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Re: [ox] Potsdamer Denkschrift 2005



Holger Weiss wrote:
Ich kann es jetzt nicht belegen, habe aber dunkel die Behauptung im
Kopf, man kaeme auf (wenn ich mich recht entsinne) etwa 23 Seiten, wenn
man aus saemtlichen MEW-Baenden diejenigen Textstellen zusammenstellt,
die sich mit Marx' Vorstellung von einer kommunistischen Gesellschaft
befassen. Die Zahl mag falsch sein, in jedem Fall hatte Marx aber (aus
guten Gruenden) nur wenig zu dem Thema zu sagen.

Eine zentrale ist die in der "Deutschen Ideologie" (MEW 3), die mit
"Kommunismus - die Produktion der Verkehrsformen selbst" überschrieben
ist, wo er lange vor seinen ökonomischen Arbeiten aus seiner Hegelkritik
heraus zu interessanten Schlussfolgerungen kommt, die sich übrigens
vielfältig im der "Potsdamer Denkschrift" wiederfinden. Kommunismus als
logische Entwicklung der Gesellschaft, wenn man den Ideen der Aufklärung
folgt, wobei - im Gegensatz zur Aufklärung - Marx zu der Zeit bereits
Praxisphilosoph war, also Strukturen nicht normativ wie Hegel, sondern
aus der Dynamik gesellschaftlicher Bedingungen selbst versuchte
herzuleiten (eben "den Hegel vom Kopf auf die Füße stellen").

Wobei ich davon ausgehe, dass das keine Absicht der Auztoren der
"Denkschrift" ist - im Gegensatz zu Moglens "dotCommunist Manifesto",
der sich genauestens nicht nur am Stil, sondern auch am "spirit" der
Vorlage orientiert. Im "Manifest" hast du sicher das zweite Mal
Kommunismus, und zwar als Vision mit starken Parallelen zu
(ur?)-christlichen Visionen einer gerechten Gesellschaft, die heute in
der Kommunismus-Debatte nach meiner Beobachtung klarer wahrgenommen
werden. Und die berühmte "Assoziation freier Produzenten" samt dem
daraus abgeleiteten Aufruf "Proletarier aller Länder, vereinigt euch".
Wobei gerade diese letzte Folgerung wohl als Reflex der Zeit
(aufstrebendes Industrieproletariat) zu verstehen ist, der mit der sonst
stringenten Logik des Manifests bricht, weil Marx damals noch gar nicht
begreifen konnte, wie diffizil die Bewegungsformen diese "Assoziation"
sein werden. Da geht die "Potsdamer Denkschrift" *deutlich* drüber hinaus.

Und drittens hast du am Ende seiner Ökoanalyse, die sich
selbstverständlich mit Kapitalismus befasst - und in Teilen sogar nur
mit dem Übergang von der Manufaktur zur (präfordistischen) industriellen
Produktion -, in den "Grundrissen" (MEW 42) die berühmte Passage mit der
"Macht der Agentien", wo man auch das Umfeld der Passage lesen sollte.
Das ist in etwa das, was aus Marxens Warte damals wohl zu sehen war.

HGG

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  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
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