[ox-de-raw] dezentrale arbeitswerttheorie
- From: Wolf Goehring <wolf.goehring online.de>
- Date: Wed, 19 Dec 2007 00:31:45 +0100
[1 <text/plain; iso-8859-1 (quoted-printable)>]
Hallo Hans-Gert,
ich hab lange mit einer antwort gezoegert, da ich
versuchte, deinem text irgendwie etwas abgewinnen
zu koennen. Das ist mir misslungen. Ich aeussere
mich polemisch.
Ich fang mit einer "technischen" sache an.
Mit nebenlaeufigkeit hat dein text nichts, rein
gar nichts zu tun, auch wenn du es einleitend
behauptest. Ein bipartiter graph ist lediglich
das strukturelle geruest, in dem etwas
nebenlaeufig ablaufen kann. (Meine email, wonach
wir den gleichen begriff von nebenlaeufigkeit
haetten, war vorschnell. Ich hab nicht geahnt,
dass du bei dem bipartiten graph auf halbem wege
stehen bleibst und mit dem begriff der
nebenlaeufigkeit nur kokettierst, statt dich auf
den informatischen fachbegriff zu beziehen.) Wenn
dann die diversen stellen in deinem graph
synchron schalten ("dass zu gewissen Taktzeiten t
= 0, 1, . . . ge- und verkauft wird"), so ist das
blanker hohn auf Petri und auf nebenlaeufigkeit.
Einer von Petris ausgangspunkten war Einsteins
kritik an der gleichzeitigkeit, ausgeloest durch
die konstante lichtgeschwindigkeit. Somit ist in
jedem system die signal- und auch die
transportgeschwindigkeit endlich mit der
konsequenz, dass gleichzeitigkeit nicht
herstellbar ist (aber sehr wohl ein "nachkegel"
besteht, dessen ereignisse durch diejenigen in
einem "vorkegel" beeinflussbar sind.)
Ich glaube kaum, dass du dein eigenes kaufen und
verkaufen zu gewissen taktzeiten t = 0, 1, . . .
erledigst. Das zeigt, wie realitaetsfern dein
modell und die errechnete loesung sind.
Vor wenigen jahren hab ich solche zu gewissen
taktzeiten kollektiv und synchron schaltende
systeme in einem gespraech mit Petri als
"faschistischen gleichschritt" bezeichnet, worauf
er mir zustimmte. (Er erzaehlte mir noch ein
scharfes beispiel aus seiner flakhelferzeit.)
Wobei ich jetzt beim politisch-ideologischen bin, zb. bei deiner 6. these:
"Im Gegensatz zu Marx, insb. (MEW 23, S. 207/208)
gehe ich davon aus, dass auch unternehmerische
Taetigkeit Quelle von Wert ist. Es stellt sich
heraus, dass in einer solchen Rechnung der
Wertanteil, welchen unternehmerische Taetigkeit
eintraegt, gerade das ist, was Marx als Mehrwert
bezeichnet."
Und bei deiner 7. these:
"Andererseits gehe ich mit [11] davon aus, dass
Lohnarbeit keine Ware ist, sondern ein
Verdingungsverhaeltnis, und somit die
Grundannahme in (MEW 23, S. 200) nicht zu halten
ist. ... ein Verhaeltnis innerhalb der
menschlichen Gattung ..."
Nun wieder mein kommentar:
"was Marx als Mehrwert bezeichnet": Andere vor
Marx haben diesen begriff, was mehr ist als eine
blosse bezeichnung, auch schon verwendet. Als
"bezeichner" wird er beliebig - wie in deinem
text.
Mehdorn wird deiner 6. these sofort zustimmen,
indem er lange den lokfuehrern einen eigenen
tarifvertrag und lohnsteigerungen um bis zu 31 %
verweigert hat, sich selbst aber in den
vergangenen jahren durchaus solche steigerungen
hat genehmigen lassen, bei einem etwa 100-fach
hoeheren niveau. Hiernach handeln die lokfuehrer
streikend verantwortungslos, da sie nur auf ihr
beduernis bedacht sind und diesem zu liebe alles
stehn und liegen lassen. Mehdorn hingegen haelt
mit einem notfahrplan voll dagegen, damit die
bahn trotz eines streiks fremder beduerfnisse
gemaess rollen kann. Eigentlich muesste Mehdorn
mehr als das tausendfache eines lokfuehrers
verdienen. Schliesslich laesst ein lokfuehrer nur
eine lok fahren, Mehdorn jedoch tausende. Die
macht der agentien, ueber die Mehdorn gebietet,
ist sichtbar groesser, etwa so: "ein hirn fuer
tausend haende" (Goethe: Faust II)!
Die erklaerung einiger konzernbetriebsraete aus
diesen tagen, wonach ihre chefs die hohen
managergehaelter wegen ihrer "erfolge" durchaus
verdienten, liegt ebenso auf dieser linie.
Das ist nur eine "harmlose" folge deiner
darstellungen. Ansonsten liegt deine 6. these
ganz im ursprung des begriffs "faschismus": fasce
(ital.) buendnis zwischen unternehmern und
arbeitnehmern, wie es von Mussolini verstanden
und brachial durchgesetzt wurde. (Damit
unterstelle ich dir beileibe nicht, faschismus zu
wollen, ganz im gegenteil!) Fasce bezeichnete in
Italien zunaechst verbaende, buende innerhalb
einer klasse. Mussolini machte daraus bewusst und
auf verwirrung setzend das klassenuebergreifende
"buendnis".
Ich scheue mich nicht, in faschistischer
literatur zu lesen. Das schaerft den sinn fuer
"ideologisches glatteis". Ich zitiere mal, damit
die naehe deiner 6. these zum faschismus (oder
zumindest zu weit rechtskonservativer ideologie)
sichtbar wird:
"I. ....Die 3 grundgedanken des gesetzes sind:
1. Die bestimmung der gemeinschaft aller im
betrieb arbeitenden ohne ruecksicht auf ihre
stellung, d.h. der betriebsgemeinschaft als die
grundlage aller arbeitsrechtlichen gestaltung und
damit die betonung der schicksalsmaessigen
verbundenheit von unternehmern und arbeitern, die
alle nur diener an einem werke sind. Fuer den
gedanken eines klassengegensatzes ist in der
neuen arbeitsverfassung kein raum. .2 ..., 3. ...
II. Die betriebsgemeinschaft. 1. Ausgangspunkt
aller arbeitsrechtlichen gestaltung ist die
betriebsgemeinschaft, d.h. die gemeinschaft aller
im betriebe taetigen. ... 2. Diese
betriebsgemeinschaft, die unternehmer und
arbeiter wie angestellte umfasst, ist die
grundlage unserer sozialordnung schlechthin. ...
Innerhalb dieser gemeinschaft gibt es nur
glieder, zwischen denen wohl spannungszustaende,
aber nicht die grundsaetzlichen und allein
bestimmenden gegensaetzlichkeiten in der
frueheren auffassung des klassenkampfgedankens
bestehen koennen." ((Hueck, Nipperdey, Dietz:
Gesetz zur ordnung der nationalen arbeit (AOG),
kommentar. Berlin 1939. s. 21.)
"§2 ...so hat ... der ...wandel unseres
arbeitsverfassungsrechtes auch das
einzelarbeitsverhaeltnis in seinem wesen von
grund auf geaendert und gewandelt. Fuer die
auffassung des arbeitsverhaeltnisses als eines
schuldrechtlichen vertrages ist schlechterdings
kein raum mehr. ...Das einzelarbeitsverhaeltnis
ist ein personenrechtliches verhaeltnis
schlechthin, eine gemeinschaft zwischen dem
unternehmer und dem einzelnen beschaeftigten."
(aaO, s.48) ("schuldrechtlicher vertrag" bedeutet
den verkauf der arbeitskraft als ware. W.G.)
"Aber der grundsaetzliche fehler dieser zeit
(Weimarer republik, W. G.) lag darin, dass die
verbaende nicht von dem geist gemeinschaftlicher
zusammenarbeit der unternehmer, arbeiter und
angestellten erfuellt waren - der gedanke der
arbeitsgemeinschaft von 1918 wurde leider allzu
rasch fallen gelassen - dass sie ihre aufgabe
nicht vor allem darin sahen, einen gerechten
ausgleich zu finden, um dann alle kraefte zum
gemeinsamen besten zusammenzufassen, sondern dass
sie sich immer wieder als gegner
gegenueberstanden, dass der gedanke des
arbeitskampfes, mindestens als letzter
moeglichkeit, eine entscheidende rolle spielte
und dass die klassenkampfidee das arbeitsleben
weithin beherrschte. ... Die nationale revolution
hat wiederum eine ganz entscheidende wendung in
der gestaltung des arbeitsrechts gebracht. ...
Das entscheidende ziel, zu dem alle massnahmen
hinfuehren sollen, ist die ueberwindung des
klassenkampfgedankens durch echten
gemeinschaftsgeist (hervorhebung im orig., W.
G.). ... Ziel ist also die echte gemeinschaft von
unternehmern, arbeitern und angestellten. Sie ist
aber auf die dauer nur moeglich auf der grundlage
eines gerechten interessenausgleichs." (Alfred
Hueck: Deutsches arbeitsrecht : ein grundriss.
Berlin 1938, s. 30-32)
Zu deiner 7. these:
"Die aeltere auffasssung, wie sie namentlich in
der vorkriegszeit (vor 1914, W. G.) massgebend
war und insbesondere auch dem BGB zugrundeliegt,
erblickte im arbeitsvertrag einen
schuldrechtlichen austauschvertrag. Der
arbeitnehmer verpflichtete sich zur leistung von
diensten, der arbeitgeber versprach dafuer eine
verguetung. Das arbeitsverhaeltnis als
rechtsverhaeltnis war das aus diesem vertrag
entspringende schuldverhaeltnis. ... Darin ist
heute ein grundsaetzlicher wandel eingetreten. Im
mittelpunkt des arbeitsverhaeltnisses steht heute
der gemeinschaftsgedanke (hervorhebuung im orig.
W. G.). In der ueberwiegenden mehrzahl der faelle
wird die arbeit im betrieb geleistet. Der
arbeiter oder angestellte tritt deshalb in die
betriebsgemeinschaft ein. Das
einzelarbeitsverhaeltnis verwirklicht sich im
rahmen der betriebsgemeinschaft und erhaelt durch
die im AOG fuer die betriebsgemeinschaft
aufgestellten grundsaetze ueber die beiderseitige
treuepflicht und die soziale ehre sein gepraege.
Damit ist auch das einzelarbeitsverhaeltnis als
gemeinschaftsverhaeltnis charakterisiert, es ist
persoenliche gemeinschaft zwischen dem einzelnen
gefolgsschaftsmitglied und dem unternehmer, die
eingegliedert ist in die groessere gemeinschaft
des ganzen betriebes." (aaO, s. 65, 66)
"Ein letzter faktor fuer die bestimmung der
arbeitsbedingungen ist das direktionsrecht des
unternehmers. Wie frueher betont, ist fuer das
arbeitsrechtliche arbeitsverhaeltnis die
gehorsamspflicht des beschaeftigten
charakteristisch." (aaO, s. 81)
Notabene: Stalin aeusserte in "Oekonomische
probleme im sozialismus der UdSSR" 1952, dass in
der UdSSR die arbeitskraft keine ware mehr sei.
Die autoren, die ich hier zitierte, haben es alle
drei in der BRD zu etwas gebracht. Nipperdey
wurde der 1. praesident des
bundesarbeitsgerichts. Seine restriktive
handhabung des streikrechts bestimmt noch heute
die wirklichkeit in der BRD, zuletzt an den
juristischen verrenkungen beim lokfuehrerstreik
sichtbar! Hueck war prof fuer arbeitsrecht und
gab weiterhin sein altes opus, leicht
entnazifiziert, zum arbeitsrecht heraus und
lehrte arbeitsrecht und "versaute" viele junge
studenten, die dann spaeter als arbeitgeber zu
reuessieren trachteten. (Ich hatte mal so einen,
der ins schwaermen geriet, als ich in einer
besprechung aus dem angegeben werk sarkastisch
zitierte.) Dietz kommentierte das
betriebsverfassungsgesetz - restriktiv
selbstredend.
Das suessliche geschwafel, das die drei in
faschistischer zeit von sich gaben, diente auch
dazu, die schreie der gequaelten zu uebertoenen.
Erschreckend fuer mich ansonsten, was du aus
Marxschen schriften machst, wenn du zb.
behauptest: "in welchem Wert, Wertform,
Wertausdruck und Wertgroeße weitgehend synonym"
charakterisiert werden. Oder deine schlampige
formulierung "dass lohnarbeit keine ware ist", in
der du unterstellst, Marx haette die lohnarbeit
als ware bezeichnet. Es handelte sich um die
arbeitskraft, was begrifflich ein unterschied.
(Anfangs hat Marx dies begrifflich noch nicht so
klar herausgearbeitet.) Es gibt weitere solche
stellen, wo du viertel-saetze zitierst, mit
eigenen worten zu einem Marx sinnentstellenden
satz vervollstaendigst, den so geschaffenen
unsinn als original-Marx unterstellst und Marx
sodann pruegelst. Die methode hatte ich schon
kritisiert, als ich mich mit dir ueber den
aehnlichen stil von Ruben stritt. Ich distanziere
mich nachdruecklich von solchem stil, den z.b.
auch Lenin in seiner polemik gegenueber Mach im
empiriokritizismus praktizierte (vgl. meinen
entsprechenden aufsatz).
Dein grundmodell ist in meiner sicht eine mixtur
aus idealisierter mittelalterlicher zunftstruktur
und Adam Smith. An einigen stellen ist der bezug
auf Smith unmittelbar zu sehen, z.b. die ersten
beiden saetze auf s.4 unter der ueberschrift "Das
Netz der Beziehungen zwischen den Produzenten".
Du transportierst dabei Smith'sche fehlurteile.
Was das idealisierte mittelalter anbetrifft, so
hatte es der deutsche faschismus auch damit zu
tun. Die SS gab ca. 1940 eine wissenschaftliche
untersuchung ueber "das deutsche handwerk im
spiegel der reichsgesetzgebung" in auftrag.
Nachdem das ideale, klassenharmonische bild, wie
es z.b. im AOG gezeichnet wurde, fuer das spaete
mittelalter nicht herauskam, sondern
klassenkampf, blieb das ergebnis bis ca. 1947
ungedruckt (vorwort in H. Proesler: Das deutsche
...)
Die ideologische sosse, die du in dem text
verbreitest, ist fuer das mathematische modell
unerheblich, macht es aber unleserlich. Darum
sind dessen aspekte, die moeglicherweise einen
gedanklichen fortschritt bringen, kaum
herauszufinden.
Viele gruesse
wolf
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Wolf Goehring e-mail: wolf.goehring online.de
(ehedem Fraunhofer AiS, GMD AiS)
Hoholzstrasse 77 phone : [PHONE NUMBER REMOVED](0228)430803
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http://www.wolf-goehring.de
Buchempfehlung fuer starke Nerven:
Murat Kurnaz: Fuenf Jahre meines Lebens.
Ein Bericht aus Guantanamo
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