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[ox] Fwd: [WOS] de: Vortrag Lutterbeck/Ishii



Hi!

Auf der WOS-Liste kam kürzlich das Transkript eines der m.E.
interessantesten Vorträge der WOS in Berlin. Ich füge es mal bei, da
Lutterbeck/Ishii einiges ansprechen, was auch in unserer Diskussion
auftaucht.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan

------- Forwarded Message

Date:  Sat, 31 Jul 1999 04:53:35 [PHONE NUMBER REMOVED]
From:  "Volker Grassmuck" <h0724elw suncom.rz.hu-berlin.de>
Subject:  [WOS] de: Vortrag Lutterbeck/Ishii
To:  wos mikrolisten.de
Message-Id:  <199907310252.EAA22761 suncom.rz.hu-berlin.de>

Kei Ishii & Bernd Lutterbeck
Technische Universität Berlin
Forschungsgruppe Internet Governance
17. Juli 1999



                Open Code and Open Societies [1]

                        Wizards of OS: Offene Quellen und Offene
                        Software
                         16.-17.7.1999, Haus der Kulturen der Welt,
                         Berlin



Inhalt

     Die Fragestellung:
     Ever the Imperialist, Ever the Lawyer
     Die Fakten:
     Regulierung durch Code oder Lex Informatica
          Modellbildung
          Werte von Internet und Open Source
     Die Lösung:
     Internet Governance statt starrer rechtlicher Regularien
     Literatur



Die Fragestellung:
Ever the Imperialist, Ever the Lawyer

Lawrence Lessig von Harvard ist wahrscheinlich derjenige amerikanische
Rechtswissenschaftler, der der Open Source-Bewegung am nächsten steht.


Kürzlich hat er einen Vortrag gehalten mit dem schönen Titel : Open
Code and Open Societies: Values of Internet Governance[1]. Er erzählt
darin von einem Dialog mit seinem jungen Assistenten Joe Reagle. Joe
arbeitet an Internet-Protokollen des W3-Konsortiums, wechselt so
ziemlich täglich seine Haarfarbe, er sei aber der beste <<techno
policy geek>>, den er überhaupt kenne, meint Lessig.

Du lehrst doch die impliziten Werte unser Verfassungstradition, sagt
Joe Reagle eines Tages. Du argumentierst immer wieder, daß wir diese
Werte der Verfasung, wie etwa die Meinungsfreiheit, in den Cyberspace
übertragen müssen. Wie steht es aber mir den Werten, die der Tradition
des Internet zugrunde liegen? Warum sollten wir nicht diese Werte
identifizieren und auf die reale Welt übertragen?

Lawrence Lessig überlegt nur kurz. Joe hat recht, resümiert er : Ever
the imperialist, ever the lawyer. Ich habe immer angenommen, daß die
reale Welt dem Cyberspace viel zu erzählen hat. Aber es könnte doch
genau umgekehrt sein.

Lawrence Lessig und ich sind als Juristen ausgebildet. Wir wissen
sofort, was es heißt, wenn man Joe Reagles Umkehrung der Fragestellung
für möglich, vielleicht sogar für erfolgversprechend hält: Joe Reagle
stellt in Wahrheit die Machtfrage. Wir wissen, wie sie normalerweise
entschieden wird. Ever the imperialist, ever the lawyer.

Inzwischen habe ich einige praktische Erfahrungen mit dieser Umkehrung
der Fragestellung gemacht, die ich mit Joe Reagle und Lawrence Lessig
wohl gemeinsam habe. Ich habe sie mehrfach, angereichert mit
Beispielen aus dem Urheberrecht, vor durchaus illustren deutschen
Juristen vorgetragen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in meiner
beruflichen Laufbahn öffentlich so beschimpft worden zu sein wie bei
diesen Gelegenheiten. Unsinn habe ich sicher auch schon vorher
erzählt. Das alleine wird es nicht gewesen sein. Was veranlaßt dann
erwachsene, sonst so besonnene und gestandene Juristen, öffentlich so
zu pöbeln? Ich kann Gleiches von einem Kollegen berichten, der ein
ziemlich bekannter Philosophieprofesor in Deutschland ist. Er hat es
gewagt, in seinem neuesten Buch eine ähnliche These zu vertreten. In
einer Rezension bescheinigt ihm der eigenem Anspruch nach führende
Cyberlaw-Spezialist der Bundesrepublik eine Nähe zu
national-sozialistischem Gedankengut und eine rechtsphilosophische
Naivität und Unbedarftheit, die er nirgendwo anders gelesen habe.

Wo so geholzt wird, scheinen die Argumente ziemlich nahe dem Zentrum
der Macht zu sein. Ever the imperialist, ever the lawyer.
Offensichtlich empfinden manche Leute etwas als bedrohlich, was man
auch in einer nüchternen Gleichung festhalten kann:

Das Internet und die Ökonomie sind ein Bündnis eingegangen - mit dem
Ergebnis, daß sich traditionelle ökonomische Modelle jedenfalls
teilweise überlebt haben.

Da das Recht jedenfalls teilweise ökonomische Sachverhalte abbildet,
muß es sich diesen Veränderungen unter Umständen anpassen.

Dabei ist es möglicherweise aussichtsreich, die Werte, die das
Internet und Open Source erfolgreich gemacht haben, der Modellierung
künftiger Regularien zugrunde zu legen.

In dieser Sicht ist das Internet und Open Source ein Modell der
Informationsgesellschaft.

Die Fakten:
Regulierung durch Code oder Lex Informatica

Die Umkehrung der Fragestellung also: Tradition und Realität des
Cyberspace kann dem Recht etwas erzählen. Aber was?

Ich möchte hier zwei Anregungen geben: Eine zur Modellbildung und eine
zu den Werten.

Modellbildung

Zunächst zur Modellierung. Es ist wohl allgemein bekannt, daß das
Recht reguliert, es ist ein Regulierungssystem.

Das bedeutet:

     Es reguliert innerhalb eines gesetzten Rahmens - dem
     physikalischen Territorium

     Die Regulierungsinhalte oder -instrumente sind Vorschriften wie
     Gesetze, Verordnungen, oder Gerichtsurteile

     Es gibt Regeln, die sich anpassen lassen, beispielsweise der
     Vertrag

     Diese können durch verschiedene Anpassungsverfahren und mit
     verschiedenen Kosten angepaßt werden: entweder auf implizite
     Weise (z.B. beim Einkauf im Supermarkt), mithilfe von
     Standardverträgen (Arbeits-, Kauf-, Dienst- oder Werkvertrag),
     oder durch individuelle Aushandlung auf die jeweiligen
     Bedürfnisse zugeschnitten werden.

     Die hauptsächliche Durchsetzung erfolgt durch Gerichte mit der
     staatlichen Exekutive im Hintergrund.

     Quelle, wie wohl gemeinhin bekannt, ist der Staat.

Die erste Anregung, den ich Ihnen nahebringen möchte, ist dieser:

      Das wichtigste Regulierungssystem im Cyberspace ist der Code -
      Software, Protokolle und Standards.

Der Code bestimmt, was man auf seinem Computer oder im Internet machen
kann und was nicht, bestimmt und begrenzt die Möglichkeiten der
Nutzung. Man bezeichnet dieses Regulierungssystem auch als Lex
Informatica[2]:



                              Recht 	Lex Informatica
Rahmen
                              physikalisches Territorium
                                                Netzwerk
Inhalt
                              Vorschriften/Gerichtsurteile
                                               Technische Fähigkeiten
                                               Gewohnheitspraktiken

Anpaßbare Regeln
                              Vertrag
                                                Konfiguration

Anpassungsverfahren
                              implizit (niedrige Kosten)
                              Standardformen (mittlere Kosten)
                              individuelle Aushandlung (Hohe Kosten)
                                                Standardkonfiguration
                                                Installierbare
                                                Konfiguration
                                                Benutzerauswahl

Hauptsächliche Durchsetzung
                              Gericht
                                                 Automatisiert,
                                                 Selbstausführend

Quelle
                              Staat
                                                  Informatiker,
                                                  Techno-Geeks

Werte
                              "Verfassungstradition"
                                                   ???


Auch hier haben wir also die für Regulierungssysteme
charakteristischen Elemente:

     Der Rahmen: Selbstverständlich das Netzwerk

     Die Inhalte: Dies sind die technischen Möglichkeiten, die der
     Code vorgibt, und die Praktiken, die von diesen Möglichkeiten
     benutzt werden.

Ein Beispiel: Das HTTP-Protokoll gibt vor, auf welche Weise durch ihn
kommuniziert werden kann: Es reguliert - zusammen mit der Software,
also dem Apache-Server - die spezifischen Möglichkeiten dieses
Dienstes.

Aber sicher werden nicht alle Möglichkeiten, die das Protokoll bietet,
auch genutzt werden. Vielleicht implementiert der Apache-Server
bestimmte Protokollelemente nicht, da sie sowieso keiner benutzt.
Technische Fähigkeiten und Gewohnheitspraktiken also.

     Auch der Code läßt sich - soweit vorgegeben - anpassen an die
     jeweiligen Bedingungen. Alle Computernutzer werden dies kennen:
     Voreinstellungen von Programmen, Service Packs und Makefiles,
     Systemerweiterungen oder Nutzerpräferenzen: Hier werden die
     Regeln des Codes von Benutzer, durch Standardkonfiguration oder
     bei der Installation angepaßt.

     Die hauptsächliche Durchsetzung erfolgt unmittelbar. Wenn ein
     Browser keine Einstellung bietet, die Cookies abzuschalten, so
     wird diese Regel einfach durchgesetzt (ich sprach ja nicht davon,
     daß man die Regel nicht umgehen kann - durch Wahl eines anderen
     Browsers. Schmerzlicher schon, wenn die Durchsetzung beim
     Internetprovider passiert...

     Und schließlich eine wichtige Konsequenz dieses Modells der Lex
     Informatica: Die Quelle der Regulierungen, die Regulierer in
     diesem System sind Informatiker, 'Techno-Geeks', und Nutzer

Sie bestimmen über die technischen Fähigkeiten der Software,
Möglichkeiten und Optionen von Standards und Protokollen, und die
jeweiligen Anpassungen - Einstellungen ihrer Software.

Meine erste Anregung also - Lex Informatica, und Sie selber sind
Regulierer.



Werte von Internet und Open Source

Erinnern Sie sich an Joe Reagle: Werte der Verfassungstradition, des
Rechts, klar. Aber die Werte, die der Tradition des Internets, der
Open Source zugrundeliegen?

Hier ist die zweite Anregung, die ich Ihnen heute nahebringen möchte:
Diese Werte des Cyberspace, der Lex Informatica, stehen hinter dem
Erfolg des Internets, der Open Source-Bewegung.

Je klarer wir uns dieser bewußt werden, je deutlicher man sie
herausschälen kann, desto besser. Für einen Dialog mit Juristen. Für
die Lex Informatica. Und für Open Source und Cyberspace.

Ich habe versucht, Umrisse zwei solcher Werte zu skizzieren. Und Sie
werden sehen, es klingt so gar nicht spektakulär, so neu. Genau das
macht ja einen Wert aus, daß er implizit in den Menschen und ihren
Tätigkeiten vorhanden ist.

Aber es ist gar nicht leicht, Selbstverständlichkeiten auf den
Begriff, als Grundwert zu formulieren, explizit in Worte zu fassen.

   1.Die Open Source Initiative arbeitet zur Zeit an einer Open Source
   Definition[3], die so etwas wie die Essenz der
     verschiedenen Lizenzen darstellt.

     Darin habe ich eine Regel gefunden, die diesen ersten Wert für
     deren Zwecke so faßt:

                                 No Discrimination Against Fields of
                                 Endeavor
     [4]

     Eine Open Source soll man lesen, studieren, kopieren,
     modifizieren und weiterentwickeln können, ohne auf irgendein
     Anwendungsgebiet beschränkt zu sein. Niemand darf die Zwecke
     bestimmen, für die die Software benutzt oder weiterentwickelt
     wird.

     Lessig nennt dies "Open Forking"[5], also Offenheit des Codes,
     sich in beliebige Richtungen zu verzweigen.

     Und dieser Wert ist auch im Internet zu finden, z.B. bei den
     Sourcen von HTML-Seiten, die beliebig angesehen, kopiert,
     modifiziert und weiterverwendet werden können.

     Vielleicht ein alter Hut für gestandene Open-Sourcer. Aber gerade
     darum: ein Grundwert der Open Source.

     Eine Bedingung für diesen Wert ist es aber zum Beispiel - das
     sprach Dirk Hohndel (SuSE) gestern nebenbei an -, daß zu einem
     'genialen Code' auch eine 'anfängerverständliche Dokumentation,
     Kommentare' gehören. Je klarer der Code, desto mehr können ihn
     verzweigen, desto stärker kann dieser Wert durchgesetzt werden.

   2.In mehreren Vorträgen gestern klang der zweite Grundwert mehrfach
   an, und auch unser Vorredner Prof. Szyperski
     erwähnte ihn. Aber nicht als spektakuläre Aussage, sondern
     einfach so, nebenbei.

     So Claus Kalle über die Arbeit der Internet-Gremien (Internet
     Engineering Task Force, IETF):

                          "Nur interoperierende, funktionierende
                          Implementationen zählen"

     Und Kalle Dalheimer zum Projekt KDE:

        "Projektleiter ist nicht der mit dem höchsten akademischen
        Grad, längste Zugehörigkeit oder lautestes Mundwerk,
                                      sondern der beste Entwickler"

     Dahinter steckt ein ganz zentraler Wert der Open Source, des
     Cyberspace und vielleicht sogar für eine wie auch immer geartete
     <<Informationsgesellschaft>>:

     Nicht durch akademischen Grad, Seniorität, lautes Mundwerk, nicht
     durch königliche Geburt, formale Verfahren, oder Wahlen wird man
     Projektleiter.

     Jeder darf teilnehmen, mitmachen. Und die Autorität gewinnt man
     durch die funktionierende Implementation, durch "running code",
     als bester Entwickler.

     Der Wert ist also, daß jeder - ungeachtet seines Standes - durch
     seine Arbeit an Reputation, an Autorität gewinnen kann. Die
     Offenheit, daß jeder einen Beitrag leisten kann, und daß er nur
     danach bewertet wird und Autorität, Vertrauenswürdigkeit
     erlangt.[6]

Soweit diese Umrisse von Werten. Aber wozu nützt das Modell von Lex
Informatica, nützt die Arbeit, ihre Werte herauszuarbeiten?

Ever the imperialist, ever the lawyer. Für die meisten Juristen -
insbesondere deutsche - scheint es nur ein Regulierungssystem zu
geben, nämlich das Recht.

Aber wie man gesehen hat, gibt es mit der Lex Informatica ein
gleichrangiges Regulierungssystem. Sie besitzt Grundwerte, hat
Verfahren und Regulierer.

Verfolgt man diesem Gedanken weiter, so muß das Verhältnis zwischen
Cyberspace und Recht - und die Ökonomie als Dritten im Bunde - neu
bestimmt, neu erstritten werden.



Die Lösung:
Internet Governance statt starrer rechtlicher Regularien

Wesentlich für den Erfolg von LINUX und anderer freier Software ist
das Entwicklungsmodell. Der finnische Student Linus Torvalds, der die
Entwicklung von LINUX 1991 angestoßen hat, beteiligte von Anfang an
eine Vielzahl von Fachleuten, die natürlich über das Internet
miteinander verbunden waren, in aller Welt an der Programmentwicklung.
Entstanden ist so ein "riesiges Unternehmen ohne Mauern, ohne
Aktionäre, ohne Gehälter, ohne Werbung und Einkommen" (Le Monde), ein
Unternehmen, das mit einer einfachen Methode das Produkt immer besser
gemacht hat: Jeder macht Anstalten, LINUX zu verbessern und jeder
bekommt das bessere Ergebnis zurück.

Offensichtlich werden so große Werte erzielt, die aber mit Geld
nichts, oder doch praktisch nichts zu tun haben. Andererseits muß auch
Linus Torvalds das Geld für seine Pizza von irgendwo und irgend jemand
herbekommen.

In diesem ökonomischen Mikrokosmos führt also minimaler Einsatz von
Ressourcen (Assistentengehalt, Transaktionskosten im Internet) zu
einem maximalen Ergebnis. Im Gegensatz dazu entwickelt Microsoft als
absoluter Marktführer und Quasi-Monopolist mit hohem Kapitaleinsatz
Produkte, die in ihrer Qualität vermutlich sogar schlechter sind. Man
kann sagen, daß dieses Entwicklungsmodell der Open Source-Bewegung auf
alternative Entwicklungspfade in der Marktwirtschaft verweist und
vielleicht deshalb von der Fachöffentlichkeit noch nicht zur Kenntnis
genommen wird. Statt dessen ist diese Fachöffentlichkeit von Ökonomen
und Juristen im Bündnis mit der deutschen und europäischen Politik
dabei, die Entwicklungsstrategie von Microsoft & Co mit Hilfe des
Urheberrechts zu verfestigen.

Das klassische Urheberrecht ist in seiner ökonomischen Wirkung ein
temporäres Monopolrecht. Durch gezielte Wettbewerbsbeschränkungen, die
dem Schöpfer geistiger Werke eingeräumt werden, will man Wettbewerb
ermöglichen. Der europäische Gesetzgeber und in seinem Gefolge
Deutschland haben schon früh die ökonomische Relevanz der Informatik
mit ihren Produkten erkannt und entsprechende Regelungen erlassen:
Eine Computerprogramm-Richtlinie; eine Vermietrechts-Richtlinie,
Kabel- und Satelliten-Richtlinie, Schutzdauer-Richtlinie und
Datenbank-Richtlinie; eine Richtlinie, die den Rahmen für das
europäische Urheberrecht setzen will, ist in der Diskussion. Das
ökonomische Modell dieser Konzepte unterstellt, daß Geist eine knappe
Ressource ist, dessen Entfaltung durch besondere
Wettbewerbsbeschränkungen geschützt werden muß. Im klassischen Konzept
mußten geistige Werke eine bestimmte "Schöpfungshöhe" vorweisen
können, um in den Genuß der urheberrechtlichen Monopolrechte zu
kommen. Inzwischen ist dies Einschränkung weitgehend aufgegeben
worden, insb. im sog. sui generis Schutz von Datenbanken, der durch
das neue Informations- und Kommunikationsdienstegesetz (IuKDG) des
Bundes schon in deutsches Recht umgesetzt wurde. Ein prinzipieller
Unterschied zwischen einem Autor wie Goethe mit seinem Faust und einer
Firma, die ein Telefonbuch herausgibt, wird nicht mehr gemacht. Diese
Regelungen haben für das Internet - der Basisstruktur der
Informationsgesellschaft - nachgerade absurde Konsequenzen: Fast jede
Sammlung von Hyperlinks und die meisten Zusammenstellungen von
Informationen aus Homepages unterstehen damit dem Schutzregime des
seit 1. Januar 1998 geltenden Urheberrechts. Es gewährt dem
Datenbankhersteller etwa ein 15 Jahre währendes Recht, die Datenbank
zu verändern, zu vervielfältigen etc. Mir kommt es hier weniger auf
den verfassungsrechtlichen Gehalt dieser Regularie an, denn man könnte
mit guten Gründen einen Verstoß gegen die Informationsfreiheit
annehmen. Wichtig ist mir der Hinweis auf das problematische
ökonomische Modell, das diese Regularien abbilden. Urheberrechte sind
geschichtlich entstanden aus dem stetigen Kampf der Schöpfer geistiger
Werke gegen die Willkür des jeweiligen Souveräns. Autoren sollten ihre
Rechte aus sich selbst erhalten und mit ihren Werken auch verdienen
können. Am Ende dieses Kampfes stand 1883 die Berner Übereinkunft zum
Schutz von Werken der Literatur und Kunst, die das Prinzip freien
geistigen Schaffens weltweit legitimierte und ökonomisch hoffähig
machte.

Die erwähnten Richtlinien und Gesetze haben nun diesen Ansatz nach der
Formel Onlinerecht = Offlinerecht im großen und ganzen unverändert auf
Software, Netze und Datenbanken übertragen. Es gibt jetzt aus der
Sicht des Urheberrechts keinen prinzipiellen Unterschied mehr zwischen
Goethes Faust, dem WINDOWS NT-Betriebssystem und einer strukturierten
Linksammlung auf meiner Homepage. Vor einer solchen Entwicklung hatte
der Supreme Court der Vereinigten Staaten in seiner berühmten
"Feist-Entscheidung"[7] von 1991 noch gewarnt. Der Einsatz von noch
soviel Kapital für die Entwicklung eines Produktes könne keine
Rechtfertigung für die Begründung von Urheberrechten sein.

Die aktuelle Rechtsentwicklung in der Welt hat zwar diese Warnung
außer acht gelassen, doch zeigt ein so hochrangiges Votum immerhin,
daß auch andere Fachleute eine grundlegende systemische
Fehlentwicklung befürchten. Dabei ist die ökonomische Rationalität der
Supreme Court-Entscheidung offensichtlich. Der Wettbewerb um immer
höhere Qualität muß nicht durch Urheberrechte geschützt werden. Im
Gegenteil: Hohe Qualität wird durch Urheberrechte verhindert. Wo es
unbillig zugeht, kann Lauterkeitsrecht oder irgendein anderes neues
Rechtsgebiet Abhilfe schaffen. So hat es den Anschein, als würde der
vorhandene europäische Regulierungsansatz die jetzt schon Starken
begünstigen.

Man erkennt an diesem Beispiel, daß es sich bei den unterschiedlichen
Entwicklungsstrategien von Open Source und beispielsweise Microsoft
nicht um den allseits bekannten Kampf Marktwirtschaft gegen staatlich
regulierte Wirtschaft handelt, denn beide Strategien können
miteinander verbunden werden. Ob diese Verbindung die zukunftsweisende
Variante ist, läßt sich gegenwärtig nicht beweisen. Ich neige dazu,
sie zu bejahen: Denn die LINUX-Entwickler und viele andere moderne
Unternehmen haben ein entscheidendes Moment der
Informationsgesellschaft besser als andere verstanden und umgesetzt.
Das Netz wird nicht nur zur Datenübertragung genutzt wie beim
herkömmlichen Geschäftsverkehr, sondern seine dezentrale Struktur ist
Moment der Produktion von Dienstleistungen selber. In diesem Sinne ist
das Netz der Markt, ein Markt, den die vielen Menschen auf der Welt
bilden. Natürlich wird dieser Markt wie andere auch ohne Regeln nicht
funktionieren können.

Es gibt aber gute Gründe für die Annahme, daß klassische
Regulierungsansätze dieser neuen Wirklichkeit nicht mehr gerecht
werden. In der internationalen Diskussion ist es üblich geworden, die
nötige andere Sicht durch den Begriff Internet Governance
auszudrücken. Dieser Begriff betont die weichen Übergänge zwischen
verschiedenen Regulierungstypen, sieht Selbstregulationsmechanismen
und Lex Informatica vor und legt geringeren Wert auf rechtliche
Regeln. Deutschland und die Europäische Union täten gut daran, diese
Philosophie mindestens solange zu übernehmen, wie das Netz sich in der
augenblicklichen Dynamik entwickelt. Hierfür gibt es nicht nur
ökonomische Gründe - die Menschen, die schon in der
Informationsgesellschaft angekommen sind, sind nicht mehr die
gleichen, die die Industriegesellschaft am Laufen gehalten haben.

Was heißt dies alles zusammengefaßt:

Erstens:

Die Werte der Open Source-Bewegung haben sich deshalb durchgesetzt,
weil sie eine adäquate Antwort auf die Organisation der von mir aus so
zu nennenden Informationsgesellschaft sind. Open Source ist die
richtige und zukunftweisende Antwort auf einen neuen Gesellschaftstyp.


Zweitens:

Wenn aber, wie wir behaupten, Open Source Pate stehen kann und soll
für das Modell von Gesellschaft überhaupt, dann muß der kozeptionelle
Rahmen der Betrachtung erweitert werden. Es geht nur auch um die
Offenlegung von irgendwelchen Programmsourcen. Es geht um das Prinzip
der Offenheit in modernen Demokratien insgesamt. Wieder kann man von
Lessig lernen, was Offenheit in diesem weiten Sinne zumindest
beinhalten muß:

Natürlich Open Source, oder Open Code, wie er es nennt.

Darüberhinaus aber:

     Open Governance
     Open Education
     Open Content
     Open Security

Und selbstverständlich

     Open Law.

So ungefähr müßte eine juristische Programmatik von Open Source
aussehen.

In Deutschland sind wir noch Lichtjahre von einem solchen Ansatz
entfernt. Es lohnt sich also, Lawrence Lessig im Berkman Center for
Internet and Society der Harvard Law School einmal zu besuchen.

Lessig und wir haben ein weiteres Anliegen gemeinsam:

Manche Netzaktivisten, der frühe Barlow etwa[8], neigen dazu, die
eigenen Positionen zu überschätzen. Keine noch so gute offen gelegte
Software wird je in der Lage sein, die Unterschiede von arm und reich,
von gerecht und ungerecht abzuschaffen. Immer muß der Schutz der
Schwachen organisiert werden. Das müssen spezielle Agenten übernehmen.
Es gibt viele gute Gründe, dem Staat, vor allem dem deutschen Staat
insoweit eher zu mißtrauen. Falls wir aber zur Auffassung gelangen,
daß manche Werte vom Staat am ehesten geschützt werden sollten,
sollten wir nicht zögern, den Staat mit dem Schutz dieser Werte zu
beauftragen.

Wir wissen jetzt genug, um eine Prognose zu wagen: Dieser Staat ist
nicht mehr der alte Macho und Hierarch, dem unsere Eltern noch
zugejubelt haben. Er kooperiert mit uns in einem Geflecht, für dessen
Stabilität Informatiker und Techno-Geeks verantwortlich sind. Jurist,
der ich nun einmal bin, träume ich seit Jahrzehnten davon, daß, es so
gelingen möge, eine überkommene Weisheit jedenfalls ein wenig zu
widerlegen:

                                 Ever the imperialist, ever the
                                 lawyer.




Literatur

Barlow, John Perry 1996:
     Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace v. 8.2.1996. Deutsche
     Übersetzung unter
     http://www.heise.de/TP/issue196/terminal/1028/fhome.htm,
     30.5.1996.
Cyberspace und der amerikanische Traum 1995:
     Auf dem Weg zur elektronischen Nachbarschaft: Eine Magna Charta
     für das Zeitalter des Wissens. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung
     v. 26.8.1995; das englische Original v. 22.8.1994 z.B. unter
     http://TownHall.com/pff/position.html, 15.4.1995.
Lessig, Lawrence 1998:
     The Law of the Horse: What Cyberlaw Might Teach.
     http://cyber.law.harvard.edu/works/lessig/LNC_Q_D2.PDF,
     11.3.1999.
Lessig, Lawrence 1999a:
     Open Code and Open Societies: Values of Internet Governance.
     Draft 2. http://cyber.law.harvard.edu/works/lessig/kent.pdf,
     11.3.1999.
Lessig, Lawrence 1999b:
     The Limits in Open Code: Regulatory Standards and the Future of
     the Net. http://cyber.law.harvard.edu/works/lessig/BerkPub.pdf,
     10.7.1999.
Lutterbeck, Bernd 1998:
     Das Netz ist der Markt. Governance in der Onlineökonomie. In: Das
     Parlament v. 25.9.1998.
Reidenberg, Joel R. 1998:
     Lex Informatica: The Formulation of Information Policy Rules
     through Technology. In: Texas Law Review, Vol. 76 No. 3 (February
     1998), pp.553-593.




Fußnoten

[1] Lessig 1999a.

[2] Reidenberg 1998. Die Tabelle ebd., S. 569, Übertragung ins Deutsch
und Erweiterungen durch die Autoren.

[3] The Open Source Definition, http://www.opensource.org/osd.html,
15.7.1999 (Version 1.4)

[4] The Open Source Definition (V. 1.4), Artikel 6.

[5] Lessig 1999a, S. 9f.

[6] Lessig bezeichnet diesen Wert als "Universal Standing"; vgl.
Lessig 1999a, S. 12f.

[7] Feist v. Rural Telephone Service, U.S. Supreme Court-Entscheidung
v. 27.3.1991, 499 U.S. 340 (1991),
http://laws.findlaw.com/US/499/340.html

[8] Vgl. Barlows allgemein bekannte "Unabhängigkeitserklärung des
Cyberspace von 1996 und - immer noch bemerkenswert - die von Toffler
u.a. herausgegebene "Magna Charta des Wissens".
................................................................
   vgrass rz.hu-berlin.de
   home: http://waste.informatik.hu-berlin.de/Grassmuck/
   mikro: http://www.mikro.org
   Wizards of OS: http://www.mikro.org/Events/OS
................................................................


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