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Re: [ox] Noch mal zur Freien Gesellschaft



Hallo El Casi,

El Casi wrote:
Also nehm ich die Rolle mal an und schreibe in Ichform: 

Theorie auf die eigene Praxis anwenden finde ich immer spannend.  Die
Altvorderen nannten das wohl Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten.
Jedenfalls reden wir dann von der Keimform im Substrat und betrachten
nicht beides getrennt.

... aber ich brauche eine Bleibe in der Nähe meines Arbeitsplatzes
oder meines sozialen Umfelds -- schön wärs, wenn die WG zu letzterem
dazugehören würde, aber ist das heutzutage mehrheitlich der Fall? Bei
meiner letzten WG-Platz-Suchaktion hatte ich ganz und gar nicht den
Eindruck, daß für die meisten der Spaß am Zusammenleben das
Hauptmotiv für das Leben in einer WG ist. Daß das schön wäre, will
ich mitnichten bestreiten.

Ich dreh's mal um: "für die meisten" heißt ja, dass es auch Differenzen
gab und du die wahrgenommen hast. Was mglw. damit zu tun hat, dass dir
selbst "der Spaß am Zusammenleben" doch wichtig ist und wichtiger als
anderes (was?). Ist das schon ein Stück Ausleben der Idee der Freien
Gesellschaft unter heutigen Bedingungen? Jedenfalls bist du von dieser
Idee "infiziert", sonst würdest du hier nicht mailen.

Ist denn nicht die beschriebene Situation ein typischer Fall von:
Einer hats, der andere brauchts?

WG-Platz als knappes Gut? Sicht der Warenmonade!

Genau: nicht die Sicht macht den Menschen zur Warenmonade, sondern
seine Situation als Warenmonade prägt seine Sicht als eine ``Sicht
der Warenmonade'', zumindest sofern er in der Lage ist, seine
Situation realistisch zu reflektieren.

Holloway: Jede(r) ist Warenmonade-und-NichtWarenmonade. Oder genauer:
seine Situation als Warenmonade prägt seine Sicht genauso wie seine
Situation als NichtWarenmonade. In der Unterwerfung unter ein solches
Prinzip ist immer auch der Ausbruch aus diesem Prinzip in der einen oder
anderen Form präsent. Und wenn das die Form der psychologischen
Verdrängung und Projektion ist, die im Untergrund des ICH weiter wühlt.

Daß man aber bspw. als Gastarbeiter (so wie ich) oder als 
Sozialhilfeempfänger usw. schlechtere Karten hat, liegt auf der 
Hand.

Das geht aber schon weit über die *unmittelbaren* Wirkmechanismen der
"Warenmonade" hinaus.

Die jetzigen Bewohner sind in der Regel aber auch gezwungen, noch
jemanden zu nehmen, weil sie die Kosten sonst nicht tragen können
oder wollen.  

Was aber nicht so weit geht, jedes Zimmer mit zwei Leuten (oder 4 - zu
meiner Studienzeit im Wohnheim) zu belegen, was ja die Kosten noch
einmal halbieren würde. Hier ist mE auch ein tradeOff am Wirken, ein
Kosten-Nutzen-Kalkül, das ich im Übrigen (ich hatte das mehrfach schon
thematisiert) für ein wichtiges Element auch einer Freien Gesellschaft
halte.

Hier scheint mir die Warenmonadenprägung viel stärker zum Vorschein
zu kommen: die meisten WG-Bewohner (die ich kenne), gehen
``natürlich'' davon aus, eine eigene Wohnung zu beziehen, sobald sie
es sich leisten können!

Aus der Erfahrung mit meinen eigenen Kindern (23 und 21) kann ich da nur
sagen, dass es auch ein Element des Sich-Ausprobierens enthält und der
weitere Zielpunkt (bei beiden) sowieso ist, irgendwann eine Familie zu
gründen und dann auch (natürlich gemeinsam) in eigenen vier Wänden zu
wohnen. Hat mE neben Vereinzelung auch viel mit der wachsenden
Bedeutungszumessung an so was wie Privatsphäre zu tun.

Die große Party gibt es aber nicht, weil es keinen "Punkt 0" gibt,
sondern immer schon Voraussetzungen da sind. Nämlich dass schon welche
zusammen wohnen.

Auch hier unterstellst Du, daß alle der Meinung sind, im
besten aller möglichen Wohnkollektive zu leben.  ...

Das ist hier nicht der Punkt. Auch wenn alle unzufrieden sind,
entscheidet sich jede(r) doch zu einem anderen Zeitpunkt für eine
Veränderung. Und ist damit automatisch (progressive - jetzt gerade
veränderungswillige) Minderheit in einer (konservativen - jetzt gerade
veränderungsunwilligen) Mehrheit.

Abgesehen davon, war mein Argument, daß die ``Sicht der
Warenmonade'' erst und nur dann aufhören kann, wenn alle
hinreichend mit Wohnraum versorgt sind (bzw. es sein können) --

Auch hier habe ich eine andere Vorstellung. Wird die "Sicht der
Warenmonade" aufhören (immersive Weltvorstellung - du) oder wird sich
herausstellen, dass da vieles in ein Paket gepackt ist, das aufgedröselt
und sortiert gehört (submersive Weltvorstellung - ich). Und die Frage
der Wohnraumversorgung als Teil des Aufdröseln dieses Pakets angegangen
wird.

und daß erst dann klar würde, ob bzw. wie lange diese Sichtweise
ihre Verhältnisse überdauert, weil sie ``so tief drinsteckt''.

Ja, da stimme ich dir zu. Aber drüber nachdenken sollten und können wir
schon eher.

Erst dann könnte man also beurteilen, was es
mit dem Tiefdrinstecken wirklich auf sich hat.

Nein, das müssen wir eher rauskriegen, wenn wir das Phänomen *aktiv*
überwinden wollen. Und zwar hier "wir = jede(r) für sich".

Viele Grüße, Hans-Gert

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
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