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[ox] Gedanken von den Berliner Konferenzen



Liebe Listige,

wie ihr mitbekommen habt, waren von der Oekonux-Liste Stefan Mz. und
ich aber auch einige andere auf den beiden Berliner Konferenzen am
20./21.10. in Berlin. Ich möchte euch nicht vorenthalten was mir dort
aufgefallen ist. Andere, die da waren, können sicher noch ergänzen.



Die Konferenz "Wem gehört das Wissen?" Veranstaltung wurde von der
Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Neue Medien
und dem FFII veranstaltet. Die HBS ist die parteinahe Stiftung der
Grünen. Die Konferenz war (wie ich hörte: überraschend) gut besucht.
Ich schätze, daß ca. 60-100 Leute dort waren.



Den ersten Vortrag, den ich leider nur teilweise mitbekommen habe:

	"Wissen als Eigentum? Wie kann der freie Zugang zu den
	Ressourcen des Wissens in globalen Informationsräumen
	gesichert werden?" von Rainer Kuhlen, Professor für
	Informationswissenschaft an der Universität Konstanz, Deutsche
	UNESCO-Kommission

fand ich recht interessant. Seine zentrale These schien mir zu sein,
daß wir einen neuen historischen Kompromiß zwischen Zugang und
Ausschluß brauchen. Er glaubt nicht, daß sich Eigentumsrechte an
Information dauerhaft halten lassen. Rainer Kuhlen
(`http://www.inf-wiss.uni-konstanz.de/People/rk_e.html') hat nach
meinem Gefühl viel von dem verstanden, was abgeht. Ich finde ihn so
interessant, daß wir ihn auf jeden Fall für unsere Konferenz
interessieren sollten.



Den zweiten Vortrag

	Das "digitale Dilemma" und der Schutz des geistigen Eigentums
	Jeanette Hoffmann, Politikwissenschaftlerin,
	Wissenschaftszentrum Berlin, ICANN-Kandidatin

fand ich vor allem deswegen recht spannend, weil sie sich intensiv mit
digitaler Kopierbarkeit befaßt hat. Wichtig fand ich in diesem
Zusammenhang auch den Hinweis, daß das Copyright erst mit der Existenz
von Medien und der Kontrolle über diese Medien überhaupt erst Sinn
macht: Ohne Buchdruck und knappe Druckmöglichkeiten (d.h. Verlage)
kein Copyright. Diese Grundsatzidee wird durch die digitale
Kopierbarkeit natürlich massiv konterkariert, weil das Kopieren hier
einen völlig anderen Stellenwert hat.

Sie hat richtig darauf hingewiesen, daß das Kopieren beim Computer ja
schon beim Laden eines Programms ins RAm anfängt und beim Ziehen einer
Web-Seite noch lange nicht aufhört. Das Kopieren, daß vor den
Computer-Zeiten immer eine explizite Aktion war - vom Abschreiben bis
zur Fotokopie - ist so sehr in die grundlegende Architektur des
Computers eingebaut, daß eine völlig neue Qualität entsteht. Ihre
Folgerung: Da das Kopieren im Computer eine Grundvoraussetzung für
seine Funktion ist, wird das Copyright absurd.

Sie hat sich auch damit befaßt, wie in anderen Kulturen / Zeiten
individuelle Beiträge zu einem Wissensfundus eingeschätzt werden /
wurden. So gelten in oralen Kulturen die Erzähler nicht als Urheber
dessen was sie erzählen, sondern alle wissen, daß sie lediglich aus
einem gesellschaftlich verfügbaren Fundus schöpfen und ihr
individueller Beitrag eher gering ist. Im Mittelalter in den Klöstern
wurden die persönlichen Beiträge nicht für wichtig gehalten, da sie
alle nur einer höheren Sache dienten.

Ihre Grundhaltung ist wohl, daß die Erzeugung von Wissen immer eine
kollektive Angelegenheit ist.

Sie hat allerdings ganz persönlich Schwierigkeiten mit einer Zukunft,
in der die Urheberschaft eines Werkes ganz verschwindet. Anhand eines
persönlichen Falles schilderte sie, daß sie sich dann wohl nicht
genügend gewürdigt fühlt.

In der Diskussion kam auch noch ein interessanter Hinweis: Die
Bequemlichkeit des Internet-MP3-Saugens ist wesentlich höher, als in
den Plattenladen zu gehen. Dies ist ein allgemeiner Aspekt, der in der
Tat noch zu wenig beleuchtet wird.

Sabine und Lydia: Was ist denn euer Eindruck gewesen? Sollten wir
Jeanette Hoffmann auch für die Konferenz vorsehen?



Die Podiumsdiskussion vom ersten Tag fand ich ziemlich daneben. Das
Podium war mit zehn Personen m.E. massiv zu groß und die Diskussion
lief sehr chaotisch und wurde über längere Strecken stark von
Einzelnen dominiert.



Auch die beiden Veranstaltungen am Samstag haben mir nicht viel
gebracht.

Spannend fand ich aber an dem zweiten Panel, wie da die alte und die
neue Welt aufeinandertrafen. Als Vertreter der alten Welt tat sich
Wolfgang Schimmel von den IG Medien hervor, der eigentlich nichts
anderes im Sinn hatte, als althergebrachte Standesinteressen zu
verteidigen. Zugespitzt würde ich sagen, daß es ihm am liebsten wäre,
wenn wir Computer oder mindestens das Internet wieder abschaffen. Als
Vertreter der neuen Welt präsentierte sich Pit Schultz (hi Pit :-) ),
der viel im Bereich der Musik macht. Vor allem Streaming aus
Musik-Clubs wenn ich's richtig verstanden habe.

Positiv aufgefallen ist mir auf diesem Panel noch Mercedes Bunz von
De:Bug (`http://debug.tool42.com/'). Sie hatte wirklich Ahnung von
Freier Musik und Freien MusikerInnen. Die könnte vielleicht auch für
unsere Konferenz interessiert werden.



Zu der anderen Konferenz "Wer ändert die Welt?", die eine
Volksuni-Werstatt war, kann ich nicht viel sagen, da ich da nur den
Rest von Stefan Mz.' Vortrag und die Abschlußdiskussion mitbekommen
habe. Der Besuch war hier mit um die zwanzig Leute (wie ich hörte:
enttäuschend) gering. Allerdings wurde unser von Stefan präsentierte
neue Ansatz von vielen als spannend empfunden.

Einen interessanten Ausspruch zum Thema Freie Software und Eigentum
fand ich allerdings: "Freie Software *unterläuft* kapitalistische
Eigentumsrechte". Das finde ich das mit Abstand treffendste zu diesem
Thema, was ich bisher gehört habe.



So weit von mir.

						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan


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http://www.oekonux.de/



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