Re [ox] "GPL-Gesellschaft" oder was?
- From: Bernd <B.Binder DKFZ-Heidelberg.de>
- Date: Sat, 30 Sep 2000 18:12:15 +0200 (MET DST)
Hallo Liste!
On Thu, 28 Sep 2000, Thomas Uwe Gruettmueller wrote:
Hallo, Oekonuxis!
On Don, 28 Sep 2000, Franz J. Nahrada wrote:
Es ist sicher sehr schwer, gleich eine ganze
Gesellschaft zu benennen, die es noch gar nicht
gibt...und man kann sich dabei täuschen.
Ich möchte die Idee in die Diskussion werfen,
sich mal an die Wirtschaftsform zu halten.
Da gäbe es den Vorschlag, in begrifflicher Differenz
von Marktwirtschaft und Planwirtschaft von einer
Forums- oder Forenwirtschaft zu reden.
Mit dem Begriff "Gesellschaft" habe ich auch leichte Probleme, zumal dieser
ja das Zusammenleben und Verhalten der Menschen bezeichnet, und das wollen
wir ja im grossen und ganzen nicht ändern.
[...]
Nicht so gut finde ich hingegen Ansätze, "GPL-" durch "Forums-" oder
"Selbstentfaltungs-" zu ersetzen. Dies weicht mir schon zu sehr von der
ursprünglichen Fragestellung "Lassen sich die Prinzipien Freier Software auf
ander Bereiche der Wirtschaft übertragen?" ab, hebt (zwar wichtige, jedoch
nicht entscheidende) Teilaspekte hervor und läßt ferner völlig offen, ob die
neue Ordnung durch Freies Wissen, durch eine gewaltsame Revolution oder durch
ein Wunder Gottes entstehen soll.
Tschüß,
Thomas
}:o{#
An dem Begriff GPL-Gesellschaft hat sich eine spannende Diskussion
entzuendet. Kern dieser Diskussion ist wahrscheinlich die
Frage, was denn nun eigentlich im Kern die neuen Produktivkraefte
ausmacht. Die Frage ist wichtig weil man nur darauf aufbauend
eine Einschaetzung machen kann, ob - und wenn ja in welchem Zeitraum -
sich die Prinzipien der freien Softwareherstellung auf die gesamte oder
den uebergrossen Teil unserer Produktion uebertragen lassen.
Es ist kein Zufall, dass sich grob zwei "Fluegel" (KP-Romantik :-))
in der Diskussion um den Begriff GPL-Gesellschaft gebildet haben:
1. Wirtschaft - Technik - PM - Lizenz (Copyleft) - Infrastruktur
Das besondere an der gebrauchswertorientierten, d.h. freien
Softwareherstellung ist die Tatsache, dass die Produktionsmittel
Computer so weit verbreitet fanden, weil sie sehr billig wurden.
Mit dem CD-Brenner verhaelt es sich aehnlich.
Hinzu kommt die Infrastruktur des Internet und die Copierbarkeit
von Informationsguetern.
Und schliesslich die geniale Erfindung der GPL-Lizenz.
Wer dies alles fuer den Kern der aktuellen Produktivkraftentwicklung
und die Selbstentfaltung/Kreativitaet fuer ein daraus
entspringendes Resultat haelt, der tendiert zum Begriff
"GPL-Gesellschaft" oder GPL-Wirtschaft...
Um eine Prognose fuer die Zukunft und den Uebergang zu machen nimmt man
an, dass erstens weitere PM in den Haenden der Bevoelkerung landen,
und zweitens, dass der informell-algorithmische Anteil der Produktion
stark zunimmt (so wie die Dienstleistungen die Industrieproduktion
ueberholte).
2. Selbstenfaltung - Selbstorganistation
Produktivkraftentwicklung ist kein Technikbegriff
sondern ein Verhaeltnisbegriff.
Das besondere an den neuen Produktivkraeften ist, dass der Mensch in
den Mittelpunkt des folgenden Stoffwechselprozesses (Arbeit) rueckt:
Mensch
/ \
/ \
/ \
/ \
/ \
/ \
Natur ------- Mittel(Werkzeug)
In der Steinzeit, Antike, Mittelalter und Feudalismus war es die Natur,
d.h. insbesondere der zu bestellende Boden, der im Mittelpunkt stand.
Die Berabeitung der Natur unterlag einem staendigen
Verbesserungsprozess.
Dann kam mit dem Industrikapitalismus die Mittel/Werkzeug Epoche, indem
Maschinen und Werkzeuge ins Zentrum der Entwicklung rueckten.
Und jezt ist der Mensch selbst in den Mittelpunkt der Entwicklung
gerueckt, d.h. dass die permanente Entfaltung seiner Potentiale
oekonomisch ansteht. In dem Slogan "Lebenslanges lernen" spiegelt sich
das unter anderem wieder.
Wer den Mensch in den Mittelpunkt der oekonomischen Entwicklung
ruecken sieht und dies als den Kern der neuen Produktivkraefte
ausmacht, der tendiert wohl eher zum Begriff
Selbstentfaltungsgesellschaft.
Um eine Prognose fuer die Zukunft und den Uebergang zu machen fragt
man sich dann eher: Wie muessen Genossenschaften oder Menschengruppen
sich verhalten, um ohne Profitlogik im Innern und mit einer
geringen Schnittstelle zu dieser nach aussen (also hin zum Kaptalismus)
zu produzieren?
Das war mal ein Versuch eine ganz grobe Zusammenfassung zu machen.
Viele Gruesse,
Bernd
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