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Re: [ox] Potsdamer Denkschrift 2005



Holger Weiss schrieb:
* Christoph Reuss <crox iac-research.ch> [2005-12-03 16:50]:
Aber echter Wandel wird ja von dieser Ideologie nicht gewollt, bloss "alter
Wein in neuen Schläuchen", also muss man den immerwieder recycelten Wein
eben als "Naturkonstante" darstellen!

Marx hat genau das Gegenteil gemacht.

Wie verhindert Marx denn, dass "nach" dem Kapitalismus wieder Predators
an die Macht kommen (oder gar dieselben an der Macht bleiben, so wie
einige Predators und -Seilschaften sogar über das Ende des 3.Reiches
und des Ostblocks hinaus einflussreich blieben) ?  _Das_ meinte ich
mit "alter Wein"...  Indem Marx die P/P-Dichotomie genau vernebelt,
ermöglicht er gerade dass auch "nachher" wieder Predators herrschen.


(Obwohl doch "Naturkonstanten" hier sonst so verpönt sind... ts ts)

Marx sagt keineswegs, dass oekonomische Gesetze Naturgesetze seien. Sein
Punkt ist, dass oekonomische Gesetze sich innerhalb des Kapitalismus
_wie_ Naturgesetze durchsetzen. Gerade diesen Unterschied wollte er
deutlich machen. Gesellschaftlich bestimmte Verhaeltnisse _erscheinen_
im Kapitalismus aufgrund der Art und Weise, wie arbeitsteilige
Produktion hier organisiert ist, als sachliche, quasi natuerliche, und
damit unveraenderliche.

Gibt es denn "_den_ Kapitalismus" überhaupt?  In verschiedenen Ländern
wurden doch sehr verschiedene Varianten davon implementiert, darunter
auch solche, in denen die grossen Unternehmen (Post, Telecom, Energie,
Wasserversorgung etc.) verstaatlicht waren oder noch sind.  Da kann
man doch nicht von "Konstanten" oder "Naturgesetzen" sprechen, auch
nicht innerhalb des Kapitalismus.  Arbeitsteilige Produktion wurde
auch innerhalb derselben Gesellschaft unterschiedlich organisiert,
z.T. abhängig von der Grösse der Industrien.


Das soll nicht heissen, dass alle Anwälte genau gleich auf dem P-P-Spektrum
positioniert sind, aber wenn einer sich "zu weit" vom Predator-Ende weg
bewegt, verstösst er entweder gegen die Standesregeln/Gesetze oder geht
pleite.

Richtig, und genau deshalb kommst Du nicht weit, wenn Du versuchst, das
Verhalten von Anwaelten ueber irgendwelche Predator-Werte zu erklaeren,
die sie aus irgendeinem Grund angenommen haben sollen.

Niemand hat den einzelnen Anwalt gezwungen, diesen Beruf zu wählen!
Weder "die Verhältnisse" noch übergeordnete Predators zwangen ihn dazu.
Er hat diesen Beruf gewählt, weil der seinen persönlichen Werten
entspricht, und wusste worauf er sich einlässt.  Er hätte ja auch
einen Produzenten-Beruf wählen können, aber da hat man halt zuwenig
Macht und muss richtig arbeiten...


Das gilt im
Prinzip fuer jede Position: U.U. kann der menschenfreundliche Kapitalist
es sich mal leisten, auf eine aus betriebswirtschaftlicher Sicht
gebotene Entlassung zu verzichten. Sein Spielraum bleibt aber immer
innerhalb der Grenzen, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, Profit zu
erwirtschaften, um auf dem Markt zu ueberleben.

Auch in kapitalistischen Ländern gab und gibt es verstaatlichte
Unternehmen, die weder Profit erwirtschaften noch auf einem Markt
überleben müssen (Monopole).  Soviel zum Thema "begrenzter Spielraum
als Naturgesetz im Kapitalismus"...

Und zum privaten Unternehmer soviel:

Insoweit es ein Predator ist, will er eh nur seinen Profit maximieren,
entlässt also so viele wie möglich -- äusserer Spielraum hin oder her.

Insoweit es ein Produzent ist, geht es ihm um die Qualität der Produkte
und der Arbeitsprozesse (also auch um gute Konditionen für Arbeitende
und Umwelt), er will also den äusseren Spielraum maximal nutzen.
   ******  Und wie gross dieser Spielraum ist, wird von der     ******
   ******  Solidarität der Produzenten untereinander bestimmt ! ******
-- "Kapitalismus" hin oder her!  Bei genügend Solidarität unter
Produzenten können Produzenten-Unternehmer extrem gute Arbeits-
bedingungen und Umweltfreundlichkeit praktizieren (letztere existiert
bei Marx nichtmal, dazu ist der um 150 Jahre veraltet), sie werden
Abnehmer für ihre (entsprechend teuren) Produkte finden.  Aber Marx
ist gegen sie, nur weil sie Unternehmer sind, also böse "ruling class".
Er wirft sie in denselben Topf wie rücksichtslose Predator-Unternehmer!

Das Problem sind ökonomische Theorien "von Predators für Predators",
egal unter welchem Label sie segeln.  Diese schaffen unerträgliche
Verhältnisse, _insoweit_ wie sie die Solidarität unter Produzenten
untergraben können (man vergleiche z.B. Westeuropa in verschiedenen
Jahrzehnten des 20.Jh.).  Das trifft auch auf die Marx'schen Theorien zu,
auch wenn diese noch so dick in philantrope Sülze verpackt sind.

Fazit: Es ändert nichts wirklich, wenn wir den Kapitalismus oder das
Geld abschaffen -- das sind nur Mittel zum Zweck -- solange die
Predator-Übermacht besteht.  Erst wenn letztere beendet ist, werden
die Verhältnisse erträglich.


Daher musst Du Dir die Verhaeltnisse angucken, wenn Du Dir das
Verhalten von Anwaelten, Politikern, Buerokraten oder Kapitalisten
erklaeren willst.

Daher musst Du Dir die P/P-Dichotomie angucken, wenn Du Dir das
Verhalten von Anwälten und Unternehmern (ob im Kapitalismus oder danach)
erklären willst.

Christoph



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