[ox-de-raw] Re: [ox-de] dezentrale arbeitswerttheorie
- From: Hans-Gert Gräbe <hgg hg-graebe.de>
- Date: Wed, 26 Dec 2007 21:05:40 +0100
Hallo Wolf,
ich weiß nicht so recht, was ich mit deinem "Verriss" anfangen soll, da
wir offensichtlich über reichlich verschiedene Dinge reden. Natürlich
muss ich mir vorhalten lassen, dass ich dann meinen Ansatz (und es ist
mit Blick auf die Komplexität der Thematik in der Tat nicht mehr als ein
Ansatz und kann auch gar nicht mehr sein - dazu fehlt mir einfach die
Zeit) nicht deutlich genug habe herausarbeiten können. Diese Kritik
nehme ich mir zu Herzen und versuche, das Manuskript weiter zu
verbessern. Nicht zuletzt die Ergebnisse einer längeren Diskussion mit
Peter Fleissner im November harren der Aufarbeitung.
Wolf Goehring schrieb:
ich hab lange mit einer antwort gezoegert, da ich versuchte, deinem
text irgendwie etwas abgewinnen zu koennen. Das ist mir misslungen.
Ich aeussere mich polemisch.
Ich fang mit einer "technischen" sache an.
Mit nebenlaeufigkeit hat dein text nichts, rein gar nichts zu tun,
auch wenn du es einleitend behauptest. Ein bipartiter graph ist
lediglich das strukturelle geruest, in dem etwas nebenlaeufig
ablaufen kann.
Dort bleibe ich auch nicht stehen, sondern arbeite weiter mit "Marken",
mit deren Weitergabe klassischerweise Zustandsübergänge modelliert
werden. Da stets eine größere Anzahl von Marken im Spiel ist und diesen
eine je lokale Wertsubstanzrechnung (mit eigenem, lokalem Speicher und
eigener "Rechenkapazität") zugeordnet ist, verstehe ich deinen Einwand
nicht. Was ist Nebenläufigkeit, wenn nicht so was?
Wenn dann die diversen stellen in deinem graph synchron schalten
("dass zu gewissen Taktzeiten t = 0, 1, . . . ge- und verkauft
wird"), so ist das blanker hohn auf Petri und auf nebenlaeufigkeit.
Den Unterschied zwischen einem Modell und der Realität muss ich dir
nicht erläutern. Dass das Modell in einer allerersten Näherung mit
diskreter Zeit operiert, ist der Vereinfachung geschuldet. Ohne das im
Detail zu kennen, nehme ich mal an, dass auch in der Theorie der
Petri-Netze numerische Simulationen nicht ohne Zeitdiskretisierungen
auskommen. Im Übrigen findest du genau solche Überlegungen in der
Input-Output-Analyse zuhauf.
Einer von Petris ausgangspunkten war Einsteins kritik an der
gleichzeitigkeit, ausgeloest durch die konstante
lichtgeschwindigkeit. Somit ist in jedem system die signal- und auch
die transportgeschwindigkeit endlich mit der konsequenz, dass
gleichzeitigkeit nicht herstellbar ist (aber sehr wohl ein
"nachkegel" besteht, dessen ereignisse durch diejenigen in einem
"vorkegel" beeinflussbar sind.)
Dazu musst du nicht Einstein bemühen. Welche Probleme die
Synchronisation von Rechneruhren mit sich bringt, ist in
Informatikerkreisen hinlänglich bekannt. Allerdings verzichtet man
darauf aus irgendwelchen Gründen nicht. Insofern kann ich diese deine
"Polemik" nicht nachvollziehen. Vor allem nicht, was sie mit meinem
Thema zu tun hat.
Vor wenigen jahren hab ich solche zu gewissen taktzeiten kollektiv
und synchron schaltende systeme in einem gespraech mit Petri als
"faschistischen gleichschritt" bezeichnet, worauf er mir zustimmte.
Ich denke, mit diesem und den folgenden Vergleichen mit faschistischer
Theorie wird die Ebene der Polemik mehr als verlassen und auf eine Ebene
gewechselt, auf der unbequeme Gedanken mit der Fascho-Keule geprügelt
werden. Zumal ich in keiner dieser deiner "Thesen" meinen Ansatz
wiederfinde. Da ich im Zuge der Hoevels-Affäre damit genug Erfahrung
"sammeln" durfte, überspringe ich diesen Teil im folgenden einfach.
"Im Gegensatz zu Marx, insb. (MEW 23, S. 207/208) gehe ich davon aus,
dass auch unternehmerische Taetigkeit Quelle von Wert ist. Es stellt
sich heraus, dass in einer solchen Rechnung der Wertanteil, welchen
unternehmerische Taetigkeit eintraegt, gerade das ist, was Marx als
Mehrwert bezeichnet."
Und bei deiner 7. these:
"Andererseits gehe ich mit [11] davon aus, dass Lohnarbeit keine Ware
ist, sondern ein Verdingungsverhaeltnis, und somit die Grundannahme
in (MEW 23, S. 200) nicht zu halten ist. ...
Nun wieder mein kommentar:
"was Marx als Mehrwert bezeichnet": Andere vor Marx haben diesen
begriff, was mehr ist als eine blosse bezeichnung, auch schon
verwendet. Als "bezeichner" wird er beliebig - wie in deinem text.
Der Begriff bezeichnet einen gewissen Summanden (z.B.) in der Formel
p=c+v+m. c=p*A ist klar. v+m ist die Aufteilung des neu geschaffnen
"Werts" in zwei Teile. Der eine landet als Lohn in der Tasche der
Arbeiter, der andere als Gewinn in der Tasche der Unternehmer (mal
verkürzt auf der Ebene von MEW 23 argumentiert). So weit die Fakten und
so weit dürften unsere Meinungen nicht auseinandergehen. Wert in quotes,
weil genau jetzt die Interpretation beginnt; nämlich, was diese sich auf
der Ebene von Realpreisen abspielende Gleichung mit einer Werttheorie zu
schaffen hat, die menschliche "Arbeit" als einzige Quelle von "Wert"
betrachtet. Insofern ist dein polemisches Argument der "Beliebigkeit"
zwar wohlfeil, aber hier fehl am Platze, da der Gegenstand genau
bezeichnet ist. Im Gegenteil, ich habe - denke ich - auch genau benannt,
worin sich an diesen beiden Stellen meine Interpretation von der
Marxschen unterscheidet.
Wobei ich mit Blick auf den späten Marx - etwa die Kritik an Adolf
Wagner in MEW 19, auf die ich in dem Zusammenhang aufmerksam gemacht
wurde - wohl besser von einer traditionsmarxistischen Interpretation
sprechen sollte. Leider kann ich das nicht so gut auseinanderhalten.
Mehdorn wird deiner 6. these sofort zustimmen, indem er lange den
lokfuehrern einen eigenen tarifvertrag und lohnsteigerungen um bis zu
31 % verweigert hat, sich selbst aber in den vergangenen jahren
durchaus solche steigerungen hat genehmigen lassen, bei einem etwa
100-fach hoeheren niveau.
Das hat nichts mit These 6 zu tun, da Mehdorn als *angestellter*
Geschäftsführer in dem Laden genauso ein "Lohnarbeiter" ist wie die
Lokführer auch. Dass er offensichtlich nicht nach einem Zeitmaß entlohnt
wird und warum sein "Lohn" so unverschämte Steigerungsraten hat - die
"Managergewerkschaft" also um so vieles erfolgreicher ist als die der
Lokführer - lässt sich wohl kaum nur ökonomisch erklären. Dass Mehdorns
Gehalt zu v und nicht zu m gehört, muss ich dir sicher nicht erläutern.
Hiernach handeln die lokfuehrer streikend verantwortungslos, da sie
nur auf ihr beduernis bedacht sind und diesem zu liebe alles stehn
und liegen lassen.
Ich verstehe nicht, was du da in meinen Text hineinliest. Bei dem Streik
geht es ganz offensichtlich (in meiner Terminologie) um die
Arbeitswertfaktoren der Lohnarbeiterfraktion der Lokführer. Diese
arbeiten auf ein fremdes Bedürfnis (nach Mobilität), um eigene
Bedürfnisse (z.B. sich und die Familie zu ernähren) zu befriedigen.
Streik funktioniert nur deshalb, weil der Wegfall eines
Produktionsfaktors (hier der verdingungsgemäß geschuldeten Leistung) die
ganze Produktion scheitern und damit den *Unternehmer* mit seinem
Versprechen anderen Unternehmern gegenüber im Regen stehen lässt. Es
geht also beim Bahnstreik nicht um die Lokalisierung der Stellschrauben
(allein dies ist der Gegenstand meines Aufsatzes), sondern um das Drehen
an denselben. Im Übrigen nicht als
buendnis zwischen unternehmern und arbeitnehmern,
sondern im Gegensatz zwischen ihnen. Allerdings auch als Gegensatz
zwischen verschiedenen Lohnarbeiterfraktionen selbst, denn nicht umsonst
sind inzwischen auch die großen Bahngewerkschaften in den Streit
eingestiegen. Und zwar *gegen* die Lokführer.
"§2 ...so hat ... der ...wandel unseres arbeitsverfassungsrechtes
auch das einzelarbeitsverhaeltnis in seinem wesen von grund auf
geaendert und gewandelt. Fuer die auffassung des
arbeitsverhaeltnisses als eines schuldrechtlichen vertrages ist
schlechterdings kein raum mehr.
Hier vertrete ich (Ruben und dem BGB folgend) in meinem Aufsatz explizit
die entgegengesetzte Position, siehe These 7.
"Die aeltere auffasssung, wie sie namentlich in der vorkriegszeit
(vor 1914, W. G.) massgebend war und insbesondere auch dem BGB
zugrundeliegt, erblickte im arbeitsvertrag einen schuldrechtlichen
austauschvertrag. Der arbeitnehmer verpflichtete sich zur leistung
von diensten, der arbeitgeber versprach dafuer eine verguetung. Das
arbeitsverhaeltnis als rechtsverhaeltnis war das aus diesem vertrag
entspringende schuldverhaeltnis. ...
Eben.
Darin ist heute ein grundsaetzlicher wandel eingetreten. Im
mittelpunkt des arbeitsverhaeltnisses steht heute der
gemeinschaftsgedanke (hervorhebuung im orig. W. G.). In der
ueberwiegenden mehrzahl der faelle wird die arbeit im betrieb
geleistet. Der arbeiter oder angestellte tritt deshalb in die
betriebsgemeinschaft ein. Das einzelarbeitsverhaeltnis verwirklicht
sich im rahmen der betriebsgemeinschaft und erhaelt durch die im AOG
fuer die betriebsgemeinschaft aufgestellten grundsaetze ueber die
beiderseitige treuepflicht und die soziale ehre sein gepraege. usw.
Was das mit meinem Text zu tun haben soll, erschließt sich mir nicht.
Notabene: Stalin aeusserte in "Oekonomische probleme im sozialismus
der UdSSR" 1952, dass in der UdSSR die arbeitskraft keine ware mehr
sei.
Au shit, der auch noch. Dann kann man das wirklich nicht mehr in den
Mund nehmen. Hoffentlich hat der Generalissimus nicht auch behauptet,
dass 1+1=2 ist.
Erschreckend fuer mich ansonsten, was du aus Marxschen schriften
machst, wenn du zb. behauptest: "in welchem Wert, Wertform,
Wertausdruck und Wertgroeße weitgehend synonym" charakterisiert
werden.
Ich beziehe mich dabei explizit auf (MEW 23, Kap. 1) und habe in meinem
Text (Version Sept. 2007) weiter ausgeführt, warum ich denke, dass dies
in der Tat so ist. Ich weise etwa auf die folgende Stelle explizit hin:
"Etwa Fußnote 19 auf S. 68, obwohl die Unterscheidung zwischen Wert und
Wertgröße aus systematischen Gründen genauso angezeigt wäre wie die
Unterscheidung zwischen Attribut und Attributwert in der Informatik."
Auch die Unterscheidung zwischen Preisen und Durchschnittspreisen wird
ebenda nicht vorgenommen, sondern offensichtlich mit letzteren
argumentiert. Aber das bedingt schon eine Gesamtheit "typgleicher"
Arbeiten, innerhalb derer gemittelt wird, setzt also implizit das
Vorhandensein solcher Typgleichheit und eine Abstraktionsleistung
bereits voraus. Siehe auch meine Zusammenfassung zum "Kern der These von
der Arbeitskraft als Ware" am Ende von Abschnitt 5.3.
Oder deine schlampige formulierung "dass lohnarbeit keine ware ist",
in der du unterstellst, Marx haette die lohnarbeit als ware
bezeichnet. Es handelte sich um die arbeitskraft, was begrifflich ein
unterschied. (Anfangs hat Marx dies begrifflich noch nicht so klar
herausgearbeitet.)
Das mag in der Tat eine unzulässige rhetorische Verkürzung sein, obwohl
Marx in der "trinitarischen Formel" (MEW 25, S. 830) genau diesen
Begriff verwendet: "... in dem Sinn, daß das Kapital einen Teil des
Werts und daher des Produkts der jährlichen Arbeit in der Form des
Profits, das Grundeigentum einen andern Teil in der Form der Rente und
die Lohnarbeit einen dritten Teil in der Form des Arbeitslohns fixiert
und grade durch diese Verwandlung umsetzt in die Revenuen des
Kapitalisten, des Grundeigentümers und des Arbeiters, ohne aber die
Substanz selbst zu schaffen, die sich in diese verschiednen Kategorien
verwandelt. Die Verteilung setzt vielmehr diese Substanz als vorhanden
voraus, nämlich den Gesamtwert des jährlichen Produkts, der nichts ist
als vergegenständlichte gesellschaftliche Arbeit." Allerdings (meine
These 3) verwende ich den hier zentralen Begriff der Wertsubstanz "aus
prinzipiellen epistemologischen Erwägungen" nicht.
"Lohnarbeit" ist in These 7 selbstverständlich als Kurzform für "in
einem Lohnarbeitsverhältnis verausgabte Arbeitskraft" zu verstehen - wie
sonst. Ich begründe in meinem Aufsatz die auch von Ruben vertretene
These, warum diese Art Arbeitskraft keine Ware ist, gleichwohl aber *wie
eine Ware* in die Wertsubstanzrechnungen (Plural!) eingeht.
Es gibt weitere solche stellen, wo du viertel-saetze zitierst, mit
eigenen worten zu einem Marx sinnentstellenden satz
vervollstaendigst, den so geschaffenen unsinn als original-Marx
unterstellst und Marx sodann pruegelst. Die methode hatte ich schon
kritisiert, als ich mich mit dir ueber den aehnlichen stil von Ruben
stritt.
Ich will Marx nicht prügeln, sondern die impliziten Annahmen aufdecken,
die seiner Argumentation zugrunde liegen, und diese dann auf den
Prüfstand stellen. Ich denke, dass Ruben von ähnlichen Motiven geleitet
ist, die Respekt vor Marx' Werk *und* Methode, nicht aber einer
Buchstabengelehrtheit verpflichtet sind.
Dein grundmodell ist in meiner sicht eine mixtur aus idealisierter
mittelalterlicher zunftstruktur und Adam Smith. An einigen stellen
ist der bezug auf Smith unmittelbar zu sehen, z.b. die ersten beiden
saetze auf s.4 unter der ueberschrift "Das Netz der Beziehungen
zwischen den Produzenten". Du transportierst dabei Smith'sche
fehlurteile.
Ich kann wenig mit diesen Aufklebern anfangen und nur sagen, dass diese
Art vorsintflutlich-mittelalterlich-Smithianischer Modellierung auch von
der Input-Output-Analyse verwendet wird.
Die ideologische sosse, die du in dem text verbreitest, ist fuer das
mathematische modell unerheblich, macht es aber unleserlich. Darum
sind dessen aspekte, die moeglicherweise einen gedanklichen
fortschritt bringen, kaum herauszufinden.
Na, wenigstens einen ideologiefreien Teil konntest du ausmachen. Fein.
Nein, eigentlich schade.
Trotzdem viele Grüße, hgg
--
Dr. Hans-Gert Graebe, apl. Prof., Inst. Informatik, Univ. Leipzig
Johannisgasse 26, D-04109 Leipzig, Raum 5-18 (Interim)
tel. : [PHONE NUMBER REMOVED]
email: graebe informatik.uni-leipzig.de
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