[ox-de] Re: [ox] "Kapitalismus als pubertäre Form"
- From: Jobst Quis <wuwei nadir.org>
- Date: Mon, 24 Jul 2006 00:19:35 +0200
Am Samstag, 15. Juli 2006 20:53 schrieb Stefan Seefeld:
Jobst Quis wrote:
Wenn du von freier Gesellschaft redest, meinst du damit vermutlich eine
Gesellschaft, in der alle Menschen frei sind. Du solltest dir aber
darüber im Klaren sein, daß nicht jeder, der auch diesen Begriff benutzt,
dasselbe damit meint. Ich hab mich lange gewundert, warum sich
ausgerechnet die reaktionärsten Bundesländer Freistaat nennen. Bis mir in
direkter Auseinandersetzung mit einem dieser Freistaaten die Erkenntnis
kam, daß Freistaat ja nur heißt, daß der Staat frei ist, daß er sich jede
Menge Freiheiten gegenüber den Menschen in seinem Gebiet herausnimmt.
Ein Grund für mich, die "Freiheit von der Gesellschaft" gegenüber der
"Freien Gesellschaft" zu bevorzugen.
Ist Gesellschaft f"ur Dich ein Synonym f"ur Staat ? Mir ist nicht klar, wie
sich eine Gesellschaft 'Freiheiten gegen"uber den Menschen' herausnimmt.
Ein Staat hingegen schon.
Gruss,
Stefan
Gesellschaft ist für mich nicht dasselbe wie Staat, aber etwas ähnliches. Der
Staat ist ein formeller kollektiver Machtapparat, die Gesellschaft ein
informeller. Den Staat sehe ich als eine Einrichtung der Gesellschaft für
bestimmte formale Aufgaben, wodurch sich die Machtausübung besser
legitimieren läßt.
Informelle kollektive Machtausübung ist zum Beispiel Mobbing und da sind
durchaus unterschiedliche "Freiheitsgrade" gegenüber dem Gemobten möglich.
Nicht jedes Mobbing ist gesellschaftlich, aber jede gesellschaftliche
Machtausübung ist mobbingähnlich.
Im Gegensatz zu dir und Stefan Meretz halte ich nicht jedes menschliches
Miteinander für Gesellschaft. Jeder Mensch braucht andere Menschen, aber
nicht jeder braucht Gesellschaft.
Gesellschaft ist eine Art von Kultur, aber nicht jede Kultur ist Gesellschaft.
Zum Wesen von Gesellschaft gehört ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit ihrer
Feststellungen und Regeln. Und dadurch auch ein Anspruch auf Macht, um diesen
Anspruch auf Allgemeingültigkeit auch gegenüber denen durchzusetzen, die ihn
nicht anerkennen.
Gesellschaft wird von Menschen gebraucht, die an Macht gewöhnt sind. Um sich
ihr zu unterwerfen und sich führen zu lassen, um sich sagen zu lassen, was
sie tun, lassen, wollen, denken und fühlen sollen. Oder um sich an der Macht
über andere zu beteiligen, um mitzubestimmen, was alle tun, lassen, wollen,
denken und fühlen sollten. Doch in den meisten Fällen ist es beides zugleich,
das eine als Kompensation für das andere.
Gesellschaft wird nicht von Menschen gebraucht, die sich genug Eigensinn
bewahrt oder wiedererlangt haben. Die also über einen eigenen Sinn, eine
eigene Sichtweise auf die Welt und eine innere Motivation für ihr Tun und
Lassen verfügen, so daß sie die gesellschaftliche Macht eher als Störfaktor
empfinden. Andere Menschen brauchen sie natürlich auch, aber eben vorwiegend
als persönliche Beziehungen und nicht als unpersönliche und normierte
Geselligkeit.
Gruss, Jobst
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