Re: [ox-de] keimform.de: Wie es den Kapitalismus zum Commonismus trei
- From: Hans-Gert GrÃbe <hgg hg-graebe.de>
- Date: Sun, 13 Mar 2011 10:15:47 +0100
Hallo Stefan,
Ich mÃchte jetzt auf die "andere Seite" des Prozesses und die
Frage nach dem Alten im Neuen stellen.
Diese (sehr begrÃndete) Frage stelle ich mir seit langem und komme dabei
(ebenfalls?) zu sehr unpopulÃren Erkenntnissen, fÃr die man nicht nur
hier, sondern generell in "linken" Diskursen nur Dresche erntet.
Dennoch ein paar Anmerkungen:
Ich habe in meinem Bild also nicht eine Produktionsweise  einen
Bruch  und dann eine andere Produktionsweise, sondern jeweils eine
gesellschaftlich dominante bei gleichzeitigem Bestehen anderer
(darunter auch ehemalig und/oder zukÃnftig "dominanter").
Rainer Thiel hat zur Kritik der Betrachtung von Revolution als Bruch ein
spannendes Buch geschrieben "Die AllmÃhlichkeit der Revolution. Blick in
sieben Wissenschaften."
http://www.thiel-dialektik.de
http://www.facebook.com/topic.php?uid=309307721801&topic=11807
http://www.brandenburger-freidenker.de/cms/wp-content/uploads/2011/02/03062010-Rainer_Thiel_Faltblatt_01.pdf
Die wesentliche VerÃnderung im Zuge eines revolutionÃren Prozesses
besteht m.E. darin, dass die ehemalig dominante Produktionsweise ihre
zentrale Rolle fÃr die Gesellschaft einbÃÃt, dass sie also lediglich
in *dieser zentralen Rolle* abgelÃst wird.
Mit dem Begriff "Produktionsweise" kann ich inzwischen nicht mehr viel
anfangen, weil er zu wenig differenziert. Zuerst geht es mE heute - im
Zeitalter von "pik everything" - nicht (mehr) um Produktion, sondern um
Reproduktion, also wenn schon, dann um "Reproduktionsweise". Aber das
kann ich nur im Plural mit Sinn fÃllen "Reproduktionsweisen", und um die
Semantik klarer zu machen "Reproduktionsschemata". Ich sehe die groÃe
Herausforderung des 21. Jahrhunderts in der "Domestizierung" der - sich
in dialektischen WidersprÃchen bewegenden - verschiedenen
Reproduktionsschemata der Gesellschaft, wo vielleicht das Wort
"dominant" irgend etwas ausdrÃckt, was aber verschieden ist von
"wichtig" und "weniger wichtig" auf Sachebene, weil alle
Reproduktionsschemata wichtig sind, wenn man den globalen
Reproduktionszusammenhang "reproduzieren" mÃchte. FÃr den es leider
keine uns Menschen zugÃngliche Sprache gibt und auch nicht geben wird,
um ihn vollstÃndig zu beschreiben - "Die Materie der Erkenntnis kann
nicht gedichtet werden".
Die Begeisterung fÃr Fabber ist so groà (wenn ich es richtig verstehe),
weil diese perspektivisch die Drecksarbeiten Ãbernehmen kÃnnen/sollen â
und damit (zumindest gedanklich) die ganze Problematik "der Arbeit" (im
Sinne von MÃhsal) vom Tisch gefegt wird.
In diesem Sinne gibt es "Fabber" seit Ãber 2.000 Jahren. Die meisten
waren "menschengetrieben" (sofern du - ahistorisch - Sklaven im alten
Rom als Menschen ansiehst) und haben auch damals schon 'die ganze
Problematik "der Arbeit" (im Sinne von MÃhsal) vom Tisch gefegt' -
allerdings nur fÃr eine kleine Zahl von Menschen (mehr "Mehrprodukt" -
Achtung, ganz andere Semantik als die wohlfeile Ãkonomietheoretische
einer Marxschen AWT! - war eben nicht da). Hauptaugenmerk jener - in der
traditionsmarxistischen Terminologie - "Herrschenden" war die
"Reproduktion" ... der VerhÃltnisse (was das auf Sachebene auch immer
bedeutet).
Nun sind wir seit 300 Jahren, wenigstens im erweiterten Westeuropa, in
VerhÃltnissen, wo jeder sowohl - als Produzent in der Industriemaschine
- /im/ Fabber tÃtig ist als auch - als Konsument - /NutznieÃer/ der
Fabber ist in genau deinem Sinn, dass aus jener Konsumentenperspektive
"die Drecksarbeiten [gekapselt] und damit zumindest gedanklich die ganze
Problematik 'der Arbeit' (im Sinne von MÃhsal) vom Tisch gefegt" ist.
Wobei die Perspektive der Lohnarbeiter als "Untertagearbeiter im Fabber"
und der Unternehmer als Dirigenten dieser (mit Menschen bestÃckten)
Fabber sehr verschieden ist. Das VerhÃltnis der Unternehmer ist ein
instrumentelles zu diesen Fabbern (und den Menschen = Lohnarbeitern
darin), so wie ich bei dir ein instrumentelles VerhÃltnis zu den
Fabbern, wenigstens den "echten", herauslese.
Deine These impliziert, dass es - in diesem Sinn - in einer Freien
Gesellschaft eine Perspektivverschiebung von der Lohnarbeiter- zur
Unternehmerperspektive als Ausdruck einer solchen Verschiebung von einer
produktiven zu einer reproduktiven Sichtweise geben wird (und ich denke,
die ist im Bereich der Freien Software auf der nichtmonetÃren Ebene mehr
als deutlich zu sehen). Die gibt es aber seit 300 Jahren in dieser
Gesellschaft auch (schon). Im Ãbrigen hat man mE auch in
vorkapitalistischen Zeiten deutlich reproduktiver gedacht.
... dann komme ich jetzt endlich zu "meiner" Fabber-Metapher:
FÃr mich ist der Fabber ein Bild fÃr die Funktion und Rolle der
Warenproduktion im Neuen; und diese besteht lediglich in der
Materialisierung kollektiv geschaffener Dinge. Nicht dass ich ihr auch
nur irgendetwas abgewinnen kÃnnte, aber diese Rolle behÃlt die
Warenproduktion m.E. eben so lange und muss sie â schlicht aufgrund des
oben benannten Charakters bestimmter TÃtigkeiten â behalten, bis quasi
"echte Fabber" sie Ãbernehmen kÃnnen.
Die "echten Fabber" liegen dann vor, wenn die Produktion so weit
"trivialisiert" ist, dass sie sogar ein Automat Ãbernehmen kann? Damit
nimmst du aber die produktive und nicht die reproduktive Perspektive ein
und blendest die Frage aus, was zu tun ist, damit dir die "Fabber" nicht
um die Ohren fliegen.
Im Ãbrigen ist diese "Trivialisierung" oder angelehnt an deine
Terminologie "Fabberisierung" ein zentrales Moment der Dynamik dieser
kapitalistischen Gesellschaft von Anfang an, wie Franz Naetar vor
einigen Jahren klar ausgefÃhrt hat.
Franz Naetar: "Commodification", Wertgesetz und immaterielle Arbeit.
Grundrisse 14, 2006,
http://www.grundrisse.net/grundrisse14/14franz_naetar.htm
Mich wundert einfach, dass ich zwar immer wieder vom Neuen im Alten
lesen â aber nie etwas vom Alten im Neuen. Nachdem ich weiÃ, das
zweitere Behauptung deutlich unpopulÃrer ist, ziehe ich jetzt einfach
mal die Arschkarte ;) Ich denke aber nunmal auch, dass die erste
Behauptung (die "ganze Keimform-Sache") ohne der zweiten kaum haltbar
ist.
Wie gesagt, Ãber diese Perspektive denke ich seit langem nach und bin in
der Konsequenz zu der - sehr kompakt formulierten - Erkenntnis vom
"Kapitalismus als pubertÃrer Form der Freien Gesellschaft" gekommen,
denn wenn man genau hinschaut, dann ist die Verquickung von Neuem und
Altem viel enger als du es dir vielleicht (noch - war bei mir ein
durchaus lÃngerer Prozess) vorstellst. Und es kann ja auch gar nicht
anders sein, wenn - siehe Thiel - der Umbruch auf der Mikroebene die
Form ist, in der sich Evolution auf der Makroebene vollzieht. Eine
Google-Suche nach 'pubertÃre Form site:oekonux.de' mag dir einen
Eindruch der damalige Debatte vermitteln.
Viele GrÃÃe, Hans-Gert
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