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[ox] Erste Haelfte Paper GPL-Gesellschaft



Liebe Leute,

ich habe mittlerweile die erste Hälfte meines Papers zu dem geplanten
LinuxTag-Vortrag in einer ersten Version fertig. Ich möchte euch
bitten, mir und unserem Thema zu helfen, indem ihr mal einen
kritischen Blick auf den anhängenden Text werft und nicht sparsam mit
Kommentaren seid. Besonders wichtig wäre mir, wenn ihr Punkte findet,
die da eurer Meinung nach noch reingehören.

Zwischen "Produktivkraftmodell" und den Fußnoten stehen übrigens
bislang nur Überschriften und Notizen - das muß ich noch ausarbeiten.

Die endgültige Version des Papers, die wohl noch in diesem Monat
fertig wird, kommt im übrigen auf jeden Fall auf unsere Web-Site. Ich
möchte euch bitten, bis dahin den Text nicht in andere Mailing-Listen
zu posten.


						Thanx

						Stefan

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Gnu/Linux - Meilenstein auf dem Weg in die GPL-Gesellschaft
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Stefan Merten

Paper zum Vortrag auf dem LinuxTag '00 vom 29.6.00 bis 2.7.00 in Stuttgart
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init 1: Zum Beitrag
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Zur Einordnung
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Der Beitrag Gnu/Linux - Meilenstein auf dem Weg in die
GPL-Gesellschaft versteht sich als ein Blick auf Work in Progress.
Einige seiner Inhalte sind im Projekt Oekonux seit seiner Entstehung
Mitte '99 diskutiert worden. Das Thema dieses Projekts deckt sich
weitgehend mit dem Thema des Beitrags. Kern ist eine Mailing-Liste,
die auf der Web-Site archiviert wird. Besonders nützlich ist der FAQ,
der die Debatte in der Mailing-Liste zusammenfaßt. Um aktiv den
Open-Source-Gedanken zu pflegen, folgt hier eine Liste von
Mail-Adressen der Leute, die sich in der Oekonux-Mailing-Liste bereits
zu Wort gemeldet haben:

andersen exozet.com Annette.Schlemm t-online.de
benni hera.rbi.informatik.uni-frankfurt.de
Bettina.Berendt educat.hu-berlin.de blasum muc.de cr iac-research.ch
erwin hermes.zsi.at f.nahrada magnet.at
Frank.Oppenheimer Informatik.Uni-Oldenburg.DE h0724elw rz.hu-berlin.de
henrik.motakef ruhr-uni-bochum.de Holger.Blasum staticon.com
holger avendo.de ingoh schwaben.de j.jaeger jpberlin.de
kritinf hotmail.com lagemann telelogic.de lydia zedat.fu-berlin.de
micklei fokus.gmd.de nussini zedat.fu-berlin.de
ohil tequila.in-berlin.de pit icf.de pit klubradio.de
rf rainer-fischbach.com rwfischbach hotmail.com
schilling berlin.snafu.de schilling context-net.de sloyment gmx.net
smerten dialup.nacamar.de spindler unix-ag.uni-kl.de ss5 ophon.sax.de
stefan.meretz hbv.org steffi nef.wh.uni-dortmund.de

Der Beitrag geht zunächst kurz auf krisenhafte Entwicklungen in
unseren Gesellschaften [1] ein. In einem zweiten Teil wird
herausgearbeitet, was das Besondere an Gnu/Linux [2] ist. Im
abschließenden Teil lädt der Beitrag zu einem utopischen Blick auf
eine GPL-Gesellschaft ein, in der wichtige Prinzipien der
Gnu/Linux-Entwicklung gesellschaftlich relevant geworden sind.

Das init <Ziffer> in den Überschriften ist übrigens eine unter Unix
gebräuchliche Nomenklatur für die sogenannten RunLevels. Diese
bezeichnen den Systemzustand mit folgender Bedeutung.

RunLevel                           Bedeutung
.................................. .................................. 
0                                  Systemhalt
1                                  Einfaches System ohne
                                   Besonderheiten
2                                  System mit Netzwerk
3                                  System mit Netzwerk und grafischer
                                   Oberfläche
6                                  System wird heruntergefahren und
                                   neu gestartet

Zum Autor
---------

Um die Einschätzung des Beitrags zu vereinfachen, möchte ich gerne
kurz etwas zu meinem persönlichen Hintergrund sagen.

Ich habe Informatik studiert und arbeite seit 1992 als
Diplom-Informatiker. Meine Beschäftigung mit Computern begann aber
schon vor dem Studium mit einem ZX81.

Daneben bin ich nach einer längeren Pause seit 1989 politisch in
verschiedensten Zusammenhängen aktiv. Meine politische Heimat ist der
mit einer kräftigen Prise Marx'schen Analyse angereicherte
Anarchismus. Zentral war und ist für mich eine Kritik am Bestehenden
und die Suche nach gangbaren Alternativen.

Beide Einflüsse fanden sich schon vor einigen Jahren zu der Frage
zusammen, ob allgemein Computer und speziell freie Software wie
Gnu/Linux [3] eine gesellschaftliche Relevanz und vielleicht sogar
gesellschaftsveränderndes Potential haben können. Dieser Beitrag ist
also gewissermaßen ein Zwischenergebnis bei der Beantwortung dieser
Frage.

init 2: Arbeitsgesellschaft am Ende
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Vorbemerkung: Dieser Abschnitt kann nur kursorisch auf wenige Aspekte
dieses komplexen Themas eingehen. Eine eingehende und bedenkenswerte
Auseinandersetzung mit dem Thema betreibt die Gruppe Krisis. Hier
sollen nur einige Begriffe angerissen werden, die für unser Thema von
besonderer Bedeutung sind.

Die wichtigsten Elemente der Arbeitsgesellschaft
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Unsere Gesellschaften sind durch Lohnarbeit gekennzeichnet. [4] Die
Arbeit der Menschen tritt hierbei als abstrakte Größe auf: Für die
Lohnarbeit spielt die Art und Weise ihres konkreten Ablaufs
genausowenig eine Rolle wie das Produkt oder die Dienstleistung, die
das Ergebnis der Tätigkeit darstellt. Rechtfertigen tut sich diese
Form der Tätigkeit einzig dadurch, daß die Arbeitskraft gegen Geld
getauscht wird. Diese Abstraktion der Tätigkeit von ihren Inhalten und
Zielen hat eine Entfremdung der Arbeitenden von ihrem eigenen Handeln
zur Folge, daß am augenfälligsten in der Fließbandarbeit sichtbar
wird.

Eng verbunden mit diesem System abstrakter Lohnarbeit ist das Prinzip
der Warenproduktion für einen Markt. Wirtschaftliches Handeln ist nur
dann sinnvoll, wenn nach der Porduktion der Tausch der Ware gegen Geld
auf dem Markt gelingt. Auch hier findet also eine Abstraktion statt:
Inhalt und Ziel wirtschaftlichen Handelns ist nicht primär ein
bestimmtes Produkt, eine bestimmte Qualität oder ähnliche stoffliche
Qualitäten, sondern die Erzielung von Tauschwert. [5]

Zu beiden Prinzipien tritt wegen des Marktes das Konkurrenzprinzip
hinzu, das die Akteure sowohl auf dem Warenmarkt als auch auf dem
Arbeitsmarkt zueinander in (negative) Beziehung setzt. Auf der Seite
der WarenproduzentInnen führt die Konkurrenz zur Notwendigkeit der
Profitmaximierung. Bei der Erzielung von Profiten wird Lohnarbeit zwar
eingesetzt, betriebswirtschaftliches Ziel einer jeden UnternehmerIn
ist aber die Minimierung der Arbeitskräfte bei Beibehaltung der
erzeugten Menge an Waren.

Historisch haben diese Faktoren dazu geführt, daß menschliche
Arbeitskraft immer stärker und auf immer mehr Feldern durch den
Einsatz von Maschinen ersetzt und damit überflüssig gemacht wurde. Es
ist nur logisch, daß dieser Prozeß nur durch eine permanente
Ausweitung der Märkte in Gang gehalten werden kann. Gelingt diese
Ausweitung nicht, so treibt die Konkurrenz der WarenproduzentInnen
letztlich dazu, die Lohnarbeit mehr und mehr ganz abzuschaffen - was
wiederum nicht gut gehen kann, da die Erzielung von Profiten unlösbar
mit dem Verbrauch von Lohnarbeit verbunden ist.

Daß wir heute an diesem historischen Punkt angekommen zu sein
scheinen, soll durch zwei allgemein bekannte Phänomene belegt werden.

Massenarbeitslosigkeit und Börsenboom
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Seit Jahren wird immer deutlicher, daß der hohe Sockel an
Arbeitslosigkeit nie mehr wird abgebaut werden können. Stattdessen
wird zunehmend davon ausgegangen, daß die Massenarbeitslosigkeit
weiter steigen wird [6]. Es zeigt sich, daß die Ersetzung menschlicher
Arbeitskraft weiter zügig voran schreitet. [7] Bedenkt man, was durch
den noch stärkeren Einsatz von Computern in großen
Dienstleistungssektoren wie Banken oder Versicherungen [8] noch an
Einsparpotential existiert, so muß vermutet werden, daß wir sogar erst
am Anfang einer Entwicklung stehen. [9]

Während die Massenarbeitslosigkeit also ständig zunimmt, bilden sich
an den globalen Börsen immer neue spekulative Blasen. Nach klassischen
kaufmännischen Kriterien unseriöse Firmen steigen wie Raketen an den
Aktienmärkten auf - um oft genug wie Kometen wieder auf den Boden der
wirtschaftlichen Tatsachen zurückzukommen. Fällt diese spekulative
Blase teilweise in sich zusammen, so gehen schon mal ganze Staaten
über Bord wie das Beispiel Indonesien als größtes Opfer der Asienkrise
deutlich zeigt. Auch an diesem Phänomen zeigt sich, wie das
Geldkapital, das früher in neue Produktion reinvestiert wurde, heute
offenbar nicht mehr in der Lage ist, durch eine Ausweitung der
Produktion Gewinne zu erzielen, die über denen der Börse liegen.

Fazit
-----

Es gibt also Hinweise darauf, daß die Arbeitsgesellschaft und damit
die auf Tausch basierende Vergesellschaftung an ihrem historischen
Ende angekommen sind. Auch wenn dies zunächst vor allem als
Zusammenbruchsszenario und also bedrohlich erscheint, so eröffnet es
doch die Möglichkeit einer neuen Gesellschaft, die die Defizite der
alten überwindet und endlich eine Gesellschaft ermöglicht, in der
nicht abstrakte Prinzipien sondern das Wohlergehen aller Menschen auf
diesem Planeten im Mittelpunkt stehen.

init 3: Das Besondere an Gnu/Linux
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Die These des Beitrags lautet ja, daß Gnu/Linux ein Meilenstein auf
einem Entwicklungsweg ist. Zu einem Meilenstein gehört, daß er gewisse
Besonderheiten aufweist, die andere Produkte nicht aufweisen.
GegnerInnen der Meilenstein-These versuchen immer wieder, Gnu/Linux in
bekannte Schemata zu pressen [10] und damit dessen Bedeutung
herunterzuspielen.

In diesem Abschnitt werden daher zwei typische Vergleiche mit bereits
existierenden Produkten oder Phänomenen untersucht. Es wird
herausgestellt, was an Gnu/Linux das Besondere ist.

Gnu/Linux ist nicht nur ein einfaches Hobby
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Oft wird ins Feld geführt, daß es sich bei Gnu/Linux nur um ein Hobby
[11] handeln würde und es als solches keine gesellschaftliche Relevanz
haben könne. Zwar wird die Entwicklung freier Software nach wie vor
vorwiegend als individuelles Hobby betrieben, das Ergebnis dieser
Tätigkeit geht aber in den folgenden Aspekten weit über sonstige
Hobby-Produkte [12] hinaus.

Erheblicher gesellschaftlicher Nutzen
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Als umfangreiches Software-System, das ein Betriebssystem und zahllose
Anwendungen umfaßt, ist Gnu/Linux für immer mehr Menschen ganz konkret
im täglichen Einsatz nützlich. Betrachten wir die Entwicklung von
Gnu/Linux, so zeigt sich sogar, daß die Nützlichkeit sowohl durch die
Breite der möglichen Anwendungen als auch durch die konkrete
Nutzbarkeit durch immer mehr Menschen permanent steigt. Ein Ende
dieser Entwicklung ist nicht abzusehen.

Gnu/Linux ist also ein Produkt mit erheblichem quantitativem und
qualitativem gesellschaftlichen Nutzen. Damit unterscheidet es sich
wesentlich von anderen in Hobby-Tätigkeiten hervorgebrachten
Produkten, die zwar vielleicht in der Qualität, nicht aber in der
Quantität mit warenförmiger Konkurrenz mithalten können und deren
gesellschaftlicher Nutzen von daher deutlich beschränkter ist.

Direkte Konkurrenz zu Waren
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Als nützliches und flächendeckendes Produkt steht Gnu/Linux in der
Gunst der NutzerInnen in unmittelbarer Konkurrenz zu Waren, die von
Mega-Unternehmen wie Microsoft hergestellt und verkauft werden. Zwar
stehen auch andere Hobby-Produkte in Konkurrenz zu Waren - z.B. das
Gemüse aus dem Schrebergarten zu dem Gemüse vom Markt -, trotzdem gibt
es einige Besonderheiten.

Zunächst fällt auf, daß sich Gnu/Linux etablieren konnte, obwohl
bereits ein umfangreiches Warenangebot auf seinem Sektor existierte.
Aber damit nicht genug ist Gnu/Linux tendenziell dabei, die
warenförmige Konkurrenz auszustechen und zu verdrängen [13].

Dies dürfte bislang noch keinem Hobby-Produkt gelungen sein. Im
Gegenteil ist die normale Entwicklung die, daß die als Hobby begonnene
Produktion über kurz oder lang von den Hobbyisten selbst oder anderen
in eine warenförmige Produktion verwandelt wird und damit für das
Hobby-Produkt bestenfalls noch eine Nische bleibt.

Gnu/Linux ist hochmodern
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Es fällt auf, daß die Entwicklung von freier Software mit hochmoderner
Technik arbeitet. Nicht nur ist naturgemäß der Computer zentrales
Arbeitsmittel, sondern darüberhinaus ist mit dem Internet die neueste
Technik von zentraler Bedeutung. Die Entwicklung der Technik wird
sogar in einzelnen Fällen durch Gnu/Linux vorangetrieben [14].

Damit unterscheidet sich Gnu/Linux wesentlich von normalen
Hobby-Produkten, die im allgemeinen aus dem handwerklichen Bereich
stammen. Mit Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung von Gnu/Linux
ist dies ein wichtiger Punkt, da sich an der jeweils aktuellen
Spitzentechnologie oft wichtige Trends ablesen lassen.

Internationale Vernetzung
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Ein weiteres Kennzeichen von Gnu/Linux ist, daß es mit einer hohen
internationalen Vernetzung entsteht. Menschen in allen Teilen der
technisch gut ausgestatteten Welt [15] kooperieren über das Internet
über alle Staatsgrenzen und kulturellen Schranken hinweg.

Nicht nur ist das für ein Hobby-Produkt einmalig, es dürfte auch
multinationalen Konzernen mit ihrer gigantischen Infrastruktur und
ihren milliardenschweren Möglichkeiten nur selten gelingen, eine so
reibungslose und produktive internationale Kooperation hinzubekommen.

Fazit
-----

Zwar stammt Gnu/Linux aus dem individuellen Hobby, es ist aber sowohl
in der Art und Weise der Produktion als auch im hergestellten Produkt
in vielen und wichtigen Aspekten längst über eine einfache
Hobby-Produktion hinausgewachsen. Es kann also nicht mehr von einem
Hobby gesprochen werden.

Gnu/Linux ist keine Ware
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Gnu/Linux ist ein Produkt - eine Ware ist es deswegen aber nicht.
Wesensmerkmal einer Ware ist, daß sie getauscht wird - gewöhnlich
gegen Geld. Gnu/Linux wird aber im Prinzip nicht getauscht [16],
sondern ist als Gut frei verfügbar [17].

Daß Gnu/Linux keine Ware ist, hat einige besondere Konsequenzen.

Konkrete Gründe führen zu Gnu/Linux
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Wie bereits erwähnt zeichnet sich eine Ware dadurch aus, daß sie
primär für den Verkauf hergestellt wird. Dies heißt insbesondere, daß
Aspekte wie Qualität, Verschleißfreiheit oder Wartungsfreundlichkeit
sekundär sind und spätestens dann uninteressant werden, wenn die
Angesbotsseite am Markt zu einem Anbietermonopol übergeht. Bestes und
allseits bekanntes Beispiel dafür ist Microsoft [18].

Da Gnu/Linux nicht primär getauscht wird, mithin also die Erzielung
von Profit nicht der Antrieb für eine Entwicklungstätigkeit sein kann,
können nur konkrete Gründe zu einer solchen Tätigkeit führen. Hier
gibt es zwei Hauptgründe [19].

Einerseits ermöglicht der freie und selbstbestimmte Umgang mit
Software eine Form von Selbstverwirklichung, wie sie Hobbies zu eigen
ist. Daß hier die persönliche Leistung und vor allem der Stolz auf das
Geschaffene im Vordergrund steht, ist sicher einer der Hauptgründe für
die hohe Qualität eines erheblichen Teils freier Software.
Gleichzeitig fällt durch den freien und selbstbestimmten Umgang mit
Produktion auch die Entfremdung sowohl von der Tätigkeit als auch vom
Produkt weg, die bei Lohnarbeit immer eine Rolle spielt. Die
Abstraktion, die Lohnarbeit mit sich bringt, ist also aufgehoben.

Andererseits stehen bei der Produktion freier Software oft konkrete
Probleme konkreter Menschen im Mittelpunkt [20]. Es wird nicht für
einen anonymen Markt produziert, der erst im Nachhinein über die
Verkaufbarkeit eines Produkts entscheidet, ob die Produktion sinnvoll
war oder nicht. Die Abstraktion, die Warenproduktion mit sich bringt,
ist also ebenfalls aufgehoben.

Gnu/Linux ist nicht integrierbar
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Bekanntlich sind erhebliche Teile von Gnu/Linux durch Lizenzen
geschützt, die verhindern, daß die Quellen wieder unter Verschluß
kommen. Diese einfache Tatsache ist der Hauptgrund dafür, daß es
prinzipiell unmöglich ist, den riesigen freien Software-Kuchen wieder
durch Privatisierung der Öffentlichkeit zu entziehen und so in die
Warenwelt zu integrieren.

Daran ändern auch schlaue Geschäftsmodelle nichts, die aus der
Produktion von freier Software Profite schlagen wollen. Es mag sein,
daß es einigen wenigen Firmen wie Cygnus gelingt, über sekundäre
Effekte Profit aus freier Software zu schlagen, es gilt aber der etwas
abgewandelte Spruch:

Erst wenn der letzte freie Filter für ein Grafikformat geschrieben
ist, erst wenn das letzte Desktop von KDE oder Gnome erobert ist, erst
wenn auf der letzten Uralt-Exotik-Hardware Gnu/Linux läuft, dann
werdet ihr begreifen, daß auf der GPL keine profitorientierte
Wirtschaftsordnung aufgebaut werden kann.

Ein Wort zu den Börsen-Hypes
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Nach den Internet-Firmen ist es heute der Begriff Linux, der
BörsianerInnen-Herzen höher schlagen läßt. Ähnlich wie schon bei dem
Internet-Hype, der durch die Dot-Com-Firmen ausgelöst worden ist,
handelt es sich hier aber um eine spekulative Blase, die früher oder
später auf den Boden der wirtschaftlichen Tatsachen zurückkommen muß.
Ist bei den Dot-Com-Hypes teilweise sogar noch ein letzter Rest von
realwirtschaftlicher Vernunft festzustellen, so ist dies bei Firmen,
die von der Produktion freier Software leben wollen, überhaupt nicht
mehr nachvollziehbar.

Grundsätzlich besteht natürlich die Gefahr, daß durch solche Prozesse
das Prinzip der Nicht-Warenförmigkeit von Teilen von Gnu/Linux leidet.
Da aber gerade diese Nicht-Warenförmigkeit Vorteile gebracht hat, die
durch eine Integration in marktförmige Strukturen sofort zerstört
würden [21], halte ich dies nicht für eine reale Gefahr [22].

Fazit
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Gnu/Linux ist also keine Ware und es kann auch keine werden. Diese
Eigenschaft von Gnu/Linux hat wichtige Konsequenzen, die die Grundlage
des Erfolges von Gnu/Linux bilden.

Produktivkraftmodell
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Was ist Gnu/Linux dann eigentlich?

Freiwillige Tätigkeit
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Lustprinzip
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Gebrauchswertorientierung
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Ähnliche Prinzipien in Wissenschaft und Kunst
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Fazit
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Dies alles zusammen macht Gnu/Linux zum Meilenstein!

init 6: Die GPL-Gesellschaft
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Kapitalismus als These, Gnu/Linux als Antithese. Was ist die Synthese?

An Gnu/Linux lassen sich Elemente einer neuen Gesellschaft studieren,
für die die GPL die Magna Carta bilden könnte. Wichtigster
Gesichtspunkt an Gnu/Linux ist, daß Menschen in freiwilliger
Übereinkunft gebrauchswertorientiert gesellschaftlich nützliche Dinge
herstellen. Sie tun dies, ohne ihre Arbeitskraft zu verkaufen mithin
also ohne Tauschbeziehungen.

Gnu/Linux scheint daher eine Keimform einer GPL-Gesellschaft zu sein,
einer Gesellschaft, in der die Bedürfnisse des Menschen im Vordergrund
stehen und nicht blinde Zwänge des Marktes. Eine Gesellschaft, in der
die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit (wieder) aufgehoben ist in
einen Wechsel zwischen reiner Muße und nützlicher Tätigkeit.

Diese Vision, von deren endgültiges Bild heute höchstens Umrisse zu
erahnen sind, steht und fällt natürlich mit der Verallgemeinerbarkeit
des Prinzips von Gnu/Linux. Die entscheidende Frage ist, ob die
Prinzipien von Gnu/Linux auf andere Sektoren der Produktion
übertragbar sind bzw. welche Voraussetzungen dafür nötig sind.

Die Chancen für solche GPL-Produkte stehen dabei gar nicht so
schlecht. Schon heute sind - durch den Kapitalismus - die
Produktionsmittel so weit entwickelt, daß menschliche Arbeitskraft
einerseits zunehmend überflüssig wird und sich andererseits immer mehr
von stupiden, monotonen Tätigkeiten auf wissenschaftliche,
künstlerische Felder verlagert. Besonders deutlich wird dies wiederum
bei der der Produktivkraftentwicklung am nächsten liegenden Tätigkeit,
dem Programmieren.

Wie der Übergang von unseren heutigen wertdominierten Gesellschaften
zur GPL-Gesellschaft genau erfolgen kann, ist eine offene Frage, die
wahrscheinlich auch prinzipiell nicht beantwortet werden kann. Es
können höchstens notwendige Schritte angegeben werden, zu denen die
Übertragung der GPL auf andere Produkte sicher dazu gehört.

Bei der sich immer stärker durchsetzenden Krise bleibt zu hoffen, daß
der Kapitalismus lange genug überlebt, damit die Keimform in seinem
Schoß noch zum Blühen gebracht werden kann.

Referenzen
==========

o    Projekt Oekonux

o    FAQ zu Oekonux

o    Gnu

Version: $Id: vortrag.sdf,v 1.7 2000/03/11 11:39:01 stefan Exp $

______________________________________________________________________

[1] Mit unseren Gesellschaften sind die Gesellschaftsformationen
gemeint, die in Westeuropa, Nordamerika und Japan voll entwickelt
sind.

[2] Ich verwende durchgängig die Bezeichnung Gnu/Linux anstatt des
gebräuchlichen Linux um auf die Bedeutung der Gnu-Bewegung
hinzuweisen, ohne die Linux nicht denkbar wäre.

[3] Im folgenden werde ich den Begriff Gnu/Linux synonym für freie
Software allgemein verwenden. Den Begriff Open Source verwende ich
übrigens nicht so gerne, da in diesem der Versuch mitschwingt, das
Potential, das in Gnu/Linux steckt, wegzudefinieren.

[4] Natürlich gibt es auch in unseren Gesellschaften Tätigkeiten, die
gewöhnlich als Arbeit bezeichnet, aus verschiedenen Gründen aber nicht
entlohnt sind. Auch wenn diese Tätigkeiten für das Überleben der
Gesellschaft unerläßlich sind, spielen sie im gesellschaftlichen
Prozeß doch eine untergeordnete Rolle.

[5] Für Privatleute ist dabei nur Tauschwert von Interesse, der den
selbst für die Produktion eingesetzten übersteigt. Die UnternehmerIn
muß also sogar Gewinn machen.

[6] Selbst in den Gewerkschaften setzt sich nach und nach die
Erkenntnis durch, daß Vollbeschäftigung wie noch in den 70er Jahren
nie mehr möglich sein wird.

[7] Gegen diese Gesetzmäßigkeit sind PolitikerInnen übrigens machtlos
- auch wenn sie uns permanent anderes weis machen wollen.

[8] Die Übernahme der Dresdner Bank durch die Deutsche Bank mit ihrem
massenhaften Verlust an Arbeitsplätzen mag hier als aktuelles Beispiel
dienen.

[9] Nach der Theorie ist diese Entwicklung nur zu stoppen, wenn eine
erneute Marktausweitung gelingt, also eine neue, arbeitsintensive und
gleichzeitig für große Massen interessante Ware gefunden wird, wie in
der Mitte des 20. Jahrhunderts das Automobil. Zwar ist eine solche
Ware nicht prinzipiell ausgeschlossen, aber sie ist nicht in Sicht.

[10] Besonders hervorgetan hat sich auf diesem Gebiet der in der
Gnu/Linux-Szene sehr bekannte Eric S. Raymond, der vor allem mit
seinem Papier Homesteading the Noosphere versucht hat, die Entwicklung
von Gnu/Linux in hergebrachte marktwirtschaftliche Formen zu pressen.

[11] Unter Hobby soll hier eine Tätigkeit verstanden werden, die mit
freiwilliger und selbstbestimmter Anstrengung verbunden ist. Ob dabei
ein greifbares Produkt entsteht ist im allgemeinen zwar zweitrangig,
aber in unserem Zusammenhang sind vor allem solche produktiven Hobbies
von Interesse.

[12] Das eventuelle Produkt eines Hobbies unterscheidet sich von einer
Ware in erster Linie durch die Zweckbestimmung des
Produktionsprozesses. Während bei der Produktion von Waren das
abstrakte Ziel des Verkaufens den Hauptantrieb bildet, ist die
Produktion eines Hobby-Produkts durch Selbstverwirklichung der
ProduzentIn und eventuell eine unmittelbare Nützlichkeit des Produkts
gekennzeichnet.

[13] Am augenfälligsten dürfte dies heute im Bereich der Server sein,
in denen Gnu/Linux dabei ist, das von Microsoft in diesem Sektor
positionierte Windows NT zu überrunden. Die Entwicklung auf dem
Desktop geht nach meiner Überzeugung in eine ähnliche Richtung.

[14] Als Beispiel sei hier das CVS-System erwähnt, daß erst mit dem
breitflächigen Einsatz in der Gnu/Linux-Entwicklung zu dem Tool
herangereift ist, als das wir es heute kennen.

[15] Daß die Entwicklung freier Software eine Tätigkeit ist, die in
den Ländern der III. Welt zumindest in der Masse praktisch nicht
stattfindet, kann in diesem Rahmen nicht weiter erörtert werden. Es
sei aber darauf hingewiesen, daß sowohl die Kostenlosigkeit von
Gnu/Linux als auch die Verfügbarkeit des Source-Codes den Ländern der
III. Welt Chancen bietet, die diese auch allmählich zu nutzen
beginnen.

[16] Daß Distributionen von Gnu/Linux von Firmen wie SuSE oder RedHat
gegen Geld verkauft werden, ist kein Widerspruch gegen dieses Prinzip.
Die Abwesenheit des Tauschprinzips geht auf diesem Sektor sogar so
weit, daß es möglich und legal ist, eine eigene, für den Verkauf
vorgesehene Distribution auf einer anderen solchen Distribution
aufzusetzen.

[17] Mit den Einschränkungen des technischen Zugangs gilt dies sogar
für eine komplette Distribution: Debian.

[18] Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß eine Feindschaft gegenüber
Microsoft bei nicht wenigen Gnu/Linux-VerfechterInnen emotional eine
Rolle spielt. Allerdings macht Microsoft es seinen NutzerInnen mit
seinen Produkten auch nicht gerade schwer, sich ein Feindbild
zuzulegen.

[19] Auf die vieldiskutierte Anerkennungsökonomie soll hier nicht
ausführlich eingegangen werden. Im Kern halte ich diese Theorie aber
für den verzweifelten Versuch, das Phänomen freier Software in
kapitalistisch verstehbare Kategorien zu pressen.

[20] Viele freie Software-Projekte haben ihre Wurzel sogar darin, daß
ein einzelner Mensch ein ganz konkretes Problem lösen wollte, es für
sich getan hat und sich seine Lösung auch für andere als nützlich
erwiesen hat.

[21] Zur Unvereinbarkeit des Entwicklungsmodells von Gnu/Linux mit
kapitalistischen Strukturen hat Stefan Meretz u.a. mit Die doppelte
algorithmische Revolution des Kapitalismus wichtige Beiträge
geleistet.

[22] Immerhin scheinen das ja auch große Distributoren wie Red Hat
oder SuSE zu wissen, die zumindest ihren Verlautbarungen nach die
Prinzipien freier Software auch nach ihrem Börsengang hochhalten
wollen. Und auch große Firmen wie IBM versuchen, auf dem Sektor
Gnu/Linux vorsichtig zu Werke zu gehen.


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