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Re: Was ist Kompetenz? / Re: [ox] Empirie vs. Dogmen



Hallo Jac!

Jac (2006-06-03 06:12 [PHONE NUMBER REMOVED]):
Am Freitag, 2. Juni 2006 15:05 schrieb El Casi:

Am Mittwoch, 31. Mai 2006 23:42 schrieb El Casi:
Jac (2006-05-30 04:25 [PHONE NUMBER REMOVED]):
...  Wesentlich ist die Erkenntnis, daß sich auch Sachzwänge
in indi- viduelle und kollektive Bestrebungen auflösen lassen
- denn nur dann sind sie veränderbar. Eine Institution kann
nicht handeln - es ist immer ein Mensch oder eine Gruppe von
Menschen, welche(r) im Namen der Institution handeln bzw.
handelt.

Das würde ich ganz anders formulieren:  Eine Institution kann
handeln, weil eine Institution sich immer (im
umgangssprachlichen Sinn von Institution) aus Menschen
zusammensetzt.  Allgemeiner gesagt: eine Institution ergibt
sich aus dem Handeln von Menschen, aus der Verfestigung
bestimmter Handlungsweisen (unter anderem aus den
Handlungsweisen Überordnung und Unterordnung).

Allerdings können auch Institutionen ohne Über- und Unterordnung
gebildet werden.

Jao. Über-/Unterordnungs-Institutionen sind in meinen Augen
wirklich nur ein Spezialfall.


Strukturelle Gewalt kann uns nur solange beherrschen, wie wir
in unserer erzwungenen Persönlichkeitsentwicklung der äußeren
Ordnung die Macht dazu einräumen.

-- Oder solange wir ohne Unterordnung unter diese strukturelle
Gewalt nicht in der Lage sind, uns als Menschen zu
reproduzieren.  Dieser Aspekt spielt in Deiner Darstellung des
Über-Ichs bislang keine Rolle oder?  Für mich aber ist die
Tatsache, daß Menschen sich nicht außerhalb des gegebenen
gesellschaftlichen und natürlichen Rahmens ernähren können,
einer der Gründe für die Entstehung und die (jeweils) konkrete
Gestalt des Über-Ichs (wie auch des Menschen überhaupt).

Was ist ein "natürlicher Rahmen"?! Ist es Jagen&Sammeln? Oder
der Ackerbau, der außer bei der Spezie Mensch nicht in der Natur
anzutreffen ist? Oder die industrielle Produktion?

Der natürliche Rahmen ist das, worin wir uns bewegen und was wir
nicht als gesellschaftlichen Rahmen bezeichnen können, also Himmel
und Erde, Wasser und Land, Pflanzen und Tiere und so weiter.  Daß
der Mensch diesen Rahmen verändert und beeinflußt ist klar, aber
los wird er ihn nicht.  Und mit dem gesellschaftlichen Rahmen
verhält es sich genauso, der Mensch kann ihn beeinflussen und
verändern, er tut sogar immer, ob er will oder nicht, ob bewußt
oder nicht, -- aber loswerden kann er ihn nicht.

Wie sich das Verhältnis zu diesen Rahmen gestaltet, dahin gehen
Deine Fragen.  Und wodurch und durch wen dieses Verhältnis
gestaltet wird.  Ich wollte nur nochmal in den Vordergrund rücken,
daß man auch die "andere Seite" dieses Verhältnisses
im Auge behalten muß, wenn man versucht die Form oder
Gestalt des Verhältnisses eines Menschen zu seinen Mitmenschen
oder des Menschen zur Natur zu ergründen.

Du behauptest, ohne Unterwerfung unter die strukturelle Gewalt
wäre eine Reproduktion des Menschen nicht möglich. 

So allgemein behaupte ich das gar nicht.  Aber alles, was ich über
die Vorgeschichte der Menschheit bisher gelernt habe, deutet
darauf hin, daß es bislang so war und daß es wichtig ist, dies
anzuerkennen um die Gründe dafür zu begreifen und möglicherweise
überwinden zu können.

Mein Stand- punkt ist dagegen, daß die im frühkindlichen Alter
erzwungene Persönlichkeitsentwicklung uns die Fähigkeit nimmt,
uns als menschlich bzw. als Menschen zu reproduzieren - nicht im
bio- logischen Sinne, sondern im psychologischen Sinne, indem
ein Keil zwischen uns und unsere emotionale Menschlichkeit
getrie- ben wird. Die Ansicht S. Freuds, man müsse sich
Bedürfnisse versagen, um die Kultur zu erhalten, ist falsch.

Das würde ich gar nicht bestreiten, höchstens relativieren ;-)
Aber ich schätze, daß Du darüber weit intensiver nachgedacht hast
als ich.  Das einzige, was mich hier zum Widerspruch reizt, wäre
die Ausblendung anderer Faktoren...

Wenn ich zum Beispiel vor allem wirtschaftliche Faktoren sehe, die
zu den von Dir genannten Folgen führen, dann interessiert mich
nicht sosehr die Frage, welche nun wichtiger sind, sondern wie die
psychischen mit den wirtschaftlichen zusammenhängen.  (...und mit
allen anderen wesentlichen Verhältnissen).

Diese "Psycho-Macke" - um deine Worte zu gebrauchen - führt
direkt zu ganz realen gesellschaftlichen Machtstrukturen, die
ohne die "Psycho-Macke" nicht vorstellbar wären, zu einer Ge-
sellschaft, in der die einzelnen Menschen zutiefst davon über-
zeugt sind, keine Wahl zu haben, gar nicht anders handeln zu
können, Sklaven struktureller Gewalten und Sachzwänge zu sein.
In dieser Gesellschaft wird Macht gern soweit trivialisiert, daß
jedes individuelle und gesellschaftliche Verhältnis eine
Machtbeziehung sei, um die eigene, nicht in der eigenen Le-
bendigkeit verankerte Persönlichkeit zu schützen und um am
Machtmodell sozialer Beziehungen festhalten zu können.

Ja, und welchen Grund hat die Persönlichkeit für dieses
Festhalten?  Und wie willst Du den Grund beseitigen, außer durch
die Feststellung, daß alles anders wäre, wenn alles anders wäre?

Die Kritik einer engen Machtdefinition trivialisiert die Macht,
indem auch ein Umgang mit anderen Menschen, der diesen
eine Wahl lässt, sich im gewünschten Sinne zu verhalten oder
nicht, Macht und damit ein Gewaltverhältnis sei. Macht, die
Menschen gegen ihren Willen zwingt, in einer bestimmten er-
warteten Art und Weise sich zu verhalten, kann nicht mehr 
von  der Macht, die anderen eine Wahl  läßt, unterschieden
werden. Statt einen anderen Begriff zu definieren,  der jene
Macht bezeichnet, andere durch das eigene gute Beispiel zu 
bewegen, sich in der gewünschten Weise zu geben oder es  
bleiben zu lassen, redet man lieber von positiver im Unter-
schied zur negativen Macht.

Ein differenzierter und differenzierender Begriff ist weniger
trivial als ein undifferenzierter / nicht-differenzierender.
Trivialisierung ist eine Folge der Verengung des Begriffs.  Was Du
kritisierst, ist nicht der erweiterte Machtbegriff, sondern die
allgemeine undifferenzierte Anwendung des verengten Machtbegriffs
auf alle möglichen Arten von Beziehungen.  Dafür gibt aber die
Verengung des Begriffes überhaupt erst die Vorlage. Daher möchte
ich zu bedenken geben, ob nicht gerade die Verengung des Begriffs,
auf die Du bestehst, zur Trivialisierung führt.

Daß `die Leute' zunehmend nur noch Hauptwörter unterscheiden zu
können scheinen, nicht aber Attributierungen als wesentliche
Merkmale der Differenzierung erkennen zu können scheinen, dafür
kann ich ja nichts.  Das Problem Deines Machtbegriffs ist in
meinen Augen, daß er schlichtweg jede Beziehung zum Wort Macht in
seinem vielfältigem Kontext in der lebendigen Sprache als auch im
Kontext seiner Herkunft leugnet: oder ist für Dich Machlosigkeit
gleich Gewaltlosigkeit?  oder Ohnmacht gleich Ungewalt?

Trivialisierung verstehe ich als Vereinfachung -- eine
Unterscheidung (seis auch die triviale Unterscheidung von
positiver und negativer Form einer Erscheinung) ist weniger
trivial, als eine entsprechende Nicht-Unterscheidung: egal ob in
Form der Verallgemeinerung (alle Varianten werden als gleich
betrachtet) oder in Form der einseitigen Abstraktion (die einen
(oder die anderen) Varianten werden gar nicht betrachtet).


Gruß,
El Casi.
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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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