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Re: [ox] Bericht von MES Tagung und zu "human capital"



RalfKrae aol.com schrieb:

Liebe Leute, lieber Uli,

ich hab mich jetzt neu in die Liste eingetragen und will einige Bemerkungen 
zu Uli Leichts mail machen.

Hallo Ralf, 
jetzt auch oekonux-Gefährte, das find' ich Klasse.

 Daß es objektiv eine hoffnungsvolle 
 Entwicklung und positive ist, daß im Zuge der mikrelektronischen 
 Produktivkraftentwicklung abstrakte Arbeit wegschmilzt und mensch sie 
 millionenfach l o s  wird. 

Produktivkraftentwicklung im Sinne der Steigerung der Arbeitsproduktivität 
hat die ArbeiterInnenbewegung klassischerweise positiv betrachtet, das 
brauchst du nicht einzufordern. Dass dadurch nicht nur im Einzelnen, sondern 
insgesamt "abstrakte Arbeit wegschmilzt" und gar so der Kapitalismus 
tendenziell entschwindet, halte ich nach wie vor für ein unzutreffendes 
Gerücht. Abstrakte Arbeit wird heutzutage weltweit mehr als je zuvor 
geleistet und auch hierzulande in ziemlich stabilem Umfang, bzgl. der Zahl 
der einbezogenen Personen sogar tendenziell weiter steigend, wenn man sich 
von der falschen Verengung löst, nur die materielle Warenproduktion und nicht 
auch Arbeit in allen möglichen Arten von Dienstleistungen zu betrachten.

Wenn mich nicht alles täuscht war die Arbeiterbewegung in ihren verschiedenen 
Ausprägungen, auch die revolutionäre, die leninistische (wie hieß das gleich: 
Sowjetmacht = Diktatur des Proletariats + Elektifizierung) geradezu von einem 
Produktivkraftfetischismus beseelt. Sie glaubte bisher immer nur die politische 
Macht in der harten Variante (proletarische Diktatur) oder weicher als 
staatliche Regulierung übernehmen/bzw. beinflussen zu müssen und die 
Produktivkräfte wären befreit und einfach zu übernehmen. Das hat sie leider  
eher zu positiv gesehen. Das fordere ich überhaupt nicht ein. Ich wollte und 
will damit zugegebenermaßen verkürzt nur auf die Potentiale der Einsparung von 
Arbeit und die reale Entwicklung aufmerksam machen. 
Und mit der abstrakten Arbeit, die wegschmilzt, ist zunächst
aber nicht nur die kapitalproduktive, mehrwertschöpfende gemeint. Und die 
hängt im weistesten Sinne mit der materiellen Produktion zusammen, die wir in 
Dortmund vereinfacht gesagt mit der Montanindustrie und der ihr vor- und 
nachgelagerten Bereiche auch Dienstleistungen kannten. Die ist in den letzten 
30 Jahren von 50.000 (ehemals Kohle und Stahl) auf 2500 Stahlarbeiter-Tendenz 
sinkend-wie der Schneee in der Sonne weggeschmolzen. Inzwischen gibts den 
sogeannten Strukturwandel. Dortmund wurde und wird zum Sysnonym für E-Commerce,
"Human Capital", 8000 Call-Center-Arbeitsplätze und Vor- und Nachgelagertes 
drumherum. Dortmund vielleicht in Zukunft eine 
"High-Tech-Dienstleistungsmetropole". Jeder fünfte Dortmunder hat ein Handy. 
Stimmt, trotz der 17% offiziell Arbeitslosen auch eine Menge neue Jobs, einige 
tausend "Cyberlords" vielleicht auch darunter, aber noch mehr Prekäres aller 
Art bis zu den städischen DoDi(Dortmunder Dienste)-Männern. Auch alles äußerst 
abstrakte Arbeit, aber zum größten Teil kapitalunproduktiv, entweder als 
High-Tech oder Low-Service im wesentlichen von der gesamtgesellschaftlichen 
Mehrwertproduktion alimentiert.
Denn das ist ja die spannende Frage auch bei "New Economy", wo findet denn 
wirklich und in welchem Umfang neue Kapitalakkumaltion statt. Sind fünf 
hintereinander geschaltete ISDN-Telefone schon eine Wertschöpfungskette?
Stimmt, in seiner Suche nach Verwertungsmöglichkeiten werden nicht nur die 
ganzen öffentlichen Dienste, auch die Pflege von Menschen, privatisiert: 
Elektrizität, Wassser, Luft, nichts bleibt unverschont, und mit dem handy auch 
noch das private Gespräch unter Menschen mehr und mehr. Diese Dienste und Dinge 
sind ohne Frage für uns Menschen sehr wertvoll, ob für den 
gesamtkapitalistischen Vewertungsprozeß mehrwertträchtig, das ist die Frage.  
Ich glaube, das an der These, der Reichtum an produzierten Gütern, Waren und 
Diensten wächst - auch wenn wir in Zukunft noch sehr aussortieren müssen, was 
davon brauchbar ist - die Wertmasse schmilzt mit der Arbeit dahin.

 antimarktwirtschaftlichen Wege, wie z.B. eine 
 Genossenschsftsbewegung auf neuer und höherer Stufe, fernab von Markt und 
 Staat

na ja, bisher waren die Genossenschaften in aller Regel über Markt mit der 
gesellschaftlichen Reproduktion allgemein verbunden. 

Nun, die Geschichte der Genossenschaftsbewegung müßte sicher noch einmal neu
durchleuchtet werden. In den Anfängen der Arbeiterbewegung und auch noch 
später dienten Genossenschaften genau dazu, Teile der Reproduktion unabhängig 
von Markt und Verwertung zu organisieren. Kein Zurück, aber unter den heute 
gegebenen Bedingungen der Produktivkraftpotenzen, des riesigen Potentials von 
"human capital", Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten scheinen mir in 
diese Richtung ungeahnte Möglichkeiten zu liegen. Auch hier könnte mensch 
(wenn er nicht nur an Konsum/Coop und Neue Heimat denkt) an Keinformen in der 
Geschichte anknüpfen und sie updaten für eine "wertlose" Reproduktion.


 So in dieser Form habe ich versucht, mich einzumischen. bei wenigen 
 Kopfschütteln.

Ich habe schon einiges Kopfschütteln wahrgenommen, mein eigenes 
eingeschlossen. Aber interessanter weil kontroverser wurde die Tagung dadurch 
allemal.

Subjektive Eindrücke täuschen oft, besser hätte Ralf den Bericht geschrieben, 
und auch noch dargelegt, was die kompetenten Referenten inhaltlich alles 
dargelegt haben. Aber das können wir ja, davon bin ausgegangen, noch einmal 
nachlesen.
Bei "human capital" wirds für mich noch schwerer und komplizierter. Daran 
versuche ich mich, wenn Zeit und Ruhe da ist, später.

Mit wertlosen Grüßen 
Uli 



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http://www.oekonux.de/



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