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[ox] Grundsicherung vs. neuer Sozialvertrag



liste oekonux.de (benni) schreibt:
Naja, Gegengesellschaft halte ich für ein problematisches Wort. Aber
sich Räume frei kämpfen, das sollte man schon, da geb ich Dir Recht.
Ich würde halt wieder sagen: Und genau dafür ist eine Politik der
Grundsicherung eine Möglichkeit. Eine die mit den Unzulänglichkeiten
des Systems umgeht und das Beste draus macht.

Ob die genaue Ausgestaltung dann eher einer klassischen
Sozialstaatsform ähnelt oder Landenteignung in Brasilien heisst oder
auch Kraftwerk1 in Zürich oder meinetwegen auch eine sich selbst
versorgende Landkommune ist vielleicht garnicht mal so wichtig.
Was mir wichtig wäre, ist unter den gegebenen vorgefundenen
Umständen das Beste draus zu machen.

Die Frage wäre, was geschieht, wenn eine politische Partei 
diese Form von Ressourcentransfer für die Initiierung 
gesellschaftlicher Selbstversorgungspotentiale auf ihre
Fahnen heftete.

Ricardo Petrella hat ähnliches innerhalb der Europäischen Komission
im Forschungsbereich propagiert und ist so kalt abserviert worden
wie Oskar. Er nannte das Konzept einen "neuen Sozialvertrag" .

Also die Idee, daß der Staat und die Marktwirtschaft sich sukzessive
aus Sektoren zurückziehen, die sie nicht mehr tragen können/wollen,
daß aber gesellschaftliche Standards ausgehandelt und die Frage
der Genese der Mittel der Erfüllung dieser Standards geklärt ist.

Der Kapitalismus wird zunehmend ärmer zur Reparatur der von ihm
verursachten Schäden; er zieht alle Mittel zusammen, um die
Möglichkeit der Verwertung, von G-G´überhaupt noch zuwege
zu bringen. Jetzt wird z.B. in Österreich plötzlich wieder ein
Budgetposten von mehrern Milliarden in "wirtschaftsnahe 
Forschung" gepulvert.

Die Sache ist sehr logisch, denn wenn Gesellschaftliche 
Reproduktion auf Kapitalverwertung aufbaut, dann hat diese
"natürlich" priorität; weswegen zum Beispiel Kapital ab
bestimmter Größe nicht besteuert wird, um es zum 
"arbeiten" zu bringen und im Land zu halten. Dann ist es
auch logisch, jede nichtkapitalisierte Sphäre wegzuräumen,
um die Verwertungsmöglichkeiten von Kapital zu steigern.
Das ganze wird dann auch noch als "Effizienz" und "Sparsamkeit"
verkauft, obwohl es das blindeste Auge schlägt, daß wirtschaft-
liche Konkurrenz Ressourcen en masse vergeudet und 
verrückt alloziert.

Es liegt aber am gesellschaftlichen Konsens bis hin zu den
Gewerkschaften und den Linken, daß der Neoliberalismus
sich so austobt: dem Konsens, daß "Wirtschaft" überhaupt
noch Lebensmittel ist. Und der wird in der Grundsicherungs-
forderung utopisch bekräftigt! 

Claus Offe - einigen vielleicht als eher zahnloser Autor von
"Legitimationsproblemen des Spätkapitalismus" bekannt,
aber in seinen Konsequenzen durchaus sympathisch und
nachvollziehbar, hat einen grundsätzlich anderen Politikansatz
vorgeschlagen, der sich "negative Arbeitsmarktpolitik"
nennt: bewußte Verkleinerung des marktwirtschaftlichen
Sektors als politische Strategie! 

Wir sind nicht auseinander in dieser Frage, ich bin nur
dafür, das zu klären: der von Dir beschriebene Weg heißt
Entwirtschaftung, heißt Grundsicherung durch stetige
Vergrößerung und Vernetzung der Sphäre der organisierten
Eigenarbeit. Das ist aber dann eine Frage gesellschaftlicher
Selbstorganisation, lediglich die Schaffung der Ausgangsbasis
und der Mittel sowie der rechtlichen Rahmenbedingungen
als Schutz gegen die Bande der proprietären Expropriateure
hat noch den Charakter einer "Forderung". 

So könnte ein Schuh draus werden!

Und ob eine "Gegengesellschaft" draus wird, das können
wir doch dem weiteren Verlauf der Dinge überlassen. Im 
Moment kommts darauf an, der Gesellschaft klar zu machen,
daß die einzige Sicherung von Leben und Gesundheit im
Zulassen der entwerteten und entwirtschafteten organisierten
Eigenarbeit ist. Zumindest experimentell muß das ganze
zugelassen werden. Eine schöne Forderung wäre: für jede
Mark Wirtschaftsförerung eine Mark Subsistenzprojekt-
Förderung, für jede  Mark Militärausgabe eine Mark 
für Friedensdörfer! Wir werden dann schon sehen, was sich 
besser bewährt! 

Gut, statt Mark sagen wir gleich Euro.

(Genau dasselbe auf dem Sektor der Software. Mindestens
gleichrangige Behandlung freier Softwareentwicklung bei
der Vergabe von Forschungsgeldern!)

nochwas:

Ich denke vor allem dass man sich doch nicht einfach ausklinken kann
und sagen: Macht was ihr wollt, geht vor die Hunde, wir steigen aus.
Das wird nicht funktionieren. Man muss doch irgendwie auf diesem
Planeten mit den ganzen Arschlöchern zu Rande kommen, oder?
Natürlich weiß ich, das sie unrecht haben und das der Kapitalismus
lieber heute als Morgen abgeschafft gehört. Da sie aber nunmal so
verblendet sind und das nicht sehen wollen macht es doch Sinn sich
innerhalb dieses Rahmens Möglichkeiten zu suchen, die in die
richtige Richtung gehen. 

Das nannten schon andere die "Dialektik von Reform und Revolution":
die Kunst ist, innerhalb des Rahmens Schritte zu setzen, die dafür
sorgen, daß er verlassen werden kann.

Die Frage, wie so ein Sozialvertrag genau funktioniert, welche
Möglichkeiten und Grenzen das Recht vorsieht, würd ich gern an
Petra weitergeben. Jedenfalls gibt es genossenschaftliche 
Organisationsformen, es gibt Sonderregelungen für Universitäten
und andere Anstalten im öffentlichen Interesse, es gibt Voll- und
Teilautonomie solcher Institutionen etc. Es gibt auch und vor allem
das Prinzip der Subsidiarität, das in Österreich sogar Verfassungs-
rang hat, wenn ich mich nicht irre.

f


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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