GPL-Gesellschaft und der Rest (was: Re: [ox] [ox] ein paar Einw rfe)
- From: Stefan Merten <smerten dialup.nacamar.de>
- Date: Tue, 11 Apr 2000 20:33:27 +0200
Hi Benni et al!
Ich finde die Frage nach dem Innen und Außen einer GPL-Gesellschaft
momentan zwar sehr hypothetisch, dennoch ein paar Gedanken dazu.
9 days ago Benni Baermann wrote:
On Sun, Apr 02, 2000 at 05:25:20PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
zu spekulieren ist tatsächlich ein wenig seltsam, zumal
nämlich zur selben Zeit, in der wir gerade den Kapitalismus
überwinden (wollen), andere Menschen noch in der Steinzeit leben.
Ja, es gibt hier massive Ungleichzeitigkeiten. Aber ich würde sagen:
Ja, so ambivalent ist die Welt einfach. Klingt für mich jedenfalls
wesentlich realistischer, als Utopien, die auf einen Schlag den ganzen
Planeten beglücken wollen.
Der Witz ist doch aber, dass unsere hochtechnisierte Gesellschaft
auf dem Ruecken eines Grossteils der Weltbevoelkerung am Leben
gehalten wird.
Ein altes und kontroverses Thema. Historisch gesehen ist auf jeden
Fall richtig, daß der (materielle) Reichtum unserer Gesellschaften auf
der (massiven) Ausbeutung des Rests der Welt beruht - vor allem
Kolonialisierung.
Ob aber der erreichte Stand materiellen Reichtums bei gerechter
Weltwirtschaftsordnung sehr absinken würde, wage ich mal zu
bezweifeln. Der materielle Reichtum bei uns ist ja nicht unwesentlich
der hohen Produktivität zu verdanken und nicht nur billigen
Rohstoffen.
Als Indiz fiele mir ein, daß ja auch Länder der III. Welt zu den
gleichen Preisen auf dem Weltmarkt Rohstoffe einkaufen, mitnichten
aber in auch nur einer annähernd gleichen ökonomischen Position sind.
Dies gilt auch - und sogar gerade - für rohstoffarme Länder ähnlich
Deutschland.
Wenn Du das einfach ignorierst, gehst Du implizit
davon aus, dass diese Unterdrueckung auch in der "GPL-Gesellschaft"
Bestand haette.
Nun, der Sozialismus wurde mal ausschließlich als Weltgesellschaft
gedacht. Erst Stalin hat das zum "Sozialismus in einem Land"
umideologisiert.
Ob eine GPL-Gesellschaft quasi auf einer Insel entstehen könnte und
drumherum gäbe es noch Staaten / Regionen, die im Kapitalismus
weiterwursteln? Gute Frage finde ich.
Obiger Argumentation folgend würde ich das zunächst mal bejahen. Da -
so ja die durch Gnu/Linux unterlegte These - die GPL-Produktionsweise
mächtiger wäre als die kapitalistische, sehe ich kein prinzipielles
Hindernis, daß sich die GPL-Gesellschaft in Teilen der Welt
durchsetzt, während andere Teile die (technologischen) Voraussetzungen
dazu (noch) nicht haben.
Ähnliches gilt ja auch für die kapitalistische Produktionsweise
allerdings mit dem Unterschied, daß die industrialisierten Staaten
wegen der kapitalistischen Konkurrenz kein Interesse daran haben, daß
andere Staaten ebenfalls ihr Entwicklungsniveau erreichen. Das wäre in
der GPL-Gesellschaft anders, denn da wäre es ja nur von Vorteil, wenn
möglichst viele Menschen in ihr leben, damit möglichst viele sich
entfalten können und somit eine möglichst positive Welt gestalten
könnten.
Wie die Wechselbeziehungen zwischen diesen beiden Teilen des Planeten
dann aussehen könnten, ist eine noch bessere Frage. Momentan gibt es
ja (soweit ich mit Mails bisher bin) noch nicht mal Überlegungen, ob
eine GPL-Gesellschaft übergeordnete Strukturen ähnlich heutiger
Staaten überhaupt haben müßte - aber das ist auch sehr spekulativ,
oder?
Grundsätzlich wären GPL-Produkte - wie Gnu/Linux bereits heute - aber
auch für noch kapitalistische Regionen verfügbar und könnten diesen
Regionen dann beim Aufholen helfen.
Aber vielleicht ist auch die Denke in Regionen nicht richtig.
Vielleicht müßten wir mehr in Strukturen quer zu geographischen
Territorien denken. Territorien und die an sie angelehnte
(National)-Staatenbildung sind ja nicht unwesentlich ein Produkt der
kapitalistischen Produktionsweise mit ihrer Konzentration auf
materielle Produktion.
Mit li(e)bertären Grüßen
Stefan
PS: Oh je, jetzt bin ich aber vom 100-sten ins 1000-ste gekommen ;-) .
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