Re: [ox] Bericht von MES Tagung und zu "human capital"
- From: RalfKrae aol.com
- Date: Mon, 16 Oct 2000 08:13:36 EDT
Liebe Leute, lieber Uli,
ich hab mich jetzt neu in die Liste eingetragen und will einige Bemerkungen
zu Uli Leichts mail machen.
Daß es objektiv eine hoffnungsvolle
Entwicklung und positive ist, daß im Zuge der mikrelektronischen
Produktivkraftentwicklung abstrakte Arbeit wegschmilzt und mensch sie
millionenfach l o s wird.
Produktivkraftentwicklung im Sinne der Steigerung der Arbeitsproduktivität
hat die ArbeiterInnenbewegung klassischerweise positiv betrachtet, das
brauchst du nicht einzufordern. Dass dadurch nicht nur im Einzelnen, sondern
insgesamt "abstrakte Arbeit wegschmilzt" und gar so der Kapitalismus
tendenziell entschwindet, halte ich nach wie vor für ein unzutreffendes
Gerücht. Abstrakte Arbeit wird heutzutage weltweit mehr als je zuvor
geleistet und auch hierzulande in ziemlich stabilem Umfang, bzgl. der Zahl
der einbezogenen Personen sogar tendenziell weiter steigend, wenn man sich
von der falschen Verengung löst, nur die materielle Warenproduktion und nicht
auch Arbeit in allen möglichen Arten von Dienstleistungen zu betrachten.
antimarktwirtschaftlichen Wege, wie z.B. eine
Genossenschsftsbewegung auf neuer und höherer Stufe, fernab von Markt und
Staat
na ja, bisher waren die Genossenschaften in aller Regel über Markt mit der
gesellschaftlichen Reproduktion allgemein verbunden.
So in dieser Form habe ich versucht, mich einzumischen. bei wenigen
Kopfschütteln.
Ich habe schon einiges Kopfschütteln wahrgenommen, mein eigenes
eingeschlossen. Aber interessanter weil kontroverser wurde die Tagung dadurch
allemal.
----------------------------- Ende Bericht
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Nun zu meinem Artikel über Human Capital und Informationsrenten, Cyberlords
und modernen Sozialismus.
Hier wurde kurz darüber gestritten, ob der englische Begriff sinnvoll oder
ein
Ärgernis sei. Dieses Problem habe ich nicht. Ich bin kein ausgewiesener
Kenner
in ökonomischen Fragen, mir scheint aber, daß der Begriff überhaupt aus
system- und wertkritischer Sicht falsch und für unsere Analyse nicht so
hilfreich ist, und auch nicht die abgeleiteten und auftauchenden
Beschreibungen wie "Informationsrenten", "Informationskapitalismus und
moderner Imperialismus", "Cyberlords", "Wert des 'Human Capital'".
Der Begriff des "Human Capital" wird verwendet, egal ob wir ihn falsch oder
ärgerlich finden, z.T. auch von Linken (etwa in dem Artikel von Sass), darum
habe ich mich damit auseinandergesetzt.
Fragen, auf die ich jetzt noch nicht eingehender eingehen kann, wären:
- was ist "human capital" eigentlich so besonderes? Ein Begriff aus der
VWL,
der die "skillness" (Wissen, Können, Fähigkeiten, Talent und Wollen), dann
auch von Agenten im kapitalistischen Produktionsprozeß auf toter und
lebendiger Kapitalsseite fassen könnte?
- hunamn capital eine "Erscheinungsform des immaterillen Kapitals", des
"fixen
Kapitals", sein Einkommen eine Form der "Grundrente"? Was denn nun?
Kann ja sein, dass mein Text etwas verwirrend ist und etwas hin und her geht
in der Betrachtung verschiedener Dimensionen des Problems, aber so verwirrend
m.E. auch nicht, dass man das da raus lesen könnte. Ich schrieb, die
"Wertbestimmung" des "Human Capital" sei analog der des von Marx so genannten
"fiktiven Kapitals". Zweitens schrieb ich, dass die ökonomische Form des
aufgrund der Monopolisierung des Eigentums von Informationprodukten
angeeigneten Mehrwerts die der Rente sei (nicht die des gewerblichen Profits,
der der Tendenz zum Profitratenausgleich in der Konkurrenz unterliegt), daher
Informationsrente analog zur von Marx betrachteten Grundente im Kapitalismus.
Aber selbstverständlich ist Informationsrente nicht eine Form der Grundrente,
weil Informationsprodukte (ganz glücklich bin ich mit diesem Wort noch nicht)
und intellektuelle Eigentumsrechte was anderes sind als Boden und andere
nicht reproduzierbare materielle Produktionsbedingungen und die
Eigentumsrechte daran. Außerdem ist das nur ein möglicher Ursprung von
Einkommen, die als "Human Capital" betrachtete Erwerbstätige beziehen, es
geht hier um verschiedene Gegenstände.
- Finanziert aus Extraprofiten oder wesentlich aus dem
"Geisterkapitalismus,
dessen ruhelose Seele die für sich auf Dauer nicht lebensfähige
aufgeblasene
Börsenkapitalisierung ist."(Kurz in "New Economy")?
Mit Kurz und mit dieser metaphorisch aufgeblasenen Sprache hab ich größere
Probleme. Über Geister und ruhelose Seelen sollen sich Mystiker und Pfaffen
streiten. Nach meiner Wahrnehmung ist der Kapitalismus ziemlich real und auch
die Prozesse auf den Finanzmärkten haben mit Geistern nichts zu tun und
selbst wenn die sicherlich überzogene Börsenkapitalisierung noch deutlich
stärker krisenhaft "korrigiert" würde, als es auf dem "neuen Markt" in den
letzten Monaten bereits passiert ist, wird das der Kapitalismus alle mal
überleben.
"Jedes Kind kann sich ausrechnen, daß dieser virtuelle
Scheinkapitalismus noch viel unhaltbarer ist als die spekulative
Vorwegnahme eines traditionellen Wirtschaftswunders bei den "Blue Chips",
das ebenfalls nie mehr nachfolgen wird. Das Internet revolutioniert in der
Tat
die Kommunikationsmöglichkeiten, aber in Wahrheit über den Kapitalismus
hinaus.
Wer das glaubt, mag selig werden. Ich bleibe ungläubig. Kein Sozialismus ohne
soziale und politische Umwälzung, die von Menschen in Auseinandersetzungen
gegen herrschende Klasse durchgesetzt werden muss.
Eine tragfähige kapitalistische "Webwirtschaft" wird es mangels Produktion
und
Beschäftigung nicht geben. Außerdem ist der E-Commerce äußerst anfällig,
denn
es erweist sich als ziemlich aufwendig, die weitgehend (von den
Telefongebühren
abgesehen) kostenlose Nutzung des globalen Netzwerks in einem wirklich
großen
Maßstab als kapitalistisches Angebot zu organisieren und dabei die
kommerzielle
Abwicklung störungsfrei sicherzustellen.
M.E. geht es bei E-Commerce weniger darum, die Nutzung des Nets als
kapitalistisches Angebot zu organisieren (was aber doch auch by the way
durchaus der Fall ist, oder sind Telekom, Cisco etc. nicht kapitalistische
Unternehmen, die sehr gut daran verdienen?), als über das Netz Handel mit
Gütern oder Diensten zu vermitteln, die selbst keineswegs nahezu kostenlos zu
haben sind, und gesellschaftliche Produktionsstrukturen umzuorganisieren. Das
findet statt, und ist nicht unbedingt anfälliger (nur anders anfällig) für
irgendwas, als es gesellschaftliche Produktion irgendwie immer ist.
Die eigentliche revolutionäre Bedeutung des Internet könnte in seinem
Gehalt
als postkapitalistisches Universalmedium liegen, das innerhalb der
kapitalistisch verfaßten Gesellschaft vor allem der oppositionellen
Kommunikation dient. ...
Vor allem? Wovon träumt der nachts?
Der verborgene Sinn
des "World Wide Web" ist ein global vernetztes elektronisches Rätesystem.
Die
falschen Blütenträume vom Internetkapitalismus dagegen können nur noch
eines:
nämlich platzen." (aus: Kurz, "Euphorie um New Economy")
Ich bin durchaus der Auffassung, dass die Hoffnung der Protagonisten der new
economy auf ein neues Prosperitätszeitalter trügerisch ist und insoweit
platzen wird, dass der Kapitalismus weiterhin ein ökonomisch und sozial
krisenhaftes System bleibt. Dies ist aber kein Hindernis für weiteres
Funktionieren, Platzen werden also ebenfalls Zusammenbruchsillusionen von
Kurz und Co. realistischer erscheint mir da z.B. die Analyse von J. Bischoff
in "Sozialismus" 78/2000.
Herzliche Grüße
Ralf Krämer
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