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[ox] Nulltheorien und Sündenbock-Theorien (war: Re: [ox] Die Steinchenfrage)



Hallo Andreas, hallo alle,

AndreasFH wrote:
Hey die Dskussion mit dir [Christoph Reuss] macht mir wirklich Spaß! Ich kann entspannt
den Sonntag rumbringen und mich von der Arbeit ablenken, die ich
eigentlich noch machen müste... Obwohl Diskussion trifft es eigentlich
nicht, es ist viel mehr ein Geschpräch den du gehst eigentlich kaum auf
Argumente ein...

Das stimmt allerdings.

Andreas, es freut mich ja wenn du deinen Spaß hast, und ich finde ich gut und
richtig, dass du und andere Christophs "Theorie" so sauber zerpfückt haben
(wenn auch ohne dass davon was bei ihm ankam, natürlich).


Aber hier trotzdem nochmal etwas detaillierter, warum mir diese ganze
Diskussion von Anfang an so sinnlos und unnötig vorkam:

Christophs Theorie ist eine absolute Nulltheorie, die keinerlei erklärenden
Gehalt hat und mit sämtlichen nur vorstellbaren Welten in Einklang zu bringen ist.

Zum einen: er vertritt seine Theorie in zwei sich wiedersprechenden Varianten,
zwischen denen er nach Belieben hin- und herspringt, um so Kritik an einer
Variante unter Verweis auf die jeweils andere Variante zurückzuweisen.

Variante 1, die etwa 90% seiner Aussagen zugrunde zu liegen scheint, besagt
dass es zwei klar separierbare Gruppen von Menschen gibt, die "Predators"
(kurz Preds) und die "Produzenten" (kurz Prods). Weiterhin wird angenommen,
dass sich die Preds schlecht (predatormäßig) und die Prods gut
(produzentenmäßig) verhalten, und geschlussfolgert, dass somit die Prods nur
die Preds entmachten und verjagen müssten, um endlich zufrieden und glücklich
zu leben.

Dass diese klare Zweiteilung unhaltbar ist, weiß CR offensichtlich selbst, und
deshalb weicht er immer, wenn man ihn drauf festzunagern versucht, auf
Variante 2 aus, die da lautet: '"Produzent" und "Predator" [...] sind die
beiden Enden eines Spektrums, auf dem sich reale Personen irgendwo befinden.'

Da sich das Predator- bzw. Produzenten-Sein nun aber am Verhalten ausmacht
(erstere verhalten sich schlecht bzw. predatormäßig, letztere gut bzw.
produzentenmäßig), besagt diese Variante letztlich nur: "Alle Menschen
verhalten sich entweder gut oder schlecht (einige Menschen, die an den Enden
des Spektrums, verhalten sich vielleicht immer gut oder immer schlecht, bei
den anderen kommt beides vor, wobei das Verhältnis zwischen gutem und
schlechtem Verhalten variiert)".

Dem wird wohl niemand widersprechen (sofern man sich auf einen konkreten
Wertmaßstab geeinigt hat), es sagt aber auch nichts mehr aus was wir nicht
sowieso schon wussten.

Während Variant 1 so unsinnig ist, das nichtmal CR sie explizit vertritt, ist
Variante 2 somit praktisch eine Tautologie, eine Nullaussage. (Man kann auch
statt "gut" und "schlecht" irgendwelche anderen Prädikate X und Nicht-X
einsetzen, der tautologische Charakter bleibt.)

Zudem ist damit die Schlussfolgerung, die Preds müssten nur verjagt (in den
Wald geschickt) werden, natürlich hinfällig, da man nun irgendwo (z.B. bei 50%
"Predatoranteil") eine willkürliche Grenzen ziehen müsste, und die
Unterschiede im Verhalten von nahe der Grenze liegenden Personen viel zu klein
wären, um eine derart extreme Ungleichbehandlung zu rechtfertigen (51%ige
Preds werden aus der Gesellschaft ausgeschlossen, 49%-ige Preds werden geduldet).

Deshalb springt CR für praktische Handlungsanweisungen auch immer zur Variante
1 der klar separierbaren Gruppen zurück (die Prods sollten sich vereinen und
die Preds in den Wald jagen etc.).

Auch diese "praktische" Modell hat den Vorteil (aus Christophs Sicht) bzw.
Nachteil (aus erkenntnistheoretischer Sicht) dass es vor Kritik gefeit sind,
da es beliebige Ereignisse erklären kann. Was würde denn passieren, wenn
Anhänger der P/P-Theorie tatsächlich die mutmaßlichen Preds (ermittelt durch
Befragung von CR oder einem anderen Orakel) "in den Wald schicken" und selbst
die Macht ergreifen würden? Vermutlich dass was in solchen Situationen eben
passiert: sie würden die Strukturen ein bisschen umbauen bzw. umbenennen, aber
nicht sehr (da sie ja hauptsächlich die Preds, die "schlechten Menschen", und
nicht die schlechten Strukturen für die Probleme verantwortlich machen). Die
neuen Machthaber richten sich also in den weitgehend alten Strukturen ein und
beginnen bald, sich wie die alten Machthaber aufzuführen.

Wäre die P/P-Theorie damit widerlegt? Natürlich nicht, denn CR würde jetzt
[sofern er nicht selbst zu den neuen Machthabern gehört] schließen (wie er das
schon für alle vergangenen derartigen Ereignisse geschlossen hat), dass es
eben doch verkappte Preds und nicht die richtigen Prods waren, die die Macht
an sich gerissen haben (per Definition _gewesen sein müssen_, denn das ergibt
sich ja aus ihrem Verhalten). Somit müssen die neu entlarvten Preds wiederum
durch eine weitere Revolution der noch verbleibenden Prods entmachtet werden,
und so weiter, ad infinitum...


Was die Theorie neben ihrer Gehaltlosigkeit dann noch so widerwärtig macht,
ist eben dass sie eine Sündenbock-Theorie ist. Der Glaube, dass es bestimmte
"böse" Menschen sind, die für alle Probleme verantwortlich sind, und man nur
diese Menschen opfern/eliminieren/vertreiben müsste, um die Probleme zu lösen,
ist natürlich eben uralt wie bequem, da er einem das Nachdenken über Inhalte
und Strukturen erspart. Das macht ihn aber weder richtiger noch weniger
reaktionär.

Christoph ficht diese Parallele zu Antisemitismus, Hexenverfolgungen etc.
natürlich nicht an, da er da "weiß", dass er die "richtigen" Sündenböcke
gefunden hat, während die anderen Sündenbock-Theoriker die "falschen" gefunden
haben. Nun ja. Das werden die anderen auch gedacht haben.


Diskutieren ist sinnvoll, wenn eine Möglichkeit der Kommunikation besteht.
Aber an Leuten wie Christoph gleiten Argumente ab wie kaltes Wasser (siehe für
dartige Denkweisen auch http://de.wikipedia.org/wiki/Verschwörungstheorie ).

Um Wittgenstein zu paraphrasieren: über Unsinn kann man, wenn man will, lang
und breit reden -- man kann aber auch einfach darauf hinweisen, dass es Unsinn
ist, und dann schweigen und sinnvollere Dinge tun.

Ciao
	Christian

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