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Re: [ox] das Wesen des Menschen



Hallo,

Wenn wir gerade beim Thema sind:  Annette Schlemm schrieb am 1.10.:

Es gibt (gab, wird geben) auch gesellschaftliche
Verhältnisse ohne Herrschaft.

Historische Beispiele von solchen würden mich interessieren.
(aber wirklich ganze Gesellschaften, nicht nur eine self-selected group)

siehe ein wenig: http://www.thur.de/philo/frauen.htm  - Punkt 3:

Daraus:
"In dem Buch "Kelch und Schwert" beschreibt Riane Eisler ein Bild der
Ur- und Frühgesellschaft,
welches beschreibt, daß der Mensch "nicht aus einer Welt
zivilisatorischer Primitivität und
aggressiver Barbarei in die abendländische Geschichte eingetreten (ist).
Er hat bereits im
Neolithikum Möglichkeiten des partnerschaftlichen Zusammenlebens der
Geschlechter und in der
Gesellschaft sowie mit der Natur verwirklicht." (Eisler, S. 10).

 Riane Eisler setzt nicht primär "matriarchale" und "patriarchale"
Gesellschaftsmodelle
gegeneinander, sondern unterscheidet das dominatorische (oder
Herrschafts-)Modell von einem
Partnerschaftsmodell (S. 20). Dadurch ist "nicht das Geschlecht der
Männer... das
Grundproblem, sondern ein soziales System... indem sowohl Männern als
auch Frauen beigebracht
  wird, echte Männlichkeit mit Gewalt und Herrschaft gleichzusetzen...
"(S. 22).

Riane Eisler beweist dann an mehreren Beispielen, wie eine "Projektion
einer Klischeevorstellung"
(S. 38) der Menschen als Jäger und Krieger verhindert, in den Ursprüngen
der Menschheit die
Existenz von lebensspenden und partnerschaftlichen Denk- und
Handlungsweisen zu
erkennen.

Fischgrätenmuster in Höhlen aus der Altsteinzeit sind als
Waffendarstellungen interpretiert worden -
 während es sich ebensogut um Pflanzen, Bäume, Äste, Schilfgräser und
Blätter handeln kann (S.
37). Waffen bei der angeblichen "Jagdmagie" verfehlen die Tiere
auffallend oft. Überhaupt nehmen
weibliche Figuren, und Symbole, die als weiblich zu interpretieren sind,
eine zentrale Position in
 diesen Höhlen ein (S. 39).

Im Neolithikum entstanden die ersten großen Städte wie Catal Hüyük und
Hacilar. Über
Jahrtausende hinweg haben hier Kulturen stabil und kontinuierlich
existiert, die eine Göttin
verehrten. Dies aber nicht etwa in einem zentralen, dominierenden Tempel
- sondern in einer
 Tempelnische in jedem der ziemlich gleichgroßen und gleich
ausgestatteten Häuser. 

 Ramona berichtet von ihrem Besuch in der Ruine von Knossos, die auch
für eine weiblich
 geprägte Kultur steht. Da sie dies vorher wußte, hatte sie innerlich
eine "Große Göttinnenstatue in
 erhöhter Position" erwartet - aber nicht gefunden. Dagegen muß die
Stadt mit tausenden von
 Einwohnern von pulsierendem Leben in offenen Terassen (keine
Festungsmauern!) erfüllt gewesen
 sein; die Wände sind mit Blumenmustern geschmückt, die weiblichen und
männlichen Reize
 sind bei den Menschen deutlich hervorgehoben - nicht nur die
Mütterlichkeit - und auch keine
 Helden.

Riane Eisler betont, daß auch in diesen Kulturen bereits Landwirtschaft
und Handwerk
 betrieben wurde. Diese bereits weit entwickelten ("ziviliserten" würden
wir heute sagen) Kulturen
 waren keine Ausnahmen, sondern u.a. auch im alten Europa weit
verbreitet (ausführliche
 Dokumentationen dazu siehe in Gimbutas). Über Jahrtausende hinweg
ließen sich hier oft
 keinerlei Anzeichen kriegsbedingter Zerstörungen nachweisen. Perfekte
Kanalisation,
 sanitäre Einrichtungen und perfekte Infrastruktur waren
selbstverständlich und allen Menschen
nutzbar. 

 Der Reichtum wurde nicht zentralisiert und privatisiert, sondern diente
"der Gestaltung eines
harmonischen und ästhetischen Lebens" (S. 85). 
 Weitere Kennzeichen einer egalitären Gesellschaftsstruktur sind:
- Größe der Häuser weicht kaum voneinander ab (keine soziale
Polarisierung)
- Bestattung ohne krasse soziale Unterschiede
- matrilineare und matrilokale Struktur der Lebensgemeinschaften
- in frühen Religionen gab es Priesterinnen und Priester
- Männer wurden ebensooft künstlerisch dargestellt wie Frauen. 

 Bei R.Eisler wird dann im Besonderen die minoische Kultur vorgestellt.
Von 6000 vu.Z. an
entwickelten sich hier Agrarkultur, Göttinnenreligion, handwerkliche
Künste usw. zu einer enormen
Blüte. In der späteren Bronzezeit (2000 vuZ.) setzten sich in anderen
Gebieten die kriegerischen
 Götter noch um Jahrhunderte eher durch als auf Kreta. 

Den Übergang vom Kelch als Symbol der Fruchtbarkeit der Frau zum Schwert
als Herrschaftsmittel
beschreibt Riane Eisler am Beispiel des Einfalls von Nomadenstämmen im
Zusammenhang mit
Naturkatastrophen (S. 96ff.). Sie legt Wert darauf, daß wir uns von der
Vorstellung verabschieden,
der Übergang zu Zentralisierung, Herrschaft und Patriarchat sei
notwendig mit der
"Höherentwicklung" verbunden. "

Bitte legt mich nicht wegen allen geschichtlichen Quellen fest - uns kam
es darauf an, wenigstens darauf hinzuweisen, daß das übliche andere Bild
von Geschichte - daß alles immer nur Kampf und Hierarchie gewesen sei -
zumindest auch fragwürdig ist (und nicht besser belegt!).

Ahoi Annette


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*   Annette Schlemm			*
*   URL: http://www.thur.de/philo	*
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