Weitergeleitet von Sozialisierung)

Geringfügig verunsichert Google befragt. Und da kamen dann ein paar
Hits, die ich *wesentlich* richtiger fand:

  Überführung in Gemeineigentum oder auch

  [Link habe ich nicht, war weit oben bei Google und enthielt
  "Lexikon. sociologicus"]

Oder aus dem deutschen Grundgesetz:

  Artikel 15
  Sozialisierung

  Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum
  Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß
  der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen
  der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt
  Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.

Ja, so hatte ich das auch gesehen. Nebenbei bemerkt kommt der Begriff
der Sozialisierung vor allem aus der Arbeiterbewegung.		

Nun, die beiden Begriffe bezeichnen also - sehen wir mal von Wikipedia
ab - zwei gegensätzliche Prozesse. Die Vermutung, dass es sich
eigentlich um das Gleiche und lediglich zwei verschiedene Wortformen
handelt, ist also unhaltbar.

Welchen Begriff meinst du jetzt eigentlich? Bei Sozialisierung könnte
ich sicher weit mitgehen. Freie Software ist ja z.B. wesentlich eine
groß angelegte Sozialisierung gesellschaftlichen Wissens. Aber als
Leitsozialisierung kann ich das bisher - leider - nicht erkennen.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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