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[ox] Re: [ox] Die Organisation disponibler Zeit für Open Source, der Staat und der Salat



Hallo Franz!

Franz Nahrada schrieb:

Ist dies
nicht 
der Pool an disposable Lebenszeit den es zu 'selbst'-organisieren gilt?

Absolut.  Volle Zustimmung!

Deshalb mein Aufruf, sich in Aktionseinheit mit Frithjof Bergmanns
"New Work" Bewegung zu begeben, die im Grunde genommen PROGRAMMATISCH
dafür gebaut ist, wenngleich die REALEN Erfolge noch ziemlich wenige sind. 
[...]
Das ist eine wirklich interessante perspektive, weil sie die Möglichkeit
schafft, in New Work Villages in DEUTSCHLAND und in ÖSTERREICH an
Technologien und Verfahren zu arbeiten, die praktisch überall auf der Welt
Menschen in die Lage versetzen könnten, sich auf einem sehr hohen Niveau
technologisch selbst zu versorgen.
 

Es ist *ein* Modell, und es gibt mit Sicherheit viele Orte, an welchen
es erfolgreich sein wird - ich bezweifle jedoch, daß das überall und
unter allen Bedingungen der Fall sein kann. Eine andere Tendenz, die
z.B. Krampitz in Chemnitz analysierte, ist eine Art "kleiner
Großindustrie", die in Indien mehr und mehr Konturen annimmt.
Und es gibt mit Sicherheit weitere Modelle. Insofern hielte ich es für
fatal, Oekonux auf diesen einen Strang festlegen zu wollen - und das,
obwohl (oder weil?) ich mich selbst zu seinen Verfechtern zähle.

Stefan Merten hat eine etwas herbe Bemerkung in der englischen Liste
gemacht, daher nochmals in aller Deutlichkeit: die südafrikanischen Dörfer
sollen nicht einfach mit Internet-Zugang, sondern u.a. mit
fortgeschrittener Fabrikatortechnologie zur Selbstversorgung ausgestattet
werden, und die ist beileibe nicht umsonst zu haben!!!. 

Selbst die fortgeschrittenste Fabrikatortechnologie braucht eine sehr
fortgeschrittene Grundstoffindustrie! (vgl. den Spiegel-Artikel über
Hausbau-Fabber - dürfte wohl nur noch gegen Entgelt verfügbar sein...)

[...] das zu nutzen ist das Gebot der Stunde.
 

Das erinnert mich an eine Situation vor nicht ganz einhundert Jahren,
die Fülberth wie folgt charakterisiert:

„Revolution als Notbremse vor dem endgültigen Abgrund: dies erklärt
viele hektische, ja panische Züge der Politik Lenins[...]"
(Georg Fülberth, "Der große Versuch", S.28)

und er geht im Weiteren (wenn ich mich richtig erinnere) der Frage nach,
ob die "sozialen Kosten" der Oktoberrevolution in dieser Hinsicht
wirklich gerechtfertigt waren. Sehr bemerkenswert dazu auch ein Artikel
über das Thema Kriegskommunismus:

"Diese 'unvermeidlichen Kosten' wären aber auch verursacht worden, weil
proletarische und bürgerliche Revolution im Oktober 1917 zusammenfielen
(ebenda: S.259). Die Bolschewiki konnten in der Stadt die Industrie
verstaatlichen, mussten aber auf dem Land die Revolution der BäuerInnen
akzeptieren, die ein Meer von KleinproduzentInnen auf staatlichem Boden
schaffte. Dieser Widerspruch zwischen industriellem Großbetrieb und
bäuerlichem Kleinbetrieb machte laut Kritzmann die Getreiderequisitionen
notwendig, für die der Staat keine Gegenleistung erbringen konnte. So
musste die „proletarische Naturalwirtschaft“ den Kleinbetrieb
zwangsweise einbeziehen und behinderte damit seine Entwicklung (ebenda:
S.261)."

[...]

"Aller Terror zur Durchsetzung der Ernährungsdiktatur half nicht. Der
Rückgang der Produktivkräfte stärkte im Gegenteil die Tendenz zur
Dezentralisierung und die Rückkehr zur Warenwirtschaft per Schwarzmarkt,
so Kritzmann. Trotz 'Kriegskommunismus' und staatlichem Getreidemonopol
wurden in vielen wichtigen Gebieten 1918 und 1919 60 Prozent des
Getreides von privaten illegalen HändlerInnen geliefert. Eric Carr ging
sogar so weit zu behaupten: 'In mancher Hinsicht tat die NEP wenig mehr,
als die Handelsmethoden anzuerkennen, die sich unter dem
Kriegskommunismus trotz der Dekrete und Unterdrückungsmaßnahmen der
Regierung spontan entwickelt hatten'"

(http://www.unet.univie.ac.at/~a9709070/grundrisse13/13anton_pam.htm)


Um deutlich zu machen, wie relevant diese Einschätzung hier, heute und
z.B. auch in unmittelbarer Nachbarschaft von Österreich sein könnte,
zitiere ich noch aus Heft 2 der Reihe "Einfälle statt Abfälle" (die ich
mir besorgte, um die Stromversorgung meiner Billig-PC-s nachbauen zu
können, was auf der Grundlage dieses erstklassigen, pragmatisch
orientierten Materials sehr schnell gelang- aber das nur nebenbei):
"Endlich konnte ich etwas tun, endlich fand ich einen Weg, der aus
wenigstens einer dieser vielen katastrophalen Sackgassen unserer
Gesellschaft herauszuführen schien. [...] Doch in meiner nun
langjährigen Solar-Arbeit hier in Südspanien" (und das deckt sich mit
den Erfahrungen, die ich in ähnlicher Weise in Ost-Ungarn gemacht habe -
und das WAR aus Anlaß des "Zusammenbruchs einer großen Industrie"!)
"stellte ich leider immer wieder fest, daß die meisten Menschen gar
nicht an dieses Umwelt-Problem denken, sie wollen einfach wie gewohnt
Energie verschwenden können, und wenn, wie hier in dieser Region
Andalusiens, der fossile oder nukleare Strom sehr schwierig zu bekommen
ist, dann soll gefälligst der Solarstrom dafür herhalten, die gleichen
unsinnigen Bedürfnisse befriedigen zu können."
(Michel Daniek, "Einfälle statt Abfälle", Heft 2, S.4, über seine
Erfahrungen in den zehn Jahren seit 1995!)

Mit anderen Worten: wir haben es mit einem sehr langwierigen Prozeß zu
tun. Ziel selbst eines Projektes wie Jhai-PC ist allenfalls die
Unterstützung der Schaffung eines "Meeres von Kleinproduzenten auf
staatlicher (oder wie auch immer gearteter) Grundlage".

Insofern halte ich Mertens Bemerkungen:

FranzN:
die Leute der OSE sollen Lernen und Entwickeln, sie stehen an der
vordersten Front
der Neo-Subsistenz, welche das alte industrielle System
in Lichtgeschwindigkeit ersetzen wird - nicht nur, weil es eine
Notwendigkeit ist, sondern weil es
einfach der beste und nachhaltigste Lebensstil ist, den Du auf diesem
Planeten leben
kannst.

Stefan Merten:
Wo kriege ich denn Open Weapons her, um zu verhindern, daß diese Leute
mein Leben zerstören?

sowie

FranzN:

aber ich
prophezeie, daß die Open Source- Industrieprozesse zum Zusammenbruch der
Massenproduktion führen werden.

Stefan Merten:
Was ich für die größte Katastrophe seit jener Zeit halten würde, als
die Industrieproduktion erfunden wurde.

keineswegs für übertrieben drastisch.

- - - -

Merten weist im Zusammenhang mit Marcin Jakubowskis (also der OSE:)
Salat-Versuchen allerdings auch auf einen Aspekt hin, der völlig zu
Deinem Aufschrei nach disponibler Lebenszeit paßt: ist es nicht
ausgesprochen uneffektiv, wenn Marcin - dessen Vortrag in Wien ich sehr
sympathisch fand - anderthalb Jahre dafür verbraucht, herauszufinden,
wie ihm sein Salat nicht schon vor der Ernte vergammelt? Gibt es nicht -
ich denke hier allerdings an meine eigene Region (oder auch nur an meine
ungarische Frau:) - unzählige Leute mit derartigen Kenntnissen, deren
Lebenszeit entweder brach liegt, oder aber ("Methusalem-Syndrom"), die
alt und erfahren sind, die jedenfalls Willens und in der Lage wären, mir
das beizubringen? Hier muß man allerdings einräumen, daß ich gerade eine
Studie über prekäre Arbeitsverhältnisse gelesen habe - mir fällt bloß im
Moment nicht ein, wo - aus der hervorgeht, daß das heutige amerikanische
Wirtschaftswunder auch daraus resultiert, daß derartige Tätigkeiten
*und* Informationen dort tatsächlich nur als Dienstleistung zu haben sind!

Das kann ein Kulturunterschied sein - oder aber ein Indiz dafür, wohin
der Kapitalismus auch bei uns steuern würde, wenn man ihn gewähren
ließe; auf diese Möglichkeit weist vor allem Uli Weiss immer wieder mit
Nachdruck hin. Das aber ist ein weiteres Zeichen dafür, daß unsere
"Aktionseinheit", wenn schon, dann viel weiter gefaßt werden muß.

Viele Grüße

Stefan









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Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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