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Gnu/Linux und der Kapitalismus (was: Re: [ox] begriffe)



Hi Sabine!

Yesterday Sabine Nuss wrote:
Pit Schultz schrieb:
selbstaufloesung des kapitalismus

Ich glaube, das ist wirklich nicht nötig darüber zu reden. Entweder er
tuts, dann is jut (also, hüstel, ich meine, wenn er was nettes übrig
läßt nach der Selbstauflösung). Oder er tuts nicht, dann befinden wir
uns da, wo wir jetzt sind. Streichen wir das Thema, oder mag das jemand?

Ich denke du beschreibst das Dilemma sehr gut: Wenn er sich auflöst
(was m.E. vor allem heißt, daß er immer weniger Menschen schafft
einzubeziehen), dann ist die Frage was kommt danach. Und m.E. ist es
keineswegs ausgemacht, daß danach das Paradies oder auch die Hölle auf
uns wartet - beides ist jedoch möglich und *wir* haben mit in der
Hand, in welche Richtung es geht - deswegen halte ich diese Frage für
sehr wichtig.

Aber selbst wenn er sich nicht auflöst hat der Kapitalismus natürlich
auch eine Binnengeschichte - weswegen wir uns eben nicht notwendig "da
befinden, wo wir jetzt sind". Wenn wir argumentieren können, daß Linux
etwas am Kapitalismus ändert - was noch offen sein mag - dann ist es
auch dort interessant.

historisch-materialistischer ansatz

um eine banale provokante these aufzustellen, der materialismus
marxens haelt mit dem informationszeitalter nicht mit und gehoert
in die mottenkiste der geschichte der industrialisierung.

Nee. Nicht so schnell.

Was ich an dir mag, Sabine, ist deine Neutralität :-) .

Eigentum

denn digitaler code stellt einen historischen bruch dar fuer den ich
jedenfalls keinen konkreten vorlaeufer kenne.

Das schwirrt hier in vielen Mails: Der Gedanke, eine neue Art der
Produktionsweise, hier digital, immateriell oder wie auch immer, könne
zu einer neuen Art von Vergesellschaftung der Produktion führen. Wieso?

Nun, wenn wir uns mal anschauen, wie eine Überwindung des Kapitalismus
nach theoretischen Überlegungen aussehen müßte, dann erfüllt Gnu/Linux
einfach viele dieser welcher.

Z.B. indem es den Gebrauchswert des Gutes an oberste Stelle setzt -
nicht den Tauschwert der Ware.

Z.B. indem es von den ProduzentInnen in freier Absprache freiwillig
erstellt wird.

Z.B. indem es ein Produkt ist, das an der Spitze der kapitalistischen
Produktivkraftentwicklung liegt - mithin also nach Marx'schen
Kategorien am ehesten dafür prädestiniert ist, die Fesseln der
Produktionsverhältnisse zu sprengen (hier mal ohne Erläuterung der
Begriffe).

Z.B. weil es ein Produkt ist, dessen Existenz sich gegen die
herrschende Vergesellschaftungslogik (Vergesellschaftung bezeichnet
die Art und Weise wie die Mitglieder einer Gesellschaft zueinander in
Beziehung treten. Im Kapitalismus ist primär der Markt die
Vermittlungsinstanz.) durchgesetzt hat, ohne daß ein revolutionäres
Bewußtsein dem Handeln vorangegangen wäre. Ich denke, daß das sehr an
die frühen KapitalistInnen erinnert, die auch keinen blassen Dunst
davon hatten, welch gesellschaftsverändernde Kraft ihre
(Patikular-)Interessen haben würden.

Freie Software ist keine Ware, hat Stefan Meretz gesagt. Das ist
richtig. Aber was ist es dann ---- hierzulande? Wenn nicht einfach ein
"öffentliches Gut"? Ganz unaufregend.

Na nenne mir mal ein öffentliches Gut, in dem Arbeitskraft steckt,
dessen Eigentumsverhältnisse aber derart offen - eigentlich vor allem
irrelevant sind. Bei den anderen öffentlichen Gütern wie Straßen und
so - was mir jetzt so einfällt - hast du immer ganz klar eineN
EigentümerIn.

D.h. ein unaufregendes öffentliches Gut ist es m.E. schon mal nicht.

es ist nichts neues dass der Kapitalismus aehnlich eines Hurricans
in seinem Zentrum sein Gegenteil beinhaltet, z.b. neue Produktionsweisen
entwickelt die ihn an seine eigenen Grenzen bringen und die es gilt
aufs neue zu oekonomisieren. Immer wieder werden damit Produktivitaets
schuebe wirksam, findet eine "Verfluessigung" statt, werden ploetzlich
ineffiziente Bereiche stillgelegt. Der Kapitalismus beruht darauf sein
Kritiker in sich aufzunehmen und dadurch noch staerker zu werden.
einfach mal Schroeder/Blair fragen...

Dann meinst Du also, es ist ein Prozeß: Freie Software ist erst was
neues im alten, dann wird es als neue Produktionsweise seine
kapitalistische Verwertung finden (wie auch immer ist jetzt egal) um
dann wieder Teil der alten, kapitalistischen Produktionsweise zu
werden....Insofern also ein Totgesang auf all die romantischen,
verklärten Hoffnungen? Klingt aber sehr plausibel.

Ob das gelingen kann, oder ob Gnu/Linux aus den o.g. genannten Gründen
eben nicht integrierbar sein wird, *das* ist vielleicht die
spannendste Frage überhaupt.

Ich glaube, im neoklassischen Sinne ist GNU/Linux schlicht ein Produkt,
hergestellt aus dem Humankapital "Arbeitskraft" und mit Hilfe dem
Sachkapital "Maschine (Computer) und Gebäude (Haus, Büro)"

Zustimmung (um mal von den Fremdworten wegzukommen ;-) ).

und gehören
tut es der Öffentlichkeit, weil es ist ein öffentliches, für alle frei
zugängliches Gut...

Also keine Ware. Ich würde mal vermuten, daß diese Dinge bei den
Neoklassikern kurzerhand ignoriert bzw. mit einigen Floskeln abgetan
werden - so wie vermutlich Familienarbeit auch.

auf alle Fälle und das ist glaube ich ein wichtiger
Punkt: Die Transaktionskosten sind gleich null. Weil weder
Eigentumsrechte gesichert werden müssen, noch muß quantitativ gemessen
werden, damit es aufgeteilt und abgegrenzt und angeeignet werden kann.
Wenn die Transaktionskosten gleich null sind, dann ist laut Neoklassik
der Idealzustand des freien Marktes erreicht. Irgendwie dreht sich hier
alles im Kreis...

Das ist für mich ein sehr starker Hinweis darauf, daß die ganze Logik
eben nicht mehr passt!

der trick ist die transaktionskosten gegen null laufen zu lassen
und sich ganz der entwicklung und optimierung zu widmen, d.h.
wissen frei zirkulieren zu lassen.

Ja, eben. Aber nach der Neoklassik können die Transaktionskosten nur
dadurch gegen Null gehen, wenn der Staat dafür sorgt, daß die
Eigentumsrechte hundertprozentig abgesichert werden und sich jeder
darauf verlassen kann und alle Unsicherheiten abgebaut sind, das
staatliche Gewaltmonopol also wirkt und durchgesetzt ist...also. Die
meinen das schon nochmal anders....nach der Neoklassik ist Freie
Software ein Exot. Paßt net ins Modell. Das ist alles.

Genau. M.E. ist das ein Hinweis darauf, daß entweder weite Teile des
realen Lebens durch die neoklassischen Theorien nicht abgedeckt werden
- insbesondere dann, wenn Gnu/Linux sich als einfaches Ehrenamt
entpuppt - oder daß die Neoklassiker hier einfach am Ende sind - was
ich wiederum als Indiz dafür deuten würde, daß es sich bei Gnu/Linux
tatsächlich um den Prototyp eines postkapitalistischen Produkts
handelt.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan





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