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Re: [ox] Bericht von MES Tagung und zu "human capital"



Liebe Leute, lieber Uli,

ich hab mich jetzt neu in die Liste eingetragen und will einige Bemerkungen 
zu Uli Leichts mail machen.

 Daß es objektiv eine hoffnungsvolle 
 Entwicklung und positive ist, daß im Zuge der mikrelektronischen 
 Produktivkraftentwicklung abstrakte Arbeit wegschmilzt und mensch sie 
 millionenfach l o s  wird. 

Produktivkraftentwicklung im Sinne der Steigerung der Arbeitsproduktivität 
hat die ArbeiterInnenbewegung klassischerweise positiv betrachtet, das 
brauchst du nicht einzufordern. Dass dadurch nicht nur im Einzelnen, sondern 
insgesamt "abstrakte Arbeit wegschmilzt" und gar so der Kapitalismus 
tendenziell entschwindet, halte ich nach wie vor für ein unzutreffendes 
Gerücht. Abstrakte Arbeit wird heutzutage weltweit mehr als je zuvor 
geleistet und auch hierzulande in ziemlich stabilem Umfang, bzgl. der Zahl 
der einbezogenen Personen sogar tendenziell weiter steigend, wenn man sich 
von der falschen Verengung löst, nur die materielle Warenproduktion und nicht 
auch Arbeit in allen möglichen Arten von Dienstleistungen zu betrachten.

 antimarktwirtschaftlichen Wege, wie z.B. eine 
 Genossenschsftsbewegung auf neuer und höherer Stufe, fernab von Markt und 
 Staat

na ja, bisher waren die Genossenschaften in aller Regel über Markt mit der 
gesellschaftlichen Reproduktion allgemein verbunden. 

 So in dieser Form habe ich versucht, mich einzumischen. bei wenigen 
 Kopfschütteln.

Ich habe schon einiges Kopfschütteln wahrgenommen, mein eigenes 
eingeschlossen. Aber interessanter weil kontroverser wurde die Tagung dadurch 
allemal.
 
 ----------------------------- Ende Bericht 
----------------------------------

Nun zu meinem Artikel über Human Capital und Informationsrenten, Cyberlords 
und modernen Sozialismus.

 Hier wurde kurz darüber gestritten, ob der englische Begriff sinnvoll oder 
ein 
 Ärgernis sei. Dieses Problem habe ich nicht. Ich bin kein ausgewiesener 
Kenner 
 in ökonomischen Fragen, mir scheint aber, daß der Begriff überhaupt aus 
 system- und wertkritischer Sicht falsch und für unsere Analyse nicht so 
 hilfreich ist, und auch nicht die abgeleiteten und auftauchenden 
 Beschreibungen wie "Informationsrenten", "Informationskapitalismus und 
 moderner Imperialismus", "Cyberlords", "Wert des 'Human Capital'".

Der Begriff des "Human  Capital" wird verwendet, egal ob wir ihn falsch oder 
ärgerlich finden, z.T. auch von Linken (etwa in dem Artikel von Sass), darum 
habe ich mich damit auseinandergesetzt.

 Fragen, auf die ich jetzt noch nicht eingehender eingehen kann, wären:

 - was ist "human capital" eigentlich so besonderes? Ein Begriff aus der 
VWL, 
 der die "skillness" (Wissen, Können, Fähigkeiten, Talent und Wollen), dann 
 auch von Agenten im kapitalistischen Produktionsprozeß auf toter und 
lebendiger  Kapitalsseite fassen könnte? 
 - hunamn capital eine "Erscheinungsform des immaterillen Kapitals", des 
"fixen 
 Kapitals", sein Einkommen eine Form der "Grundrente"? Was denn nun?

Kann ja sein, dass mein Text etwas verwirrend ist und etwas hin und her geht 
in der Betrachtung verschiedener Dimensionen des Problems, aber so verwirrend 
m.E. auch nicht, dass man das da raus lesen könnte. Ich schrieb, die 
"Wertbestimmung" des "Human Capital" sei analog der des von Marx so genannten 
"fiktiven Kapitals". Zweitens schrieb ich, dass die ökonomische Form des 
aufgrund der Monopolisierung des Eigentums von Informationprodukten 
angeeigneten Mehrwerts die der Rente sei (nicht die des gewerblichen Profits, 
der der Tendenz zum Profitratenausgleich in der Konkurrenz unterliegt), daher 
Informationsrente analog zur von Marx betrachteten Grundente im Kapitalismus. 
Aber selbstverständlich ist Informationsrente nicht eine Form der Grundrente, 
weil Informationsprodukte (ganz glücklich bin ich mit diesem Wort noch nicht) 
und intellektuelle Eigentumsrechte was anderes sind als Boden und andere 
nicht reproduzierbare materielle Produktionsbedingungen und die 
Eigentumsrechte daran. Außerdem ist das nur ein möglicher Ursprung von 
Einkommen, die als "Human Capital" betrachtete Erwerbstätige beziehen, es 
geht hier um verschiedene Gegenstände.

 - Finanziert aus Extraprofiten oder wesentlich aus dem 
"Geisterkapitalismus,
 dessen ruhelose Seele die für sich auf Dauer nicht lebensfähige 
aufgeblasene
 Börsenkapitalisierung ist."(Kurz in "New Economy")?

Mit Kurz und mit dieser metaphorisch aufgeblasenen Sprache hab ich größere 
Probleme. Über Geister und ruhelose Seelen sollen sich Mystiker und Pfaffen 
streiten. Nach meiner Wahrnehmung ist der Kapitalismus ziemlich real und auch 
die Prozesse auf den Finanzmärkten haben mit Geistern nichts zu tun und 
selbst wenn die sicherlich überzogene Börsenkapitalisierung noch deutlich 
stärker krisenhaft "korrigiert" würde, als es auf dem "neuen Markt" in den 
letzten Monaten bereits passiert ist, wird das der Kapitalismus alle mal 
überleben.
  
  "Jedes Kind kann sich ausrechnen, daß dieser virtuelle 
 Scheinkapitalismus noch viel unhaltbarer ist als die spekulative
 Vorwegnahme eines traditionellen Wirtschaftswunders bei den "Blue Chips", 
das ebenfalls nie mehr nachfolgen wird. Das Internet revolutioniert in der 
Tat 
die Kommunikationsmöglichkeiten, aber in Wahrheit über den Kapitalismus 
hinaus. 

Wer das glaubt, mag selig werden. Ich bleibe ungläubig. Kein Sozialismus ohne 
soziale und politische Umwälzung, die von Menschen in Auseinandersetzungen 
gegen herrschende Klasse durchgesetzt werden muss.

 Eine tragfähige kapitalistische "Webwirtschaft" wird es mangels Produktion 
und 
 Beschäftigung nicht geben. Außerdem ist der E-Commerce äußerst anfällig, 
denn 
 es erweist sich als ziemlich aufwendig, die weitgehend (von den 
Telefongebühren
 abgesehen) kostenlose Nutzung des globalen Netzwerks in einem wirklich 
großen 
 Maßstab als kapitalistisches Angebot zu organisieren und dabei die 
kommerzielle 
 Abwicklung störungsfrei sicherzustellen. 

M.E. geht es bei E-Commerce weniger darum, die Nutzung des Nets als 
kapitalistisches Angebot zu organisieren (was aber doch auch by the way 
durchaus der Fall ist, oder sind Telekom, Cisco etc. nicht kapitalistische 
Unternehmen, die sehr gut daran verdienen?), als über das Netz Handel mit 
Gütern oder Diensten zu vermitteln, die selbst keineswegs nahezu kostenlos zu 
haben sind, und gesellschaftliche Produktionsstrukturen umzuorganisieren. Das 
findet statt, und ist nicht unbedingt anfälliger (nur anders anfällig) für 
irgendwas, als es gesellschaftliche Produktion irgendwie immer ist.

 Die eigentliche revolutionäre Bedeutung des Internet könnte in seinem 
Gehalt 
 als postkapitalistisches Universalmedium liegen, das innerhalb der 
 kapitalistisch verfaßten Gesellschaft vor allem der oppositionellen 
 Kommunikation dient. ...

Vor allem? Wovon träumt der nachts?

 Der verborgene Sinn 
 des "World Wide Web" ist ein global vernetztes elektronisches Rätesystem. 
Die 
 falschen Blütenträume vom Internetkapitalismus dagegen können nur noch 
eines:
 nämlich platzen."  (aus: Kurz, "Euphorie um New Economy")

Ich bin durchaus der Auffassung, dass die Hoffnung der Protagonisten der new 
economy auf ein neues Prosperitätszeitalter trügerisch ist und insoweit 
platzen wird, dass der Kapitalismus weiterhin ein ökonomisch und sozial 
krisenhaftes System bleibt. Dies ist aber kein Hindernis für weiteres 
Funktionieren, Platzen werden also ebenfalls Zusammenbruchsillusionen von 
Kurz und Co. realistischer erscheint mir da z.B. die Analyse von J. Bischoff 
in "Sozialismus" 78/2000.

Herzliche Grüße

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844

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http://www.oekonux.de/



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