[ox-de] keimform.de: Vom Strike Bike zum Free Bike?
- From: Christian Siefkes <christian siefkes.net>
- Date: Sun, 19 Dec 2010 10:58:50 +0100
URL: http://www.keimform.de/2010/vom-strike-bike-zum-free-bike/
Dieser Artikel knüpft an Stefans Überlegungen zum Ende des "Strike-Bike"
<http://www.keimform.de/2010/ende-des-strike-bike/> an:
Die Strike Bike GmbH hat Insolvenz angemeldet. Das Strike-Bike war
zunächst der Soli-Hit, aber mit Solidarität lässt sich auf Dauer kein
kapitalistisches Geschäft aufrechterhalten.
Tatsächlich bedeutet Solidarität im Falle von Verkäufer/Kunde-Beziehungen
ja ganz konkret: "die Kund/innen sind bereit, mehr zu zahlen, damit die
Verkäufer/innen ihr selbstorganisiertes Produktionsmodell aufrechterhalten
können." Wäre das nicht nötig, müsste man nicht von Solidarität reden, die
Kund/innen würden dann schon aus pragmatischen Gründen (günstiges
Preis-Leistungs-Verhältnis o.ä.) kommen und nicht nur aus Solidarität mit
den Verkäufer/innen.
Auf dieser Basis ist allerdings kein allgemeines Modell einer alternativen
Produktionsweise denkbar -- die meisten Leute schwimmen ja nicht im Geld,
sondern kommen sowieso eher schlecht als recht über die Runden, deshalb ist
klar dass ein solches "solidarisch mehr zahlen" nur im Ausnahmefall denkbar
ist. Keine guten Voraussetzungen für eine Solidarische Ökonomie
<http://de.wikipedia.org/wiki/Solidarische_Ökonomie>, die ja schon im Namen
auf Solidarität setzt, aber eben deshalb nur eine Ausnahme bleiben kann
(und somit keine wirkliche "Ökonomie", also kein allgemein mögliches Modell
des Wirtschaftens ist).
Für Peer-Produktion als gesellschaftliche Alternative legt dies allerdings
auch die Anforderungen hoch, denn auch sie wird in der Lage sein müssen,
ein besseres oder mindestens ebenbürtiges Preis-Leistungs-Verhältnis zu
bieten als die hochgradig optimierte kapitalistische Massenproduktion.
Keine leichte Hürde, aber eine unvermeidliche.
Freie Software (als früheste erfolgreiche Form von Peer-Produktion) scheint
beim Preis-Leistungs-Verhältnis erstmal einen uneinholbaren Vorsprung
gegenüber kostenpflichtiger proprietärer Software zu haben, weil der Preis
0 ist, doch das wäre zu kurz gegriffen, weil auch andere Kosten wie der
Zeitaufwand fürs Installieren, Lernen und Verwenden der Software wichtig
sind. Bei materieller Peer-Produktion kommen zu diesen indirekten Kosten
zunächst wohl zwangsläufig direkte Kosten, die die Kund/in tragen müsste --
nämlich mindestens die Kosten für die Rohstoffe, aus denen das Produkt
besteht.
Stellen wir uns ein Fahrräder produzierendes Peer-Projekt -- nennen wir es
"Free Bike" -- in einer ansonsten großteils kapitalistischen Umgebung vor.
Damit das Projekt dauerhaft operieren kann, müssen die Nutzer/innen im
Durchschnitt zumindest den Preis der Rohstoffe und Vorprodukte zahlen,
andernfalls wird das Projekt, das diese Elemente ja auf dem Markt erwerben
muss, zwangsläufig Pleite gehen. Dieser Preis muss niedriger (oder
jedenfalls nicht höher) sein als der eines kapitalistisch produzierten
Fahrrads. Das ist zwar keine allzu große Hürde, da der Preis der Rohstoffe
meist nur einen kleinen Teil der Gesamtkosten eines Produkts ausmacht,
könnte aber für kleine oder neue Projekte, die mit Großkonzernen mithalten
wollen, ein gewisses Problem sein, da Rohstoffe und Vorprodukte meist
*erheblich* billiger werden, wenn man sie in großen Mengen einkauft.
Ob dieser Preis direkt für den Erhalt eines Fahrrads berechnet wird oder ob
er indirekt über Spenden eingesammelt wird, macht dabei keinen
grundsätzlichen Unterschied, denn auch hier gilt wieder, dass Solidarität
alleine auf Dauer kaum reichen wird. Es ist nicht zu erwarten, dass die
Leute freiwillig deutlich mehr für Fahrräder spenden als sie unfreiwillig
zahlen würden.
Die Rohstoffe und Vorprodukte sind aber natürlich nur der Anfang, danach
beginnt erst die eigentliche Arbeit, nämlich die Montage der Fahrräder
selbst -- was die Mitarbeiter/innen des Strike-Bike-Projekts
<http://www.strike-bike.de/> Tag für Tag gemacht haben. Die waren zwar
bereit, diese Arbeit auch nach ihrer Entlassung durch ihren vorigen
Arbeitgeber weiter zu machen (weshalb sie die Fabrik selbst übernommen
haben), das aber wohl nur deshalb, weil sie die Fahrräder verkaufen und
sich so ihren Lebensunterhalt verdienen konnten.
Nun ist es bei Peer-Projekten wie der Wikipedia und Freien
Softwareprojekten aber bekanntlich so, dass die nichts verkaufen und somit
die Beteiligten auch nicht durch Bezahlung motivieren können (von Ausnahmen
abgesehen -- die Wikimedia Foundation
<http://de.wikipedia.org/wiki/Wikimedia> bezahlt einige wenige Leute für
Verwaltung, Serveradministration u.ä., aber diejenigen, die die eigentliche
Arbeit machen, nämlich die Artikel schreiben und verbessern, bezahlt sie
nicht und könnte sie auch nie bezahlen).
Wie kann ein materielles Peer-Projekt Ähnliches erreichen? Die größte
Hürde, die der Peer-Produktion materieller Dinge wie Fahrräder im Weg
steht, ist wohl die *Monotonie,* die mit deren Produktion typischerweise
einhergeht. Die bisherigen Erfolge der Peer-Produktion zeigen, dass
zahllose Menschen bereit sind, auch intellektuell anspruchsvolle (und im
Kapitalismus gut bezahlte) Aufgaben wie Software entwickeln, Texte
schreiben und Dinge designen freiwillig und unentgeltlich zu übernehmen,
doch würde wohl kaum jemand ohne Bezahlung tagein tagaus dieselben
Handgriffe in einer Fabrik ausführen. Peer-Projekte müssen also diese
Monotonie vermeiden, um erfolgreich zu sein. Mir fallen einige Strategien
ein, wie sie das machen können:
1. Das Roboter-Prinzip: die materielle Produktion wird durch
computergesteuerte (CNC
<http://de.wikipedia.org/wiki/Computerized_Numerical_Control>) Maschinen
weitgehend automatisiert, so dass vor allem die nichtrepetitiven und
mehr oder weniger kreativen Aufgaben (Design von Produkten, Aufbau von
Maschinen etc.) übrig bleiben -- die sich erfahrungsmäßig ganz gut per
Stigmergie <http://www.keimform.de/2010/stigmergie/> und freiwilliger
Selbstauswahl verteilen lassen.
2. Das Ikea-Prinzip: die Nutzer/in übernimmt die letzten Schritte der
Montage (die Maschinen vielleicht nicht leisten können) selbst. Hier
kann keine Monotonie aufkommen, da man ja nur ein Fahrrad
zusammenschraubt und nicht Hunderte. Gleichzeitig ist man unmittelbar
motiviert, da es um das *eigene* Fahrrad geht. Anders als die Monteur/in
in der kapitalistischen Fabrik hat man eine direkte Beziehung zu dem
entstehenden Gebrauchsgegenstand, da man ihn selbst gebrauchen will.
3. Das Learning-by-Doing-Prinzip: wie Mark Twain (am Anfang von "Tom
Sawyer"
<http://www.gutenberg.org/catalog/world/readfile?fk_files=1559967&pageno=11>)
brillant vorführt, können Aktivitäten Spaß machen und attraktiv sein,
wenn sie als etwas Neues und Besonderes erscheinen, nicht als
Routinetätigkeit, die man jeden Tag machen muss. Und die meisten Leute
sind neugierig darauf, Erfahrungen zu machen und sich neue Fähigkeiten
anzueignen. Wenn also die Tätigkeiten in einem Peer-Projekt so
organisiert werden, dass nicht dieselben Leute permanent dieselben Dinge
machen, sondern jede/r, der oder die mitmachen will, im raschen Wechsel
neue Aufgaben übernimmt und sich neue Kenntnisse aneignen kann, könnten
Aktivitäten, die sonst langweilig erscheinen und nur gegen Bezahlung
("Schmerzensgeld") übernommen werden, attraktiv und unterhaltsam werden
und genug Freiwillige finden. Das funktioniert nur für Aufgaben, die
sich auf eine solche Weise erledigen lassen, wo also keine langwierige
Ausbildung nötig ist, um sie auszuführen -- aber immerhin, gerade solche
Aufgaben dürften oft genug auch die sein, die sich andernfalls am
schwierigsten per freiwilliger Stigmergie verteilen lassen würden.
Generell scheint mir, dass Peer-Projekte vor allem dann erfolgreich sind,
wenn sie es schaffen, Arbeit durch Nicht-Arbeit zu ersetzen -- die Arbeit
aufzuheben und andere Formen des Tuns an ihre Stelle zu setzen. Arbeit ist
das, was man nur deshalb tut, weil man dazu gezwungen ist oder weil man
dafür bezahlt wird oder auf künftige Bezahlung hofft (auch ein unbezahltes
Praktikum ist Arbeit -- man hofft, dass es sich später "auszahlen" wird).
Peer-Produktion ist dagegen in sehr vielen Fällen keine Arbeit: man
beteiligt sich weder aus Zwang noch des Geldes willen, sondern weil
einer/einem gefällt, was man da tut; aus Interesse an den Dingen, die da
entstehen; weil man etwas dabei lernt oder weil man den anderen etwas
zurückgeben möchte. Die Wikipedia funktioniert nur deshalb, weil sie es
geschafft hat, die anstrengende und monotone Arbeit des
Enzyklopädie-Schreibens durch etwas zu ersetzen, was viele Menschen gerne
und freiwillig machen. Ähnliches ist auch für die materielle
Peer-Produktion nötig.
Oder habe ich etwas übersehen? Gibt es andere, bessere Möglichkeiten, die
materielle Peer-Produktion anzugehen?
Herzliche Grüße
Christian
--
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