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[ox] Letzter Teil Paper GPL-Gesellschaft



Liebe Leute,

ich habe mittlerweile den letzten Teil meines Papers in einer ersten
Version fertig. Beim Schreiben des Papers sind mir vor allem in diesem
Teil einige Gedanken gekommen, die mir neu und recht spannend zu sein
scheinen. Allerdings bedürfen die noch viel stärkerer diskursiver
Weiterentwicklung als das Bisherige.

Ich möchte euch also nochmals um einen kritischen Blick bitten.

In den nächsten Tagen werde ich mich dann mit dem jetzt wieder etwas
freieren Kopf endlich auch mit euren Reaktionen befassen können.

Außerdem werde ich nach einigen technischen Glättungen den aktuellen
Stand auf jeden Fall auf die Web-Site bringen, sehen, wie ich das
Ganze zu einem OpenTheory-Projekt machen kann, und eine Version für
den LinuxTag fertig machen.

Im Web gibt's dann übrigens auch praktische Links für die zahlreichen
Fußnoten ;-) . Auch die anderen Links kommen dann da raus. BTW: Wenn
ihr noch interessante Links kennt, immer her damit.


						Thanx

						Stefan

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4. init 6: Die GPL-Gesellschaft
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Nach diesen mehr analytischen Überlegungen hier nun eine Vision der
GPL-Gesellschaft [39]. Es geht um eine Gesellschaft, die auf den
Prinzipien beruht, die Gnu/Linux erfolgreich machen, und von denen
einige wichtige eben beschrieben wurden. Die These ist, daß die
GPL-Gesellschaft eine ist, in der die Bedürfnisse der Menschen in den
Mittelpunkt rücken, in der also nicht mehr blinde Mechanismen [40] wie
der Markt die Menschen knechten anstatt ihnen zu dienen. Stattdessen
werden die Menschen frei, ihre Beziehungen zueinander und zu den
Dingen bewußt und nach freier Entscheidung zu gestalten.

An diese Vision, die vor allem eine Vorstellung davon geben soll,
welches Potential in den Prinzipien von Gnu/Linux steckt, schließen
sich einige Überlegungen zum Übergang an.

4.1. Have a lot of fun...
-------------------------

Wie könnte also eine Welt aussehen, die auf den Prinzipien von
Gnu/Linux beruht? Nun, endgültig können wir das heute natürlich nicht
sagen - zu viel ist ungewiß und manches wird durch neue Entwicklungen
in neuem Licht betrachtet werden müssen. Die in den beiden folgenden
Facetten geschilderten Elemente könnten aber wichtige Teile der
GPL-Gesellschaft bilden.

4.1.1. Güterversorgung
----------------------

Wie Gnu/Linux bereits heute würden in der GPL-Gesellschaft materielle
Güter allgemein bereit gehalten [41] bzw. bei Bedarf hergestellt. Bei
Gütern, die leicht, schnell und unkompliziert - z.B. ausschließlich
durch Maschinen - hergestellt werden könnten, könnte vermutlich auf
Lagerhaltung im wesentlichen verzichtet [42] werden. Die produzierten
Güter stünden allen unentgeltlich zur Verfügung, die sie benötigen.
Würde ein heutiger Supermarkt als Verteilstelle genommen, so müßten
vor allem die Kassen entfernt werden.

Die zur Verfügung stehenden Güter wären wie Gnu/Linux von hoher
Qualität. Diese Qualität würde sich auf alle Aspekte eines Gutes
beziehen. Es würden also nicht nur direkte Qualitätsmerkmale wie
Benutzbarkeit, Flexibilität oder Wartbarkeit [43] eine Rolle spielen,
sondern z.B. auch ökologische Gesichtspunkte wie z.B. Langlebigkeit
und Ressourcenverbrauch bei Produktion und Benutzung könnten
angemessen berücksichtigt werden.

Die Güter würden sich wie Gnu/Linux unmittelbar an den Bedürfnissen
der potentiellen NutzerInnen [44] orientieren. Die Bedürfnisse der
NutzerInnen würden im direkten Kontakt [45] mit den ProduzentInnen
ermittelt und müßten nicht durch eine anonyme Instanz wie den Markt
nachträglich vermittelt werden. Das würde auch die Palette der
hergestellten Güter betreffen.

Wie Gnu/Linux schon heute würden die verfügbaren Güter es NutzerInnen
tendenziell ermöglichen, eigenständig und selbstverantwortlich mit
ihnen umzugehen. Die heute scharfe Trennung von ProduzentInnen, die
über die Produktion verfügen, und KonsumentInnen, die lediglich
Vorgefertigtes passiv konsumieren können, würde dadurch gelockert.
Weiterhin würden Produktionsmaschinen auf breiter Basis zur Verfügung
stehen [46], da mit ihrer Hilfe Menschen vollständig selbstbestimmt
Güter herstellen könnten.

4.1.2. Lust und Freiheit
------------------------

Wie für Gnu/Linux würden Menschen selbstbestimmt und freiwillig
handeln. Sie würden je nach persönlichem Gusto und den vorliegenden
Notwendigkeiten [47] der Muße nachgehen oder sich nützlich machen
[48]. Oft würde beides miteinander kombiniert werden können, so daß
die Grenze zwischen Freizeit und Arbeit verschwindet.

Die Maschinen würden in zahlreichen Aspekten verändert werden müssen
[49], da die Orientierung auf Warenproduktion bis in die Konstruktion
von Maschinen reicht. Es müßten Produktionsmaschinen gebaut werden,
die entweder selbständig arbeiten können, oder an denen es Spaß macht
tätig zu sein.

Vom Zwang zur Konkurrenz befreit [50] könnten die Menschen sich
endlich die Freiheit nehmen, so zu kooperieren wie es ihnen gefällt.
Ähnlich wie bei Gnu/Linux sind parallele Entwicklungen zwar durchaus
denkbar, aber Kooperation zwischen verschiedenen Menschen oder Gruppen
von Menschen würde dominieren. Konkurrenz - und damit ein permanenter
Konfliktherd - wäre also nicht mehr wie heute fest in das
gesellschaftliche System eingebaut. Die Qualität der produzierten
Güter würde darunter dennoch nicht leiden, da ja nicht mehr der Zwang
zur Vermarktung, der die Konkurrenz unabdingbar braucht, sondern die
persönliche Lust der entscheidende Antrieb der Produktion wäre.

Auf der Basis von Kooperation für eine gemeinsame Sache könnten die
Menschen nicht nur im produktiven Bereich wieder zu menschlichen
Beziehungen zurückkehren - also solchen, die nicht durch Geld geprägt
sind. Die Anerkennung für besondere Leistungen wird wieder direkt und
unmittelbar erlebbar und äußert sich nicht nur in einer höheren
Geldsumme. Menschen, die nicht mehr dazu gezwungen sind, einen
Großteil ihrer Zeit mit inhaltlich sinnloser Arbeit zu vertun, sondern
die selbstbestimmt sinnvoller Tätigkeit nachgehen können, haben viel
weniger das Bedürfnis, sich irgendwelchen Ersatzbefriedigungen
hinzugeben.

4.2. Fahrkarten in die GPL-Welt
-------------------------------

Diese - zugegeben recht mutige - Vision steht und fällt natürlich mit
der Verallgemeinerbarkeit der Prinzipien von Gnu/Linux. Eignen die
Prinzipien von Gnu/Linux sich tatsächlich als Grundlage einer neuen
Vergesellschaftungsform jenseits von Geld und Markt, so sollten diese
sich wegen ihrer Überlegenheit zumindest bis zu einem gewissen Grad
von alleine durchsetzen. Es wäre also zu beobachten, ob die Prinzipien
von Gnu/Linux in anderen Bereichen als der Software-Entwicklung
ebenfalls an Bedeutung gewinnen. Dabei ist es sinnvoll, zwischen
Informationsgütern und materiellen Gütern zu unterscheiden.

4.2.1. Let's rock!
------------------

Ein interessantes Phänomen spielt sich derzeit in der Musikbranche ab.
Mehrere Faktoren spielen hier zusammen. Zunächst wurde eine
Basiserfindung [51] gemacht, nämlich effektive und hochqualitative
[52] Kompressionsalgorithmen für Audiodaten - allen voran MPEG3.

Ebenso wichtig war offenbar die breite Verfügbarkeit [53] dieses
Algorithmus. So ist mindestens der Dekompressionsalgorithmus frei
verfügbar und bald gab es für alle relevanten Betriebssysteme
Abspielprogramme. Aber auch die Prinzipien der Kompression sind
zumindest in den Grundzügen frei verfügbar, so daß mittlerweile auch
dafür freie Implementierungen [54] existieren, die mittlerweile
ebenfalls hohe Qualitätsstandards erreichen.

Zu all dem kommt natürlich noch das Internet hinzu, das die
flächendeckende, leichte und preiswerte Verteilung von Musik im
MPEG3-Format überhaupt erst erlaubt. Mittlerweile gibt es ganze
Web-Sites, die sich ausschließlich der Verbreitung von MPEG3-kodierter
Musik widmen.

Diese drei ineinandergreifenden Entwicklungen lösen eine Dynamik aus,
die der von Gnu/Linux nicht unähnlich ist. Herkömmlichen - und damit
marktförmigen - Verteilungsweisen von Musik wächst eine ernsthafte
Konkurrenz [55] heran. Die Musikindustrie als einer der
Hauptnutznießer des bisherigen Vermarktungssystems geraten auch
umgehend in leichte Panik und setzen alles daran, diese Entwicklung zu
unterbinden [56] oder notfalls zu beherrschen. Die Entwicklung von
Gnu/Linux vor Augen läßt sich aber absehen, daß diese Bemühungen nicht
von Erfolg gekrönt sein werden.

Spannend ist auch, wie die MusikerInnen als andere wichtige Nutznießer
des bisherigen Vermarktungssystems dieser Entwicklung sehr ambivalent
gegenüber stehen. Während manche sich auf den Standpunkt der
Musikindustrie stellen und die Entwicklung verteufeln, beginnen andere
damit, diese neue Form für sich zu nutzen. Darunter befinden sich
Größen wie David Bowie und die Toten Hosen aber vor allem zahllose
unbekannte MusikerInnen, die dies als einfache Möglichkeit sehen, ihre
Kunst [57] - auch kostenlos - einer breiteren Öffentlichkeit näher zu
bringen. Auch hier sind deutliche Parallelen zu Gnu/Linux [58] zu
erkennen.

Nun, die letzte Schlacht in dieser Auseinandersetzung ist sicher noch
lange nicht geschlagen und die Ausgangssituation ist in der Welt der
Musik sicher eine andere als in der der Software. Aber es gibt auch
hochinteressante Parallelen und sollte sich ein freies MPEG3 weiter
durchsetzen, so ist dies ein weiterer Schritt in die Richtung, die
Gnu/Linux schon so erfolgreich vorexerziert und damit ein weiterer
Baustein für die GPL-Gesellschaft.

4.2.2. Internet kontra Profite
------------------------------

Von vielen interessierten Seiten wird behauptet - und hartnäckig
geglaubt -, daß das Internet einen neuen Profitschub [59] auslöst.
Allgemein wird davon ausgegangen, daß durch das Internet nicht nur
(netto) neue Arbeitsplätze entstehen, sondern sich auch hervorragend
Geschäfte machen lassen. Dabei lassen sich die Gläubigen auch durch
Fakten wie z.B. die permanenten roten Zahlen der allermeisten
Internet-Firmen nicht aus der Ruhe bringen.

Die Realität gibt diesen Glauben - zumindest bislang - allerdings
nicht her. Von ganz wenigen Ausnahmen [60] abgesehen gibt es keine
Beispiele, in denen sich im Internet eigenständige kommerzielle
Angebote [61] entwickelt haben. Die bekannten Buchverkäufer wie
amazon.com oder bol.de z.B. betreiben das Internet ja lediglich neben
ihrem angestammten Geschäftsbereich [62]. Bislang ist also kein
Geschäft bekannt, wozu das Internet die unabdingbare Grundlage wäre
[63].

Daß das Internet, das ja das nicht-kommerzielle Gnu/Linux erst
ermöglicht hat, kommerziellen Bemühungen gegenüber sich derart
störrisch verhält, ist aber nicht der Unfähigkeit der Akteure oder
mangelnder Infrastruktur zuzuschreiben. Vielmehr gibt es einen
fundamentalen Grund, der eine Einbindung des Internet in den
marktförmigen Verwertungsprozeß so sehr erschwert, daß sie in der
Praxis nicht mehr funktioniert.

Das Internet ist nämlich die Globalisierung in ihrer reinsten Form
[64]. Im Internet sind alle weltweiten Anbieter einer Ware
buchstäblich nur noch einen Mausklick voneinander entfernt. Diese
extreme Globalisierung hat entscheidende Folgen.

Einerseits wird durch diese Globalisierung die Konkurrenz zwischen
verschiedenen Anbietern so sehr verschärft, daß sehr schnell nur noch
der Preis Null [65] konkurrenzfähig ist. Auf einen Preis Null läßt
sich aber außer durch eine indirekte Finanzierung durch Werbung oder
Mischfinanzierungen bekanntlich kein Geschäft aufbauen.

Andererseits ermöglicht die weltweite Verfügbarkeit und praktisch
unbegrenzte Kapazität [66] des Internet einem Anbieter eine Präsenz
gegenüber potentiellen KundInnen, die im marktwirtschaftlichen Alltag
undenkbar ist. Dies führt dazu, daß ganz wenige Firmen [67]
ausreichen, um mit ihren Angeboten einen weltweiten Bedarf [68] zu
befriedigen.

Unter diesen Voraussetzungen sind eigenständige kommerzielle Angebote
im Internet dauerhaft bestenfalls für Anbieter möglich, die ein
weltweit einzigartiges Produkt anbieten. Das Internet als solches ist
daher vielleicht eine der wichtigsten Grundlagen für die
GPL-Gesellschaft.

4.2.3. Stand der industriellen Produktion
-----------------------------------------

Die Arbeitslosigkeit, die in unserer heutigen Gesellschaftsform als
tiefgreifende Krise wahrgenommen werden muß, ist nicht unwesentlich
durch den Entwicklungsstand der industriellen Produktion [69]
verursacht. Es ist also schon heute so, daß für die Herstellung von
nützlichen Dingen immer weniger Menschen benötigt werden.

Zudem verschiebt sich die Tätigkeit der noch in der Industrie
beschäftigten Menschen von stupiden und monotonen Arbeiten immer
weiter zu kontrollierenden, überwachenden und steuernden, aber auch
verwaltenden, planenden und wissenschaftlichen Tätigkeiten [70].
Gerade im Bereich der Software reichen die Tätigkeiten [71] sogar
schon heute bis in den künstlerischen Bereich.

Die industrielle Produktion hat also schon heute einen
Entwicklungsstand erreicht, der die nahezu menschenfreie Produktion
möglich erscheinen läßt. Gleichzeitig verändert sich der Charakter der
verbleibenden Tätigkeiten hin zu solchen, die mit Lust ausgeführt
werden können. Die Voraussetzungen für einen Übergang in die
GPL-Gesellschaft wachsen also schon seit längerem heran.

4.2.4. GPL-Produkte
-------------------

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg in die GPL-Gesellschaft wäre die
Übertragung der GPL auf andere Produkte als Software. Während diese
Übertragung für Informationsprodukte bereits stattfindet [72] und
natürlich auch relativ leicht zu bewerkstelligen ist, steht ein
solcher Schritt für materielle Produkte noch aus [73].

Die Übertragung auf materielle Produkte fällt schwerer, weil sie nicht
so einfach wie Information kopiert [74] werden können. Genauer gesagt
besteht die Produktion eines materiellen Guts auch nicht aus dem
Kopieren eines bereits bestehenden Produkts, sondern ein materielles
Gut wird mit zuweilen spezialisiertem Werkzeug und unter Anwendung
spezieller Algorithmen hergestellt. Der Vorgang der Produktion
materieller Güter unterscheidet sich also erheblich vom Vorgang des
abstrakten Kopierens wie mit einem cp-Befehl, der eine Datei völlig
beliebigen Inhalts dupliziert.

Wenn die Kopierbarkeit digitaler Informationen also Gnu/Linux erst
ermöglicht hat, so müßte eine Übertragung der Prinzipien von Gnu/Linux
auf materielle Produkte einhergehen mit dieser einfachen Kopierbarkeit
bzw. Herstellung. Nun geistert der Multiduplikator zwar immer wieder
durch verschiedenste Science Fiction, die technische Entwicklung ist
aber heute von deren Funktionsprinzipien noch weit entfernt.

Ein Schritt in diese Richtung könnte aber sein, daß Universalmaschinen
gebaut werden, die computergesteuert mehr oder weniger beliebige
Werkstücke herstellen können. Erste Entwicklungen in diesem Bereich
sind tatsächlich schon in Betrieb. So gibt es bereits Maschinen, die
mit Hilfe von Laser und speziellen Materialien vollautomatisch ein
dreidimensionales Werkstück erzeugen, mit dem dann weitergearbeitet
werden kann. Eine solche Maschine ist also quasi ein
Universalmaterialisator [75] von Werkstücken. Mit einer solchen
Maschine können die für die GPL-Gesellschaft entscheidenden
Eigenschaften von Informationen auf materielle Güter übertragen werden
[76], so daß solche Maschinen die Basis der Produktion in einer
GPL-Gesellschaft sein könnten.

4.2.5. Informationsgesellschaft auf den Begriff gebracht
--------------------------------------------------------

Seit Jahren geistert der Begriff der Informationsgesellschaft durch
die Medien, die auch als postindustrielle Gesellschaft bezeichnet
wird. Leider bleibt gerade beim letzteren Begriff seltsam offen, was
denn das entscheidende Charakteristikum dieser Gesellschaft nun sein
soll. Die GPL-Gesellschaft und ihre Prinzipien könnten nun diesen
Begriff mit Inhalt füllen.

In den vorindustriellen Agrargesellschaften war die
Subsistenzproduktion von Gütern für den unmittelbaren Lebensbedarf die
entscheidende Konstante. In der industriellen Gesellschaft wurde diese
agrargesellschaftliche Konstante durch die allgemeinere materielle
Produktion von Waren abgelöst und die Produktion von Gütern für den
unmittelbaren Lebensbedarf wurde zunehmend zum reinen Anhängsel der
industriellen Produktion. Die gesamte Gesellschaft wurde durch diesen
Wechsel in der Produktionsweise entscheidend geprägt, so daß von einem
historischen Epochenbruch gesprochen werden kann.

In der GPL- bzw. Informationsgesellschaft würde nun wiederum die
Produktion von Waren zum bloßen Anhängsel [77] der Produktion von
Informationen. Die Gesellschaft würde also von den Prinzipien der
Produktion von Informationen bestimmt - deren erstes Beispiel
Gnu/Linux ist. Ein solcher Umbruch wäre in der Tat ein Epochenbruch
von wahrhaft historischer Dimension.

Version: $Id: vortrag.sdf,v 1.12 2000/03/26 11:24:03 stefan Exp $

______________________________________________________________________

[39] Die GPL (Gnu Public License) ist die rechtliche Grundlage der
meisten freien Software. Die GPL regelt die Rechte und Pflichte, die
die BesitzerIn einer bestimmten Software an dieser Software hat. Sie
wurde erfunden, um sicherzustellen, daß einmal als frei
gekennzeichnete Software auch frei bleibt, so daß es nicht möglich
ist, sie zu privatisieren oder sonstwie der Öffentlichkeit zu
entziehen. Sie bildet quasi die Magna Carta der GPL-Gesellschaft.

[40] Bewußt ist offengelassen, ob diese neue Vergesellschaftung in der
GPL-Gesellschaft ohne blinde Mechanismen auskommt, oder ob nur neue
solche Mechanismen den Menschen dienen. Diese interessante Debatte
kann hier leider nicht geführt werden.

[41] Die allgemeine Bereitstellung von Gütern beinhaltet auch, daß
Güter an alle die Stellen verteilt werden, wo sie benötigt werden.
Einer internationalen Verteilung von Gütern stünde ja - von
ökologischen Überlegungen einmal abgesehen - nichts im Wege.

[42] Dies erinnert an das Just-In-Time-Prinzip, das seit vielen Jahren
die Lagerhaltung in der Industrie zunehmend ersetzt. Diese Prinzip
wurde erst durch die breite Verfügbarkeit von Computern (und
Kommunikationsmitteln) möglich.

[43] Das (nicht nur) aus der Software-Produktion bekannte Prinzip der
Modularisierung könnte hier zu neuen Ehren kommen. Modularisierte
Güter erlauben den einfachen Austausch von Komponenten und tragen
somit entscheidend sowohl zur Wartbarkeit als auch zur flexiblen
Nutzung von Gütern bei.

[44] Dies steht im Gegensatz zu Waren, die ja hergestellt werden, um
verkauft zu werden. Im Umkehrschluß werden einerseits Waren, die nicht
auf keine kaufkräftige Nachfrage stoßen würden, gar nicht erst
hergestellt. Die Bedürfnisse von Menschen, die über wenig oder keine
Kaufkraft verfügen, bleiben von Waren also unberücksichtigt.
Andererseits werden umgekehrt natürlich Luxuswaren produziert, die die
Bedürfnisse nur ganz weniger, dafür aber kaufkräftiger Menschen
erfüllen. Eine bedürfnisorientierte Güterproduktion würde also auch
für eine Demokratisierung auf der Ebene der Bedürfnisse sorgen.

[45] Dadurch würde auch die Notwendigkeit von Werbung in ihrer
heutigen Form entfallen. Es bliebe die Notwendigkeit potentielle
NutzerInnen realistisch über existierende zu informieren.
Darüberhinaus würde ein permanenter Diskurs über mögliche
Verbesserungspotentiale und deren Realisierbarkeit zwischen
ProduzentInnen und (interessierten) NutzerInnen bestehen.

[46] So wäre es z.B. denkbar, daß hochqualitatives und spezialisiertes
Werkzeug bis hin zu entsprechenden Maschinen in einer Werkstatt
gebündelt ist, die vielen Menschen z.B. eines Wohngebiets zur
Benutzung zur Verfügung steht. Die Betreuung einer solchen Werkstatt
und ihrer LaiennutzerInnen könnte dann von Menschen übernommen werden,
die sich eine entsprechende Kompetenz angeeignet haben und denen eine
solche unterstützende Tätigkeit Spaß macht.

[47] Da Menschen zu allen Zeiten auch ohne äußeren Zwang dafür gesorgt
haben, daß ihr Überleben gesichert ist und damit also sie den
vorhandenen Notwendigkeiten Rechnung getragen haben, ist davon
auszugehen, daß sie dies im unter Bedingungen der Freiheit nicht
ablegen werden. Im Gegenteil bringt echte Freiheit ein Gefühl für
freigewählte Verantwortung hervor, das nicht mit Geld zu bezahlen ist.
Als Illustration mag die Verantwortung von Eltern gegenüber ihren
Kindern dienen.

[48] Daß auch ohne äußere Zwänge Menschen sich freiwillig nützlich
machen, ist alleine durch die Existenz von Hobbies und nicht zuletzt
Gnu/Linux gezeigt.

[49] Der Computer als eine der universalsten Maschinen, die die
Menschheit bisher hervorgebracht hat, läßt sich eben nicht wie eine
Werkzeugmaschine nur zur Herstellung eines Produkts verwenden, sondern
eignet sich auch zum Spielzeug. Auch hier weist also der Computer als
eines der fortgeschrittensten Maschinen der Technikentwicklung über
den Kapitalismus hinaus.

[50] Der Zwang zur Konkurrenz hat reichlich Nachteile. An den
Microsoft-Produkten ist im Unterschied zu Gnu/Linux z.B. feststellbar,
wie die Weiterentwicklung, durch die Geheimhaltung gebremst wird.

[51] Diese Basiserfindung war offenbar eine entscheidende
Voraussetzung, um die folgende Entwicklung auszulösen. Audiodaten
konnten auch vorher schon digital verarbeitet werden und Um die
immense Datenflut von Audiodaten in den Griff zu bekommen, gab es auch
vor der Erfindung von MPEG3 schon verschiedene Kompressionsalgorithmen
(z.B. uLaw und aLaw). Allerdings waren diese älteren Algorithmen nicht
in der Lage, hohe Kompressionsraten mit hoher Qualität zu verbinden.

[52] Zur Qualität von MPEG3 hat die renommierte Computerzeitschrift
c't in der Ausgabe 3/2000 einen Test veröffentlicht, bei dem auch
geschulte HiFi-Ohren keine Unterschiede mehr zur CD feststellen
konnten.

[53] Interessant ist, daß seit Jahren die Firma RealAudio versucht,
Kompressionstechnik u.a. für Audio zu verbreiten. Trotzdem sie mit
ihrer Technik in ähnliche Leistungsbereiche vorstießen wie MPEG3 und
obwohl sie die Abspielprogramme kostenlos verteilten, war das
kommerzielle RealAudio-Format nicht in der Lage, eine Dynamik ähnlich
zu MPEG3 auszulösen.

[54] Die c't hat vor allem den LAME-Encoder hervorgehoben.

[55] Eine andere Konkurrenz wächst der Musikindustrie durch die immer
weitere Verbreitung von CD-Brennern heran, da es mit ihnen möglich
ist, das heutige Hauptverbreitungsmedium für Musik ohne
Qualitätsverlust zu kopieren.

[56] Mit dem DAT (Digital Audio Tape) ist der Musikindustrie dies vor
Jahren gelungen. Auch das DAT, das als digitale Ablösung der
CompactCassette vorgesehen war, hätte eine qualitätserhaltende Kopie
von CDs ermöglicht. Diese Technik konnte von der Musikindustrie so
gründlich verhindert werden, daß heute DAT in der HiFi-Szene praktisch
keine Rolle spielt und höchstens noch im Computerbereich als
Backup-Medium eine gewisse Rolle spielt.

[57] Der künstlerische Aspekt von Musik bildet eine interessante
Parallele zur Entwicklung von Software. In beiden Fällen ist die
KünstlerIn zunächst mal um ihrer selbst und der Kunst Willen produktiv
tätig und braucht so also zunächst keinen weiteren Anreiz für diese
Tätigkeit. In beiden Fällen tritt die Vermarktung von außen hinzu. Ein
Umstand, der im Bereich der Kunst im übrigen schon immer als
problematisch gesehen wird.

[58] Angesichts dem von der Musikindustrie nur allzu oft verzapften
Einheitsbreis zählt eine Qualitätssteigerung sicher zu den
wünschenwerten Parallelen einer solchen Entwicklung ;-) .

[59] Es wird hier nicht auf Geschäftsprozesse zwischen Firmen
eingegangen, die durch das Internet erst ermöglicht werden.

[60] Als Ausnahme können evt. die Suchmaschinen dienen, die über
Werbung von Dritten Einnahmen für ihre Leistung erzielen. Allerdings
handelt es sich für die KundInnen nicht mehr um einen klassischen
Tausch Ware gegen Geld, sondern es wird die Ware Information gegen das
Ertragen der Belästigung durch die Werbung getauscht. Es gibt nicht
eine Suchmaschine, die ihren BesucherInnen die Suche in Rechnung
stellen würde.

[61] Es gibt allerdings den Bereich der Pornographie im Internet, in
dem vermutlich tatsächlich Geld verdient wird. Auch hier handelt es
sich aber oft nicht um wirklich neue Formen, sondern bereits aus real
existierenden Rotlichtbezirken Bekanntes wird lediglich im Internet
multipliziert.

[62] Auch die Zahl der speziell für das Internet abgestellten
Mitarbeiter dürfte entsprechend niedrig sein.

[63] Dies relativiert auch die seit Jahren immer wieder aufkommenden
Befürchtungen - oder wahlweise Hoffnungen - einer durchgreifenden
Kommerzialisierung des Internet. Darüber hinaus: Selbst wenn viel mehr
kommerzielle Sites online wären, so gäbe es auch nicht einen
vernünftigen Grund die vielen nicht-kommerziellen Sites zu entfernen.
Es würde also immer ein nicht-kommerzieller Anteil erhalten bleiben.
Dies hängt stark damit zusammen, daß im Gegensatz zu den
Sendefrequenzen bei Fernsehen und Rundfunk die Ressourcen für einen
Internet-Auftritt nicht knapp sind. Um das einzig wirklich knappe Gut
im Internet - die Domain-Namen - gibt es übrigens prompt Versuche,
diese stärker zu kommerzialisieren.

[64] Diese extreme Durchsetzung der Globalisierung, die ja ein in der
kapitalistischen Produktionsweise angelegtes Prinzip ist, scheint also
nicht mehr zur immanenten Modernisierung des Kapitalismus in der Lage
zu sein und weist also über ihn hinaus.

[65] Eindruckvolles Beispiel ist die Internet-Ausgabe der Britannica.
Seitdem dieses Standardlexikon im Internet verfügbar ist, macht es
zumindest im englischsprachigen Raum schlicht keinen Sinn mehr, ein
ähnliches, jedoch kostenpflichtiges Angebot zu machen.

[66] Bei halbwegs durchdachter Software ist eine Web-Site ja auf
beliebig viele Rechner verteilbar, so daß auftretende Engpässe
schnell, billig und einfach beseitigt werden können.

[67] Gnu/Linux selbst ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, wie der
weltweite Bedarf an Distributionen mit sehr wenig Lohnarbeit abgedeckt
werden kann. Die Firma SuSE als einer der beiden größten Distributoren
beschäftigen gerade mal 250 MitarbeiterInnen.

[68] Auf Begrenzungen stoßen Anbieter erst, wenn sie das Internet
verlassen und z.B. Waren liefern müssen. Dazu benötigen sie natürlich
eine Infrastruktur, die zunächst vom Internet unabhängig existiert und
begrenzt sein kann.

[69] So stecken z.B. in einem Auto, das heute ein Werk verläßt, um
mehrere Größenordnungen weniger Arbeitsstunden als zu Zeiten von Henry
Ford - ganz davon abgesehen, daß ein modernes Auto einen
unvergleichlich höheren Gebrauchswert hat als ein Model T.

[70] Dieser Tätigkeiten lassen sich zunehmend schwerer mit den
hergebrachten Kommandomethoden organisieren. Nicht umsonst hypen in
den Management-Etagen in den letzten Jahren Führungskonzepte, die die
traditionellen hierarchischen Beziehungen zunehmend hintan stellen und
Motivation und Nutzung der kreativen Ressourcen der Mitarbeiter in den
Vordergrund stellt. Diesen Versuchen sind aber durch die unaufgehobene
Fremdbestimmtheit der Lohnarbeit prinzipielle Schranken gesetzt.

[71] Die erfolgreiche Organisation von Software-Produktion hat schon
heute nur noch wenig mit dem aus den klassischen Industrien bekannten
zu tun. Wo erfolgreich Software produziert wird, herrschen echte
Team-Arbeit und Konsensorientierung anstatt Befehlston deutlich vor.
Auch dieser Aspekt weist deutlich über den Rahmen des Kapitalismus
hinaus und hat letztlich in Gnu/Linux einen angemessenen Ausdruck
gefunden.

[72] Für Dokumente gibt es z.B. die Open Content License oder seit
neuerem auch eine Free Documentation License von Gnu.

[73] Allerdings gibt es auch hier erste Bemühungen in Form der Freedom
CPU (F-CPU).

[74] Dabei darf nicht vergessen werden, daß die einfache Kopierbarkeit
von Informationen eine Errungenschaft der Neuzeit ist. Nie in der
Geschichte der Menschheit war es so einfach, Informationen in nahezu
beliebigem Umfang zu kopieren wie dies heute mit digitalisierter
Information und Computern möglich ist. Es sei nur an die klösterlichen
Schreiber des Mittelalters erinnert, die handschriftlich Bücher
kopierten.

[75] Selbstverständlich sind auch stärker spezialisierte, aber
weitgehend programmierbare Maschinen schon ein Schritt in diese
Richtung. So gibt es beispielsweise in der Metallverarbeitung heute
schon Automaten, die einmal programmiert praktisch unbeaufsichtigt die
Arbeit von vielen Menschen übernehmen. Dabei sind sie in so weiten
Bereichen programmierbar, daß mit ihnen eine breite Palette von
Werkstücken erzeugt werden kann.

[76] Natürlich blieben auch dann einige Probleme der materiellen
Produktion wie z.B. die Rohstoffversorgung bestehen. Dieses Problem
stellt sich aber auch bei der Kopie von Informationen und ist dort in
der Regel heute kein Problem mehr. Die Versorgung mit Medien, auf
denen die Kopien existieren ist also für den Bereich der
Informationskopien lediglich ein Anhängsel des eigentlichen Vorgangs
geworden. Diese Tatsache dürfte wesentlich durch die Uniformität der
Medien und damit der Möglichkeit ihrer massenhaften Produktion
begünstigt sein. Solche Effekte dürften sich bei den genannten
Universalmaschinen mittelfristig ebenfalls einstellen.

[77] Schon in der Entwicklung der industriellen Gesellschaft ist seit
Jahrzehnten ein Trend weg von der materiellen Produktion zu erkennen.
Die sognannte Dienstleistungsgesellschaft ist ein Ausdruck dessen.
Allerdings hat sich bislang die gesellschaftliche Form nicht von der
industriellen Gesellschaft lösen können.



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