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Re: [ox-de] Freies Projekt "Premium Cola"



Hi Liste!

Last week (11 days ago) Stefan Merten wrote:
Ich habe gerade in der der Contraste ein recht interessantes
Interview mit dem Premium-Cola-Gründer und - wie wir hier wohl sagen
würden - Maintainer Uwe Lübbermann gelesen.
[...]
Leider ist der Contraste-Artikel wieder mal nicht online :-( .

Dank der Hilfe von Uwe habe ich den Text jetzt direkt von Elisabeth
bekommen :-) :-) . Ich habe das Ganze mal als Plain-Text aufbereitet,
so dass es besser für die Liste geeignet ist.


						Grüße

						Stefan

=== 8< === 8< === 8< === 8< === 8< === 8< === 8< === 8< === 8< === 8< ===

Premium Cola - Ein Betriebssystem gegen den Strom
=================================================

Die korrekte Cola
-----------------

Aus http://www.contraste.org/ Ausgabe Januar 2011

Seit 2001 vertreibt ein dezentrales Kollektiv eine ganz besondere
Cola: Premium Cola ist ein korrektes Produkt, das heißt sie hat einen
hohen Koffeingehalt für den ultimativen Kick. Und sie wird unter
korrekten Bedingungen hergestellt und vertrieben, das heißt ohne
Gewinnerzielung und konsequent selbstverwaltet. Das Kollektiv, dessen
Mitglieder bundesweit verstreut leben, produziert nicht selbst,
sondern managed ein ausgefeiltes Betriebssystem. Elisabeth Voß
interviewte Uwe Lübbermann, den Gründer von Premium Cola.

CONTRASTE: Wie viele Mitglieder hat euer Kollektiv, was sind das für
Leute und was machen sie konkret?

Uwe Lübbermann: Die Anzahl hängt von der Sichtweise ab. Insgesamt
betrachtet haben wir rund 600 plus X Stakeholder, also Beteiligte im
Sinne von Produzenten, Spediteuren, Großhändlern, Händlern,
Gastronomen und so weiter. Hinzu kommen die Endkunden als »plus X«,
rein zahlenmäßig sicher eine noch größere Gruppe, wie viele das genau
sind, können wir aber nur schätzen. Aus o.g. rund 600 Stakeholdern
sind derzeit 108 Personen in einer Mailingliste, die sich selbst
meistens als Kollektiv bezeichnen. In der Mailingliste werden alle
Entscheidungen getroffen, die Umsetzung wird unregelmäßig von einem
Teil dieses Kollektivs aus ca. 20 Personen übernommen, und von diesen
wiederum gibt es eine Art harten Kern aus einer handvoll Leute, die
regelmäßig Arbeit übernehmen. Da bin ich quasi der härteste, bei mir
landet effektiv am meisten. Je nach Sichtweise ist Premium also ein
reines Steuerungs-und Entscheidungskollektiv aus allen Stakeholdern
mit ein paar wenigen Leuten für die reale Arbeit, oder eine
Einzelfirma (mit ein paar Helfern), in die alle diese Stakeholder als
quasi virtueller Aufsichtsrat reinreden können. Klingt durchaus
kompliziert, und ist es auch...

CONTRASTE: Ist Premium Cola ein Hobby für den Zuverdienst nebenbei,
oder gibt es auch Leute, die davon leben? Gibt es Angestellte oder
arbeiten alle selbstständig?

Uwe Lübbermann: Ob jemand von Premium leben kann, entscheidet er/sie
überwiegend selbst durch die langfristigen aktiven Beiträge; wir haben
alles bis zur einzelnen Flasche pro Person und Aufgabe
runtergerechnet, sodass viel reale Aktivität sich meistens auch in
entsprechende Summen umsetzen ließe. Bisher lebe allerdings nur ich
komplett von Premium, und das auch erst seit April 2010 obwohl es
Premium über neun Jahre gibt. Das liegt u.a. an unserer früheren
Maxime, dass noch niemand ganz von Premium leben sollte um nicht
abhängig zu sein. Insofern gibt es zwar diverse o.g. Aktive, die einen
Teil bzw. die Hälfte ihres Lebensunterhalts mit Premium erarbeiten,
aber eben nur mich als erste ganz davon lebende Person. Angestellte
gibt es nicht, alle Beteiligten arbeiten frei, wir hatten allerdings
mal aus formalen Gründen zwei 400-Euro-Arbeitsverhältnisse (und haben
das wegen der unfassbaren Bürokratie dafür sehr bereut).

CONTRASTE: Wie kommen neue KollektivistInnen zu euch? Und gibt es
Ausstiegsregelungen?

Uwe Lübbermann: Um KollektivistIn zu werden, reicht es im Prinzip,
Stakeholder zu sein, also mal eine Flasche getrunken zu haben. Zur
Eigensicherung haben wir aber noch den Schritt eingebaut, dass
mindestens eine vorhandene Person im Kollektiv die neue persönlich
kennen gelernt haben muss. Das ist alles. Ein freiwilliger Ausstieg
ist dann natürlich jederzeit möglich, und wir haben auch
Not-Ausschlussregelungen für den Fall, dass jemand das Netzwerk massiv
schädigt; siehe http://www.premium-cola.de/betriebssystem/schutz

CONTRASTE: Wie hoch ist der Frauenanteil in eurem Kollektiv?

Uwe Lübbermann: Leider sehr gering, bei unter zehn Prozent. Ich habe
bis heute keine Idee, warum das so ist. Es gibt keinerlei
Geschlechter-Auswahl, o.g. Zugangsschritt ist neutral, ich als
zentraler Organisator bin sehr offen für weibliche Beteiligung, weil
die in der Regel zuverlässiger ist und das Kollektiv auch inhaltlich
bereichert... Mir ist schleierhaft, warum so wenige Frauen mitreden
oder mitmachen wollen. Es gibt eine relativ ausgeprägte Sexismus-
Sensibilität im Kollektiv, so sehr dass schon kleinste Nebensätze von
Beteiligten zwei umfangreiche und ziemlich ermüdende Sexismus-Debatten
zwischen Männern über Definitionsmacht usw. usf. angestoßen haben, was
höchst ärgerlicherweise dazu führte, dass Frauen ausgestiegen sind,
u.a. weil sie das Thema angeödet hat... Also: unsere Frauenquote
ist trotz dieser Sensibilität leider gering, ich weiß nicht wieso und
bedaure das sehr.

CONTRASTE: Trefft ihr eure Entscheidungen ausschließlich per Mail oder
gibt es auch Kollektivversammlungen, auf denen ihr euch persönlich
begegnet? Entscheidet ihr mit Mehrheit oder im Konsens?

Uwe Lübbermann: Diskussionen und Entscheidungen laufen meistens per
Mail, mit einzelnen Beteiligten per Telefon oder persönlich, und es
gibt einmal pro Jahr ein Kollektivtreffen in der echten Welt. Der
Modus ist Konsensdemokratie, was bedeutet dass theoretisch jede/r ein
Veto zu allen Fragen einlegen kann. Die Idee dahinter war, dass so
Ausbeutung von Einzelnen praktisch unmöglich wird; das Veto wird aber
vermehrt für andere Dinge wie z.B. (grafische) Geschmacksfragen
benutzt. So lähmen wir uns teilweise selbst, es wird viel diskutiert
und wenig umgesetzt, deshalb ist gerade in der Diskussion, ob das
Veto-Recht »nur« noch für Betroffene von Entscheidungen gelten sollte.

CONTRASTE: Ihr habt einen hohen Anspruch an allseitige Transparenz,
der so weit geht, dass alle online Einblick in das Firmenkonto nehmen
können. Wie verhindert ihr, dass die KollektivistInnen von der Menge
der Informationen überfordert werden?

Uwe Lübbermann: Die Firmenkonto-Einsicht für alle mussten wir wegen
des Datenschutzgesetzes auf ein paar Personen reduzieren, die sich
freiwillig für diese Kontrolle gemeldet und eine
Verschwiegenheitserklärung für Details, wie z.B. Bankdaten von anderen
Personen, unterschrieben haben. Die Menge an Informationen ist aus
meiner Sicht aber nicht so das Problem, sondern eher die
Zusammenhänge. Da habe ich meistens den besten Durchblick und versuche
immer alles zu erklären, werde daher manchmal Erklärbär genannt...
Viele Kollektivisten wollen sich aber auch gar nicht so intensiv in
die Zusammenhänge beißen, habe ich zumindest den Eindruck.

CONTRASTE: Wie ist das bei euch mit dem Eigentum geregelt? So weit ich
weiß, bist du offiziell der Firmeninhaber. zählt dann nicht
(zumindest informell) deine Meinung mehr als die anderer
KollektivistInnen? Ist es ein Thema bei euch, die Eigentumsstruktur zu
ändern und die Kollektivität, die ihr faktisch lebt, auch formal
umzusetzen?

Uwe Lübbermann: Auch dazu nur meine Sichtweise mit der Anregung, die
Mailingliste zu fragen. die Meinung von mir hat häufig Gewicht wegen
der o.g. Zusammenhänge, ein gewisser Respekt vor den Jahren der
Aufbau-Arbeit ist auch zu spüren, aber glücklicherweise gilt nicht 1:1
was ich sage oder möchte (auch wenn mich das manchmal kolossal nervt
wenn die Dinge dann nicht vorangehen). Rein formal gehört die Marke
mir, aber wir haben da schon eine Reihe sehr eigenständiger Köpfe
dabei, die sich nicht um Formalitäten scheren. Wir haben auch keine
schriftlichen Verträge, also könnte jede/r jederzeit aussteigen. Ohne
die Stakeholder und das Kollektiv gäbe es Premium gar nicht, insofern
sind beide Seiten gleich mächtig / meine formale Macht ist eher
theoretischer Natur, und ich habe sie auch noch nie genutzt. Es gab im
Gegenteil von mir über Jahre immer wieder die Anregung, im Interesse
der Risikobegrenzung eine kollektivere Rechtsform zu finden, was auch
gar nicht so einfach ist. mittlerweile kann ich mit der Form
allerdings gut leben und wäre z.B. auch nicht bereit, mit Personen,
die fast nur reden, in eine Rechtsform zu gehen, die durch aktive
Arbeit getragen werden muss.

CONTRASTE: Wie viele KollektivistInnen sind im Kern des Unternehmens,
das heißt in der Gesamtkoordination, tätig? Gibt es irgendwelche
Informationen, die nicht kollektivöffentlich sind und über die nur
diese ManagerInnen verfügen?

Uwe Lübbermann: Die Gesamtkoordination liegt (leider) fast
ausschließlich bei mir. Ich werde durch einen Buchhalter und eine
Orga-Hilfe unterstützt, weiterhin gibt es einen sehr aktiven
Schweizer, der sich dort überwiegend um die Händlerstruktur kümmert.
Dann gibt es noch mehr oder wenige aktive SprecherInnen in den
einzelnen Städten, die teilweise die lokale Orga im Blick haben. Auf
dem letzten Jahrestreffen war auch ein Thema, dass meine zentrale
Rolle durch mindestens eine weitere Person ergänzt werden soll, denn
abgesehen davon, dass mir manchmal der Kopf platzt, ist es einfach
auch riskant, wenn eine Struktur so sehr an einer einzelnen Person
hängt. Es gibt Backup-Mechanismen wie einen zweiten Banklogin, zweite
Server-Admins und so weiter, sogar ein Testament, das ist aber alles
keine Lösung für den laufenden Betrieb. Ich habe immer wieder
versucht, Verantwortung abzugeben, meistens kamen die Jobs aber wie
Bumerangs zu mir zurück. da gibt es im Kollektiv auf jeden Fall das
WG-Phänomen: alle sind total dafür, dass die Küche besser geputzt
wird von allen Beteiligten, und dann nimmt doch keiner den Lappen in
die Hand...

Zurück zur Frage, in dieser zentralen Rolle landen natürlich eine
Menge Information bei mir und den Unterstützern, von denen erstmal
keine geheim ist. Im Gegenteil, ich muss sie sogar möglichst
weitgehend öffnen, um Vorschläge und Entscheidungen gut zu begründen.
Ausnahmen gibt es nur bei Infos die mir »unter 3« gegeben werden, also
mit der Ansage sie nicht weiterzugeben. Das kann verschiedenes sein,
z.B. der Verdacht, dass ein Händler hintenrum einen anderen
austrickst, oder auch private Probleme, die sich so auf eine Person
auswirken, dass sie ihren Job nicht machen kann. So etwas behalte ich
dann für mich, und bei einigen Themen bitte ich auch darum, gar nicht
erst informiert zu werden, um nicht zwischen zwei Personen zu stehen.

CONTRASTE: Wie bringt ihr Gelder für Investitionen zusammen? Ich habe
mal gelesen, du hättest privat 10.000 Euro eingebracht?

Uwe Lübbermann: Das stimmt und betrifft die ersten Aufbau-Jahre, da
habe ich nach und nach Geld reingesteckt so wie es eben gerade
vorhanden war. Einmal musste ich meinen Drucker verkaufen um Etiketten
drucken lassen zu können. Mittlerweile sind wir zwar auch nicht
wirklich reich, es gibt aber einen Cent pro Flasche für Rücklagen, aus
denen wir z.B. neue Kisten vorfinanzieren können.

CONTRASTE: Ihr habt den Anspruch, im Sinne eines korrekten
Wirtschaftens Einfluss auf alle Glieder der Wertschöpfungskette zu
nehmen. Kannst du kurz benennen, was ihr unter »korrektem Wirtschaften«
versteht und ein paar Beispiele nennen, wo es euch gelungen ist, in
anderen Unternehmen etwas zu verändern?

Uwe Lübbermann: Korrektes Wirtschaften bedeutet für uns unter anderem,
fair und ehrlich zu verhandeln, transparent und ohne Gewinn in der
Kalkulation zu rechnen, schnell zu bezahlen, darauf zu achten, dass
auch bei Zulieferern und Produzenten niemand ausgebeutet wird und so
weiter. Hier kann das Kollektiv wirklich punkten, denn durch die
diversen Leute an den Stakeholder-Schnittstellen kriegen wir viele
Sachen mit. Außerdem haben wir sogar einen Aufruf auf der Homepage,
der sagt, dass wir über Probleme informiert werden wollen, um die dann
zu verfolgen. großspurig ausgedrückt geben wir so z.B. kleinen
Leergutsortierern bei Großhändlern vier Kettenglieder hinter uns eine
stärkere Stimme über die »Industrie« in ausnahmsweise nicht
gewinnorientierter Form.

Speziell zu dem Thema gab es zwei Fälle, bei denen wir einem
Großhändler mit dem Rauswurf gedroht haben, wenn er die unhaltbaren
1,70 Euro Stundenlohn für Flaschensortierer nicht abstellt. Wir haben
dann zwar den Rauswurf bzw. den Aufbau einer Alternative auch mangels
kollektiver Beteiligung versemmelt, er hat aber später trotzdem die
Löhne auf 7,60 Euro angehoben. Diese Grundhaltung führt an sich
(hoffentlich) schon zu einem gewissen Druck, sich im Netzwerk
ordentlich zu benehmen, darüber hinaus gibt es auch einige Köpfe, in
denen was passiert ist. Ein paar Kollektivisten haben ihre eigenen
Läden nach Premium-Gesichtspunkten umgepolt, ein paar andere
Getränkemarken schneiden sich einzelne Scheiben bzw. Module aus
unserem Betriebssystem heraus, ein Zahnbürsten- und ein
T-Shirt-Hersteller wollen größere Teile übernehmen, und kürzlich
durften wir sogar 14 europäischen Social Banks erzählen was aus
unserer Sicht da anders laufen sollte...

Ich nenne das immer den virtuellen Einfluss, der erfreulicherweise
besteht, aber mit etwas mehr realem Einfluss als nur 0,5 Promille
Marktanteil auch deutlich größer sein könnte. Mir macht dieser Teil
auf jeden Fall am meisten Spaß.

CONTRASTE: Euer Konzept erinnert mich an das »Gründen mit Modulen«,
wie es Günter Faltin, der Erfinder der Teekampagne, propagiert. Was
unterscheidet euer »Open Franchise« davon?

Uwe Lübbermann: Es ist ein paar Monate her, dass ich das Buch gelesen
habe, ein paar Teile kamen mir da durchaus bekannt vor. Der Ansatz ist
aber m.e. ein bisschen zu einfach, wenn behauptet wird, dass sich
Unternehmen immer auf Basis von bestehenden Dienstleistern gründen
lassen. das stimmt zwar punktuell, aber irgendjemand muss ja auch die
Dienstleistungen erbringen. Es kann also nicht nur rein virtuelle
Unternehmen geben. Was mir (bei allem Respekt) an dem Ansatz von
Günter Faltin fehlt, ist die Verantwortung für die eigenen
Dienstleister bzw. die Bedingungen dort. die werden einfach
ausgeklammert. Da wird evtl. der andere Ansatz von uns sichtbar; es
geht gar nicht mehr so sehr um das Produkt, Tee oder Cola, unser
Produkt ist die Organisationsleistung im Interesse aller Stakeholder,
das ist also fest im System integriert und aus unserer Sicht auch
unbedingt nötig. »Open Franchise« heißt dann nur, dass wir das System
kostenlos veröffentlichen, weil es zu gut ist um es für uns zu
behalten, und weil wir uns andere Unternehmen wünschen, die ähnlich
Stakeholder-Konsens-orientiert arbeiten. Natürlich wollen wir dann
aber auch genannt werden, um Premium an sich bekannter zu machen,
deshalb eben Open Franchise.

CONTRASTE: Seid ihr mit der Alternativ-/Solidarökonomischen Szene
vernetzt, oder bewegt ihr euch eher in eurer eigenen Welt?

Uwe Lübbermann: Was ist denn genau die Alternativ-/Solidarökonomische
Szene? Es gibt ein paar Berührungspunkte, Gastvorträge bei Kongressen
zur Solidarischen Ökonomie, Kontakte zu einzelnen aktiven Leuten, die
an anderer Stelle versuchen, was Gutes zu machen, sowas. Ich
persönlich habe den Eindruck, dass es einigen Personen in diesen
Zusammenhängen mehr um den Austausch als um konkrete Aktivitäten geht,
was ja auch gut ist, aber eben mal zwei volle Tage Wochenend-Freizeit
kosten kann, die ich nicht frei habe. Weiterhin ist unser Ansatz,
bewusst in problematische Märkte zu gehen, wie z.B. Cola und Bier, um
dort was zu verändern. Stichwort Systemwandel statt Systemwechsel.
Bei vielen Aktiven aus linken Zusammenhängen steht aber eher ein
Systemwechsel im Vordergrund, den ich uns Zwergen nicht zutraue. Einen
Systemwandel voranzutreiben, ist auch auf jeden Fall deutlich mehr
Arbeit als »nur« einen Systemwechsel zu fordern, aber ich schweife
ab...

Man kann schon sagen, dass wir mit der Szene wenig vernetzt sind, aber
das liegt nicht daran, dass wir das nicht wollten, sondern eher daran,
dass manchmal einfach nicht die Zeit ist, sich auch noch darum zu
kümmern. Wer weiß, evtl. ändert ja dieses Interview etwas. Denn immer
wenn wir mit Leuten aus solchen Ecken reden, sind die eigentlich
begeistert, also sollten wir das evtl. doch aktiver machen, nur wann
ist eben die Frage...

CONTRASTE: Habt Ihr bisher grundlegende Änderungen an eurem
Unternehmenskonzept durchgeführt, und wenn ja: welche und warum?

Uwe Lübbermann: Das Konzept bzw. Betriebssystem ist eigentlich in
laufender Entwicklung, der aktuelle Stand ist das Ergebnis von mehr
als neun Jahren Kopfarbeit und realer Erprobung. Änderungen bzw.
Entwicklungen gibt es daher immer wieder. Zuletzt haben wir zwei neue
Module eingeführt, die erstmals leichte Konsequenzen wie den
temporären Verlust des Vetorechts für Personen definieren, die Jobs
zusagen und sie dann doch nicht machen (siehe Bereich »Schutz«, ganz
unten). Die Folge war aber leider nicht, dass Zusagen öfter
eingehalten würden, sondern dass weniger Zusagen gegeben werden...
Boing. Also müssen wir uns was anderes einfallen lassen. Das
Grundkonzept bzw. die Idee ist allerdings unverändert und wurde beim
letzten Jahrestreffen in folgenden Satz gegossen: »Premium will die
Welt verbessern, indem wir ein menschliches und nachhaltiges
Wirtschaftssystem funktionierend und tragfähig vorleben und
verbreiten.« Da steht erstmals das Wort »verbreiten« drin, aber wie
das geschehen soll, ist aktuell wieder Thema von unendlichen
Diskussionen... Auch dazu müssen wir evtl. andere Modi finden.

CONTRASTE: Gibt es aktuell ungelöste Probleme in eurem Betriebssystem?

Uwe Lübbermann: Insgesamt funktioniert das System, aber es gibt
natürlich auch Probleme. Schonungslos aus dem Bericht vom Treffen:
»Premium ist teilweise instabil, abhängig von einzelnen, laberig,
teilweise unzuverlässig, teils inkonsequent, teils unorganisiert und
nur wenig verbreitet. Wir haben mangelnde Liquidität und teilweise
lange Entscheidungszeiten, lähmen uns also an vielen Stellen selbst.«
Typische WG-Probleme eben. Wir haben dazu eine Reihe Lösungsansätze
erarbeitet, im Moment geht es darum diese dann auch umzusetzen...

CONTRASTE: Was ratet ihr anderen, die ein Unternehmen nach dem Modell
eures »Open Franchise« aufbauen möchten? Welche konkrete Unterstützung
bietet ihr ihnen an?

Uwe Lübbermann: Es gibt dazu auch ein Modul im Bereich »Transfer«, das
je nach Übereinstimmung mit unseren Ideen weitreichende Hilfe wie z.B.
inhaltliche Begleitung, Anpassung des Systems, Vermitteln von
Kontakten und Erfahrungen, ggf. sogar Kooperationen im laufenden
Betrieb oder sogar Finanz-Starthilfe umfasst. Diese Unterstützung
findet natürlich da ihre Grenzen, wo wir uns thematisch auch nicht
auskennen, andererseits gibt es schon besagte Zahnbürsten- und
Shirt-Hersteller, die mit den Ansätzen was machen, auch die Social
Banks sind drauf abgefahren... Da wäre also der Einzelfall
anzugucken.

CONTRASTE: Ihr feiert in diesem Jahr euer 10-jähriges Bestehen.
worauf seid ihr besonders stolz?

Uwe Lübbermann: Neben den offensichtlichen Problemen gibt es natürlich
auch eine ganze Reihe positiver Seiten, die man so von innen manchmal
gar nicht mehr sieht: Die sehr geringe Fluktuation wäre so etwas; die
meisten Leute bleiben sehr, sehr lange bei Premium, und selbst wenn
sie zwischendurch mal aussteigen wegen anderer Lebensphasen oder
Stress mit der Freundin oder sonst was, kommen sehr viele doch
irgendwann wieder. Beeindruckend ist auch die sehr geringe
Ausfallquote bei Forderungen; es gab in all den Jahren nur zwei
Totalausfälle, und da war bei einem sogar noch höhere Gewalt
dahinter... Die regelmäßige Medien-Berichterstattung, die Einladungen
zu Vorträgen wie zum Beispiel bei Bionade sind auf jeden Fall auch
Zeichen dafür, dass wir hier schon was Großes geschafft haben, trotz
der genannten Probleme. Mensch stelle sich vor, wo Premium ohne diese
wäre bzw. sein könnte.

CONTRASTE: Und was findet ihr selbst besonders gelungen an eurem
Betriebskonzept?

Uwe Lübbermann: Mein Lieblinsmodul ist der Anti-Mengenrabatt: große
Händler verdienen eh schon mehr durch sinkende Transportkosten pro
Einheit, brauchen also keinen zusätzlichen Mengenrabatt. Den brauchen
die kleinen Händler und bekommen ihn auf Wunsch bei uns, wenn die
Transportkosten für kleine Mengen eben zu hoch sind. So werden nicht
nur kleine Händler gefördert, es wird auch der Einstieg erleichtert,
und kleine Städte, die sonst gar nicht beliefert werden könnten,
lassen sich auch erschließen. Man sieht also, dass aus dem eigentlich
sozialen Wunsch nach mehr Gerechtigkeit für kleine Händler auch
konkrete Vorteile in der Praxis werden können. Die ist ja letztlich
auch der finale Prüfstand. nur wenn das System in der Realität
funktioniert, wird es für Nachahmer interessant. Nach über neun Jahren
Premium dürfte der Beweis erbracht sein. Für mich zählt auch die
Freiheit, arbeiten zu können wann, wo, mit wem und wie ich will, das
ist auf jeden Fall ein richtiger Luxus und der vierte Lohn; neben dem
Flaschen-Anteil an sich, der Stabilität des Systems und dem Gefühl,
für eine sinnvolle Sache zu arbeiten.

Info: http://www.premium-cola.de/


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