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Re: [ox] Noch mal zur Freien Gesellschaft



Hallo Hans-Gert!

Hans-Gert Gr�be (2006-01-11 11:05 [PHONE NUMBER REMOVED]):
...
Gesellschaft unter heutigen Bedingungen? Jedenfalls bist du von dieser
Idee "infiziert", sonst würdest du hier nicht mailen.

... und Pings verteidigen :-)

Ist denn nicht die beschriebene Situation ein typischer Fall von:
Einer hats, der andere brauchts?

WG-Platz als knappes Gut? Sicht der Warenmonade!

Genau: nicht die Sicht macht den Menschen zur Warenmonade, sondern
seine Situation als Warenmonade prägt seine Sicht als eine ``Sicht
der Warenmonade'', zumindest sofern er in der Lage ist, seine
Situation realistisch zu reflektieren.

Holloway: Jede(r) ist Warenmonade-und-NichtWarenmonade. Oder genauer:
seine Situation als Warenmonade prägt seine Sicht genauso wie seine
Situation als NichtWarenmonade. In der Unterwerfung unter ein solches
Prinzip ist immer auch der Ausbruch aus diesem Prinzip in der einen oder
anderen Form präsent. Und wenn das die Form der psychologischen
Verdrängung und Projektion ist, die im Untergrund des ICH weiter wühlt.

Jaja, aber was heißt denn ``genauso wie'' genau?  Ich höre da
irgendwie nichts als schwammige Wellnessdialektik raus ... so etwa
wie ``Das Leben ist nicht schwarz, das Leben ist nicht weiß -- das
Leben ist grau.'' (Nur das dieser Spruch wegen des grauen Fazits
nicht zur modernen Wellness-Vorstellung paßt... ;-)

Dieses ``genauso wie'' suggeriert Gleichgewicht, Balance -- also
Stabilität! Bestenfalls könnte man die Annahme eines dynamischen
Gleichgewichts in ihm unterbringen. Aber Entwicklung?  Woher soll
denn aus diesem ``genauso wie'' ein qualitativer Sprung möglich
sein?  Wenn ich annehme, daß Holloway kein Konservator sein
möchte, dann muß die Zuspitzung dieses Widerspruchs für ihn also
irgendwie ``von außen'' kommen.  Woher?  Und warum sollte man
dieses ``außen'' getrennt (also als ``außen'') betrachten können
von der Warenmonaden- und Nicht-Warenmonaden-Prägung des Menschen?

Daß man aber bspw. als Gastarbeiter (so wie ich) oder als
Sozialhilfeempfänger usw. [bei der Suche nach einem WG-Platz]
schlechtere Karten hat, liegt auf der Hand.

Das geht aber schon weit über die *unmittelbaren*
Wirkmechanismen der "Warenmonade" hinaus.

Ganz und gar nicht: man wird einfach als finanzielles Risiko
empfunden (und ist es mitunter auch wirklich): - kann er seinen
Anteil zahlen, wie lange? ... und was dann? - wie lange bleibt er,
was hält ihn hier, was treibt ihn weg und wie schnell?  Schlichtes
ich-zentriertes Kosten-Nutzen-Kalkül mit Risikoabschätzung, wie
bei jedem Kapitalisten auch (nur daß sich das ``Anteil zahlen''
bei ihm in ``Leistung bringen'' übersetzt).

Die jetzigen Bewohner sind in der Regel aber auch gezwungen,
noch jemanden zu nehmen, weil sie die Kosten sonst nicht tragen
können oder wollen.  

Was aber nicht so weit geht, jedes Zimmer mit zwei Leuten (oder
4 - zu meiner Studienzeit im Wohnheim) zu belegen, was ja die
Kosten noch einmal halbieren würde. Hier ist mE auch ein
tradeOff am Wirken, ein Kosten-Nutzen-Kalkül, das ich im Übrigen
(ich hatte das mehrfach schon thematisiert) für ein wichtiges
Element auch einer Freien Gesellschaft halte.

Noch nicht.  Auch diese Toleranzgrenze ist schlicht eine Funktion
der Möglichkeiten.  Aber um das Kosten-Nutzen-Kalkül an sich ging
es ja gar nicht, sondern um seine Ausprägung, oder vielmehr um
seine Dimension:

Die große Party gibt es aber nicht, weil es keinen "Punkt 0"
gibt, sondern immer schon Voraussetzungen da sind. Nämlich dass
schon welche zusammen wohnen.

Auch hier unterstellst Du, daß alle der Meinung sind, im besten
aller möglichen Wohnkollektive zu leben.  ...

Das ist hier nicht der Punkt. Auch wenn alle unzufrieden sind,
entscheidet sich jede(r) doch zu einem anderen Zeitpunkt für
eine Veränderung. Und ist damit automatisch (progressive - jetzt
gerade veränderungswillige) Minderheit in einer (konservativen -
jetzt gerade veränderungsunwilligen) Mehrheit.

Hehe! Da haben wir sie ja wieder, die Warenmonaden-Argumente.  Was
allen individuell helfen könnte (nach eigenem Empfinden), geht
deshalb nicht, weil sich all diese Je-Ichs nicht aufraffen können,
sich mal zu koordinieren, da solch ein Ansinnen ja schon fast
Kommunismus wäre, eine Bedrohung der Privatsphäre und der
individuellen Persönlichkeitsentfaltung.  Man fragt sich, warum es
überhaupt noch einen einzigen Volleyballverein gibt, wo doch jeder
zu einem anderen Zeitpunkt des Tages und der Woche das spontane
Bedürfnis nach sportlicher Betätigung und fröhlichem Beisammensein
hat...

Das erinnert mich an eine Szene von Mensching & Wenzel:

  - Also wann ... machen wir die Revolution?
  - Also Montag muß ich zum Zahnarzt...
  - Hm... und bei mir hat Dienstag die Mutter Geburtstag.
  - ...
  - ...
  - usw.

(oder so ähnlich.)

Im übrigen war das keine Handlungsanleitung, sondern der Rahmen
für ein Gedankenexperiment.  Aber selbst als praktische Anregung
trifft das (mitunter) zumindest spontan auf Zustimmung: denn alle
Leute, die ich getroffen habe, empfinden die
``Transaktionskosten'' für das Suchen einer WG bzw. eines neuen
Mitbewohners als unangenehm hoch, es ist eine lästige Sache, --
Abweichungen vom Standardmodell der Einzelvorstellung der
Kandidaten (meist zufällig entstanden) mündeten verschiedentlich
in lustigen kleinen ad-hoc-Parties... :-) (Passiert aber selten,
da die Einhaltung der ``geltenden Regeln'' i.d.R. instinktiv
peinlich genau beachtet wird.)

Hier scheint mir die Warenmonadenprägung viel stärker zum
Vorschein zu kommen: die meisten WG-Bewohner (die ich kenne),
gehen ``natürlich'' davon aus, eine eigene Wohnung zu beziehen,
sobald sie es sich leisten können!

Aus der Erfahrung mit meinen eigenen Kindern (23 und 21) kann
ich da nur sagen, dass es auch ein Element des
Sich-Ausprobierens enthält und der weitere Zielpunkt (bei
beiden) sowieso ist, irgendwann eine Familie zu gründen und dann
auch (natürlich gemeinsam) in eigenen vier Wänden zu wohnen. 

Der Anteil der Single-Haushalte an allen Haushalten Berlins
beträgt übrigens 51%.  


(Was deren Bewohner zwischen 21 und 23 gedacht und gewünscht
hatten, ist statistisch nicht erhoben ;-)

Hat mE neben Vereinzelung auch viel mit der wachsenden
Bedeutungszumessung an so was wie Privatsphäre zu tun.

Genau: Ich höre von fast allen Leuten, die sich spätestens
nach der Schule direkt im Westen wiederfanden, sie könnten nicht
in einem Zimmer mit jemand anders zusammenleben.  Nicht mal im
Studi-Alter oder so.  Und was mich daran stört ist nicht der
Anspruch auf Privatsphäre, sondern die mechanistische Vorstellung
von Privatsphäre.  Die Warenmonade setzt immer noch ihre eigenen
Erfahrungen als ihre Grenzen.  Aber wie ein bekannter Sänger schon
mal hinlänglich ausgewalzt hat: Hinter dem Horizont geht es
weiter...!  Und dieselben Menschen, die so auf den Schutz der
Privatsphäre bedacht sind, schrecken z.B. mitunter kein bischen
davor zurück ihren (Ex-) Partner (in spe) mit den lächerlichsten
Eifersuchtsausfälligkeiten zu quälen, ihn unter Druck zu setzen
usw.  _Solch_ eine ``Privatsphäre'' ist für mich oftmals nur
Ausdruck für die Faulheit oder Feigheit, sich mit seinen und
anderer Leute Bedürfnissen auseinanderzusetzen, und mithin nichts
weiter als ein hohles Warenmonaden-Schlagwort.

Abgesehen davon, war mein Argument, daß die ``Sicht der
Warenmonade'' erst und nur dann aufhören kann, wenn alle
hinreichend mit Wohnraum versorgt sind (bzw. es sein können) --

Auch hier habe ich eine andere Vorstellung. Wird die "Sicht der
Warenmonade" aufhören (immersive Weltvorstellung - du) oder wird
sich herausstellen, dass da vieles in ein Paket gepackt ist, das
aufgedröselt und sortiert gehört (submersive Weltvorstellung -
ich). Und die Frage der Wohnraumversorgung als Teil des
Aufdröseln dieses Pakets angegangen wird.

Zwischen ``Wird ... aufhören'', wie Du paraphrasierst, und
``aufhören kann'', wie ich schrieb, sehe ich noch einen
Unterschied -- nämlich genau den der ganzheitlichen Verflechtung,
oder wie man das nennen will.  Nur scheint mir eben, daß
Reflektionen wie ``Das eine prägt genauso wie das andere'' in
bestimmten Zusammenhängen weder beim theoretischen noch beim
praktischen Aufdröseln hilfreich sind.  Sie helfen höchstens
absurd einseitige Sichtweisen anzukratzen, aber nicht weiter.
Oder?

und daß erst dann klar würde, ob bzw. wie lange diese Sichtweise
ihre Verhältnisse überdauert, weil sie ``so tief drinsteckt''.

Ja, da stimme ich dir zu. Aber drüber nachdenken sollten und können wir
schon eher.

Erst dann könnte man also beurteilen, was es
mit dem Tiefdrinstecken wirklich auf sich hat.

Nein, das müssen wir eher rauskriegen, wenn wir das Phänomen *aktiv*
überwinden wollen. Und zwar hier "wir = jede(r) für sich".

Da stimm ich Dir nun wieder zu!  Ich habe mich quasi vertippt und
hätte schreiben müssen: ``Erst dann kann man sich _empirisch
bestätigen_, was es mit dem Tiefdrinstecken wirklich auf sich
hat.'' Die aktive Auseinandersetzung braucht und kann aber nicht
solange (zu) warten ;-)

Grüße,
El Casi.
________________________________
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Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
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