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Re: [ox] Re: Selbstenfaltung vs. Fremdbestimmung



Hi Benni!

Last week (7 days ago) Benni Baermann wrote:
On Sun, Nov 05, 2000 at 06:36:17PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Was ich tatsächlich für ausgemacht halte ist:

Der Kapitalismus kann Freie Software und deren Erfolg nicht
integrieren - jedenfalls nicht, ohne den Erfolg zu zerstören.

weil

Es geht nicht, weil die Selbstentfaltung, die den Kern der
Freien Software bildet, nicht mit der Fremdbestimmung
kompatibel ist, die den Kern der kapitalistischen Lohnarbeit
ausmacht.

Können wir uns darauf verständigen?

Jein. "Selbstentfaltung" ist nicht für alle der Kern von FS.

Doch - und du sagst es selbst:

Der
Kern ist für die einen die Idee, dass es kein immaterielles Eigentum
geben darf (Stallman). Für wieder andere ist es nur der verbesserte
Austausch (Raymond).

Für Stallmann ist es dies, für Raymond ist es jenes - und beiden
zusammen macht Programmieren einfach so höllisch viel Spaß, daß sie
keinen äußeren Antrieb brauchen - Selbstentfaltung in seiner ganzen
individuellen Vielfalt halt.

Selbstenfaltung wird doch in unserer postfordistischen Welt schon
überall und ständig prächtig integriert. Natürlich immer nur so weit
wie nötig.

Darauf bin ich heute in dem Thread mit Markus ja nochmal ausführlicher
eingegangen.

Es mag durchaus sein, dass FS das ein Stück vorran
treibt, aber ich sehe da keinen Automatismus, das dadurch schon der
Kapitalismus abgeschafft würde. Vielleicht ist das nur eine
Modernisierungsbewegung innerhalb des Kapitalismus, genauso wie
die vielzitierte Gruppenarbeit bei Volvo oder die
Scheinselbständigen.

Dito.

Ich denke in deinem optimistischen Bild unterschätzt Du sehr die
Korumpierbarkeit der Träger dieser Idee. Schon viele hehre Ideen
sind untergegangen, weil ihre Protagonisten schlicht gekauft wurden,
sei es jetzt durch Geld, Macht oder Einfluß.

Der Witz an Freier Software - und ich werde nicht müde das zu betonen
- - ist eben nicht, daß es im Kern eine hehere Idee ist, sondern etwas
überaus nützliches. Die Hippie-Bewegung - um ein Beispiel von
tausenden zu nennen -, war vor allem eine hehere Idee. Idealistisch.
Deswegen mußte sie scheitern - sag' ich als Materialist.

Naja, dann ersetze oben "hehre Idee" durch "überaus nützliche hehre
Idee" ;-)

Es gibt doch sicherlich auch Beispiele für solche Ideen, die unter
kapitalistischen Verhältnissen scheitern mussten - leider fällt mir
grad keins ein -

An so einem Beispiel wäre ich sehr interessiert. Ich denke, daß da die
Linke seit mindestens 70 Jahren nichts mehr zu bieten hat. Seitdem sie
nicht mehr über eine Übernahme der Produktion nachdenkt.

aber ansonsten wäre ja jeder bisherige
Antikapitalismus unnützlich gewesen ;-)

Na ja, Abwehrkämpfe und auch Verteilungskämpfe sind ja schon sinnvoll.
Aber darüber wird die Geschichte befinden.

Passiert nicht genau das zur Zeit mit FS?

Wenn wir jetzt mal diese Phänomene wie Alan Cox und RedHat beiseite
lassen - wo RedHat quasi bedingungslos das Grundeinkommen von Alan Cox
bezahlt so wie ich es verstanden habe -, dann kann es nicht
funktionieren. Wenn die sich korrumpieren lassen, geht ihr
Erfolgsgeheimnis flöten.

Was heisst schon korumpieren. Ist der
Rund-um-die-Uhr-weil-es-ihm-Spass-macht-Arbeiter, den ich für ein
durchaus verbreitetes Phänomen halte, korumpiert? Doch nicht
wirklich. Er hat einen Job, indem er seine Subjektivität wunderbar
einbringen kann - denkt er.

Nein er denkt es nicht nur, er macht es auch. Aber die Grenzen dieses
Einbringens dürften auf der Hand liegen, wenn du es mit einer
Tätigkeit für ein Hobby, etwas Selbstbestimmtem also, vergleichst.

In dieses Schema passt ein
Rund-um-die-Uhr-Open-Source-Programmierer doch wunderbar rein.
Natürlich schreibt ihm niemand vor, was er zu programmieren hat. Er
macht ja das für die kapitalistische Verwertung nötige auch so -
weil es "nützlich" ist.

Na da habe ich aber meine Zweifel. Wenn ich meine Zeit ausschließlich
mit Selbstentfaltung verbringen würde, würde ich auch durchaus andere
Dinge tun, als nützlich für irgendeine kapitalistische Verwertung zu
sein - weil ich es selbst bestimmten kann.

Mein Eindruck ist, daß die Fremdbestimmung, die unabdingbarer
Bestandteil von Lohnarbeit, aber auch unternehmerischer Arbeit ist,
sich auch in unseren Köpfen als so naturgesetzlich festgesetzt hat,
daß selbst uns es schwer fällt, eine individuelle Freiheit auch nur zu
denken.

Spür doch mal in dich, wenn du eine Woche lang, einen Monat lang, ein
Jahr lang morgens aufstehst. Kannst du dir echt nix besseres
vorstellen, als dich der Wertverwertung, dem Geldverdienen in den
Rachen zu werfen? Ich kann mir auf jeden Fall jede Menge vorstellen.
Let's go for it!


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


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