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Re: [ox-de] Re: [ox-de] Ökonux und Politix



Hallo Ludger,

Am 05/12/10 00:07, schrieb Ludger.Eversmann t-online.de:
hab mich gerade durch diesen Text gekämpft (von Kurz, Unwert des
Unwissens), und muss mich gerade wundern dass ich mich da
gewissermassen selbst zur Ordnung rufen muss, um in aller Schlichtheit
und naiven Wissbegier ganz einfach zu fragen was er denn mit
diesen enorm vielen Worten eigentlich sagen will - will sich mir
jedenfalls nicht erschliessen. Was will er denn. Aber ich schätze mal
zu der Einsicht sind auch schon einige Zeitgenossen vor mir gekommen,
insofern ist das nichts neues, ich muss nur an der Stelle leider
bekennen dass mir diese Auseinandersetzung bzw. -debatte bisher
entgangen war.

Nun, wie du dem Ende von Abschnitt 1 des Textes entnehmen kannst, geht es Kurz um eine Kritik der (u.a.) im Oekonux-Kontext vorgelegten Entwicklung der Wertkategorie:
Indem so einige Wertkritiker zu veritablen „Szene“-Ideologen einer
digitalen Alternativ-Ökonomie herabsinken, machen sie sich mit großem
Gestus anheischig, „das werttheoretische Fundament einer Kritik der
Politischen Informationsökonomie freizulegen“ (Ernst Lohoff, Krisis
31, S. 51) und „aneignungstheoretisch“ (Stefan Meretz, Krisis 31, S.
52) zu wenden. Dieser Anspruch soll nun einer Kritik unterzogen
werden.

Das scheint ihm so fundamental wichtig zu sein, dass er immerhin 45 Seiten zusammenbringt und von etwas abweicht, das er sich nach dem Krisis-Fork zur Regel gemacht hat: > Aus demselben Grund steht dieser Text ausnahmsweise auch ohne
Rückfrage zur allgemeinen Verfügung; er darf also (in unveränderter
Fassung mit Autoren- und Quellenangabe) frei weiterverbreitet und
elektronisch veröffentlicht werden.

Schließlich scheint das Thema im Kern des gesamten Krisis-EXIT-Forks zu liegen. Wie weit es Kurz hier gelingt, eine stringente *Gegenposition* aufzubauen, sei dahingestellt (das war auch nie seine Stärke). Aber die *Kritik* der werttheoretischen Grundlagen der Oekonux-Debatte teile ich weitgehend. Allerdings ist dabei zu beachten, dass mit der Kritik auch gewisse traditionsmarxistische Setzungen ("Mantras" in meiner letzten Mail) zu hinterfragen sind. Da bin ich aber in guter Gesellschaft der ganzen Tradition einer "neuen Marxlektüre", wobei für mich insbesondere Peter Ruben eine wichtige Rolle gespielt hat.

Grund genug also, sich der Grundlagen der (ökonomischen) Wertkategorie neu zu versichern, zumal Marx in der Frage selbst nicht sehr weit vorgedrungen ist. Sein Fokus war allerdings auch "Kritik", nicht eigenständige "Theorie", wie Kurz ja auch noch einmal betont. Marx' Überlegungen zu technisch-industriell geprägten Produktionsorganisationen in den "Grundrissen" zeigen, dass er seine im "Kapital" entwickelten theoretischen Grundlagen (von dem er ja überdies nur Band 1 selbst noch ediert hat) allenfalls als intermediäres Ergebnis verstanden hat.

An einer solchen Neufassung habe ich mich auf der Basis eines Leontieffschen Input-Output-Ansatzes unter drei Prämissen versucht:

(1) Berücksichtigung der fraktal-granularen Struktur der Wertkategorie, die sich aus der fraktal-granularen Struktur des gesellschaftlichen Prozessierens von Widersprüchen selbst ergibt.

(2) Aufgabe der Fassung des begriffs "Wertform" im Singular, um neben zeitförmigen auch nicht-zeitförmige Wertformen erfassen zu können.

(3) Klare semantische Interpretation der ökonomischen Funktion des "Mehrwerts", der sich bei Marx ja letztlich als "Restgröße" m=p-c-v ergibt, als infrastrukturelle reproduktionslogische Wertgröße.

Das Ergebnis kannst du in meinem Aufsatz "Dezentrale Arbeitswerttheorie" nachlesen. Auf alle Fälle ergeben sich aus einem solchen Blickwinkel zwei Perspektiven.

(A) Zahlenspielereien in verschiedenen Ökonomie-Utopien, ob nun Peer-Ökonomie, Parecon, C/C, Arno Peters' "Computersozialismus" oder dein Ansatz

Es wird möglicherweise ein "Beitrag", ein Input des einen von einer
bestimmten Qualität gegen "Leistungen" oder "Bezugsrechte" oder
Ansprüche einer bestimmten Quantität (auch Qualität oder beides)
tauschbar sein - aber das unterscheidet sich von der gewöhnlichen, in
einer Gesellschaft die basale Produktion bestimmenden Transaktion
Tausch, so sehr, dass eine Gesellschaft von den Prinzipien des
Warentausches, des Wachstums, des Kapital- und Geldverkehrs eben
nicht mehr völlig beherrscht sein muss.

lassen sich leicht als Spielarten einer Ausprägung der Wertkategorie darstellen (wie das Kurz ja auch macht). Aus dieser Perspektive heraus lassen sich Fragen stellen, die dann meist unbeantwortet im Raum stehen bleiben - wie etwa in der Diskussion zur Peer-Ökonomie auf dieser Liste im Herbst 2007. Eine Zusammenfassung der damaligen Argumente findest du unter http://www.hg-graebe.de/Texte/Kommentare/peer-economy.pdf

Insofern ist die Bemerkung von SMz
Auch das ist umstritten. Ich bin der Meinung, dass jede Tauschform, also
Leistung gegen Leistung, am Ende die Warenlogik hervorbringt. Deswegen
bieten alle Tausch- oder Geldmodifikationen (Kurz: "Geldpfuscher")
grundsätzlich keine Alternative. Das sieht auch HGG anders, der gerne am
Wert als Regulator festhalten möchte.

nur die halbe Wahrheit. Mein Punkt ist auf der einen Seite Kritik, dass nämlich auch in den hier angeblich jenseits der "Tausch- oder Geldmodifikationen" entwickelten ökonomischen Utopien die Wertkategorie präsent ist, sobald auch nur ein Mindestmaß an Verbindlichkeit von Interaktionen hergestellt werden soll, ohne die eine arbeitsteilige Gesellschaft nicht auskommt. Die Marxsche und auch meine Werttheorie ist eine *Arbeitswerttheorie*, d.h. wenn Arbeit explizit (etwa vertraglich) für andere - auch jenseits unmittelbarer Tauschformen - ausgeführt wird, dann ist die Wertkategorie mit im Spiel. Spannend dazu eine Reihe von Live-Diskussionen, zuletzt am 20.4. mit Christian Siefkes und am 11.5. mit Uwe Flurschütz, wo diese Form der Skepsis in den Fragen aus dem Auditorium mit Händen zu greifen war.

Auf der anderen Seite gehe ich in der Tat davon aus, dass das kulturelle Potenzial der Wertkategorie nicht ausgeschöpft ist und gerade im Zusammenspiel mit anarcho-syndikalistischen Ansätzen noch einiges zu bieten hat. Das war auch die (positive) Essenz der Debatte am 11.5., die sich dann allerdings negativ an C/C-artigen "Planungsstrukturen" stößt, die offensichtlich auch bei Parecon in der Vermittlung größerer Zusammenhänge eine zentrale Rolle spielen.

Siehe
http://www.leipzig-netz.de/index.php5/WAK.2010-04-20
http://www.leipzig-netz.de/index.php5/WAK.2010-05-11

(B) Unter den oben genannten Prämissen (1) bis (3) ist (1) für mich unhintergehbar für eine Theorie einer über die kapitalistische ökonomische Ordnung (was das bei einer sich immer wieder häutenden Schlange auch immer sei - Verweis auf Altvater und sein Bild von "Kapitalismus, _wie wir ihn kennen_") hinausweisenden ökonomischen Ordnung - eine ökonomische Ordnung *basiert* auf den Strukturen, in denen gesellschaftliche Widersprüche prozessiert werden, die ja mit Blick auf ihren dialektischen Charakter nicht zu "lösen" sind, sondern zu "Waffenstillstandslinien" zwischen divergierenden Interessen führen.

Die Dynamik der (Menschen-)Welt entspringt der Dynamik dieser sehr lokal wirkenden Widersprüche, woraus sich ein organismisches Ganzes ergibt, in dem das zentrale Prinzip das der vereinbarten Regeln, nicht das der erteilten Befehle ist. Womit wir auch schon bei der Potsdamer Denkschrift sind, in deren Kern es heißt

Die ontische Grundstruktur der Welt, basierend auf primär
existierender Substanz wird ungültig. Sie muss ersetzt werden durch
einen ‚Komos’, in dem nicht mehr Fragen: „Was ist? Was existiert?“ am
Anfang stehen, sondern nur Fragen der Art: „Was passiert? Was
bindet?“ Genauer: Anstelle der bisher angenommenen Welt, einer
mechanistischen, dinglichen (objektivierbaren), zeitlich
determinierten ‚Realität’ (lat. res = Ding) entpuppt sich die
eigentliche Wirklichkeit (eine Welt, die wirkt!) im Grunde als
‚Potenzialität’, ein nicht-auftrennbares, immaterielles, zeitlich
wesentlich indeterminiertes Beziehungsgefüge, das nur gewichtete
Kann-Möglichkeiten, differenziertes Vermögen (Potenz) für eine
materiell-energetische Realisierung festlegt. Die klassische Realität
des materiell-objekthaft Getrenntem ergibt sich erst durch eine
vergröbernde Ausmittelung aus der potentiellen, ganzheitlichen,
zeitlich wesentlich offenen, immateriellen Allverbundenheit.

Ein solcher (Theorie!-)Ansatz ist mit deinen Überlegungen
Und das Argument lässt sich noch weiter ausbauen, es geht auch um
die Steuerungsprinzipien die dann möglich sind, und die viel
grössere Planungsgenauigkeit und -sicherheit und Steuerbarkeit
gewährleisten als sie heute mit den mehr oder weniger rein
fiskalischen Steuerungsmassnahmen erreichbar sind.
weitgehend inkompatibel.

Zu den Kondratiewwellen sag ich jetzt nichts mehr. Ich hab nicht
gedacht dass es so schwer ist den Unterschied zwischen Produkt- und
Prozessinnovationen zu verstehen.

Das verstehe ich wiederum nicht. Jede Kondratjew-Welle zeichnet sich doch gerade durch ein Bündel von spezifischen Produkt- *und* Prozessinnovationen aus, oder?

gehört zu dieser Technologie dazu dass sie nicht nur kaputt gehn,
sondern sich dann möglicherweise selbst reparieren und sogar gleich
von vornherein selbst herstellen kann - gehört jedenfalls im gleichen
Sinne dazu wie etwa der fussballspielende Roboter oder der
weltmeisterlich Schach spielende Computer zu Turings auf Zettel
gekritzelter Paper Machine. Das ist wohl alles doch nicht so leicht
zu verstehen.

Das ist *sehr* leicht zu verstehen, denn die Natur macht diese Form von Fehlertoleranz und Eigenreparatur ja seit Jahrmillionen vor, und jeder Landwirt geht damit täglich auch produktiv um. Allein die "Ingenieure" kommen aus einer anderen Denktradition und verstehen nicht, dass jedes "Spielzeug", das sie heute nach dem biologischen Muster des Metabolismus bauen, neben den intendierten Wirkungen auch nicht intendierte "Nebenwirkungen" hat, die auf Grund der Fähigkeit zur Selbstreplikation (mit ihrem inhärent exponentiellen Wachstum) leicht zur Hauptwirkung werden. Aber wie gesagt, das sowie die Konsequenzen der Einbettung dieser Dynamiken in eine "Kultur der Machbarkeit" hat Bulgakow in der genannten Novelle schon vor 80 Jahren beschrieben. Du solltest dich da durch den Kontext der "Mangelwirtschaft" nicht blenden lassen. Aber wir können natürlich auch die Gentechnik-Debatte nehmen, wo dieselben Fragen debattiert werden.

Hans-Gert: rede nicht so viel mit deinem Geld, auch nicht in
Gesellschaft mittelständischer Unternehmer. Du scheinst übrigens nur
mittelständische Einzelfertiger zu kennen, was machen die denn, Schuhe
für Millionäre? oder Schiffsschrauben für Containerriesen? also ein
mittelständischer Automobilzulieferer oder ein mittelständischer
Küchenhersteller ist mit Sicherheit kein Einzelfertiger, ...

Ich kenne (persönlich) Vertreter von zwei Sorten - kleine weltweit agierende High-Tech-Unternehmer und Unternehmer, deren Fokus auf verschiedenen lokalen Dienstleistungen (vor allem Handwerker, aber auch stärker ingenieur-technisch orientierte Unternehmen wie z.B. solifer) liegt.

sondern muss eben - aus Kostengründen - in Stückzahlen fertigen, die
den Produktentwicklungsaufwand inkl. Marketing, Lagerhaltung etc etc
rechtfertigen

Keineswegs, die meisten "Güter", die hergestellt werden, sind Unikate - z.B. wenn mein Dach gedeckt wird oder die Umfriedung des Hauses erneuert usw. Auch die kleinen weltweit aufgestellten High-Tech-Unternehmer produzieren meist Unikate, die speziell auf die Bedürfnisse des jeweiligen Kunden abgestimmt sind. Der klassische Unterschied zwischen Werkzeugmaschinenbau (größere Stückzahlen) und Industrieanlagenbau (Unikate). Wertrechnung bei letzterem ist übrigens besonders spannend!

- es sei denn, er besitzt eben genau die Technologien die wir hier
diskutieren, denn genau die sind ja der Schlüssel, die Produktion
mehr und mehr zu individualisieren, und damit dann in Lösgrösse 1 (im
extrem) produzieren zu können, aber hochmaschinell und damit eben zu
den niedrigen Kosten der Massenproduktion.

Keineswegs, Industrieanlagenbau gibt es so lange, wie es Industrieanlagen gibt, also wenigstens 100 Jahre. Und ich denke, auch heute ist es ein Unterschied, ob du dir eine Solaranlage aus Baumarkt-Bauteilen selbst zusammenschraubst (oder einen "Krauter" damit beauftragst, der es nicht anders macht) oder das durch eine ingenieurtechnisch aufgestellte Fachfirma realisieren lässt. Die Kosten sind bei letzterer vielleicht höher, aber die (aus Kompetenz resultierende) Wirkung auf deine private Umwelt (wenn es eine Solarthermie-Anlage war, die primär dir und nicht den E-Konzernen dient) ist nachhaltiger.

Viele Grüße,
Hans-Gert
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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