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[ox] Re: Von den Interessen zur Bewegung



Hi Jointis und Oekonuxen!

Ich leite diesen meinen Reply auf eine Mail der joint-Liste mal auch
an die oekonux-Liste weiter, da auf beiden Listen sehr verwandte
Themen diskutiert werden und das sicher auf beiden von Interesse ist.

15 days ago Frank Oppenheimer wrote:
Jens Himmelreich wrote:
Stefan Mn:
Seit meinen zehn Jahren intensiver politischer Laufbahn vertrete ich
daher die These, daß den Leuten Alternativen zum Bestehenden vorgelebt
werden müssen. Auch deswegen finde ich Gnu/Linux so spannend, weil es
genau das leistet - ohne ein politisches Projekt zu sein!!

D.h. Gnu/Linux bietet eine Handlungsmöglichkeit an - das wäre mir
wichtig festzuhalten.

- Wie kommt die (Un-)Zufriedenheit mit der Problematik neuer
  Produktivkräfte zusammen, wenn nicht durch Einsicht der Beteiligten?

Mit meiner Dynamik von Interessen ist das ja kein Problem.

  Also doch ein Appell an das Bewußtsein der Menschen?

Nein. Einsicht reicht. Und wenn ich mir anschaue, wie breit (und oft
emotional ;-) ) seit langem in Fachkreisen die Unterstützung von
Gnu/Linux ist - auch wenn das erst jetzt bis in die Management-Etagen
vordringt (mal sehen wie lange es da bleibt...) - dann denke ich, daß
die Einsicht hier einfach zu sein scheint.

Ich w"are vorsichtig Managementinteressen und Benutzerinteressen in
einen Topf zu werfen. Ich bezeifele, da"s Manager an offenen
Sourcen interessiert sind.

Da hast du meinen Einschub überinterpretiert. Das meinte ich nicht.
Die Manager, die momentan auf den Linux-Zug springen, rennen nur einem
der üblichen Manager-Hypes hinterher.

Aber die Software-TechnikerInnen wissen wovon sie reden - bei denen
ist die Einsicht leicht.

Sie wollen bestimmt nicht, da"s ihre
Arbeiter an der Weiterentwicklung partizipieren. Sie sollen
produktiver arbeiten - thats it. Da werden billige Binaries
installiert und ein Supportvertrag mit SuSe abgeschlossen.
Das ist Kapitalismus in Reinform.

Klaro. Nur daß der Kapitalismus hier schon von einem
postkapitalistischen Produkt gesponsort wird - und das ist mindestens
auf dieser Stufe der Vergesellschaftung wohl neu.

Nur das hier dann Freizeitprogrammierer
ausgebeutet werden - Outsourcing auf h"oherer Stufe sozusagen :)

Das gehört m.E. zu den Widersprüchen, die auftreten müssen, wenn etwas
Neues im Alten wächst.

Nichts anderes als Einsicht habe ich mit dem Begriff Appell an das
Bewußtsein gemeint. Es kommt mir nicht darauf an, daß dieser Appell
ausgesprochen wird. Wichtig ist, daß die Handlungsmotivation in den Köpfen
der Einsehenden entsteht. D.h. nicht hinter ihrem Rücken. Ob der Appell
dann noch ausgesprochen wird oder nicht ist zweitrangig. Kein stummer
Zwang der Verhältnisse drängt die Menschen zum Handeln, sondern ihre
Einsicht - das war die These der zweiten Position.

Interessant finde ich an deiner Beschreibung, daß du über Einsicht
hinausgehst. Du sprichst davon, etwas vorzuleben. Gnu/Linux sei ein
Vorleben, ohne durch einen politischen (pädagogischen) Filter gegangen zu
sein. Sozusagen naturwüchsig 'vorlebend'. Das würde ich als wichtigen
Punkt für die weitere Debatte festhalten.

Jens hat auf den Punkt gebracht, was ich gestern mich bei diesem Beitrag
aufhorchen lie"s.
Was genau macht dieses 'naturw"uchsige' Vorleben aus?

Worum es mir ging war, daß Menschen ohne materiellen Zwang, teils
sogar unter explizitem Verzicht auf materiellen Wohlstand (wie Richard
M. Stallman, ein Produkt erstellen - oder eigentlich eine Sammlung von
Produkten -, das nicht nur ihnen Spaß macht. Da wird etwas vorgelebt,
von dem die ManagerInnen nur träumen können.

Ich sehe einen Zusammenhang zwischen der Unzufriedenheit mit dem bestehenden
Gebrauchswert (z.B. Windows*) und dem Wunsch etwas gebrauchswertseitig
Besseres zu schaffen.

In der Tat könnte vielleicht argumentiert werden, daß die
monopolartige Stellung des M$-Schrotts eine gewisse Geburtshilfe für
Gnu/Linux geboten hat. Vielleicht wird in 100 Jahren ja von Gates als
dem Judas der Neuzeit gesprochen werden ;-} .

Das mu"s aber nicht notwendig in einer alternativen
Produktionsweise f"ur diesen Gegenstand m"unden. (Auch das Kapital ist i.A. auf
den Gebrauchswert angewiesen).

In der Tat nicht. Tut es sicher in vielen anderen Bereichen auch
nicht. Wäre interessant mal zu ergründen, welche Sonderbedingungen
hier dazu geführt haben.

Man k"onnte ja auch eine Firma starten und
ein alternatives OS entwickeln und vermarkten.

Nun, das ist ja mehrfach versucht worden - auch wenn eher selten von
neuen Firmen sondern von Zusammenschlüssen der größten Konzerne. Wenn
ich nur an das traurige Schicksal der vielversprechenden
Power-PC-Architektur denke, die damals immerhin von Motorola, IBM und
Apple in Stellung gegen das Wintel-Kartell gebracht wurde...

Aber auch Betriebssysteme wie OS/2 oder BeOS oder NextStep, oder...
Nichts war in der Lage die Dominanz des teuren Schrotts zu brechen -
unglaublich eigentlich - aber das Schlechtere setzt sich eben durch
(siehe VHS bei den Videosystemen, Dolby bei der Rauschunterdrückung,
etc. pp.).

Erst als einige Analysten NT schon als *das* Server-Betriebssystem der
Zukunft sahen - erst dann kam Gnu/Linux ins Spiel.

Es war also offensichtlich im Kapitalismus nicht möglich.

Erst wenn das Vorleben _bewust_ eine andere Produktionsweise einschlie"st, weil
diese f"ur die Gebrauchswertproduktion f"ur besser erachtet wird,
kann f"ur mich ein Schuh daraus werden.

Na, das ist doch die Erkenntnis, die sich ob der erdrückenden
Beweislast gerade durchzusetzen scheint - oder? Natürlich kann's
niemensch glauben, weil so etwas ja eigentlich nur der Markt leisten
kann (siehe Eric S. Raymond's Noosphere-Thesen).

Sonst ist diese PW nur Akzidenz an
Linux/OS
nicht aber wesentlich. Das sammeln unbezahlter Arbeitskraft in einem
Freizeitprojekt ist meiner Meinung nach kein Vorleben einer Alternative.

Dazu waren wir in der Oekonux-Liste schon weiter. Ich hoffe in Bälde
die Beiträge dort mindestens mal ins Web bringen zu können, dann kann
es nachgelesen werden.

Wenn hier immer wieder von der enormen Qualit"at von freier Software gesprochen wird,
sollte man sich vielleicht auch mal w"urdigere Gegner/Vergleiche f"ur Linux
suchen.

Hmm... Weiß nicht. Sollte wirklich? Mir fällt jedenfalls außer M$
nichts ein, was von der Verbreitung her auch nur annähernd in Frage
kommt.

Sicherlich sind einige OS-Programme von erstaunlicher Qualit"at. Es gibt aber auch
gewaltige Defizite besonders bei kleineren Paketen.

Zweifellos. Da müßten wir jetzt nochmal bei ESR's
Cathederal/Bazaar-Artikel nachschauen, der m.E. recht gut die Effekte
beschreibt, die die Produktionsweise so effektiv machen. Bei kleinen
Projekten können die Vermassungseffekte nicht auftreten und daher kann
sich das Open-Source-Potential da auch nicht so entfalten.

So h"angt die Doku oft diverse Versionen zur"uck und die weitere Entwicklung
ist sehr wenig absehbar (wer wei"s schon welche glib/libcx Version als n"achstes
und wann kommt). Diese Dynamik ist f"ur InformatikerInnen vielleicht
reizvoll - f"ur viele Andere ist es aber eher abschreckend.

Na, nu' mach aber mal halblang. Ich bin seit Jahren beruflich hilflos
der Produktpolitik von SUN ausgeliefert - und das ist für mich kein
Jota besser als das was bei Linux mit den neuen Kerneln passiert (die
leider auch noch etwas Reife brauchen - ab 2.2.10 scheint's besser zu
werden).

F"ur Leute, die immer am Ball bleiben k"onnen, ist die Entwicklung und alle Patches
vielleicht zu verfolgen.

Ich denke hier vertust du dich. Das muß Otto Normalverbraucherin
nicht. Sie kauft einfach eine stabile SuSE-Distribution und ist
zufrieden damit - so wie ich mit meiner SuSE 5.3 nach wie vor gut
leben kann.

Der entscheidenden Unterschied zu M$ ist doch, daß du für M$-Produkte
die - wie heißen die Patches da euphemistisch: Server-Packs... - daß
du die Server-Packs *brauchst* weil sonst gar nichts geht. Und jeder
der nicht Vater und Mutter mit einem nassen Handtuch erschlagen hat,
weiß doch heute, daß ein M$-Produkt vor dem ersten Service-Pack
schlicht unbenutzbar ist.

Solche Leute schaffen es aber auch Systeme unter
Solaris oder ULTRIX sehr stabil am laufen zu halten.

Also eine Erfahrung aus meiner Praxis ist: Never change a running
program - under no OS...

Das Neue von Linux et.al. also nur aus seinem herausragenden Gebrauchswert zu
ziehen halte ich sehr gewagt.

Das würde ich auch nicht tun. Aber es ist schon ein Aspekt, ohne den
das alles nicht vorstellbar wäre.

Ich will hier kein Pro/Contra Linux Diskussion vom Zaun brechen. Ich pl"adiere nur
f"ur eine unromantische Sicht der Dinge.

Well, ich bekenne mich ja schuldig ;-) .

Ich hoffe nur, daß in meinem manchmal sicher vorhandenen Überschwang
nicht das Denken zu sehr leidet. Aber so ein bißchen Begeisterung tut
in diesem Tal der Tränen ja auch mal ganz gut :-) .


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan





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