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[ox] Ein paar kleine Anmerkungen zur Kongress - Debatte



Liebe Listige,
ich möchte mich - hoffentlich kurz genug - auch mal zu ein paar Sachen
äußern, obwohl sich mir zu verschiedenen Komplexen mehr Fragen auftun, als
ich Antworten parat zu haben glaube. Das "äußern"  betrifft solche Dinge wie
Urheberrecht - GEMA, Wissenschaft und nicht zuletzt wieder mal den Bereich
Gewerkschaften, Arbeit etc.

0.Zwei Vorbemerkungen, dann drei Anmerkungen:

a)Ich fände es gut, wenn versucht würde, die Diskussion einerseits
möglichst konkret zu führen, andrerseits für neue Ideen und Überlegungen
jeder Art offen zu bleiben. Will beispielsweise heißen: Eine Debatte darum,
ob Gewerkschaften so oder so sind, kann nachgeradezu endlos geführt werden.
Denn sie sind natürlich sowohl so als auch so.  Fruchtbarer wäre es meines
Erachtens, zu sehen, wo denn in Gewerkschaften emanzipatorisches Potenzial
steckt, wo welches stecken könnte - und wo bestimmt nicht.  (Zu
grundsätzlichen Erwägungen siehe das Papier des OV Dortmund der IG Medien "
Sieben Thesen, mehrere Hochzeiten - und ein Todesfall?" auf www.opentheory,
auch www.labournet).
Konkret führen heißt beispielsweise: In der IG Medien, die ja nun mit dieser
Thematik direkt angesprochen ist, gibt es seit langem eine Debatte um das
Urheberrecht. Mit den bekannten Mehrheitspositionen, aber eben auch mit
einer - wachsenden - Minderheit, die Forderungen lieber nicht an die
Allgemeinheit stellen möchte, sondern an die Unternehmen, die mit ihrer
Arbeit(skraft) Geld verdienen. Das nur als erste Spur, weiteres später.
Konkret führen heißt aber schließlich auch - sich gegenseitig sachlich
informieren, wo Defizite bestehen: GEMA verlangt selbstverfreilich
Mitgliedsbeiträge, VG Wort nicht.

b)Habe ich eigentlich den geplanten Oekonux Kongress so verstanden, daß dort
gerade die Frage thematisiert werden soll, inwieweit und wie das ganze
Nichteigentum, die Wertlosigkeit etc gesamtgesellschaftliche Bedingungen hat
und Auswirkungen haben könnte und sollte. Aber vielleicht habe ich da ja was
verpasst, jedenfalls scheinen viele dazu schon sehr sehr lange fertige
Antworten zu haben - die mir teilweise auch sehr sehr bekannt vorkommen. Was
sie noch nicht falsch macht, aber doch reflexionswürdig.

Vor diesem Hintergrund wollte ich mich zu drei Punkten äußern, in der
Hoffnung, vielleicht dazu beitragen zu können, daß die Diskussion weitergeht
und nicht in das mündet, was oft genug in der antikapitalistischen
"Großfamilie" anstatt Debatte gesetzt wird: Konfrontation von Standpunkten.
Wo der eine dem anderen dann die gemeinsame Situation vorwirft: politische
Isolation. Usw. Ich für meinen Teil könnte auf Keulen verzichten, hoffe ich.


1.Worüber diskutieren wir?

Wenn der Vorwurf kommt, eine "GPL- Gesellschaft" wäre wohl nur für
hochbezahlte Spezialisten ein Hobby,anderswo aber hungern Menschen:
letzteres stimmt. Aber das betrifft ja auch die größten Teile der
"werktätigen Massen" hierzulande - die zahlen auch nur 7 Mark für ein Pfund
Kaffee. Brosamen, die für andere sehr teuer sind. Also, wenn das als
Argument gilt, dann bitte ganz...
Wir haben hier in Dortmund beispielsweise die Erfahrung gemacht, daß
bestimmte Positionen, die sich nun wirklich nicht auf die klassische
Arbeiterbewegung beziehen, sehr wohl eine Grundlage waren, handfeste "neue"
Gewerkschaftspolitik zu entwickeln. Beispielsweise mit den Überlegungen des
ehemaligen Betriebsratsvorsitzende des Citibank Call Centers in Bochum,
Hannes Oberlindober zu CC, was sie sind - und was sie sein könnten.
(Nachzulesen unter www.labournet.de). Überlegungen, die, wenn ich jetzt hier
mal so sagen darf, sehr stark von der "stofflichen Seite des
Arbeitsprozeßes" ausgehen. So hat die IG Medien in DO das eine oder andere
in CCs erreicht.
Um eine Gewerkschaftspolitik zu entfalten, die "auf der Höhe der Zeit" ist
oder wie mensch es immer nennen will, genügt es eben nicht, den
traditionalistischen (sozialdemokratischen wie kommunistischen) Ansatz zu
verfolgen: Die Interessen am Arbeitsplatz zu verteidigen. Spätestens bei AKW
sollte da sogar der Realpolitiker auf die Realität stoßen.
Ich will hier keine Debatte über Gewerkschaften und Gewerkschaftspolitik
führen (im übrigen: auch nicht über Parteien, im übrigen auch nicht auf dem
Kongreß, zumindest nicht als Hauptthema) sondern nur das eingangs gesagte
verdeutlichen: Nicht vorschnell sich Beispiele um die Ohren hauen, die bei
genauerer Betrachtung schief sind. Gilt auch für die mir aus der Nähe
bekannten verschiedensten "verdi" Initiativen a la TIM, Multimedia, connexx:
Ob das tolle neue Ansätze sind - das genau müßte dann schon diskutiert
werden. (IG Metall auf der Cebit zum Beispiel: die kleine IG Medien
Westfalen war auch da und die Diskussion, die wir  mit den Kollegen von der
IGM hatten, wären für manche hier aufschlußreich - aber ist eben nicht das
Thema).
Ich fände es für den Oekonux Kongreß nicht eben nützlich, wenn das
Hauptthema sozusagen "Träumer gegen Realisten" würde.
Was natürlich nicht heißen soll, solche Fragen ganz auszuklammern - es kommt
darauf an, wie sie diskutiert werden.
Ein Vorschlag, eine Ergänzung eher, dazu wäre: für den Kongreß - unter
vielem anderen - eine ganz konkrete Situation nehmen und dort in der Tat
genau diskutieren, analysieren gar, was passiert, wer was antreibt etc pp.
Es gibt das dortmund-project, das die Stadt gemeinsam mit IHK und McKinsey
usw betreibt. Im übrigen: Das einzig ernsthafte durchdachte Konzept für eine
E-City (andere wollen ähnliches , können aber meist nur "Multimedia"
stammeln) - nach Unternehmerart versteht sich (in Partnerschaft mit telekom,
M$, ThyssenKrupp IS etc). Das analysieren, verschiedene gesellschaftliche,
gewerkschaftliche und sonstige Positionen einbeziehen und überlegen, was
damit möglich wäre - und nicht, sowohl real als auch grundsätzlich - so
stelle ich mir die Arbeit auf einem Oekonux Kongreß vor: der im übrigen
verschiedenen Bedürfnissen entgegenkommen sollte.


2.Überraschungen in der bisherigen Diskussion

Ein paar Diskussionen haben mich insofern überrascht, als da manches Mal
feste Positionen vertreten werden, die in Wirklichkeit mehrere sind.

a)Ich gebe zu, nicht besonders kompetent in Fragen der Wissenschaft zu sein.
Es wäre mir aber schon neu, daß Naturwissenschaften nicht ideologisch
geprägt wären.
Und wenn ich es zum Beispiel richtig verstanden habe, so zielt ja auch die
Fusion von GMD und Fraunhofer auf direktere Verwertbarkeit - ich meine, wo
bleiben denn noch "Nischen"? (Auf die Gefahr hin, jemand auf die Nerven zu
gehen: Ein weiteres Bespiel - wohl leider - für gewerkschaftliche Tradition:
Die Arbeitsplätze, so die ÖTV, seien ja gesichert, die Inhalte interessieren
nicht - zumindest habe ich im verdi Rahmen diese Auskunft bekommen). Und:
(sorry, schon wieder Dortmund) wenn im Rahmen der ab 27.11 funktionierenden
IT-Akademie (public-private partnership) in maximal 4 Semestern der Bachelor
ausgebildet wird, dann gehen hier nicht nur philosophische, sondern auch
mathematisch-theoretische Grundlagen der Informatik über den Jordan.
Außerdem ist das auch ein Weg zur Privatisierung...

b)Ich will jetzt nicht die ganze Debatte um Urheberrecht aufrollen, die ist
ausgesprochen kompliziert.
-Bisher ging - außerhalb der Szene - konkret der Hauptstreit um die digitale
Zweitverwertung von Texten vor allem durch Presseverlage. Daran zeigt sich
aber auch deutlich, daß die zentrale Frage eben die nach Vergütung durch
Unternehmen ist. Es soll mir doch niemand erzählen ich könnte meine
nichtvorhandenen Kinder mit den VG Wort Geldern ernähren: Arme Plagen, 100
Emms im Monat (und damit bin ich schon "Großbezieher"). Also, lieber
ernsthaft diskutieren, als Keule schwingen.
-Nun gibt es in der bereits angedeuteten innergewerkschaftlichen Debatte
mehrere Stränge: Einer, der sich auf die Geschichte des Urheberrechts beruft
und seine Entstehung aus dem modernen Verlagswesen - sprich aus der
Kapitalverwertung: Goethe wie später (da schon illegal) Brecht, haben
geklaut, was das Zeug hielt - weil sie die Feststellung des geistigen
Eigentums nicht akzeptierten. Hier nutzt es wenig, prinzipielle und
materielle Gesichtspunkte sich um die Ohren zu schlagen, oder aber mensch
tut es endlos. Ich meine, es könnte zu einer Lösung führen, beide
Debattenstandpunkte voneinenader zu trennen, je prinzipiell zu klären (und
denke eigentlich für die Grundsatzfrage hat Oekonux das getan - oder?) und
anschließend den Versuch zu machen, das zueinander zu bringen. Oder aber
feststellen es geht nicht. Und das ganze vor dem Hintergrund der Pläne, aus
dem Netz eine größere Veranstaltung unter dem Motto "pay per Info" zu
machen.
-Ich denke, ein Stück weit könnte mensch bei dieser Debatte sich auch von
der ganzen Auseinandersetzung um Software-Patentierung inspirieren lassen,
die gerade läuft.


3.Zur Frage der Arbeit

Ich möchte jetzt gar nichts sagen zum  Unterschied von Volkswirtschaft und
Kritik der politischen Ökonomie, obwohl mir dieses Problem hinter
verschiedenen Ausführungen aufzuscheinen beginnt. Auch die Fragen des
Kapital-Studienkreises von 1968 ("Schafft ein Transportarbeiter Mehrwert?")
sind mir im Augenblick kein Anliegen.
Ich denke nach wie vor nicht, daß ich einen örtlichen "Robert Kurz Fanclub"
gründen muß, um zu vertreten, daß Arbeit in dieser Gesellschaft - und ganz
speziell in den Gewerkschaften - zum Fetisch erhoben worden ist. Mich ärgert
nur die Oberflächlichkeit vieler Etikettierungen, die ihrerseits genauso gut
mit Etiketten versehen werden könnten. Und wenn Kurz Zusammenbruchstheorien
vertritt, was ich nicht weiß, ist das nicht mein Problem, so wenig, wie wenn
andere auf ewig am Kapitalismus rumdoktern wollen. (Entgleisung 1).
Die tollste Erfahrung, die ich persönlich mit Arbeitsbeschaffung etc gemacht
habe, stammt aus Brasilien: Das neue Daimler Benz Werk in Juiz de Fora.
Jeder einzelne der 1100 Arbeitsplätze wurde vom Bundesstaat mit 700.000 R$
subventioniert - Landschenkung,Straßenbau,  Steuerbefreiung, direktes Geld
etc pp. (Ca 1Mio DM pro Arbeitsplatz). 700.000 R$ ist ziemlich genau das,
was vier Arbeiter in je 30 Jahren zusammen verdienen (400 - 500 im Monat 0
6000 im Jahr). Ich meine, sicher: Barauszahlung wurde da selbst bei der
Arbeiterklasse zum Thema...
Nach dem Sinn von Arbeit zu fragen erscheint mir heute, auch - vielleicht :
gerade - aus gewerkschaftlicher Sicht prinzipiell unumgänglich. Erst recht,
wenn mensch wieder mal Arbeitszeitverkürzung zum Thema macht (im Augenblich
so unrealistisch wie das 4.ooo dste Keynesianische Beschäftigungsprogramm) -
so etwa "wenig, aber sinnvolle Arbeit für alle" als reformistisches
Programm.
Was hat das mit Oekonux zu tun?
-Wer die Sache mit den Arbeitsplätzen, mit dem Sinn von Arbeit und der
ganzen Ideologie drumherum zumindest etwas durchdenkt, wird die Differenzen
zu "freier" Betätigung kaum noch als Schützengraben benutzen können. (Also
um es klar zu sagen, einen Sozialismus a la "wir sind die bessere
Leistungsgesellschaft" kann mensch sich sonstwohin stecken, das ist nun
wahrlich kein Fortschritt im Leben). Will heißen: Der "Arbeit" ein wenig
ihren Fetischcharakter nehmen, öffnet der Debatte - vielleicht - neue Wege.
Sonst muß sie, wie bisher, für alles herhalten: Wer keine hat, darf ein
bißchen faschistisch sein (nach dem Motto: Nicht nett, aber verständlich) ;
wer keine hat, wird kriminell (zwar eine ziemliche Verdrehung der Fakten,
aber populär); und wer seinen Neigungen nachgeht, steht eh unter Verdacht...
Was soll das? Abschließend unterstreichen, daß ein Oekonux Kongreß nicht das
bundesweite Treffen der Gewerkschaftslinken sein soll, der ich mich (oft
genug: zähneknirschend) auch zuzähle; weder - wie oben gesagt - von der
Thematik her, noch, so es irgend geht, vom eingefahrenen Stil der Debatten
her.

Entschuldigt die Langeweile, aber alleine Schuld bin ich auch nicht.

Helmut Weiss






















[English translation]
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