Re: [ox] Bericht von MES Tagung und zu "human capital"
- From: UlrichLeicht t-online.de (Ulrich Leicht)
- Date: Mon, 16 Oct 2000 21:16:14 +0200
RalfKrae aol.com schrieb:
Liebe Leute, lieber Uli,
ich hab mich jetzt neu in die Liste eingetragen und will einige Bemerkungen
zu Uli Leichts mail machen.
Hallo Ralf,
jetzt auch oekonux-Gefährte, das find' ich Klasse.
Daß es objektiv eine hoffnungsvolle
Entwicklung und positive ist, daß im Zuge der mikrelektronischen
Produktivkraftentwicklung abstrakte Arbeit wegschmilzt und mensch sie
millionenfach l o s wird.
Produktivkraftentwicklung im Sinne der Steigerung der Arbeitsproduktivität
hat die ArbeiterInnenbewegung klassischerweise positiv betrachtet, das
brauchst du nicht einzufordern. Dass dadurch nicht nur im Einzelnen, sondern
insgesamt "abstrakte Arbeit wegschmilzt" und gar so der Kapitalismus
tendenziell entschwindet, halte ich nach wie vor für ein unzutreffendes
Gerücht. Abstrakte Arbeit wird heutzutage weltweit mehr als je zuvor
geleistet und auch hierzulande in ziemlich stabilem Umfang, bzgl. der Zahl
der einbezogenen Personen sogar tendenziell weiter steigend, wenn man sich
von der falschen Verengung löst, nur die materielle Warenproduktion und nicht
auch Arbeit in allen möglichen Arten von Dienstleistungen zu betrachten.
Wenn mich nicht alles täuscht war die Arbeiterbewegung in ihren verschiedenen
Ausprägungen, auch die revolutionäre, die leninistische (wie hieß das gleich:
Sowjetmacht = Diktatur des Proletariats + Elektifizierung) geradezu von einem
Produktivkraftfetischismus beseelt. Sie glaubte bisher immer nur die politische
Macht in der harten Variante (proletarische Diktatur) oder weicher als
staatliche Regulierung übernehmen/bzw. beinflussen zu müssen und die
Produktivkräfte wären befreit und einfach zu übernehmen. Das hat sie leider
eher zu positiv gesehen. Das fordere ich überhaupt nicht ein. Ich wollte und
will damit zugegebenermaßen verkürzt nur auf die Potentiale der Einsparung von
Arbeit und die reale Entwicklung aufmerksam machen.
Und mit der abstrakten Arbeit, die wegschmilzt, ist zunächst
aber nicht nur die kapitalproduktive, mehrwertschöpfende gemeint. Und die
hängt im weistesten Sinne mit der materiellen Produktion zusammen, die wir in
Dortmund vereinfacht gesagt mit der Montanindustrie und der ihr vor- und
nachgelagerten Bereiche auch Dienstleistungen kannten. Die ist in den letzten
30 Jahren von 50.000 (ehemals Kohle und Stahl) auf 2500 Stahlarbeiter-Tendenz
sinkend-wie der Schneee in der Sonne weggeschmolzen. Inzwischen gibts den
sogeannten Strukturwandel. Dortmund wurde und wird zum Sysnonym für E-Commerce,
"Human Capital", 8000 Call-Center-Arbeitsplätze und Vor- und Nachgelagertes
drumherum. Dortmund vielleicht in Zukunft eine
"High-Tech-Dienstleistungsmetropole". Jeder fünfte Dortmunder hat ein Handy.
Stimmt, trotz der 17% offiziell Arbeitslosen auch eine Menge neue Jobs, einige
tausend "Cyberlords" vielleicht auch darunter, aber noch mehr Prekäres aller
Art bis zu den städischen DoDi(Dortmunder Dienste)-Männern. Auch alles äußerst
abstrakte Arbeit, aber zum größten Teil kapitalunproduktiv, entweder als
High-Tech oder Low-Service im wesentlichen von der gesamtgesellschaftlichen
Mehrwertproduktion alimentiert.
Denn das ist ja die spannende Frage auch bei "New Economy", wo findet denn
wirklich und in welchem Umfang neue Kapitalakkumaltion statt. Sind fünf
hintereinander geschaltete ISDN-Telefone schon eine Wertschöpfungskette?
Stimmt, in seiner Suche nach Verwertungsmöglichkeiten werden nicht nur die
ganzen öffentlichen Dienste, auch die Pflege von Menschen, privatisiert:
Elektrizität, Wassser, Luft, nichts bleibt unverschont, und mit dem handy auch
noch das private Gespräch unter Menschen mehr und mehr. Diese Dienste und Dinge
sind ohne Frage für uns Menschen sehr wertvoll, ob für den
gesamtkapitalistischen Vewertungsprozeß mehrwertträchtig, das ist die Frage.
Ich glaube, das an der These, der Reichtum an produzierten Gütern, Waren und
Diensten wächst - auch wenn wir in Zukunft noch sehr aussortieren müssen, was
davon brauchbar ist - die Wertmasse schmilzt mit der Arbeit dahin.
antimarktwirtschaftlichen Wege, wie z.B. eine
Genossenschsftsbewegung auf neuer und höherer Stufe, fernab von Markt und
Staat
na ja, bisher waren die Genossenschaften in aller Regel über Markt mit der
gesellschaftlichen Reproduktion allgemein verbunden.
Nun, die Geschichte der Genossenschaftsbewegung müßte sicher noch einmal neu
durchleuchtet werden. In den Anfängen der Arbeiterbewegung und auch noch
später dienten Genossenschaften genau dazu, Teile der Reproduktion unabhängig
von Markt und Verwertung zu organisieren. Kein Zurück, aber unter den heute
gegebenen Bedingungen der Produktivkraftpotenzen, des riesigen Potentials von
"human capital", Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten scheinen mir in
diese Richtung ungeahnte Möglichkeiten zu liegen. Auch hier könnte mensch
(wenn er nicht nur an Konsum/Coop und Neue Heimat denkt) an Keinformen in der
Geschichte anknüpfen und sie updaten für eine "wertlose" Reproduktion.
So in dieser Form habe ich versucht, mich einzumischen. bei wenigen
Kopfschütteln.
Ich habe schon einiges Kopfschütteln wahrgenommen, mein eigenes
eingeschlossen. Aber interessanter weil kontroverser wurde die Tagung dadurch
allemal.
Subjektive Eindrücke täuschen oft, besser hätte Ralf den Bericht geschrieben,
und auch noch dargelegt, was die kompetenten Referenten inhaltlich alles
dargelegt haben. Aber das können wir ja, davon bin ausgegangen, noch einmal
nachlesen.
Bei "human capital" wirds für mich noch schwerer und komplizierter. Daran
versuche ich mich, wenn Zeit und Ruhe da ist, später.
Mit wertlosen Grüßen
Uli
----------------------
http://www.oekonux.de/